Ende Januar 2017 wurde in Ilmenau in der August-Bebel-Straße ein Geschäft für arabische Spezialitäten mit Hakenkreuzen und den Worten „Raus Kanacken“ beschmiert. In Ilmenau weiß man sich deshalb besorgt. Aber nicht etwa, weil das auf einen rassistischen Hintergrund und somit auf eine Gefahr für nicht-deutsch-Aussehnde hinweist, sondern weil es dem Image der Stadt schaden könnte. Es ist die ewig gleiche Leier der um den Standort Besorgten.
Im November 2016 fand in Ilmenau der 26. antifaschistische und antirassistische Ratschlag statt. In dessen Aufruf wird die Kleinstadt am Nordrand des Thüringer Waldes wie folgt charakterisiert: „Seit Jahren gibt es in Ilmenau und Umgebung einen wahrnehmbaren Rassismus, der sich neben Pöbeleien und Propaganda auch in Bedrohungen und offener Gewalt gegenüber ausländischen Studierenden, Linken oder Geflüchteten entlädt. Von der Polizei und der Lokalpresse werden solche Ereignisse – wenn sie überhaupt Erwähnung finden – meist als unpolitische Konflikte verharmlost und so in ihrer politischen Dimension relativiert. Schaden vom Stadtimage fern zu halten, ist das gemeinsame Ziel der etablierten Institutionen.“1 Damit unterscheidet sich Ilmenau nur graduell von anderen Orten der (Süd-)Thüringischen Provinz. Da es sich aber, wenn auch nicht um Ausnahmeerscheinungen, so doch um Indikatoren für gesellschaftliche Missstände handelt, entschied man sich zurecht, diese im Rahmen des Ratschlags und dessen Aufruf zu thematisieren, indem man Ilmenau als Veranstaltungsort des Jahres 2016 wählte. Dass es sich beim Ratschlag nicht um eine Institution handelt, deren Intention es ist, das Ansehen der gewählten Stadt der Austragung aufzupolieren, sondern man den Rassismus und die Naziprobleme in der „bürgerlich-konservativ administrierte[n] Kleinstadt“ thematisierte, stieß auf großen Unmut vieler Ilmenauer. Kaum ein Aufruf zum jährlich stattfindenden Ratschlag schlug so große Wellen, wie jener für Ilmenau. In mehreren Artikeln der Lokalpostille Freies Wort fanden sich neben anderen Empörungen über diese „unsäglichen Behauptungen“ vor allem kritische Worte des CDU-Stadtverbandsvorsitzenden und Landtagsabgeordneten Andreas Bühl. Dieser glaubt, einer Stadt ein Problem zu attestieren, in der Migranten angegriffen, Linke von Nazis in ihren Wohnungen überfallen, alle Nichterwünschten aus dem Stadtbild verdrängt werden und im Jahr 2009 ein Punk wegen Fahrlässigkeit der Polizei in einer Zelle verstarb2 – um nur ein paar Beispiele zu nennen –, würde in der Einschätzung „die Realität in unserer weltoffenen Universitätsstadt“ völlig verfehlen. Wer solche „unreflektierten Aussagen [...] unterstützt, schadet dem Ansehen unserer Stadt“, wird Bühl, ehemaliger Mitarbeiter der NSU-Supporter „Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz“, weiter in einem Artikel zitiert. Dass er und seine Mitkämpfer den Problemumriss, wie er im Aufruf stattfand, mitnichten dementieren, sondern bestätigen, war ihm wohl nicht klar. Denn einmal mehr hat sich gezeigt, in Sorge um das Stadtimage möchte man bestehende Probleme nicht beseitigen, sondern beschweigen.
Ähnliche Mechanismen konnte man auch beobachten, als bekannt wurde, dass Anfang des Jahres ein Geschäft für arabische Spezialitäten mit Nazisymbolen besprüht wurde. „Das ist ein Angriff auf alle Ilmenauer Bürger. Unser Ruf als tolerante und weltoffene Stadt wird damit befleckt“, wird Stadtratsvorsitzender Rüdiger Meier (CDU) in der Thüringer Allgemeine zitiert. „Unsere Universität als ein multikulturelles und wissenschaftliches Zentrum der Stadt erleidet einen Imageverlust, dessen Auswirkung auf Studierendenzahlen und Kontakte in alle Welt noch gar nicht voll einzuschätzen ist“, heißt es da weiter.
Aus einem Angriff auf ein von Migranten geführtes Geschäft einen auf die Bürger der Stadt Ilmenau zu machen, gelingt nur unter Ausblendung des rassistischen Hintergrundes der Tat. Wie sich der Ilmenauer Bürger dadurch angegriffen fühlen darf? Durch Rufbefleckung, ist doch klar. Auch Reinhard Schramm, Vorsitzender der jüdischen Landesgemeinde Thüringen, bildet hier nur scheinbar eine Ausnahme, wenn er, statt das Stadtimage zu beweinen und in Selbstmitleid zu ergehen, immerhin seine Solidarität mit den Opfern des Hasses ausdrückt. Aus der Tatsache folgernd, dass am selben Abend auch ein Büro der Ilmenauer CDU beschmiert wurde, weiß er nämlich ebenso vor den Feinden der Demokratie auf der anderen Seite der Gesellschaft, die man sich in Ilmenau in Form eines Hufeisens denkt3, hinzuweisen. „[A]uch Linksextremismus würde das Land gefährden“, wird er indirekt im TA-Artikel zitiert. Damit sind unter Rückgriff auf die Extremismustheorie sogleich die Nestbeschmutzer delegitimiert, weil sie in ihrer Ursachenanalyse des Rassismus eine radikale Kritik der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft leisten.
Statt also in den Sprühereien – wie sie leider traurige Regelmäßigkeit in ostdeutschen Kleinstädten darstellen – ein Beleg dafür zu sehen, dass auch die 'weltoffene Universitätsstadt' ein Problem mit Rassismus hat, wird der Vorfall als ein Einzelfall behandelt, der dem eigentlichen Ilmenau nicht gerecht werde. Der Angriff nun verweise nicht etwa auf eine Gefahr für die von Rassismus Bedrohten und Betroffenen, sondern stelle eine Gefährdung der Bewohner Ilmenaus dar. Es wird soweit von der konkreten Gefahr für Menschen abstrahiert, dass in der diffusen Bestimmung einer irgendwie gearteten Gefahr es möglich wird, einen Imageschaden in seinen Folgen als weitreichender einzuschätzen als die Gefahr für die Unversehrtheit von Menschen. Dabei kann eigentlich nicht einmal von einer falschen Priorisierung die Rede sein, denn vom Rassismus spricht hier niemand. Dass man da, wo es bereits eine Öffentlichkeit für solche Vorfälle gibt, sich echauffiert, solche Vorfälle aber am liebsten totschweigen möchte, verweist auf eben diese Einschätzung der Problemlage. Wer nämlich ein ernsthaftes Interesse daran hätte, in einer Stadt ein weltoffenes und tolerantes Klima zu schaffen, dem müsste daran gelegen sein, alles was dem entgegen steht zumindest einzudämmen, was voraussetzt, das Ganze als existierendes Problem anzuerkennen.
Den Rassismus, die Existenz von Nazis in Ilmenau und die biedere Stadtpolitik aber muss totschweigen, wer die eigene Scholle als bunte, weltoffene Kleinstadt präsentieren will. Dass die belegbaren Probleme nicht als solche benannt werden, hat allerdings wohl nicht nur strategische Ursachen, sondern liegt auch daran, dass sie es für die, die am lautesten um das Stadtimage jammern tatsächlich nicht sind. Was kümmert es den gut angepassten Biodeutschen mit gekämmten Haaren und weißer Haut, wenn eine Migrantin aufs Maul bekommt oder ein Punker in der Stadt sein Bier nicht mehr trinken darf. Besorgt ist dies Klientel um den Standortfaktor der Stadt, in der man ein Grundstück erworben hat und auf einen Arbeitsplatz angewiesen ist – oder das perspektivisch sein wird. So reagiert man beleidigt darauf, wenn das Eigenheim als gute Wertanlage in Gefahr ist oder die Reputation der Uni, auf der man einen Abschluss erwerben will. Als Problem erkannt, werden dann nicht gesellschaftliche Missstände sondern jene, die es wagen, darauf aufmerksam zu machen. Der Nestbeschmutzervorwurf ist dann so schnell zur Hand wie der Vergleich jener, die für eine offene solidarische Gesellschaft eintreten, mit Menschen, die die Gesundheit und das Wohlbefinden anderer gefährden wollen. Wenn es dann um ausgemachte Linksextremisten geht, kann man mit demokratischen Segen laut losjammern über einen Aufruf, der nicht in den Ilmenau-wie-schön-du-bist-Lobgesang mit einstimmt.
Doch was auch immer man diesen Linksextremisten – das sind dann wohl unter anderen wir – unterstellt, in einer Sache haben all die besorgten Standortschützer sicher Recht: Das Image dieser Stadt ist uns egal! Und ja, es ist uns ein Anliegen, eine Ordnung zu gefährden, in der man nur gut angepasst die Illusion hegen kann, ein gutes Leben zuführen. Da auch das nur eine Illusion ist, ist das keine erstrebenswerte Alternative für uns.
Der komplette Aufruf ist aktuell zu finden unter: http://ratschlag-thueringen.de/index.html
Vgl. unseren Beitrag in dieser Ausgabe auf S. 16f.
Das Hufeisenmodell ist ein Schema zur Erklärung von Gesellschaft aus der Extremismustheorie, demnach es eine gesellschaftliche Mitte gibt, an deren Rändern sich, wie bei einem Hufeisen, linke und recht Positionen ausmachen lassen. Je mehr nun eine Position als extrem eingeschätzt wird, um so mehr sei sie an den rechten und linken Rand des Hufeisens gelagert, die in der gebogenen Form des Hufeinsens wiederum eine starke Nähe zu einander aufweisen.