Die AfD schlägt sich als rechte Oppositionspartei in den Parlamenten besser, als es die NPD je konnte und macht sich dabei die Extremisdorktrin in absurder Verdrehung zu nutze. Ohne dabei auf eine empirische Begründung zurückgreifen zu können, schafft sie es durch das Herbeireden von Gefahren von sogenannten Links- und Ausländerextremismus die Gefahren rechter Gewalt und faschistischer Ideologie zu relativieren.
Scheiterte die noch junge AfD im Jahr 2013, als sie etwa ein halbes Jahr nach ihrer Gründung für die Bundestagswahlen das erste Mal zu Wahlen antrat, noch an der 5%-Hürde, kann sie seitdem auf regelmäßige Erfolge betreffs ihrer Wahlergebnisse zurückblicken. In jeder darauffolgend stattgefundenen Wahl eines Landesparlamentes ist sie in dieses eingezogen. Aktuell ist sie damit in 10 von 16 Landesparlamenten vertreten. Ihr bisher bestes Wahlergebnis erzielte sie am 4. September 2016, als sie bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern 20,6% der Wählerstimmen erhielt. Hier ist sie damit voraussichtlich die nächsten fünf Jahre als zweitstärkste Kraft im Landesparlament vertreten. Wenn sie dort auch nur die Opposition stellen wird, weiß die AfD auch als Oppositionspartei auf die Kacke zu hauen, wie sie (nicht nur) in Thüringen unter Beweis stellte und stellt, wo sie seit etwa zwei Jahren mit acht von 91 Parlamentsmandaten (eingezogen war die AfD damals mit 11 Abgeordneten – das entsprach einem Wahlergebnis von 10,6%) im Landtag vertreten ist. Als im Parlament vertretene Partei stehen einem nämlich weitaus mehr Möglichkeiten offen, als den meist wohl drögen Debatten im Landtag zu lauschen.
Ein der von der AfD gern genutztes parlamentarisches Mittel ist das Stellen von sogenannten kleinen Anfragen. Kleine Anfragen sind auf wenige Punkte begrenzte Fragestellungen, die von einzelnen Abgeordneten in schriftlicher Form an die Landesregierung gestellt werden können und von dieser binnen einer Frist von sechs Wochen beantwortet werden müssen, wo sie beantwortet werden können bzw. den Zuständigkeitsbereich der Landesregierung abdecken. Kleine Anfragen werden dabei vorwiegend von Parteien bzw. Parteimitgliedern aus der Opposition gestellt, denn sie stellen ein Instrument der parlamentarischen Kontrolle dar. In ihnen muss sich die Landesregierung für ihr Handeln rechtfertigen, indem sie eben dieses offen legt. So hat freilich nicht erst die AfD dieses Mittel für sich entdeckt, versteht sich aber so gut wie kaum eine andere Partei darauf, es zu nutzen.
Die AfD stellte in diesem Jahr bis Ende September ganze 327 dieser kleinen Anfragen. Wird sich hier seitens der AfD mal nach der Geschwindigkeitsbegrenzung und -kontrolle in Thüringen erkundigt, dort mal nach der Fortschreibung des Radverkehrskonzepts, haben die Fragen der AfD meist jedoch einen anderen Einschlag. Denn die größte Wirkung erzielt eine kleine Anfrage da, wo deren Antwort öffentlichkeitswirksam skandalisiert werden kann. Diese Öffentlichkeit stellt sich schwerlich von alleine her. So sind zwar die Antworten auf die kleinen Anfragen auf der Seite der Landtags alle schriftlich nachzulesen, aber sicher erwartet keiner vom politikverdrossenen Wähler, dass er sich durch diese Wüste an Druckdokumenten kämpft. So veröffentlicht die AfD regelmäßig auf ihrer Homepage und in Pressemitteilungen die Ergebnisse dieser Anfragen, um diese zu skandalisieren. Welchen Ton dabei die Veröffentlichung einnimmt, steht meist schon vor der Antwort fest, schließlich haben schon die (An-)Fragen tendenziösen Charakter und zielen weniger auf einen Zuschuss von Informationen, als vielmehr ein Anprangern vom Versagen oder fehlerhaften Handeln der Verantwortlichen. Wenn sich da ein Stefan Möller (parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Fraktion) zum Beispiel nach den Kindergeldbezug von Ausländern in Thüringen erkundigt, muss man die Antwort nicht abwarten, um zu wissen, dass die AfD sich darüber aufregen wird, wieviele Migranten doch in Thüringen Kindergeld beziehen und was das nicht koste.
Ähnlich verhielt es sich wohl auch, als die AfD am 29. Oktober 2015 ihre erste große Anfrage in Thüringen stellte.1 Unter dem Titel „Links- und Rechtsextremismus in Thüringen“ ersuchte die AfD in 125 Fragen mit weiteren Unterfragen Auskunft über Organisationsstruktur, Finanzierung, Aktivitäten, gesellschaftliche Verankerung und anderem zum Links- und Rechtsextremismus in Thüringen. Am 16. Juni 2016 antwortete das Ministerium für Inneres und Kommunales in einem samt angehangener Tabellen und Aufzählungen 176 Seiten umfassenden Papier, das dem Inhalt nach ein vorgezogener Verfassungsschutzbericht ist. Zum Vergleich: In diesem Jahr stellte die AfD nur eine weitere große Anfrage mit vier Fragen und jeweils zwischen drei und 18 Unterfragen zur „Kosten und Einsparpotentiale der Verwaltungs-, Funktional- und Gebietsreform in Thüringen“. Wie die Prioritäten hier liegen, wird also deutlich und ergibt sich für die AfD aus einer Gefährdungslage, die sie in ihrer Vorbemerkung zur Extremismusanfrage schildert, in der von gestiegenen Zahlen der „Politisch Motivierte Kriminalität links“ (PMK links) und dem ins Auge fallen einer „breite[n] Verankerung von linksextremistischen Einstellungen in der Bevölkerung“ die Rede ist. Und – ach ja – natürlich stelle auch der Rechtsextremismus eine Gefährdung des Verfassungsstaates in Thüringen dar. Von einer breiten Verankerung in der Bevölkerung ist da allerdings nicht die Rede; das muss man sich von der AfD ja nicht erklären lassen.
Was darin deutlich wird, ist ein sich absurd Zunutzemachen der Extremismusdoktrin2. Während die Gegner einer solchen immer wieder damit argumentieren, dass sie unter anderem die Verbreitung rechter und nazistischer Einstellungen bis in die Mitte der Bevölkerung hinein verkenne, dreht die AfD den Spieß nun um. Als protofaschistische Partei ist es ihr freilich ein Anliegen rechtes Gedankengut zu verteidigen, wo sie es nicht selbst propagiert. Unter Rückgriff auf eine Unterscheidung zwischen Rechtsextremismus und gemäßigtem Nationalismus ist das bei ihr allerdings nicht glaubhaft und auch strategisch nicht sinnvoll, speisen sich doch ihre Wahlerfolge auch daraus, dass eine solche Unterscheidung haltlos ist. So versucht man sich eben in einer indirekten Verharmlosung rechter Ideologie mittels der Dämonisierung von allem, was im entferntesten als links gelten kann und bedient sich dabei des Arguments all jener, die vor der Verankerung rechten Gedankenguts quer durch die Bevölkerung warnen. Man dreht die Vorzeichen um und sieht nun eine Gefährdung des Verfassungsstaates durch eine vermeintlich breite Verankerung linksextremistischer Ideologie in der Bevölkerung. Da diese Gefahrenpotential schwerlich anhand von Engagement gegen Rechts gemessen werden kann, tut man dies mittels Erhebungen zu PMK links und nutzt die Gelegenheit, um sich von der Landesregierung sogleich ein bisschen Recherchearbeit abnehmen zu lassen.
Gefragt hat die AfD in ihrer Anfrage so doch allen Ernstes nach der namentlichen Nennung von Anmeldern von Demonstrationen. Eine Frage die unter Verweis auf Daten- und Personenschutz unbeantwortet blieb. Ob die Anfragesteller tatsächlich so dumm waren, zu glauben, solche Fragen werden beantwortet oder sich dachten, dass es wohl nicht klappt, es aber doch immerhin versuchen wollten, fragt man sich auch, wenn diese sich nach der Identität von als solche bezeichneten Tätern in einem noch laufenden Verfahren erkundigen. Hier ist sogleich die Unschuldsvermutung mit über Bord geworfen. Doch neben der Dreistigkeit, mit der die AfD versucht linke Strukturen zu durchleuchten, offenbaren die Antworten weiteres: Die Aktivitäten von Links- und Rechtsextremismus stehen in einem starken Missverhältnis zueinander. So ist zum Beispiel die Anzahl der Verletzten durch PMK rechts fast viermal so hoch wie die von PMK links. Die Liste der aufgezählten linksextremistischen Aktivitäten ist – traurig aber wahr – nicht halb so lang wie die der rechtsextremistischen. Erwähnung finden hier zum Beispiel der Auftritt der Band „Feine Sahne Fischfilet“ in Ilmenau im April 2014 oder unter „Sport- und Freizeitaktivitäten Linksextremismus“ die Punxbootstour („Veranstaltungsort: auf der Gera“). Solche Sport- und Musikveranstaltungen finden auch unter der Listung der Aktivitäten Rechtsextremismus Erwähnung. Und wenn unter den Aktivitäten des Rechtsextremismus im Gegensatz zu denen des Linksextremismus jeder noch so kleine Stammtisch einer der vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuften Parteien gelistet wird, dann liegt das eben an einer unterschiedlichen Einschätzung des Gefahrenpotentials seitens des Staates.
Um an Hand des Vergleiches zu einer abwägenden Einschätzung bezüglich des Gefahrenpotentials zu gelangen ist es nötig, die Zahlen der Straftaten, Verletzten etc. miteinander ins Verhältnis zu setzten, wodurch eine fundierte Entscheidung getroffen werden könnte, zu welcher Seite hin eine größere Gefahrenprävention vonnöten wäre.3 Daran aber ist es der AfD nicht gelegen. In ihrer zu den Ergebnissen der großen Anfrage veröffentlichten Pressemitteilung listet sie ausschließlich die Zahlen der Erhebungen zu Linksextremismus, um zu der Schlussfolgerung zu gelangen, dass dessen Gefahren gemeinhin unterschätzt werden. Dass sich in der Anfrage ebenso nach den Aktivitäten Rechtsextremismus erkundigt wurde, war entweder vorgeschoben, um Neutralität zu suggerieren oder ein Insiderjoke, um die Landesregierung möglichst umfangreich zu beschäftigen. Der Inhalt der dazu veröffentlichten Pressemitteilung indes hätte gut und gerne vor der Veröffentlichung der Antworten feststehen können, um nachträglich nur noch die entsprechenden Zahlen in die aneinander gereihten Hauptsätze à la ‚Die Zahl linksextremistischer Straftaten…‘, ‚Die Anzahl linksextremistischer Sachbeschädigungen…‘ etc. einzusetzen. Die Schlussfolgerung jedenfalls tat es. Denn mittels Zahlen rechtfertigen zu wollen, dass linke Projekte stärker kriminalisiert werden müssen, war das Anliegen, mit dem die Anfrage überhaupt gestellt wurde. Ihren Antrag darauf, die Antwort auf ihre große Anfrage im Landtag zu verhandeln, haben die Protofaschisten übrigens am Tag als dies erfolgen sollte, zurückgezogen. Es dämmerte der AfD dann wohl doch, dass ihre Behauptungen einer Diskussion nicht standhalten würden.
Einen weiteren Punkt, den die AfD in dieser Pressemitteilung anspricht, ist die in diesem Jahr in Jena eingerichtete Dokumentationsstelle Rechtsextremismus. In der seit 1. August 2016 bestehenden Dokumentationsstelle sollen öffentlich zugängliche Informationen zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit gesammelt und wissenschaftlich ausgewertet sowie Gegenkonzepte entwickelt werden. Da das bedeutet, dass die Dokumentationsstelle sich vornehmlich mit rechten Aktivitäten beschäftigen wird, war das Geschrei und Geheule bei der AfD natürlich groß. Diesen, nach Worten der AfD, „zivil verkleidete[n] Verfassungsschutz außerhalb des Verfassungsrahmens“ mit einem solch „beschränkten Aufgabengebiet“, brauche es nicht. Ein Ausblenden von islamistischem Terror und Linksextremismus wird seitens der AfD beklagt. Die empirischen Gründe, denen an anderer Stelle, wenn auch fälschlich, von der AfD noch zur Beachtung gemahnt wird, sind hier wohl obsolet. Denn mögen dem islamistischen Terror anderswo unzählige Menschen zum Opfer gefallen sein – freilich nichts, das die AfD interessiere –, in Thüringen beläuft sich die Ziffer seiner Todesopfer derzeit auf Null. Genauso steht es um die Zahl der Toten durch linke Gewalt. Die Zahl der Todesopfer rassistischer Anschläge und Übergriffe hingegen belaufen sich nach Zählung der Amadeu Antonio Stiftung seit Anfang der 90er Jahre alleine in Thüringen auf acht. Aber vielleicht traut die AfD dieser Zahl auch nicht, schließlich hat sie in der Amadeu Antonio Stiftung, die der Träger der neuen Dokumentationsstelle ist, ebenso einen Feind ausgemacht wie in dem Leiter der Dokumentationsstelle in Jena, dem sie keine wissenschaftliche Neutralität zutrauen, schließlich habe er einst für ein Mitglied der Linkspartei gearbeitet. Dieser wiederum beteuert, man werde ja auch „Proteste und Gewalt von linken Akteuren erforsch[en]“. In der Amadeu Antonio Stiftung einen Akteur auszumachen, der es sich zum Ziel gesetzt habe, den Verfassungsschutz mit der Dokumentationsstelle überflüssig zu machen, ist indes unbegründet. Schließlich arbeitet man hier seit Jahren mit diesem zusammen und gerade in Thüringen dürfte sich diese Zusammenarbeit unkompliziert gestalten, sitzt der aktuelle Thüringer Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer doch mit im Sitzungsausschuss der Amadeu Antonio Stiftung.
Die Kritik der AfD an dem Dokumentationszentrum, seiner Besetzung und Trägerschaft, die auch die CDU in Thüringen (mit Einschränkung des Stasi-Vergleichs seitens der AfD) teilt, schlug recht hohe Wellen auch in der überregionalen Presse. Ihre Pressemitteilung zur großen Anfrage und die Antworten überhaupt hingegen blieben fast resonanzlos. Die AfD versuchte zwar einen Skandal daraus zu machen, aufgegriffen hat das aber kaum jemand. Wenn das so unbeachtet bleibt, was können dann schon die popeligen kleinen Anfragen der AfD bewirken, könnte man sich fragen; gäbe es da nicht noch die linke Landesregierung in Thüringen. Dass die AfD in staatstragenden Akteuren nämlich gefährliche Linksextremisten ausgemacht hat, ist nicht nur einem Funken Paranoia geschuldet, sondern ebenso Teil der Strategie der Dämonisierung von Antinazi-Arbeit, im Zuge dessen alles, was sich selbst irgendwie als links versteht, nun als linksextremistisch markiert wird. Das ist auch ein Ärgernis der Linkspartei, schließlich will man nicht öffentlich mit sogenannten Linksextremisten in einen Topf geworfen werden und zu allem Überfluss auch noch die Wähler an die volksnahe AfD verlieren. Wusste und musste man die im Koalitionsvertrag beschlossene Dokumentationsstelle noch (zu) verteidigen, wird es für andere Projekte prekär, wo man dem Versuch der AfD linke Projekte zu dämonisieren nachgibt, weil man Angst hat durch eine – sei es nun eine tatsächliche oder von der AfD imaginierte – Nähe zu ihnen ebenfalls den Extremisten-Stempel aufgedrückt zu bekommen. Die Strategie der AfD faschistisches Gedankengut indirekt dadurch zu rehabilitieren, indem man die Gefahr anderer Extremismen übersteigert – und dabei auch nicht zu unterscheiden weiß zwischen Gefahren für den Verfassungsstaat und Gefahren für das Wohlbefinden und die körperliche Unversehrtheit von Menschen –, sodass sie nun in einer Reihe mit anderen Gefahren stehen, zeitigt dann auch den Erfolg, dass es die Arbeit für Projekte, die sich die Bekämpfung von faschistischer Ideologie, wie sie die AfD propagiert, zum Ziel gesetzte haben, erschwert. Dabei zeigen die Wahlergebnisse der AfD und die Ergebnisse und Zahlen der Antworten auf große und kleine Anfragen, die die AfD zu ihrem Zwecke zu nutzen weiß, nichts deutlicher, als dass es dieser Arbeit bedarf.
Eine große Anfrage ist, wie der Name vermuten lässt, ähnlich einer kleinen, unterscheidet sich von dieser aber im Umfang. Sie kann nicht von einzelnen Abgeordneten gestellt werden, sondern muss von einer ganzen Fraktion gestellt werden, wobei sich die Regelungen je nach Bundesland unterscheiden.
Zur Kritik der Extremismusdoktrin vgl. Alerta #3, S. 23ff.
Freilich nicht aus unserer, aber aus staatlicher Perspektive.