Das Potential der parlamentarischen Präsenz
Gastbeitrag der sächsischen Recherche-Initiative "Nazis in den Parlamenten"

Im August diesen Jahres stehen die sächsischen Landtagswahlen an. Sie werfen die Frage auf, wie sich der erstmalige Einzug der NPD in das Landesparlament in den vergangenen fünf Jahren auf die NPD und die rechte Szene insgesamt auswirkte.

Parlamentarische Arbeit

Im September 2004 zog die NPD mit 9,2 Prozent der WählerInnenstimmen in den Sächsischen Landtag ein. Am Ende der Legislaturperiode besteht die Fraktion aus lediglich der Hälfte der ursprünglich gewählten NPD-Abgeordneten. Die zwölfköpfige Fraktion verpflichtete eine Reihe bekannter Neonazis für ihren MitarbeiterInnenstab, die dem äußerlichen Biedermann-Image entsprachen, jedoch zum Urgestein verschiedener rechtsextremer Institutionen zählten.
Ihre Landtagsarbeit konzentrierte sich zunehmend darauf, zur Informationsgewinnung Kleine und Große Anfragen zu stellen, wohingegen sich die auf gesetzliche Entscheidungen abzielenden Anträge verringerten. Diese Entwicklung war eine Konsequenz aus der erfolglos angestrebten Öffentlichkeitswirksamkeit der Anträge und der sich anschließenden parlamentarischen Debatten. Die zu diesem Zweck wirkungsvollere Möglichkeit Aktueller Debatten zu Beginn einer jeden Plenarsitzung wurde von der NPD im Gegensatz dazu voll ausgeschöpft. Ein Dutzend Broschüren, sowie doppelt so viele Faltblätter und Ausgaben der Fraktionszeitung ,Klartext' vervollständigte das Bild der regen, engagierten Fraktion. Sie verwies dabei gern auf die Beschr-änkungen, denen ihre parlamentarische Arbeit durch die demokratischen Landtagsfraktionen unterlag. Nachdem diese in den ersten Monaten unsicher agierten, einigten sie sich auf ein tragfähiges gemeinsames Handlungskonzept. Da die sächsische CDU, im Gegensatz zur mecklenburg-vorpommerschen, das geschlossene Agieren aller Fraktionen gegen die der NPD oft nicht für notwendig erachtete, und deren Ideologie bspw. durch extremismustheoretische Gleichsetzungen mit der Linkspartei relativierte, konnte die NPD als gleichwertige oppositionelle Kraft erscheinen.

Landesweiter Ausbau der NPD-Strukturen

Die NPD-Vertretung im Landtag festigte die Strukturen der Partei sowie der rechtsextremen Szene generell. Die Wahlkreisbüros der Landtagsfraktion sind zwar überwiegend wenig frequentiert oder bereits wieder geschlossen. Auf regionaler Ebene ist es der NPD jedoch gelungen, ein relativ flächendeckendes Netz an Orts- und Kreisverbänden aufzubauen. Zudem ist die NPD seit den sächsischen Kreistagswahlen im Juni 2008 in allen Kreistagen mit eigenen KandidatInnen vertreten, in zahlreichen Kreistagen sogar in Fraktionsstärke. Die Besetzung aller Kreistage eines Bundeslandes ist einmalig in der Geschichte der NPD. Diese verfehlte zwar das selbst gesteckte Ziel, in allen sächsischen Kreistagen in Fraktionsstärke präsent zu sein, konnte jedoch ihr Ergebnis von 2004 vervierfachen. 44 Neonazis agieren infolgedessen derzeit als sächsische Kreistagsabgeordnete. [1] Dieses Ergebnis war für die NPD in Zeiten ihrer Dauerkrise - die Veruntreuung von Parteivermögen durch Erwin Kemna, dem engen Vertrauten des Parteivorsitzenden Voigt; das Gerangel um den Parteivorsitz; der Konflikt mit den ,Autonomen Nationalisten' - sehr bedeutsam. Darüber hinaus wurde die Verankerung der NPD im kommunalen Raum im Zuge der Kreistagswahl offensichtlich. Dass die Landtagsabgeordneten Gitta Schüßler und Jürgen Gansel nun auch in Kreistagen anwesend sind, scheint eine Konsequenz aus der noch immer gültigen Kritik zu sein, kommunale Belange zu vernachlässigen. Geschuldet ist der Wahlerfolg jedoch einer stärkeren außerparlamentarischen Präsenz der NPD, d.h. dass Publikationen wie bspw. Schulhof-CDs und die Jugendzeitschrift ,perplex' verteilt oder Internetauftritte der Kreisverbände aktualisiert wurden. Da diese Beteuerungen nicht zu einer Interessensvertretung in Form ständiger Präsenz einzelner NPD-VertreterInnen oder gefestigten Parteistrukturen führte, ist im Falle hoher Wahlerfolge der NPD überwiegend von einer ideologisch verfestigten StammwählerInnenschaft auszugehen, die sowohl kommunalpolitische Unfähigkeit, die Eklats im Landtag, als auch die offensichtliche Zusammenarbeit mit Freien Kameradschaften widerspruchslos hinnimmt.

Innerparteiliche Prozesse

Nach dem Einzug der NPD in den Sächsischen Landtag waren es zuerst die Parteiaustritte der Abgeordneten Mirko Schmidt, Klaus Baier und Jürgen Schön im Jahr 2005, die den internen Führungsstreit und die Meinungsverschiedenheiten um den politischen Kurs offenbarten. Zu diesem Zeitpunkt wurde die organisatorische und politische Nähe zwischen Fraktion bzw. Landesverband und Bundevorstand als ,,Voigt/Marx/Eigenfeld/Apfel-Klüngel" bezeichnet - was sich seitdem und vor allem seit dem Sonder-Bundesparteitag im April 2009 extrem gewandelt hat. Die Kritik der Aussteiger an der Fraktionsspitze beinhaltete somit nicht nur sächsische Konflikte, sondern verdeutlicht eine lange Zeit im Bundesvorstand und dem Parteiorgan Deutsche Stimme stabilisierte Struktur. Anlässlich des Bundesparteitages im April 2009, bei dem es zur Spaltung der NPD in die Voigt-UnterstützerInnen, nun im Parteivorstand, und die Voigt-KritikerInnen, zu denen jetzt neben Apfel und Gansel auch Pastörs und Marx zählen, propagierte die sächsische Fraktion den ,Sächsischen Weg'. In dem Papier wird eine Mitverantwortung Apfels an der Finanzkrise der Partei zurückgewiesen, politische Fehlentwicklungen und Führungsdefizite werden der Voigt-Linie angerechnet. Die Fraktion bzw. der Landesverband würde nicht, wie in Gerüchten verlautbart, zur DVU wechseln, stattdessen in kritischer Loyalität zu Parteiführung stehen. Die innerparteiliche Machtfrage ließe sich dann anhand der Wahlergebnisse der Landesverbände entscheiden. Der ,Sächsische Weg' beinhalte weiterhin, bürgerliche WählerInnen anzusprechen und sich vom neonazistischen Spektrum zumindest im Bundesvorstand zu distanzieren, um ,,für einen gegenwartsbezogenen und volksnahen Nationalismus, der die soziale Frage in der Mittelpunkt" stellt, einzutreten. Der Voigt-Flügel reagierte mit der Verlautbarung eines ,Deutschen Weges', der an der sächsischen Linie im Wesentlichen kritisiert, diese seien einseitig national-konservativ ausgerichtet, da sie bürgerliche Kreise an die NPD zu binden versuchten. Dies sei als Anpassung zu verstehen.
Auch der im Juli gegen die sächsische NPD-Abgerdnete Gitta Schüßler erfolgreich eingebrachte Misstrauensantrag im ,Ring Nationaler Frauen' und der gleichzeitige Austritt Jasmin Apfels, der Ehefrau des sächsischen Fraktionsvorsitzenden, verdeutlicht die führende Rolle, die die sächsische Fraktion in der Spaltung der NPD einnimmt.

Verhältnis der sächsischen NPD zu den ,Freien Kameradschaften'

Die Positionierung der Landtagsfraktion in Sachsen zu den ,Freien Kräften' erlangt Bedeutung einerseits für die Verbürgerlichung bzw. Radikalisierung, andererseits für die Finanzierung der Bundespartei. Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern sichern dem NPD-Bundesverband derzeit das Überleben. Anlässlich des Superwahljahres 2009 nehmen die finanziellen Schwierigkeiten der NPD weiter zu, weshalb die Jungen Nationaldemokraten (JN) als auch die ,Freien Kameradschaften' tatkräftig aushelfen müssen. Interessant sind daher die Verschiebungen zwischen Freien Kameradschaften und den Strukturen der JN. Mit der derzeitig doch überwiegenden Integration von AktivistInnen aus der Kameradschaftsszene verschwimmen die Grenzen zwischen JN und dem freien Spektrum. Eine Radikalisierung beider Seiten tritt ein.
Bereits im Jahr 2005 begründeten mehrere Mitglieder der ehemaligen Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) und deren Umfeld den JN Stützpunkt Sächsische Schweiz. Die SSS war 2001 verboten worden, in den folgenden Jahren schlossen sich zahlreiche Ermittlungsverfahren wegen Fortführung der kriminellen Vereinigung an. So sollte der als Rädelsführer verurteilte Ex-SSSler Thomas Sattelberg als damaliges sächsisches JN-Landesvorstandsmitglied einen Vortrag über die "Entwicklung der nationalen Bewegung" halten. [2] In Ostsachsen findet sich ein ähnliche Entwicklung. 2006 gingen die ,,Autonomen Nationalisten Hoyerswerda" (ANH) und die ,,Nationalen Sozialisten Lausitz" einschließlich ihres Kameradschaftszusammenschlusses ,,Lausitzer Aktionsbündnis" zu großen Teilen in die JN Hoyerswerda über. Auch hier sind die Aktivisten der ,Freien Kräfte' gleichzeitig führende JN-Funktionäre. Die radikale, ,,nationale und sozialistische" Ausrichtung der JN Sachsen prädestiniert sie dafür, eine maßgebliche Rolle in der parteiungebundenen Szene einzunehmen. Ein Gegenbeispiel zur Integrationsbewegung findet sich allerdings in Westsachsen. Im November 2008 trat der gesamte Kreisvorstand der NPD Vogtland, unter ihnen die neugewählten KreisrätInnen Nicole Fortak und Olaf Martin, aus der Partei aus. Sie begründeten ihren Schritt mit dem Vorwurf an die sächsische Landtagsfraktion: ,,Wir Nationalen Sozialisten lassen uns nicht von Leuten, wie Apfel und Gansel, denen es nur noch um Macht und Geld geht benutzen." [3] Die freien KreisrätInnen präsentieren sich im Internet nun offen mit dem Symbol der Schwarzen Sonne als ,,nationale Stimme des Vogtlandes".

Präsentation der Fraktion zur sächsischen Landtagswahl 2009

Der Vergleich der Landeslisten für die Landtagswahlen 2004 und 2009 zeigt deutliche Veränderungen in der NPD-Strategie. Die antiintellektualistische Ausrichtung in der Anfangsphase der Fraktion - nur wenige Hochschulabgänger fanden sich auf der Kandidatenliste -, war vor allem der Landtagswahlstrategie 2004 geschuldet, insbesondere den Mittelstand zu präsentieren. Die ideologischen Vordenker wurden dafür in den Hintergrund, d.h. in den Mitarbeiterstab verlagert. Für die Landtagswahl 2009 waren zunehmend Bewerber mit Hochschulabschluss zu erwarten, die sich durch eine parteiinterne Karriere motivieren lassen. Dies hat sich bestätigt. Die Landesliste wird angeführt vom ,Präsidium'gegenwärtiger Abgeordneter, gefolgt von innerparteilichen und ideologischen ,Zugpferden' und der ,alten Garde' der Parteimitglieder. Neben kompetenten Rhetorikern mit Einsicht in die Theorieanbindung und Kontakten zu nationalen und internationalen, teilweise parteiübergreifenden extrem rechten Netzwerken gewänne die Fraktion an loyalem Personal, das Führungsstreitigkeiten wie die der vergangenen fünf Jahre unwahrscheinlich werden lässt.

Eine ausführliche Beschreibung der einzelnen Themen bietet die Broschüre: NiP/ Heinrich-Böll-Stiftung/ Weiterdenken: Die NPD im Sächsischen Landtag. Analysen und Hintergründe 2008. Download unter: http://archiv.weiterdenken.de/publikationenausgabe.php3?id=33

Fußnoten:

[1] Drei KreisrätInnen verließen die Partei gemeinsam mit dem Kreisverband Vogtland im November 2008 (s.u.)
[2] http://www.redok.de/content/view/625/36/
[3] http://freenet-homepage.de/kreistag-vogtland/kv/Start.htm

Illustrationen findet ihr lediglich in der Print- und PDF-Version der Broschüre.

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