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Hildburghausen: Ein Drama in drei Akten

Knapp 11.800 Menschen bewohnen die Kleinstadt am südlichen Ende von Thüringen. Bei der letzten Landtagswahl im Jahr 2014 wählten bereits 14,7 % die AfD und 5,4 % die NPD. Ein Wahlergebnis, das in Südthüringen im guten Durchschnitt für rassistische und neonazistische Parteien liegt. Überdurchschnittlich hoch sind dagegen die Aktivitäten von Neonazis in der Region fernab von Parteien und Wahlkampf. In den vergangenen Ausgaben der Alerta Südthüringen wurde bereits mehrmals thematisiert, dass die Region um Hildburghausen eine Wohlfühlzone für Neonazis ist. Doch in den folgenden Ausführungen soll es, zur Abwechslung für die von Recherchetexten über Tommy Frenck gelangweilte Leserschaft, mal nicht um Naziveranstaltung XY gehen. In dieser Ausgabe geht es, und das ist keinesfalls weniger unerfreulich, um den Umgang mit einer braunen Wohlfühlzone, die ihren bislang größten Erfolg im Mai dieses Jahres hatte, als knapp 3.500 Neonazis eine „No-Go-Area“ ausrufen konnten.


Erster Akt: Kirche, Staat und Lokalpolitik

In anderen Thüringer Städten ist es ein wahrhafter Arbeitsmarkt geworden, sich bei „Bündnis gegen Rechts“-Treffen Überstunden bei seinem Arbeitgeber, der Gewerkschaft oder auch dem Landesjugendring abrechnen zu lassen. In Städten wie Weimar oder Jena erhebt sich ein ganzer Schwarm aufgeregter Demokraten wenn die Nachricht von einer Demonstrationsanmeldung im BgR einschlägt, wie ein Stockschlag auf ein Bienennest. Schnell wird dazu aufgerufen eine ganze Stadt möge sich quer stellen, der zivile Ungehorsam wird selbst von biederen Lokalpolitkern eingefordert und danach kann sich die Stadt als weltoffen, tolerant und bunt bezeichnen. Doch, es geht noch schlimmer, in Hildburghausen gibt es nicht einmal diese Zivilgesellschaft, oder zumindest ist sie noch bornierter als in anderen Städten und Regionen in Thüringen. Während sich tausende Neonazis in Hildburghausen treffen, flüchtet sich die Hildburghäuser Bevölkerung, zumindest die Teile, die nicht heimlich mit Frenck und Co. sympathisieren oder halbtot hinter dem Fernseher eingeschlafen sind, lieber zum Friedensgebet in die Kirche. Dort wo der Pfarrer seinen Schäfchen etwas von einer heilen Welt und dem Frieden erzählt, so lange man auch nur fest genug daran glaube, lässt es sich wohl immer noch am besten verdrängen, wenn unweit einer Unterkunft für Geflüchtete tausende Neonazis beim Saufen durch rassistische Hetze aufgestachelt werden. Bis auf ein Musikfest auf dem Museumsgelände in Kloster Veßra, unter dem sicherlich unbewusst gewählten zynischen Motto „Südthüringen klingt bunt“, ist das lokale Bürgerbündnis kein wahrzunehmender Akteur.

Die meisten Aktionen der Zivilgesellschaft gingen in der Vergangenheit von den umliegenden Bürgerbündnissen aus, allen voran dem Bürgerbündnis um Suhl und dem „Solibri – Solidarität bringts“, einem Zusammenschluss aus diversen zivilgesellschaftlichen Akteuren aus Südthüringen. Ein Jahr zuvor wurde von dieser Stelle aus eine Demonstration gegen das Neonazifestival organisiert, die mit 70 Teilnehmern eher eine willkommene Gelegenheit für die Nazis war, um belustigt zu gaffen. Zumindest konnte das Bündnis es schaffen, dem MDR einen Bericht über das Nazispektakel in der Region abzuringen und so etwas mehr Öffentlichkeit schaffen. Dieses Jahr gelang das nur mäßig. Ein Grund dafür war wohl die Konzentration auf eine Gegenveranstaltung eine Woche später mit einem Open-Air, was mit großzügig geschätzten 350 Teilnehmern in Hildburghausen verloren wirkte. Dennoch bekam das zivilgesellschaftliche Bündnis einmal mehr das zu spüren, was seit Jahren schon antifaschistische Bestrebungen in der Region im Keim erstickt. Die Stadtverwaltung, allen voran Oberbürgermeister Holger Obst, hatte nicht nur die Naziveranstaltung mit lächerlichen Auflagen belegt. Während die Nazis zwar Essen und ab 20 Uhr Alkohol, jedoch keine alkoholfreien Getränke ausschenken durften, sollte das Open Air der Zivilgesellschaft vollkommen ohne Getränke und Essen auskommen. Des Weiteren weigerte sich Holger Obst Strom- und Wasseranschluss zur Verfügung zu stellen. Was Obst sich dabei im Geheimen gedacht, oder eben nicht gedacht hat, bleiben nur Mutmaßungen. Jedoch spricht die Politik der letzten Jahre in Hildburghausen eine deutliche Sprache. Es soll so lange alles unter den Teppich gekehrt werden, bis niemand mehr darüber spricht. Eine größere Aufmerksamkeit in den Medien würde dabei dem Ansehen der Stadt nur weiter schaden. So lange es dabei bleibt, dass einmal im Jahr tausende Neonazis öffentlich eine „No-Go-Area“ ausrufen, bleibt alles unter dem Deckel der Lokalpolitik. Schließlich muss man, wenn man die unzähligen kleineren Aktionen der Neonazis in der Kreisstadt einfach ausblendet, nur an diesem einen Wochenende um seinen Ruf fürchten. Das lässt sich für Holger Obst und die Lokalpolitik scheinbar gut aushalten.


Zweiter Akt: Der Feind steht links

Nicht nur Holger Obst verortet die größte Gefahr bei „Linksextremen“, die beim Open Air von Solibri auflaufen könnten – was wohl ein Grund für die Schikanen seitens der Stadt war –, sondern auch die Landesregierung scheint lieber gegen die zu wettern, die sich erdreisten, ihre Politik aus linksradikaler Perspektive zu kritisieren. Während wenige Tage zuvor Bodo Ramelow, zwischen wutentbrannt und angetrunken, seinem Groll auf Antideutsche, die sich eine Demonstration in einem rechten Bumskaff in Nordthüringen erdreisteten, freien Lauf ließ1, wurden die Konten von Frenck und Schröder mit massig Geld aus dem Vorverkauf gespült, so dass die nächste Investition der Neonaziszene bereits geplant werden kann. Während also der ‚Landesvater von Thüringen‘ mit jeder weiteren leeren Rotweinflasche AfD-Landeschef Björn Höcke zur Seite sprang, liefen in Bornhagen die Vorbereitungen zu Polizeifestspielen gegen eine antifaschistische Demonstration unter dem Motto „Straight to hell! Weg mit den braunen Zonen! Weg mit der AfD!“. Zum Vergleich: rund 400 Beamte mit Reiterstaffeln und schwerem Gerät rückten aufgrund von ca. 300 Antifaschisten in ein Thüringer Dorf ein, dessen Umfang zwei bis drei Straßenkreuzungen beträgt. In Hildburghausen kamen rund 3.500 Neonazis zusammen, tranken Alkohol und lauschten der Hetze von diversen Rednern und Bands. Dort waren laut Presse knapp 350 Polizisten im Einsatz. Vom Räumpanzer, dem Wasserwerfer, dem Hubschraubereinsatz, der Reiter- und Hundestaffel, die allesamt in das Nordthüringer Drecksnest gekarrt wurden, fehlte in Hildburghausen jede Spur. Selbst die akribischen Vorkontrollen von BFE und Bereitschaftspolizei gegen anreisende Antifas in Bornhagen, hatten die Nazis nicht zu befürchten. Eine Hand voll freundlicher Streifenpolizisten half den Neonazis beim Einweisen der Parkplätze. Während Presse und Ministerpräsident einen Sturm der Entrüstung gegen ‚die Antideutschen‘ lostraten, verkümmerten die Meldungen über das Neonazifestival in der medialen Bedeutungslosigkeit. Selbst wenn Ramelow beim Anstoßen auf Björn Höcke in seinem Weinkeller noch betrunkener gewesen wäre, er hätte wohl auch dann kein Wort zu Hildburghausen verloren. Wie im Großteil des politischen Alltagsgeschäftes unterscheidet sich die jetzige Landesregierung kaum von der vorherigen CDU-Regierung. Der eigentliche Feind steht immer noch links.


Dritter Akt: Die Jugend steht links und andere Märchen

Während Landesregierung und Polizei gemeinsam einigen hundert Antifaschisten ins Dorf folgten, sowie mit der Lokalpolitik den gemeinsamen Feind ausgemacht hatten, betrat schließlich noch ein anderer Akteur die Bühne in der Tragödie Hildburghausen. Die Jugendorganisation einer autoritär „stalinistischen, stramm antizionistischen und national-sozialistischen“2 Kleinstpartei kündigte sich zum Schaulaufen an. Der Grund, warum gerade diese Gruppierung Südthüringen mitsamt einer Unterstützerliste unbekannter Kader-Stalinisten aus dem Ruhrpott heimsuchte, liegt wohl daran, dass die Region eine regelrechte Fundgrube für billige Immobilien ist. Dadurch nämlich konnte sich der beschriebene Verband in Truckenthal, fernab von Fortschritt und Zivilisation, ein Domizil einrichten.

Für den Tag des Nazifestivals rief der Verband zu einer Demonstration auf und forderte, in autoritärer und pseudokommunistischer Manier, ein Verbot der Veranstaltung und der faschistischen Organisationen. Die Demonstration fand einige Stunden vor dem Neonazifestival statt und zog mit rund 150 Teilnehmern, die meisten abgeordert vom Festival der MLPD-Jugend in Truckenthal, durch Hildburghausen. Der Großteil der Nazis war zu diesem Zeitpunkt mit dem Aufbau beschäftigt oder verbrachte die Zeit auf der Autobahn in Richtung Hildburghausen. Jedoch noch lange kein Grund, warum sich die Organisatoren der Demonstration nicht als Märtyrer feiern lassen konnten. Hinzukommend erlogen sich die Veranstalter die Welt so, wie sie ihnen gefällt. In Hildburghausen stehe die Jugend, laut Aussage der Verfasser eines durchaus amüsanten Flyers der Stalinisten, „links“. Wer sich schon einmal als Punk oder Antifaschist auf Südthüringer Stadtfesten oder Kirmesveranstaltungen bewegt hat, weiß dass sich „die linke Jugend“ an einer Hand abzählen lässt.

Am Ende blieb es bei einer Demonstration, die dazu diente, sich selbst im Nachgang als davongekommene Märtyrer in der faschistischen No-Go-Area zu feiern und gegen jene zu hetzen, die man als ‚böse Antideutsche‘ ansieht, aufgrund einer Reisewarnung und der realistischen Einschätzung des Gefahrenpotenzials an diesem Tag. Denn für den Tag selbst riefen die Antifaschistischen Gruppen Südthüringen dazu auf, den Landkreis Hildburghausen zu meiden oder zeitweise zu verlassen. Denn weder die eigenen Strukturen noch der Staat konnten Flüchtlinge, Antifaschisten und Migranten Schutz garantieren. Aufgrund der hunderten betrunkenen Neonazis in der Innenstadt, den umliegenden Dörfern, Autobahnraststätten usw. war das eine gute Entscheidung, genau so, wie davon abzuraten an der Demonstration einer stalinistischen Sekte teilzunehmen. Denn eine ernstzunehmende Präsenz antifaschistischer Strukturen in Hildburghausen am Tag selbst, sowie an den anderen 364 Tagen im Jahr, gab es nicht. Kein Neonazi wurde vom Festival abgehalten, kein Lokalpolitiker fühlte sich unter Druck gesetzt, gegen die Naziveranstaltung vorzugehen. Auch wenn man in der Meldung aus Truckenthal zum ZK in den Ruhrpott gerne ein anderes Bild gezeichnet hätte.


Ausblick

Bis zum Ende des Jahres laufen im nahe gelegenen Kloster Veßra diverse Neonaziskonzerte u.a. mit Bands wie Kategorie C. Wie schon in Hildburghausen können sich die Nazis auf einen reibungslosen Ablauf freuen. Für 2017 haben die Nazis bereits angekündigt, wieder ein Neonazifestival in Hildburghausen zu organisieren. Vielleicht werden sie dabei die Teilnehmerzahl von 3.500 Neonazis überschreiten. Der Landkreis wird erneut zu einer „No-Go-Area“ für Antifaschisten, Flüchtlinge und alle, die den Nazis nicht passen. Um diesem Treiben beizukommen, braucht es mehr als ein Gebet, den Ruf nach einem starken Staat oder der Selbstprofilierung einiger Dorfstalinisten. Vielmehr bedarf es einer Aufarbeitung der skandalösen Verhältnisse in der Lokalpolitik, die seit Jahren diese faschistische No-Go-Area in Hildburghausen ermöglicht. Eine Aufgabe, an der die Thüringer Zivilgesellschaft bislang gradios gescheitert ist. Weiterhin dürfen die wenigen Antifaschisten in der Region nicht alleine auf sich gestellt werden, d.h. auch die Unterstützung fernab von Neonazievents, in der Hoffnung, dass eine emanzipatorische antifaschistische Aufklärung wenigstens bei einigen wenigen Menschen in der Region ankommt. Dieser Vorgang kostet Zeit und Nerven und ist in einer Region, aus der man lieber schnellstmöglich wegzieht, kaum zu machen.

Bleibt für das kommende Jahr nur festzuhalten, nach Möglichkeiten der antifaschistischen Strukturen vor Ort, eine größere Öffentlichkeitsarbeit aufzubauen um über eine Skandalisierung der Zustände öffentlichen Druck auszuüben. Einen Erfolg, dass Nazifest zu verhindern, ist dadurch jedoch nicht zu erwarten. Für den Tag des Festivals selbst gilt es, die eigenen Strukturen und die potenziell Betroffenen von Neonaziangriffen zu schützen. Denn auf Polizei und andere wird auch weiterhin kein Verlass sein.



  1. Ein lesenswerter Text von Ox. Y. Moron zu Bodo Ramelows Querfront gegen die Antifa findet sich in der Ausgabe # 13 der Erfurter Zeitschrift Lirabelle: http://lirabelle.blogsport.eu/2016/08/08/querfront-gegen-die-antifa/

  2. Treffender als das Bündnis gegen Antisemitismus aus Kassel hätte die Beschreibung der MLPD nicht auf den Punkt gebracht werden können. Nachzulesen unter: http://www.redaktion-bahamas.org/aktuell/100612bga-kassel.html