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Mächtig gewaltig – Unterschiedliche Assoziationen zu Gewalt und Polizei

Wie die momentane Diskussion um den Gesetzesentwurf zur verschärften Verurteilung von Gewalt gegen Polizisten zeigt, ist die Art der Assoziation von Gewalt und Polizei abhängig vom Standpunkt des Betrachters. Unsere nämlich ist eher die einer Gewalterfahrung durch die Polizei (siehe Titelbild!). Doch die Sorge um die Gewalt gegen Polizisten ist nicht nur eine Frage des Standpunktes. Sie ist falsch, wo sie nicht nur die von der Polizei ausgehende Gewalt verschleiert, sondern ebenso ihr Agieren im Namen einer gewaltförmigen Staatlichkeit.

Zur Zeit (d.i. zu Redaktionsschluss Anfang April) berät der Bundestag über eine Verschärfung des Strafrechts zur härteren Bestrafung von Gewalt gegen Polizisten. Der Gesetzesentwurf von Justizminister Heiko Maas1 sieht vor, was bisher als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geahndet wird, zu erweitern auf einfache Diensthandlungen und im Zuge dessen das Strafmaß zu erhöhen. Zum Zwecke des besonderen Schutzes von Dienstträgern soll der § 113 StGB, der den ‚Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte‘ regelt, erweitert oder geändert werden. So soll in Zukunft jeder Angriff auf einen Polizisten mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden. Doch nicht nur eine Erweiterung der strafbaren Handlung und eine Erhöhung des Strafmaßes würden dadurch folgen, auch die ursprüngliche Intention des Gesetzes würde in ihr Gegenteil verkehrt. Der Tatbestand des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte war nämlich ursprünglich dazu angelegt, die Täter, die sich in einer emotional aufwühlenden Situation einer überlegenen und z.T. bewaffneten Staatsmacht gegenüber sehen, zu privilegieren: „Er [der Gesetzgeber] hat deshalb § 113 Abs. 1 bewusst als Privilegierung zu § 240 konzipiert und den ohnehin nach § 240 bestehenden Schutz mit einem zwischenzeitlich um ein Drittel gegenüber der Nötigung gesenkten Strafrahmen zurückgenommen.“2

Begründet wird der Gesetzesentwurf mit einem in der Kriminalstatistik der Polizei festgehaltenen Anstieg der Anzahl von Angriffen auf Polizisten. Diese Zahl bezieht sich nicht etwa auf die Zahl der Verurteilungen wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt – die Tendenz der Delikte hier ist sinkend –, sondern auf (auch eingestellte) Ermittlungsverfahren. Der Großteil dieser Ermittlungsverfahren umfasst Bagatelldelikte, in denen keine Gewalt im Spiel war, also zum Beispiel Beleidigungen. In weitaus weniger als der Hälfte der als Angriffe gelabelten Ermittlungsverfahren ging es um schwerere Delikte, deren Anzahl im Jahr 2016 im Vergleich zu den Vorjahren sogar gesunken ist.3 Was als Begründung für die Gesetzesänderung von Initiator Maas angeführt wird, spricht also eigentlich gegen sie. Trotzdem will er, dass tätliche Angriffe auf Polizisten mit mindestens drei Monaten Haft bestraft werden. Wer in Zukunft also einen Polizisten schubst, wird, sollte das Gesetz verabschiedet werde, mindestens drei Monate in den Knast gehen.


Gewalt ist der bürgerlichen Gesellschaft immanent

Zurecht wird der Gesetzesentwurf also in linken und auch bürgerlichen Medien kritisiert. Dabei allerdings macht sich nur selten jemand die Mühe, die als Begründung zu Grunde gelegte Statistik um das Argument der gestiegenen Anzahl von Angriffen gegen Polizisten zu hinterfragen. Meistens ist davon die Rede, dass Gesetzesverschärfungen keine geeigneten präventiven Maßnahmen seien, also nicht zum Schutz gegen Polizisten betragen würden; oft gefolgt von Alternativvorschlägen, stattdessen in eine bessere Ausrüstung oder die Aufstockung der Polizei zu investieren. Selbst wo anerkannt wird, dass die von der Polizei selbst ermittelte Statistik keine derartigen Veränderungen rechtfertigt, wird stets außer acht gelassen, dass von Gewalt nicht erst und nur dort die Rede sein kann, wo Polizisten angegriffen werden. Am spürbarsten ist sie wohl da, wo man von den Bullen auf‘s Maul bekommt, weil man sich zum Beispiel im Versuch eine Demonstration zu blockieren, auf die Straße setzt. Sie beginnt aber schon, wo wir Gewalt gar nicht mehr als solche wahrnehmen. Gewalt ist als Zwang, Ausbeutung und Unterdrückung in die gesellschaftlichen Verhältnisse eingelassen. Das ist sie dadurch, dass man sich unter Absehung der eigenen Bedürfnisse zu sich selbst als Tauschwert verhalten muss. Konkret heißt das zum Beispiel Lohnarbeiten gehen zu müssen um die eigene Existenz zu sichern. Wer zur Lohnarbeit nicht tauglich oder willens ist, den ‚fängt‘ der Sozialstaat auf – zumindest wo man qua Staatsbürgerschaft Zugang dazu hat und nicht wegen der eigenen Überflüssigkeit für den Arbeitsmarkt schon an den Grenzen Europas ‚zum Abschuss freigegeben‘ ist. Doch auch hier sieht man sich den Drangsalierungen und Sanktionierungen des Arbeitsamtes gegenüber, die gleichzeitig den Verwertungszwang durchsetzen, indem man Menschen wieder oder besser verwertbar macht; nichts anderes leisten auch Schule und Ausbildung – um nur einige Beispiel zu nennen.

Die Freiheit der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft ist also eine Freiheit zur Verwertung, die unter der Notwendigkeit der Reproduktion einen Zwang darstellt, sowie ihre Gleichheit eine Vergleichbarkeit nur unter Absehung der eigenen Empirie, der Bedürfnisse von Individuen, ist. In ihr mag so zwar die Gewalt des Naturzustandes, wie sie Hobbes als Krieg aller gegen alle bezeichnet, aufgehoben sein. Aufgehoben ist sie aber in einem dialektischen Sinne, das heißt nicht als Beseitigung oder Abschaffung, sondern durch die Monopolisierung und Zentralisierung von Gewalt in Form von Staatlichkeit. Diese Staatlichkeit, die auf die bürgerliche Gesellschaft verwiesen ist, indem beide einander bedingen, sichert ihre Existenz qua Gewalt. Die Terminologie vom Gewaltmonopol und der Staatsgewalt als Organe um dieses zu sichern, machen daraus keinen Hehl. Es sind dies zwar die Organe, die ein Recht auf körperliche Unversehrtheit des Einzelnen herstellen. Insofern ist die Freiheit von der steten Bedrohung, durch einen anderen Gewalt zu erfahren, zweifelsohne eine Errungenschaft der bürgerlichen Gesellschaft. Diese aber garantiert der Staat in Form von Gesetzen, die mittels Gewalt durchgesetzt werden oder deren Nichteinhaltung mit Freiheitsentzug geahndet wird. Wenn im Zuge der Gesetzesänderung oder der Frage der Legitimität von Sitzblockaden zum Zwecke der Rechtfertigung eines Waffeneinsatzes gegen unbewaffnete, nicht gewaltandrohende Demonstranten in keiner Silbe die von Beamten angewendete Gewalt thematisiert wird, dann ist das Ausdruck eines Verständnisses von Gewalt, das an Legalität geknüpft ist, ohne anzuerkennen, dass die Staatlichkeit, die diese Legalität schafft, selbst eine gewaltförmige ist.

Ertrinkende Flüchtlinge im Mittelmeer: Die deutsche und europäische Flüchtlingspolitik macht es möglich, die deutsche Mehrheitsgesellschaft erkennt diese Gewalt durch unterlassene Hilfeleistung und Abschottung nicht als solche.
Ertrinkende Flüchtlinge im Mittelmeer: Die deutsche und europäische Flüchtlingspolitik macht es möglich, die deutsche Mehrheitsgesellschaft erkennt diese Gewalt durch unterlassene Hilfeleistung und Abschottung nicht als solche.

Die Mär der Gewaltfreiheit

Ein solches Verständnis liegt auch zugrunde, wenn, wie beispielsweise in einer linken Wochenzeitung, beklagt wird, dass die „Gesetzesverschärfung … auch friedliche Demonstranten kriminalisieren [könnte]“.4 Diese Unterscheidung von gewaltfreien und gewaltsamen Protest wird, wie so oft, herangezogen, um den in geregelten und demokratisch legitimierten Bahnen verlaufenden Protest gegen eine die mediale Berichterstattung dominierende, weil zum Skandalisieren geeignete Protestform zu verteidigen. „Ziviler Ungehorsam ist Demonstrationen immanent und hat nichts mit Militanz oder Gewalt zu tun, sondern mit der politischen Teilhabe von Bürgern, für die Gesetze Anlass zur gesellschaftlichen Auseinandersetzung sind“, sei exemplarisch aus dem genannten Artikel zitiert. Der Unterschied, der hier ausgemacht werden kann, ist der zwischen einerseits einem Protest, der das Gewaltmonopol des Staates nicht infrage stellt. Von ihm geht keine (potentielle) Gefahr aus. Vielmehr ist einer der Wesensmerkmale dieses sogenannten zivilen Ungehorsams – wie es der Systemapologet Jürgen Habermas einst darstellte – die allgemeine Anerkennung des Rechtsstaates; die Überschreitung dessen in den – freilich stets gewaltfreien – Mitteln des Protests aber niemals in seinem Ziel. Dem gegenüber zu stellen ist ein Protest, dessen Überschreitung des Rechtsstaats in den Mitteln des Protests zum Zwecke der Überwindung dessen zu begreifen ist.5 Insofern hat die Unterscheidung in gewaltfreien und gewaltsamen Protest, wie sie vor allem im Vorfeld von Demonstrationen gegen Naziaufmärsche immer wieder stattfindet, durchaus seine Berechtigung. Falsch allerdings liegen die sich dezidiert als friedlich protestierend bekennenden Bürger in der damit oft mitschwingenden moralischen Erhabenheit. Denn ein Gewaltverzicht vor dem Hintergrund der herrschenden gewalttätigen Machtverhältnisse „bedeutet nichts anderes als ein Arrangement mit [ihnen]“, schreibt Wolfgang Pohrt. Dieses Arrangement besteht nicht nur darin, den Rechtsstaat und mit ihm die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft nicht überwinden zu wollen, sondern deren Gewaltförmigkeit zu verschleiern. Und wenn Gewaltverzicht eingefordert wird, so von den Protestierenden, nicht etwa von der Polizei; wenn gewaltsame Ausschreitungen auf Demonstrationen skandalisiert werden, ist es die Gewalt der Protestierenden, die angeprangert wird, niemals die Gewalt der Polizei oder die des Staates. Selbst bei so eigentlich eindeutigen Vorfällen, wie dem am 31. März 2017 in Sonneberg, in dem (wie die Bilder unzweifelhaft bezeugen) Polizisten gewaltsam mit Pfefferspray gegen eine aus einem Dutzend Menschen bestehende Sitzblockade vorgehen, ohne dass von dieser Gruppe irgendeine Gefahr ausgeht oder sich diese einer Aufforderung zum Aufstehen widersetzt hätten – die es eben nicht gab –; selbst wenn die Lage so eindeutig zu sein scheint, wird in den sozialen Medien und der Berichterstattung gefragt, ob das brutale Vorgehen der Polizei denn nicht herausgefordert war oder was man sonst als Rechtfertigung für deren Gewaltanwendung finden mag. Dass aber nicht etwa aus dem Wissen heraus, dass die Staatsgewalt die Interessen des Staates auch mit Waffen durchsetzt, sondern in völliger Ignoranz dessen, dass es sich beim Handeln der Polizisten um Gewalt gehandelt hat. Der Gewaltverzicht wird nicht von ihnen eingeklagt, sondern von den Protestierenden. Wenn von Gewaltfreiheit die Rede ist, meint das nie die Mittel der Politik, meint das nicht die Staatsgewalt, sondern richtet sich das an jene, die sich mit ihr auf Grund divergierender Interessen konfrontiert sehen. Wer nun also im Namen von Gewaltfreiheit zu friedlichem Protest aufruft, tut genau das Gegenteil, als für Gewaltfreiheit einzutreten. Er verteidigt das Fortbestehen einer Ordnung, der Gewalt ein Wesensmerkmal ist. Die Ablehnung von Gewalt verewigt die bestehende Gewalt, indem sie sie einerseits leugnet und andererseits die Mittel zur Herstellung eines gewaltfreien Zustandes de-legitimiert. Gleichzeitig scheint vergessen worden, dass der Zustand, den man zu verteidigen glaubt, selbst ein Resultat von Gewalthandlungen ist, dass die bürgerliche Gesellschaft, deren Ideale man sich auf die Fahnen schreibt, aus einer gewaltsamen Durchsetzung von Interessen entstanden ist.

Die Gewalt, die Arbeitsämter gegen ihre „Kunden“ in Anschlag bringen, veranlasste einen Unbekannten zu dieser sachgerechten Beschriftung der Behörde in Arnstadt.
Die Gewalt, die Arbeitsämter gegen ihre „Kunden“ in Anschlag bringen, veranlasste einen Unbekannten zu dieser sachgerechten Beschriftung der Behörde in Arnstadt.

Zur Frage der Legitimität

Gewalt ist ein legitimes Mittel der Auseinandersetzung mit einer gewaltförmigen Gesellschaft.“, schrieb einst die Antifa Südthüringen in einem Redebeitrag.6 Sie ist, könnte man ergänzen, ein notwendiges Mittel der Überwindung einer gewaltförmigen Gesellschaft, als die Transzendenz dieser Gesellschaft nicht nur im Ziel, sondern bereits in den zugrunde gelegten Mitteln. Das heißt, eine emanzipatorische Praxis hat sich andere Maßstäbe zu setzen, als die der Legalität. Damit ist die Illegitimität von Gewalt qua Illegalität zurückgewiesen, die Frage nach der Legitimität aber noch nicht beantwortet. Der Gradmesser dafür muss für eine radikale Linke der Wille zur Herstellung eines Zustandes der Freiheit gemessen an seinen Möglichkeiten sein. An den Möglichkeiten gemessen heißt die faktisch bestehende Chance auf eine Verbesserung der Lebensbedingungen als realistisch zu erachten, ebenso wie eine Verhältnismäßigkeit walten zu lassen, die der Gewalt ihre Grenzen setzt. Für die hiesige Diskussion der Gewaltfrage im Kontext von Protesten und Demonstrationen bedeutet das, Gewalt ist gemeint als Sachbeschädigung, Widerstandshandlung oder Zurückweisung repressiver Tendenzen z.B. in der Auseinandersetzung mit Nazis. Die Herstellung von Freiheit für alle Menschen als Gradmesser der eigenen Handlungen schränkt die Legitimität von Gewalt nicht nur ein. Hieran wird auch deutlich, dass es sich bei dem Widerspruch, die Gewalt der Polizei zu verurteilen einerseits und gewaltsame Handlungen andererseits zu verteidigen, nur um einen Scheinwiderspruch handelt. Der zur Beurteilung zu betrachtende Unterschied ist der zwischen einer Gewalt zur Sicherung eines Zustandes der Unterdrückung und Unfreiheit und der Anwendung von Gewalt zur Herstellung eines Zustandes von Freiheit, die als Befreiung zu realisieren eine ist, die nur gegen das Bestehende durchgesetzt werden kann.

Im Interesse der Überwindung von Gewalt gilt es also diese zum einen als in seiner staatlichen Form existent, als auch als Zwang in die Verhältnisse eingelassen anzuerkennen und darüber hinaus zu kritisieren. Diese Kritik ist keine konstruktive, sie zielt nicht auf die Verbesserung der bestehenden Verhältnisse, sondern auf deren Überwindung. Ebenso ist auch die ihr entsprechende Praxis nicht konstruktiv. Das heißt zum einen, sie ist antipolitisch, anstatt sich in Parteien zu organisieren, das heißt auch, in ihrem Namen werden Mülltonnen angezündet, statt den zivilen Ungehorsam zu üben. Denn „die gewaltlose Gesellschaft bleibt die Möglichkeit einer gesellschaftlichen Stufe, die erst zu erkämpfen ist.“ (Herbert Marcuse)

Enthemmt, gewaltbereit und bewaffnet: das staatliche Gewaltmonopol
Enthemmt, gewaltbereit und bewaffnet: das staatliche Gewaltmonopol



  1. Den aktuellen Entwurf kann man hier nachlesen.

  2. Nachzulesen hier.

  3. Vgl. hierzu den informativen Bericht des Monitor-Magazins.

  4. Der Artikel steht exemplarisch für den Tenor der Diskussion.

  5. Nicht in jedem Einzelfall, aber idealtypisch betrachtet.

  6. Nachzulesen hier.