Zum 70. Mal jährte sich dieses Jahr der Tag der Befreiung Europas vom Nationalsozialismus. In vielen Städten in ganz Europa gab es aus diesem Grund eine Vielzahl von Gedenkveranstaltungen, so auch in der thüringischen Kleinstadt Suhl.
Der Oberbürgermeister von Suhl, Dr. Jens Triebel, hatte an diesem Tag gleich zu zwei größeren Gedenkveranstaltungen geladen. Ab 11 Uhr fand das erste Gedenken am sowjetischen Ehrenmal, erbaut in den Jahren 1970 bis 1971, im Wohngebiet Aue II statt. Das Denkmal mit der Inschrift „Ehre den ruhmreichen Helden der Sowjetarmee - Dank den Völkern der Sowjetunion“ in der Würzburger Straße, zu DDR-Zeiten noch Straße der deutsch-sowjetischen Freundschaft, war gut besucht. Rund 80 Teilnehmer*innen fanden sich ein, darunter auch Vertreter*innen der seit 1969 russischen Partnerstadt Kaluga und Schüler*innen des Gymnasiums.
Ab 15 Uhr fand dann die zweite Gedenkveranstaltung auf dem Suhler Hauptfriedhof statt. Mit einem Rundgang wolle man an alle Opfer des Zweiten Weltkrieges erinnern, so hieß es in der Eröffnungsrede des Oberbürgermeisters an der Gedenkstele für die Opfer beider Weltkriege und machte dabei auch nicht Halt, Vertreter*innen des Bundes der Vertriebenen (BdV) persönlich in seiner Rede zu begrüßen. Die erste Station des Rundganges waren dreißig verwilderte Gräber für zivile Opfer eines Bombenangriffs auf die Siedlung „Am fröhlichen Mann“ vom 26. März 1945 um 15:15 Uhr durch amerikanische Tiefflieger. Dort brachte Gerd Manig die Nivellierung zwischen Opfern und Tätern auf den Punkt. Manig, seines Zeichens Buchautor unter anderem der Suhler Reihe „Archivbilder“, zeigte sich bestürzt über diesen „sinnlosen“ Bombenangriff auf Suhl und verlas die Namen der „Opfer“. Als „grundlos und ohne strategischen Hintergrund“ bezeichnete Manig die Zerstörung von Häusern in Suhl beim Einmarsch der amerikanischen Truppen am 3. April 1945 und den Folgetagen.
Direkt neben diesen Gräbern befand sich auch schon die nächste Station, ein Gedenkstein für italienische Zwangsarbeiter*innen aus dem Jahre 1994, die in Suhl während des Nationalsozialismus umgekommen sind. An dieser Station verlas die Leiterin des Suhler Stadtarchivs, Andrea Walther, die Namen der getöteten Zwangsarbeiter*innen.
Im unteren Bereich des Hauptfriedhofes befinden sich zwölf Grabstätten für gefallene Wehrmachtssoldaten. Diese sind nicht zu übersehen: Große schwarze Holzkreuze, mit Name und Rang der gefallenen deutschen Soldaten, Stahlhelmverzierungen und Verdienste im Zweiten Weltkrieg sind schon von weitem gut zu erkennen. Hier verlas der Leiter des Waffenmuseums, Peter Arfmann, an der vorletzten Station die Namen der gefallenen Soldaten und würdigte ihr Andenken. Er erzählte hier und da eine kurze Anekdote, bezeichnete die alliierten Bombenangriffe auf Bremen als Terrorangriffe und auch er war sich nicht zu schade, nochmals zu betonen, dass auch das Gedenken an die „deutschen Opfer“ große Bedeutung für die Nachfolgegeneration hätte und auch diese „Opfer“ nicht vergessen werden dürften.
Dass die selbsternannte Waffenstadt Suhl eben nicht jene unschuldige Stadt war und maßgeblich vom Krieg profitierte, möchten wir an einigen ausgewählten Beispielen skizzieren.
Auch in Suhl brannte die in den Jahren 1904 bis 1906 erbaute jüdische Synagoge zur Reichspogromnacht am Morgen des 10. Novembers 1938. Die Synagoge in der einstigen Hohenlohestraße 13 wurde dabei vollständig zerstört. Im September 1942 wurden die letzten Juden und Jüdinnen aus Suhl deportiert. Darunter auch Max Friedmann aus Heinrichs, er wurde gehunfähig geschlagen und auf einen Karren zur Sammelstelle zur Deportation in der Hohenlohstraße gebracht. Dabei musste er ein Schild mit der Aufschrift „Die letzten Juden verlassen Suhl!“ um den Hals tragen.
Auf dem Lautenberg befand sich ein großes Lager für den Reichsarbeitsdienst (RAD), einer Organisation im Dritten Reich. Ab Juni 1935 musste jeder junge Mann Reichsarbeitsdienst leisten, dieser umfasste eine sechsmonatige Arbeitspflicht, die zur Vorbereitung auf den Wehrdienst diente. Später mussten diesen Dienst auch junge Frauen ableisten. Im späteren Kriegsverlauf übernahm der RAD auch eine militärische Grundausbildung am Gewehr. Darüber hinaus befand sich in Suhl eine Fliegerschule zur Ausbildung von Piloten. Neben diesen Einrichtungen spielte Suhl eine große Rolle in der Rüstungs- und Waffenindustrie.
In Suhl gab es u.a. Rüstungsfabriken der Firmen Merkel Jagd- und Sportwaffen, Krieghoff, J. P. Sauer & Sohn, Schmeisser, C. G. Haenel und Gustloff. Ab 1934 befanden sich zehn Firmen in der Vereinigung mit dem Namen „Vereinigte Suhl-Zella-Mehlisser Waffenfabriken“. Die Firma Haenel produzierte bis 1943 rund 10.000 des Maschinenkarabiners „MP43“, ab April 1944 „Sturmgewehr 44“. In der Firma Sauer & Sohn wurden Karabiner der Marke „Karabiner 98k“ hergestellt.
Das „Sturmgewehr 44“ wurde bis Ende des Krieges 424.000 Mal in Suhl gebaut. Für die Rüstungsindustrie wurden in Suhl bis zu 8.500 Zwangsarbeiter*innen aus der Sowjetunion, Polen, Frankreich, Belgien, Italien, den Niederlanden und der Tschechoslowakei eingesetzt, 150 von ihnen überlebten diese Zwangsarbeit nicht. Bereits 1933 wurden jüdische Firmen durch die Arisierung enteignet, so auch die Firma Simson. Diese ging in die Wilhelm-Gustloff-Stiftung über, ab 1939 trug sie den Namen „Gustloff-Werke - Waffenwerk Suhl“. 1940 lag der Umsatz mit Militärwaffen bei etwa 43 Millionen Reichsmark. Allein hier wurden im Jahr 1944 fast 62.000 Exemplare des MG42 hergestellt. In den Gustloff-Werken in Suhl wurde rund ein Viertel der gesamten Produktion an Maschinengewehren für die Front im ganzen Dritten Reich produziert. Darüber hinaus produzierte Krieghoff von 1934 bis 1945 rund 13850 Pistolen des Modells 08.
Bereits am 1. April 1945 erreichten Truppen der 3. US-Armee unter George S. Patton Thüringen. Am 3. April 1945 gegen 8:30 Uhr drangen amerikanische Einheiten der 4. Panzerdivision über den Sehmar in Richtung Stadtmitte vor. Schon am Sehmar gab es erbitterten Widerstand durch den Volkssturm und Wehrmachtsangehörige. Am Marktplatz leisteten Schüler der Fliegerschule aus den Fenstern der Adler-Apotheke ebenfalls Widerstand. Bei den Kampfhandlungen in Suhl kamen 16 Zivilisten und 45 Bewaffnete ums Leben. Der NSDAP-Bürgermeisters Adolf König wurde dabei ebenfalls verletzt und verstarb. Am 4. April 1945 wurde König durch den provisorischen Bürgermeister Sethe ersetzt. Dieser machte am gleichen Tag bekannt, dass wenn die Stadt Suhl weiter Widerstand leiste, diese restlos zerstört werde. Es wurde ein Produktionsverbot für Waffenfabriken und eine Ausgangssperre von 48 Stunden ausgerufen.
Das sind nur einige Beispiele, die aufzeigen, wie Suhl vom Krieg maßgeblich profitierte und wie sehr Suhl Teil der deutschen Rüstungsindustrie war. Nun zurück zum Gedenken auf dem Suhler Hauptfriedhof. Am Ende des Rundganges gab es dann doch noch einen kleinen Lichtblick. Elke Pudszuhn vom VVN-BdA gedachte an der Gedenkstätte für die antifaschistischen Widerstandskämpfer den eigentlichen Opfern des Nationalsozialismus, jenen, die sich der Volksgemeinschaft widersetzten und die völlig zurecht den 8. Mai als Tag der Befreiung begehen. Neben der antifaschistischen Friedberggruppe aus Suhl gedachte sie allen Opfern, die durch Konzentrationslager und Vernichtungskrieg ums Leben kamen und verlas Auszüge des Schwures von Buchenwald:
„… Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht. Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden und ihren Angehörigen schuldig…“
Im Nationalsozialismus wurden in Suhl tausende Zwangsarbeiter für die Rüstungsindustrie eingesetzt und tausende Waffen produziert. Die Synagoge wurde zur Reichspogromnacht zerstört, Juden und Jüdinnen und Widerstandskämpfer deportiert.
Gerade jene Gedenkstätten, wie die Gräber für Wehrmachtssoldaten auf dem Suhler Hauptfriedhof werden von Neonazis immer wieder als Pilgerstätten begriffen. Jedes Jahr finden an solchen Orten feierliche Kranzniederlegungen zum Volkstrauertag statt. Jene zivile Bevölkerung von Suhl während des Nationalsozialismus und jene deutsche Wehrmachtssoldaten hatten ihren maßgeblichen Anteil am Vernichtungskrieg und der Judenvernichtung, die nicht einige wenige wollten und durchführten, sondern die deutsche Volksgemeinschaft als Täterkollektiv, eben auch in Suhl.