Einer der beliebten Modi, im Zuge dessen im postnazistischen Deutschland ein positiver Bezug auf die deutsche Nation nicht durch Leugnung der Vergangenheit, sondern durch verkehrende Darstellung dieser wieder möglich ist, ist dem Erinnerungsweltmeister die Stilisierung einstiger Täter zu Opfern. Im Interesse einer solchen Verkehrung kann eine Schuldabgeltung geltend gemacht werden, indem man die Tatsache, Leid über andere gebracht zu haben zwar nicht negiert, aber relativiert durch den Verweis darauf, dass man ja mindestens ebenso gelitten habe. In der südthüringischen Kleinstadt Suhl will man dieses Opfer-Sein nun sprichwörtlich in Stein meißeln. Den acht als unschuldige Opfer des sowjetischen Speziallagers Nr. 2 im ehemaligen KZ Buchenwald bezeichneten Suhlern soll eine Gedenktafel gewidmet werden.
Im Juni dieses Jahres verabschiedete der Suhler Stadtrat einen Beschluss zur Errichtung einer Gedenktafel auf dem Suhler Hauptfriedhof zur Erinnerung an acht Suhler, die im sowjetischen Speziallager Nr. 2 inhaftiert waren. Jenes Speziallager nutzte die sowjetische Militäradministration von 1945 bis 1950 zur Inhaftierung deutscher Täter. Angehörige damaliger Inhaftierter des Speziallagers regten nun in Suhl zur Errichtung einer Gedenktafel an. Einen entsprechenden Antrag brachte der Suhler Ausschuss für Kultur, Bildung und Sport in den Stadtrat ein. Dieser wurde mit drei Enthaltungen und keinerlei Gegenstimmen angenommen. Die Stadt, so berichtet die Lokalzeitung, habe selbst Forschungen angestellt und sei dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass „Unschuldige“ dort inhaftiert und gestorben sind. Volkhard Knigge, Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, warf dem Suhler Stadtrat vor, ein Geschichtsbild der 50er Jahre zu vertreten und Geschichtsklitterung zu betreiben, wenn sie von Unschuldigen sprechen. Nach Forschungserkenntnissen der Gedenkstätte sei bei einem großen Teil der Gefangenen nachweislich festzustellen, dass sie „in das System verstrickt gewesen seien“, so Knigge. Dass es dem Suhler Stadtrat um mehr als die acht Suhler geht, wird nicht nur daran deutlich, dass sie bei ihren „Recherchen“ nicht zu Tage förderten, welche Rolle diese acht Leute während des Nationalsozialismus spielten. Laut Knigge waren sechs von ihnen ehemalige Block- und Zellenleiter und zwei Polizisten. Vielmehr soll über jene Tafel einem Gedenken der Weg geebnet werden, welches bereits im Jahr 2015 bei einer Gedenkveranstaltung in Suhl zu Tage trat.
Am 8. Mai genannten Jahres richtete der parteilose Oberbürgermeister Jens Triebel bei einer Veranstaltung zum Gedenken an die Opfer beider Weltkriege anlässlich des 70. Jahrestag der Befreiung Europas vom nationalsozialistischen Deutschland in seiner Eröffnungsrede dem geschichtsrevisionistischen „Bund der Vertriebenen“ Grußworte aus. Wer hier als „Opfer“ begriffen wurde, zeigte sich im Weiteren, als den Toten der Bombardierung Suhls vom 26. März 1945 gedacht wurde. Man ließ es sich außerdem nicht nehmen, zwölf auf dem Hauptfriedhof begrabene Wehrmachtsoldaten in die Gedenkveranstaltung mit einzubeziehen. Peter Arfmann, Leiter des Suhler Waffenmuseums, hielt eine Rede, die vor Relativierung der deutschen Verbrechen nur so strotzte. Er plädierte für ein Gedenken an die deutschen Wehrmachtssoldaten, die er als „Opfer“ inszenierte, während gleichzeitig bei dem Rundgang zu verschiedenen Gedenkorten auch den Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern und Suhler Widerstandskämpfern gedacht wurde. Das Geschichtsbild, welches augenscheinlich in der Suhler Gedenk- und Erinnerungspolitik vertreten wird – so wird es hier exemplarisch deutlich – ist geprägt von der Verharmlosung des Nationalsozialismus, der Gleichsetzung von Opfern und Tätern sowie einer Dämonisierung der Alliierten.
Folgende Inschrift ist für die Gedenktafel vorgesehen: „Die Stadt Suhl gedenkt der Bürger ihrer Stadt, die im sowjetischen Speziallager Nr. 2 Buchenwald und in anderen Lagern der Alliierten unschuldig gelitten haben oder zu Tode gekommen sind“. Darin stecken gleich zwei Formen deutscher Vergangenheitsbewältigung. Das Bild als Opfer des Krieges, als das die Täter und ihre Nachkommen sich am liebsten sehen, hat in Deutschland lange Tradition. Denn – so war nicht selten die Auffassung in Deutschland kurz nach dem Zweiten Weltkrieg – angesichts des recht milden Umgangs der Alliierten mit den Deutschen, war die Schlussfolgerung letzterer, dass „der Nationalsozialismus Verbrechen und Strafe zugleich gewesen sei. Waren die Deutschen Täter, so waren sie doch gleichermaßen Opfer“ (Eike Geisel). In den 80er Jahren wurde das Bild der Täter als Opfer und der Freispruch der Deutschen von dieser „Schmach“ der Geschichte manifest, als nach der sogenannten Bitburg-Kontroverse1, das Bild der Deutschen nach außen sich in eines von „Hinterbliebenen und Kriegsopfern“ wandelte. In eine ähnliche Kerbe schlägt der Suhler Vorschlag der Errichtung einer Gedenktafel. Hinzukommt die Dämonisierung der Alliierten, deren Umgang mit den Deutschen moralisch verwerflich gewesen sei. Es ist ein Versuch der Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen unter dem Vorzeichen der Aufarbeitung der „Greuel“, die die Alliierten den Deutschen angetan hätten. Die in Wahrheit glimpflich davon gekommenen Deutschen und ihre Nachkommen konstruieren hier ein Geschichtsbild, was das Handeln der Alliierten implizit mit dem der Nazis gleichsetzt.
Der Verweis der Suhler Geschichtsverfälscher auf die vermeintlich Unschuldigen versucht sich außerdem in einer Abgrenzung zu den wirklich Schuldigen – wer auch immer das noch sein mag –, mit denen man nichts zu tun haben möchte. Knigge spricht hier also nicht unbegründet von Geschichtsklitterung, da die Rede von „Unschuldigen“ aufgrund der Tatsache, dass der Großteil der Internierten nachgewiesenermaßen schuldig war, einer Geschichtsvergessenheit Vorschub leiste. Es stellt sich ohnehin die Frage, inwiefern von unschuldigen Deutschen im Nationalsozialismus die Rede sein kann. Ein Großteil der Bevölkerung befürwortete die deutsche Vernichtungspolitik, wenn sie sie nicht sogar aktiv unterstützte. Nicht vereinzelte Gruppen oder gar „Hitlers Clique“ haben die Shoah und den Vernichtungskrieg möglich gemacht, sondern waren es die Deutschen als Volksgemeinschaft. Die Rede vom ‚guten Deutschen‘ respektive den ‚unschuldigen Deutschen‘ dient der Wiederbelebung eines Nationalbewusstseins, welches nach dem Zweiten Weltkrieg in Misskredit kam, sowie dem Abstreifen jedweder Schuld. Die Stadt Suhl und ihr Stadtrat beteiligt sich rege an dieser Entwicklung.
Wie die Lokalpostille „InSüdthüringen“ am 15. September 2016 berichtete, fand am Wochenende vom 16.-18. September eine Zeitzeugenveranstaltung mit ehemals Inhaftierten des sowjetischen Speziallagers statt. So heißt es: „Am Wochenende werden die Greuel zwischen 1945 und 1950 auch am Ort des Geschehens erlebbar, wenn Zeitzeugen berichten“. Die Inhaftierungen von NS-Tätern als „Greuel“ zu bezeichnen, ist bestenfalls zynisch, gäbe es nicht die Überschrift des Artikels („Erinnerung an das Sowjet-KZ“), die den Autor und seine Redaktion als lupenreine Geschichtsrevisionisten bloßstellen. Mitnichten war das Speziallager ein Konzentrationslager. Das Gelände des ehemaligen KZ Buchenwald wurde nach der Befreiung der Überlebenden „zur Internierung von Deutschen genutzt“, informiert die Internetseite der Gedenkstätte Buchenwald. Weiter heißt es: „Vorrangig wurden dort lokale Funktionsträger der NSDAP, aber auch Jugendliche und Denunzierte interniert“. Die Inhaftierung deutscher Täter in den Kontext von Vernichtung und Auslöschung zu stellen, ist Geschichtsfälschung.
Wann die Gedenktafel gesetzt werden soll, ist noch unklar. Auch ist noch offen, wer diese Tafel finanzieren soll, wahrscheinlich aber wird dies über Spenden erfolgen. Gewiss kann sein, dass dieses Geschichtsbild von antifaschistischer Seite aus nicht unwidersprochen bleiben kann, denn: Deutsche Täter sind keine Opfer!
Am 5. Mai 1985 legte der damalige Bundeskanzler Kohl anlässlich einer Gedenkveranstaltung in Anwesenheit des damaligen US-amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan einen Kranz auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg nieder, auf dem neben Gräbern von deutschen Wehrmachtsangehörigen, sowie alliierten Soldaten auch Angehörige der Waffen-SS bestattet sind.