Polizeinotstand in Jena - Alle Versammlungen verboten
Nach über zweiwöchiger "Prüfung" erließ die Stadt Jena gestern das Verbot aller antifaschistischen Versammlungen am 10. Juni. In den sprachlich hässlichen Verfügungen heißt es stereotyp, ein polizeilicher Notstand gebiete das. Um diesen zu begründen, wird der Protest im letzten Jahr zum Horrorszenario verfälscht und die Versammlungsfreiheit den Interessen der Betreiber von "public-viewing-Zonen" untergeordnet.
Gefahren für die öffentlichen Sicherheit bestehen laut des Verbotsbescheids in einem Umfang, dass man sich nach dem Lesen des 17seitigen Papiers schon reif für's Krankenhaus fühlt. Die Prognose stützt sich auf die Verbreitung der Losung des Antifaplenums - "Fest der Völker verhindern!" - im Internet. Über deren Erfolg kann freilich nur spekuliert werden. Deshalb rekurriert der Verfasser, Dezernent Frank Jauch, hauptsächlich auf die Proteste im vergangenen Jahr. Damals fand sich in der Presse lediglich ein Hinweis auf "kleinere Zwischenfälle", die Headline hingegen lautete: "Der Ungehorsam blieb gewaltlos" und OB Röhlinger wurde zitiert mit den Worten: "Es ist uns gelungen, die Rechtsextremisten mit friedlichen und demokratischen Mitteln aus der Innenstadt fern zu halten." Für ihren Einsatz während der Blockade am Gries hatte Katharina König aus der JG Stadtmitte später den Preis für Zivilcourage des Runden Tisches für Demokratie erhalten.
Heute erinnert sich Jauch: Bereits am Morgen des 11. Juni 2005 hätten sich "ca. 500 teilweise gewaltbereite" Personen am Gries "massiv polizeilichen Maßnahmen entgegengesetzt." Nachdem dort "erhebliche Sachbeschädigungen" an Wohnhäusern angerichtet worden seien, hätten "ca. 1000 Gewaltbereite" die Führung des Demonstrationszuges nach Lobeda übernommen. An der Autobahn seien Polizeibeamte schließlich "massiv mit Steinen und Flaschen angegriffen" worden. Usw. usf. Und dieses Jahr wird es noch schlimmer...
Wieder und wieder wiederholt Jauch diese Story und gerät dabei selbst durcheinander in seinen Zahlenspielereien, so dass aus "ca. 400 Linksautonomen" zwei Absätze später "ca. 400 bis 500" werden und im Verlauf von neun Seiten 100 Polizisten verschwinden. Das i-Tüpfelchen freilich sind die "insgesamt 50 Personen", deren Festnahme zum Beweis der Gewalttätigkeit am Gries angeführt wird - alle Verfahren sind inzwischen mangels Tatverdacht eingestellt!
Während die Stadt mit der härtesten Maßnahme diese Phantasiegefahren bekämpft, zu denen auch von Hamburg herabkommende Afro-Hools gehören, bleiben die öffentlichen Videoübertragungen der WM-Spiele unangefochten. Hier sieht die gesamte deutschen Polizei alle ihre Kräfte gebunden durch Hooligans, weshalb dem Notstand der Thüringer Kollegen nicht abgeholfen werden könne. Dem kommerziellen Interesse der Bier- und Würstchenverkäufer in diesen "public-viewing-Zonen" wird ein prinzipieller Vorrang eingeräumt gegenüber der Versammlungsfreiheit, die faktisch außer Kraft gesetzt wird. Unter dem Motto "Die Welt zu Gast bei Freunden" wird so der Ausnahmezustand geübt, den die Neonazis auf Dauer erklären wollen.
Vor Gericht und auf hoher See liegt man in Gottes Hand. Einige der Betroffenen werden die städtische Sicht der Dinge vor Gericht angreifen. Unabhängig vom dortigen Prozedere wird das Antifateam das Training fortsetzen, um am 10. Juni in Topform die braune Mannschaft zu kontern. Anpfiff: 8.00 Uhr, Seidelplatz.
Siehe auch pressemitteilung_zum_polizeinotstand.html