In dem in der vergangenen Ausgabe der Alerta Südthüringen erschienenen zweiten Teil zur Geschichte des antifaschistischen Widerstandes in Südthüringen gegen das nationalsozialistische Deutschland haben wir die ersten Jahre des organisierten Widerstandes von 1933 bis etwa 1939 charakterisiert als einen Kampf, der von Splittergruppen geführt wurde, die mit jeder Welle der Repression Kämpferinnen und Kämpfer sowie den Rückhalt in der Arbeiterschaft verloren. Das nationalsozialistische Deutschland und seine Volksgemeinschaft waren zu einem totalitären Gefüge zusammengewachsen, dem am Ende nur noch Einzelne widerstanden. Nicht wenige dieser Menschen kamen aus unserer Region und ihrem Vermächtnis ist auch der dritte und letzte Teil unserer Reihe gewidmet, die einen kurzen und knappen Überblick über Widerstand und Repression in Südthüringen verschaffen will. Im hier also nun vorliegenden letzten Teil thematisieren wir die zweite Phase des Widerstandes vom Kriegsausbruch 1939 bis zur militärischen Niederlage der deutschen Volksgemeinschaft gegen die Anti-Hitler-Koalition 1945.
Die zweite Phase des antifaschistischen Widerstandes in Südthüringen verlief in vielerlei Hinsicht anders als die erste. Zum einen, weil quantitativ die Zahl derer, die sich an Widerstandshandlungen beteiligten, schrumpfte. Zum anderen, weil der Widerstand vor allem durch die Sabotageaktionen in den Rüstungsfabriken eine andere Qualität erreichte – ebenso wie die nochmals gesteigerte Härte der faschistischen Repression.
Im Raum Suhl/ Südthüringen gab es eine ganze Reihe an Betrieben, die Rüstungsgüter für die deutschen Truppen und ihre Verbündeten produzierten. Im zwangsarisierten Suhler Simsonwerk etwa wurde bereits am 1. September 1934 die Automobilproduktion zu Gunsten der Rüstungsproduktion eingestellt. Mit dem Kriegsausbruch 1939 erhielten diese Betriebe im nationalsozialistischen Deutschland eine besondere Bedeutung und umso härter und unnachgiebiger verfolgte das Regime dort Sabotageaktionen, wie sie etwa im Immelborner Rüstungsbetrieb Schmöle & Co., im Haenelwerk, bei Werkbahnen der Wintershall AG sowie bei der Reichsbahn dokumentiert sind und wo die Nationalsozialisten nicht nur gegen die Störung der Produktion vorgingen, sondern auch gegen „umständliche Gefühlsduselei“ und „kommunistische Verbrüderungen“, wenn deutsche Arbeiter ihren zwangsarbeitenden Kollegen mehrfach zu Hilfe eilten und ihr Essen teilten.
Die Unterstützung und Hilfe für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter machte sich auch die Zella-Mehliser Widerstandsgruppe um Else und Hans Rassmann zur Aufgabe. Sie versorgten die Gefangenen mit Lebensnotwendigem und verteilten Flugblätter mit Aufrufen zur Sabotage in deutsch, russisch und französisch. Die Raßmanns hielten auch Kontakt zur Widerstandsorganisation um Theodor Neubauer und Magnus Poser, die sich u.a. in Zella-Mehlis traf. Anders als Neubauer und Poser überlebten die Raßmanns den Naziterror – trotz der durchlittenen Torturen in den Gefängnissen und Konzentrationslagern. Sie erlebten die Befreiung am 4. April 1945 in Zella-Mehlis.
Zu Sabotagen, Aufklärungs- und Hilfsaktionen für Zwangsarbeiter kam es auch im bereits angesprochenen Simsonwerk, wo etwa Ernst König und ein knappes Dutzend weiterer Mitstreiter Flugschriften gegen den Faschismus verbreiteten, Versammlungen abhielten und Broschüren verkauften bzw. Spenden sammelten. König wurde mit Mitstreitern aus der Friedberg-Gruppe am 5. Januar 1945 in Weimar enthauptet.
Die Friedberg-Gruppe war eine der aktivsten und bekanntesten Widerstandsgruppen aus Suhl, die sich um 1936/38 herum gründete und in der Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter zusammen wirkten. Zu ihrem Umfeld gehörte der wegen der Kritik an der sektiererischen Gewerkschaftspolitik der KPD aus dieser ausgeschlossene Adolf Anschütz, von 1919 bis 1933 Geschäftsführer des Deutschen Metallarbeiterverbandes (DMV). Anschütz gilt zusammen mit Guido Heym als einer der Köpfe des Widerstandes in Suhl. Außerdem gehörten der Gruppe an: Emil Eckstein, Friedrich Heinze, Carl Stade, Alfred Gerngroß, Rudolf Gerngroß, Minna Recknagel, Emil Recknagel sowie Richard Heim. Sie trafen sich in der von Carl Stade geführten Gaststätte „Schuppen“ auf dem Friedberg, der zentralen Begegnungsstätte der Widerstandsorganisation. Die Friedberg-Gruppe verteilte illegale Schriften und politische Nachrichten im Wohngebiet, vor allem aber in den Rüstungsbetrieben. Sie sammelte Spenden für Widerstandsaktionen und zur Unterstützung Verfolgter, animierten die Kollegen in den Betrieben „recht viel krank zu feiern“ und langsam zu arbeiten, da dies ein geeignetes Mittel zur Rüstungssabotage sei. Organisierte Antifaschisten in den Betrieben beteiligten sich auch an direkten Rüstungssabotagen.
Vertreter der Gruppe, wie Emil Eckstein, verbreiteten auch die Nachrichten über die Verbrechen gegen die Juden, deren Deportation und Ermordung, soweit man davor überhaupt die Augen verschließen konnte. Der Suhler Friedberg-Gruppe machten die Nationalsozialisten gemeinsam mit dutzenden weiteren Suhler Widerstandskämpferinnen und -kämpfern ab September 1943 den Prozess.
In den Jahren 1943 bis 1945 führte das Reichs-Sicherheits-Hauptamt (RSHA) in Südthüringen zwischen Unterfranken und Ilmtal im Zusammenwirken von SS und Gestapo mehrere groß angelegte Verhaftungsaktionen durch, die sich vorwiegend gegen den Arbeiterwiderstand in den Rüstungsfabriken richteten. Die meisten Antifaschisten wurden in ihren Betrieben, einzelne auch in ihren Wohnungen verhaftet. Auf dem Weg in die Unterbringungen und Gefängnisse wurden sie misshandelt und gefoltert. Mehr als 200 Antifaschisten gerieten während dieser Aktion in Haft.
Bei Durchsuchungen von Südthüringer Antifaschisten durch das RSHA wurden auch Waffen und Flugschriften beschlagnahmt. Die Verhafteten wurden u.a. in die Justizvollzugsanstalt Ichtershausen verbracht und dort systematisch misshandelt. Emil Eckstein verhungerte am 1. November 1944. Auch Alfred Gerngroß starb in Ichtershausen an den Folgen von Unterernährung, Misshandlung und Folter. Die Verhafteten, die die Folter überlebten, wurden teilweise in das KZ Buchenwald verbracht: Richard Anacker (Schlosser, KPD, Zella-Mehlis), Edmund Backert (Holzarbeiter), Edmund Forkel (Bleiarbeiter), Willi Geyer und Darius Suffa-Petri (alle Sonneberg), Alfred Borchert (Schmiedefeld, KPD), Arno Voigt (Langewiesen, KPD) und viele andere. Der Suhler Laufrichter Walter Hildebrandt (KPD), der an Flugblatt- und Sabotageaktionen im Haenelwerk beteiligt war, erlebte die Befreiung Ende April 1945 im KZ Börgermoor.
Neun Betroffene der Verhaftungsaktionen 1943/44 aus dem Thüringer Wald wurden am 5. Januar 1945 im Lichthof des Landgerichtsgefängnisses Weimar durch die Guillotine ermordet. Fritz König (von der Widerstandsgruppe, die sich im Simson-Werk organisierte), der Sonneberger Widerständler Adolf Wicklein sowie Minna Recknagel, Emil Recknagel, Carl Stade, Adolf Anschütz, Ewald Stübler und Friedrich Heinze von der Suhler Friedberg-Widerstandsgruppe bzw. deren Umfeld wurden ab 17.30 Uhr im 20-Sekundentakt geköpft. Der Oberstaatsanwalt Weimars schrieb in einem Bericht an den Generalstaatsanwalt Seesemann aus Jena, der die Anweisung zur Vollstreckung gab: „In der Berichtszeit wurden 15 Männer und 4 Frauen hingerichtet. Bei 8 Männern und 1 Frau handelt es sich um die Suhler Hochverräter für den Volksgerichtshof. Es ist das erste Mal, dass hier 10 Hinrichtungen auf einmal erfolgten. Solche Massenexekutionen stellen erhebliche Ansprüche an die Wendigkeit und die Nervenstärke aller beteiligten Beamten. Trotz hemmender äußerer Umstände (keine Heizung, kein Wasser) ist alles reibungslos in verhältnismäßig kurzer Zeit abgegangen.“ Heute erinnert ein Gedenkstein am Suhler Friedberg an die ermordeten Antifaschistinnen und Antifaschisten.
Militärischen Widerstand, etwa durch bewaffnete Untergrundgruppen und Partisanenverbände, ähnlich der Gruppen in den von Deutschland besetzten Ländern, hat es im Reich nicht gegeben. Dafür beteiligten sich politische Emigranten aus Südthüringen am militärischen Widerstand der Anti-Hitler-Koalition gegen den NS-Faschismus. So kämpften in den Streitkräften der USA bspw. die Suhler Ludwig Mühlfelder als Leutnant und Fritz Saphra als Offizier. Kurt Triebel aus Hildburghausen kämpfte in der italienischen Brigada Garibaldi gegen den spanischen Faschismus, Kurt Voigt aus Geraberg kämpfte in Titos Befreiungsarmee in Jugoslawien, Hans-Joachim Ehrlich aus Bad Salzungen schloss sich dem Widerstand in den Niederlanden und der Résistance in Frankreich an. Nicht wenige Südthüringer desertierten bei der Wehrmacht und schlossen sich den alliierten Armeen an oder verweigerten Befehle. Der Georgenthaler Otto Fabian weigerte sich am 5. April 1945 den Volkssturm gegen die anrückenden amerikanischen Soldaten zu mobilisieren und bezeichnete Hitler als „perversen Verbrecher“. Er wurde von einem der Kommandos der im Rückzug befindlichen Wehrmacht erschossen. Sein Leichnam wurde mit einem Schild um den Hals zur Schau gestellt, das folgende Aufschrift trug: „Volksfeind – so endet ein Volksverräter“.
Viele der zwischen 1933 und 1945 inhaftierten Widerstandskämpfer erlebten die Befreiung vom Nationalsozialismus nicht. Gerd Kaiser berichtet von mindestens 60 ermordeten Antifaschisten in der Region um den Thüringer Wald, allein 25 davon aus Suhl. Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Südthüringen wurde getragen von hunderten Männern und Frauen, die zu verschiedenen Zeiten oder kontinuierlich Widerstandshandlungen organisierten. Gegen die Massen jener, die den Nationalsozialismus wollten und für ihn kämpften und ihre Mitbürger denunzierten, waren sie eine Minderheit und nie das, was man als das „andere Deutschland“ bezeichnen könnte. Dabei hat sich diese Mär vom „anderen Deutschland“ zu einem Mythos gerade in antifaschistischen Kreisen, also dort, wo man es doch besser wissen müsste, entwickelt. Hinter diesem Begriff verbirgt sich die Vorstellung, dass es neben der mörderischen deutschen Volksgemeinschaft, in deren Interesse sich die Politik der Nationalsozialisten bewegte, noch eine nennenswert große gegnerische Gruppierung gegeben habe; Menschen, die emigrierten, sich widersetzten, sabotierten, interniert wurden und die den Nationalsozialismus teilweise überlebten und teilweise starben. Diese Leute, und das zeigt unsere dreiteilige Reihe, hat es gegeben. Aber: Diese Gruppe war vergleichsweise verschwindend klein und ihr stand eine Übermacht, nämlich die deutsche Volksgemeinschaft, die den Faschismus, den Krieg und die Vernichtung wollte, gegenüber. Diese Minderheit als das „andere Deutschland“ zu bezeichnen ist infam.
Klaus Bittermann hat diesen Schwindel treffend kritisiert: „‚Das andere Deutschland‘ setzt ein absichtliches und schwerwiegendes Mißverständnis der Deutschen über sich selbst voraus, die damit zu verstehen geben wollen, daß es auch gute Deutsche während des NS gegeben habe. Die amerikanische Kriegsreporterin Martha Gellhorn machte unmittelbar nach Kriegsende die Entdeckung, daß es, dem Selbstverständnis der Bevölkerung nach zu schließen, gar keine Nazis gegeben hatte, und daß, je länger man den Leuten auf der Straße zuhörte, man den Eindruck gewinnen konnte, die Deutschen seien in Wirklichkeit ein einig Volk von Widerstandskämpfern gewesen. Das war natürlich eine dreiste Lüge, nicht weniger dreist aber war es zu behaupten, die wenigen, die tatsächlich Widerstand geleistet hatten, würden ausreichen, um glaubhaft zu machen, es gäbe ein anderes, ein besseres Deutschland. [...] einen Widerstand, der diese Bezeichnung verdient, gab es nicht. Im Unterschied zum Widerstand in den von den Nazis besetzten Ländern hatte der Widerstand in Deutschland weder Zuspruch noch eine Basis, und deshalb repräsentiert er nichts außer den persönlichen Mut Einzelner.“
Trotzdem haben viele Leute aus dieser Widerstand leistenden Minderheit einen Beitrag zur deutschen Version der Vergangenheitsbewältigung geleistet, etwa indem sie sich als Kronzeugen für die Wiedergutwerdung Deutschlands, zu dessen außenpolitischer Rehabilitierung, zur Verfügung stellten. Das konnten sie, weil sie nicht durch die Kollaboration mit den Nazis kompromittiert waren und indem sie selber mit Hand anlegten, um Deutschland, statt ihm ein Ende zu bereiten, zu neuem nationalen Selbstbewusstsein verhalfen. Erwähnt sei hier etwa Kurt Schumachers chauvinistische SPD, die sich der Restauration Deutschlands vollständig zur Verfügung stellte. Diese Teile der antifaschistischen Linken haben mit dazu beigetragen, dass sich Kontinuitäten im postfaschistischen Deutschland entwickeln und nazistische Denkgewohnheiten Rehabilitierung fanden. Der Ideologiekritiker Wolfgang Pohrt spitzte diesen Zusammenhang in der These zu, dass der Begriff und Mythos vom „anderen Deutschland“ „für die schlechte Kontinuität der deutschen Geschichte mehr geleistet hat als alle rechtsradikalen Traditionsverbände zusammen.“ Diese These trifft unübersehbar einen wichtigen Punkt: Die antifaschistische Linke in der großen Mehrzahl hat es verpasst, die Kontinuitäten deutscher Ideologie zu benennen und zu kritisieren. Und genau dieser Missstand ist es, der uns heute wieder auf die Füße zu fallen droht, wenn aus allen Parteien und gesellschaftlichen Institutionen neue Kader den alten Geist gegen Flüchtlinge und die verstreuten Reste einer zum Besseren entschlossenen Linken (nicht die Partei) in Stellung bringen.