Im April 2016 startete im Ilm-Kreis ein Modellprojekt zur „Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit“ unter dem Titel: „Mehr wert sein – Mehrwert schaffen“. In diesem Modellprojekt werden 20 Langzeitarbeitslose für 33 Monate in einem Beschäftigungsverhältnis mit einer 30-Stunden-Woche untergebracht. Die Realisierung des Projekts sorgt für allgemeine Begeisterung.
Die Bewerber für die 20 geschaffenen Stellen wurden vom Jobcenter ausgewählt, entlohnt werden sie nicht vom Arbeitgeber, sondern zum Anteil von 43% vom Jobcenter, zu einem Drittel vom Freistaat und zu geringem Anteil außerdem vom Landkreis und dem Projektträger, dem Arnstädter Bildungswerk e.V. Für die Vereine und Organisationen, die solche Stellen in Anspruch nehmen – die Tafel, die Lebenshilfe Arnstadt, das Umweltamt des Landkreises, das Frauen-und-Familienzentrum und andere – entstehen so keine Kosten. Anstatt des Arbeitslosengeldes erhalten die 20 im Rahmen dieses Modellprojektes Beschäftigten nun Lohn, der weiterhin zum größten Anteil von den Jobcentern getragen wird. Wie hoch die Entlohnung ist, ist unklar, da es sich hier allerdings nicht um Strafgefangene handelt1, kann man wohl davon ausgehen, dass sich der Stundenlohn am Mindestlohn orientiert. So ist das monatliche Einkommen ohne Frage höher, als die knapp über 400€ Grundbedarfssicherung, die einem Hartz IV-Empfänger zustehen. Wenn man allerdings berücksichtigt, dass von dem Einkommen auch Miete und Nebenkosten selbst zu zahlen sind, Versicherungs- und andere Abzüge vom Lohn abgehen und die frisch auf den Arbeitsmarkt zurückgekehrten nun auch nicht mehr die Möglichkeit haben, sich Anschaffungen (freilich nicht einfach so, sondern nach Beantragung und Begründung der Notwendigkeit der Anschaffung) vom Jobcenter bezahlen lassen zu können, dürfte unterm Strich nicht viel mehr übrig bleiben, als vorher.
Außer der Tatsache, dass die 20 im Projekt Untergebrachten nun ihren Tag nicht mehr selbst gestalten können, sondern stattdessen auch zu denen gehören, die jeden Morgen vom Wecker aus dem Bett geklingelt werden und auf Arbeit nach einem Blick auf die Uhr wünschten, die Zeit sei weiter fortgeschritten, als sie es ist, bleibt auf den ersten Blick also alles beim Status quo. Was die Landesfraktion der Linken, die als maßgeblicher Initiator des Projektes gilt, dazu bewogen hat, ein solches Konzept zu entwerfen – außer der auf Wahlplakaten viel beschworenen Drohung von Vollbeschäftigung ein kleines Stück näher zu kommen – bleibt also fraglich.
Der Name des Modellprojektes legt nahe, dass die Antwort auf die Frage der Sinnhaftigkeit in der Generierung von Mehrwert liegt. So kommt die Landrätin des Ilm-Kreises Petra Enders (parteilos, ehemals Die Linke) in der Ankündigung des Projekts im Arnstädter Amtsblatt auch zu dem Schluss, dass es sich volkswirtschaftlich um den besseren Weg handle, statt der Arbeitslosigkeit die Arbeit der Menschen zu finanzieren. Warum es staatlicher Eingriffe bedarf diese Arbeitsplätze erst zu schaffen und zu finanzieren verweist dabei auf gegenteiliges, nämlich auf das Fehlen eines Nutzens fürs Kapital, für das eben Mehrwert der Selbstzweck der Produktion ist. Eine Mehrwertproduktion findet hier aber mitnichten statt. So mögen die neuen Kollegen, die fortan im Tierheim, bei der Tafel oder den anderen Organisationen und Vereinen tätig sind, dort eine hilfreiche Unterstützung sein, aber die Produktion von Waren, bei der durch den Anteil lebendiger Arbeit Mehrwert entsteht, findet hier eben nicht statt. Es wird hier nicht einmal indirekt Einfluss auf die Kapitalakkumulation genommen, weil kein Mehr in die Ökonomie durch eine gesteigerte Nachfrage nach Waren fließt, sprich die Kaufkraft der Leute sich nicht erhöht. Das einzige was sich ändert, ist die Arbeitslosenzahl, aber auch das ist nur Augenwischerei.
Es stellt der höhere Verdienst - wie oben erläutert – keine wirklich nennenswerte Steigerung des materiellen Lebensstandards dar, aber doch eine Verbesserung dahingehend, dass die ehemals Arbeitslosen größere Anschaffungen nicht mehr vor dem Amt rechtfertigen müssen, um diese bezahlt zu bekommen und allgemein ein Stückweit der Hetze und Demütigung der bürokratischen Arbeits- und Armutsverwaltung entkommen können. Da aber das Jobcenter Hauptfinanzier der Maßnahme ist, kann wohl davon ausgegangen werden, dass sich die fortan nicht mehr in der Statistik der Arbeitslosen gelisteten weiterhin unter der Verfügungsgewalt des Jobcenters befinden. Was sich also wesentlich an der Lebensrealität ändert, ist dass diese Menschen nicht mehr frei über ihre Zeit verfügen können, wo sie strukturell freilich vorher auch schon in dieser Verfügung beschränkt waren, aber zu vorher doch ein starker gradueller Unterschied besteht.
Warum die Realisierung des Projekts nicht nur bei den Initiatoren, sondern auch bei den bisher Langzeitarbeitslosen für Begeisterung sorgt, ist vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar. Die Thüringer Allgemeine hat unterschiedliche Stimmen dazu eingefangen. Unter anderen weiß dort eine bisherige Aufstockerin zu berichten, sie sei „es Leid, vom Staat fürs Nichtstun bezahlt zu werden. Mit einer Festanstellung für sinnvolle Arbeit fühle sie sich endlich wertgeschätzt.“ So hat auch Petra Enders nicht einmal unrecht, wenn sie schreibt: „Arbeit ist so viel mehr als finanzielle Absicherung. Arbeit ist Anerkennung und Akzeptanz! Und – Arbeit ist Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.“ Armut als Folge von Arbeitslosigkeit stellt ohne Zweifel einen Ausschluss aus dem gesellschaftlichen Leben dar. Doch Arbeit funktioniert auch darüber hinaus als soziales Integrationsprinzip. Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass die meisten Menschen ihre sozialen Kontakte im Bereich des Arbeitsumfeldes pflegen, ist Arbeit in dieser Gesellschaft, in der man seine Nützlichkeit unter Beweis zu stellen hat, um etwas wert zu sein, tatsächlich der Schlüssel zur Anerkennung. Das Recht auf Arbeit ist so vornehmlich eine Pflicht, mit der man sich das Recht auf gesellschaftliche Teilhabe erkauft. In Anbetracht dessen, dass es aber einen Überschuss an der Ware Arbeitskraft gibt, hat dieses Recht einen sehr exklusiven Charakter. Arbeit als Integrationsprinzip stellt so immer auch als Kehrseite ein Ausschlussprinzip dar, dessen Mechanismen sich da verstärken, wo der Zugang zu Arbeitsplätzen beschränkt ist.
Das dem zugrunde liegende Nützlichkeitsprinzip funktioniert dabei nicht nur als Ausschlussprinzip aus der Gesellschaft, sondern auch als Abgrenzungsmechanismus für das Individuum. Eine Abgrenzung findet statt zu jenen, die nicht arbeiten und damit vollzieht der Lohnarbeiter gleichzeitig eine Aufwertung seiner Selbst. Minderwertig und überflüssig ist schließlich, wer zur Verwertung nicht willens oder fähig ist. Die Selbstzurichtung der Arbeitssubjekte geht dabei soweit, dass sie auch vor der Selbstwahrnehmung nicht halt macht. Das Nützlichkeitsprinzip schreibt sich so in die Subjekte ein, dass es da, wo die eigene Überflüssigkeit keine nur potentielle mehr ist, negativen Einfluss auf das Selbstwertgefühl hat.
So ist es analytisch erst einmal korrekt, wenn Petra Enders festhält, dass Arbeit Anerkennung und Akzeptanz bedeutet; falsch aber ist es in seiner normativen Aufladung. So wird Lohnarbeit, die eigentlich ein Zwang ist, als etwas Positives und immerwährende Notwendigkeit verklärt und dadurch, dass ihr Zweck nicht hinterfragt wird, ebenso verewigt. Denn Lohnarbeit dient nicht primär der Herstellung von Mitteln der Bedürfnisbefriedigung, sondern der Kapitalakkumulation bzw. ist da, wo nicht einmal letzteres mehr zutrifft, sich selbst Zweck. Wenn hier von nützlicher Arbeit geredet wird, meint das nicht einen Stoffwechsel mit der Natur, der sinnvoll dadurch ist, dass er zur Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen beiträgt, sondern immer nur die in kapitalistischen Bahnen organisierte Lohnarbeit. Dabei führt sich das Projekt quasi selbst vor. Die Argumentation des Beitrags zur Mehrwertproduktion ist absurd, da diese Arbeitsplätze allein deshalb bestehen, weil sie staatlich gewollt, d.h. alimentiert werden und nicht weil sie aus Perspektive des Kapitals nützlich sind, d.h. zur Mehrwertproduktion taugen. Nützlich sind sie nur indirekt. Sie sichern durch die Integration der Neu-Beschäftigen in die Tretmühle Lohnarbeit (wenn auch staatlich geförderter) die Rahmenbedingungen kapitalistischer Produktion durch den Erhalt des sozialen Friedens ab.
Anstatt also die Tatsache, dass es zur Warenproduktion einen immer geringeren Anteil an lebendiger Arbeit bedarf, als Chance zur Befreiung von Lohnarbeit zu begreifen, tritt an die Stelle der Überflüssigkeit von Arbeit die Überflüssigkeit des Arbeiters als Ursache von Massenarmut und sozialer Ausgrenzung. Die Reduzierung der notwendigen Arbeitszeit zur Erzeugung von Waren produziert so eine Verelendung und Beschränkung der Zahl derer, die Zugang zu diesen Waren haben. Diese Widersprüche gilt es zu begreifen und zu hinterfragen, um gemeinsam für deren Überwindung einzutreten. Insofern verbleiben wir in dieser Ausgabe mit einem Literaturtipp an vor allem Sie, Frau Enders: Einfach mal Marx lesen – und verstehen!
Strafgefangene verdienen im Schnitt weit unter 2€ die Stunde. Die makabere Begründung, mit der diese Ausnahme vom Mindestlohn gerechtfertigt wird, ist dass zwischen ihnen und dem Arbeitgeber kein Arbeitsvertrag besteht.