Im Arnstädter Wohngebiet Rabenhold machen rassistische Anwohner seit Monaten Stimmung gegen eine Flüchtlingsunterkunft in zum Abriss vorgesehen Plattenbauten (Vgl. Alerta #4, S. 18–21). Als Zeichen der Solidarität und des Widerstandes gegen die sich formierende Naziinitiative „Patriotische Bürgerbewegung für Arnstadt“ und ihre Avancen in Arnstadt einen NPD-Stützpunkt zu etablieren, klebten antirassistische Aktivisten Ende April vor allem in benanntem Wohngebiet, aber auch in der Innenstadt, Plakate auf denen „Refugees Welcome“ zu lesen ist. Die Aktion wird von der Redaktion der Alerta Südthüringen zum Nachmachen empfohlen!
Auch in den Monaten April, Mai und Juni organisierten die Thüringer Flüchtlingsfeinde, die sich „Thüringen gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (THÜGIDA) nennen, Aufmärsche in mehreren Südthüringer Städten, darunter Hildburghausen (3. Mai), Neuhaus am Rennweg (11. Mai), Arnstadt (18. Mai) und mal wieder Suhl (8. Juni). Überall ermöglichte ihnen die Thüringer Polizei, trotz Protestaktionen, ihre Aufmarschrouten durchzusetzen. Trotzdem sanken die Teilnehmerzahlen in den vergangenen Monaten. Waren in Suhl im Januar zeitweise mehr als 1.000 Nazis und rechte Wutbürger auf der Straße, kamen zu den letzten THÜGIDA-Aufmärschen kaum mehr als die 100–200 immer gleichen Teilnehmer aus allen möglichen Thüringer Städten plus lokalem Support.
Die Niederlage des Dritten Reiches schmerzt ungezählte Nachfahren der Täter noch heute. Bei einer Gedenkveranstaltung auf dem alten Friedhof in Zella stellte eine Geschichtsrevisionistin ein Schild mit der Aufschrift „In Gedenken an die gefallenen deutschen Opfer im 2. Weltkrieg“ auf. Auf Geheiß der Organisatoren überweilte das Schild die Gedenkveranstaltung, führte aber danach zu einer hitzigen Debatte unter den Teilnehmern und landete schließlich dort, wo solcher, die deutsche Tätergemeinschaft verharmlosende Mist hingehört: auf dem Müll.
Verkehrte Welt in deutschen Gerichtssälen: In Arnstadt saß am 28. Mai ein Flüchtlingsaktivist vor Gericht, weil er sich gegen eine Polizeikontrolle, die sich ausschließlich gegen ihn richtete, im Zug verbal zur Wehr gesetzt hatte und die Polizeipraxis als das benannte, was sie war und ist: rassistisch. Nun saß der von rassistischer Polizeipraxis („Racial Profiling“) betroffene Miloud Lahmar Cherif wegen Beleidigung vor dem Arnstädter Amtsgericht und die eigentlichen Täter, die kontrollierenden Beamten, auf der Zeugenbank. Das Verfahren endete immerhin mit Freispruch. Miloud durfte die Kontrolle als rassistisch bezeichnen, rechtens sei sie trotzdem. Soviel zum Zustand deutscher Rechtsstaatlichkeit.
Am 6. Juni organisierten die Arnstädter Flüchtlingsgegner der Naziinitiative „Patriotische Bürgerbewegung für Arnstadt“ (PBFA) – nicht zu verwechselnden mit der kaum weniger widerlichen Wählervereinigung „Pro Arnstadt“ – gemeinsam mit der Erfurter NPD um Stadtrat Enrico Beschissko einen Infostand am Rabenhold, um die rassistischen Ressentiments gegen die Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft zu schüren. Wirklicher Erfolg stellte sich nicht ein. Mehr als die Mitglieder der Initiative und die angereisten Unterstützer interessierten sich nicht für den Nazistand.
Am Abend des 9. Juni überfielen drei Neonazis in Meiningen zwei Antifaschisten in der Sachsenstraße und verletzten diese durch Schläge und Tritte. Beide mussten im Krankenhaus behandelt werden. Die anrückende Polizei kontrollierte statt der Angreifer die Betroffenen. Die attackierenden Neonazis Andy Döpel, Andreas Rickes und Nico Werner gehören zur Nazigruppe „Brigade Werratal/Rennsteig“ bzw. deren Umfeld.
Der PEGIDA-Hype zu Anfang des Jahres spülte eine Reihe fragwürdiger Initiativen aus ihren Löchern. Eine dieser Skurrilitätengruppen ist die Initiative „Patriotische Europäer sagen Nein“, kurz: PEsN. Nach einer Mobilisierungszeit von mehreren Wochen brachten diese Patrioten am 14. Juni zwischen 60 und 70 Nazis auf die Straßen Meiningens, die zum Teil aus der Schweiz anreisten. Nach einer schweigsamen und gelangweilten Runde um das Bahnhofsgebiet, reisten die Nazis wieder ab. Antifaschistischer Protest drang trotz Polizeistaatsaufmarsch zur Naziroute vor und sorgte kurzzeitig für etwas Aufregung bei den Hitzschlag-geplagten Teilnehmern der Nazidemo. Die bürgerlichen Nazigegner ließen derweil das bunte Meiningen (was auch immer das sein mag) in der Innenstadt hochleben.
Der SV Germania Ilmenau plante für den 21. Juni in Folge der Rekonstruktion des eigenen Stadions ein Testspiel gegen den 1. FC LOK Leipzig. Bereits am vorangegangenen Wochenende kam es während des Oberliga-Relegationsspiels in Erfurt zu Ausschreitungen seitens der Gästefans. Der Verein 1. FC LOK Leipzig ist seit Jahren für seine rassistischen und antisemitischen Fans bekannt. Auch in Südthüringen verfügt der Verein über eine äußerst große Anhängerschaft. Zunächst sollte das Spiel trotz der erwähnten Ausschreitungen stattfinden. Da man von einer „erheblichen Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ durch gewalttätige Gästefans ausging, wurde das Spiel kurzfristig aber doch abgesagt.
In der Würzburgerstraße hat der Kreisverband der AfD-Südthüringen nun sein eigenes Büro eröffnet. Ende Juli lud man sich dazu die Landtagsabgeordnete Corinna Herold aus Erfurt (Wahlkreis Hildburghausen) sowie diverse Vertreter des benachbarten Kreisverbandes aus dem Ilm-Kreis ein. Bei der Eröffnung kamen dann u.a. Rüdiger Schmitt, welcher im Ilm-Kreis Chef des dortigen Kreisverbandes ist, sich an PEGIDA und PEGADA Aufmärschen in Dresden und Erfurt beteiligt hat und begeisterter Teilnehmer an antisemitischen Montagsmahnwachen in Erfurt war. Am selben Tag hielt der Kreisverband noch einen Infostand in der Suhler Innenstadt ab.
Das Thüringer Nazibündnis THÜGIDA verkündete am 3. Juli die vorläufige Einstellung seiner Demonstrationen. Seitdem im März dieses Jahres aus SÜGIDA das thüringenweite Projekt THÜGIDA wurde (Vgl. Alerta #4, S. 9–15.), überzogen die Nazis fast jeden Montag wechselnde Thüringer Städte mit Aufmärschen von einigen Dutzend bis mehreren hundert Rassisten. Die Sommerpause wollten die Nazis zur Vernetzung und Neuaufstellung nutzen. Am 5. Juli trafen sich die Organisatoren auf Tommy Frencks Anwesen in Kloster Veßra und besprachen ihr weiteres Vorgehen. Unterdessen besuchten die Thüringer Protagonisten PEGIDA-Aufmärsche in anderen Bundesländern. Erst für den 17. August, den Todestag von Naziikone Rudolf Hess, kündigte THÜGIDA wieder Aufmärsche an. Diesmal allerdings vier und in verschiedenen Städten, einen davon in Suhl. Dass die Sommerpause nun vorbei ist und es mit Naziaufmärschen im Wochentakt weitergeht, ist wahrscheinlich.
Ohne Dauermobilisierung während der Sommerpause fürchteten die rassistischen Scharfmacher bei THÜGIDA wohl um den Verlust von erworbener Aufmerksamkeit. Um diese über den Sommer aufrecht zu erhalten, bedienten sich die Neonazis bei Propagandatricks der Altnazis und bewiesen einmal mehr, dass die Rede von der Lügenpresse, geführt im Mund eines Nazis, eine reine Projektionsleistung ist. Um die Stimmung gegen Flüchtlinge anzufeuern nahmen sie eine Auseinandersetzung zwischen Eritreern und Kosovo-Albanern in Sömmerda vom 27. Juli zum Anlass um von „Ausländerkrawallen“ gegen Deutsche bzw. einem Angriff auf einen Jugendclub zu halluzinieren. Weil aber niemand in Sömmerda von einem solchen Angriff wusste, zerrte man einen vom Angriff vermeintlich betroffenen und verletzten Kronzeugen hervor. Blöd nur, dass dieser „Jens“ sich nachweislich seine Verletzungen ganz woanders erworben hat, was die Nazis dummerweise auch noch selber offenbarten, weil sie Bilder aus verschiedenen Heilungsphasen publizierten. Am selben Tag postete ein Freund von „Jens“ auf Facebook: „du Dummbiddel, das Foto habe ich persönlich gemacht auf der PI in Sömmerda, letzte Woche Dienstag!!!!!“ Damals zog „Jens“ in einer von ihm begonnenen Auseinandersetzung den Kürzeren. Dumm gelaufen...
Einige Tage später, am 5. August, versuchten die THÜGIDA-Nazis den nächsten Propagandakniff und posteten auf Facebook Bilder von vermüllten Bädern und Küchen, die angeblich in der Flüchtlingserstaufnahmeeinrichtung auf dem Friedberg entstanden sein sollen. Dummerweise waren die Bilder schon einige Monate alt und stammten nicht aus Suhl. Dass sich solche Hetzveröffentlichungen als Lügen entlarven, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Manipulation beim Klientel der Nazis ihre Wirkung nicht verfehlt. Wer die Gruselmärchen glauben will und dem rassistischen Wahnbild verfallen ist, der legt eine sehr selektive Wahrnehmung der Welt an den Tag: „Der Wahn korrigiert sich nicht mehr an der Realität, sondern versucht, die Realität am Wahn auszurichten und umzuformen.“ (Simon Rubaschow)
Lange Zeit beherbergte die AfD zwei Parteiflügel. Einen rechtsliberalen um den Parteigründer Bernd Lucke, der enttäuschte Mitglieder der etablierten Parteien aus der abstiegsgeängstigten Mittelschicht aufsammelte, und einen deutschnationalen, völkischen Flügel, der vor allem in Ostdeutschland seine Hochburgen hat. Nach dem vergangenen Bundesparteitag am 4./5. Juli in Essen und dem Rausschmiss des rechtsliberalen Flügels aus Vorstandsgremien hat dieser Flügel die Partei inzwischen verlassen und die AfD endgültig zu einem Sammelbecken ostdeutscher Rassisten werden lassen. Was das für die Südthüringer Verbände heißt? Nicht viel. Vielleicht Mitgliederverluste im einstelligen Bereich, wenn überhaupt. Vor allem die Region um Arnstadt war seit eh und je Hochburg der völkischen Fraktion. Hier bleibt alles beim Alten.
Das Grüne Haus in Suhl steht wegen finanziellen und personellen Problemen vor dem Aus. Seit 22 Jahren sorgt das alternative (Jugend-)Zentrum in Suhl dafür, dass neben dem grauen Mainstream, neben Klöße-Fritz und Herbert Roth auch Platz für antifaschistische Kultur und Politik in der Stadt mitten im Wald ist. Infos, wie dem Haus zu helfen ist, gibt es online: www.grueneshaus-suhl.de
In den Sommermonaten entwuchs die seit Monaten anschwellende Gewalt gegen Flüchtlinge und deren Unterkünfte zu einem neuen Stadium nazistischen Terrors. Inzwischen gab es bundesweit dutzende Brandanschläge und Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, im sächsischen Freital am 27. Juli sogar einen Sprengstoffanschlag auf das Fahrzeug eines Linken-Politikers. Im ersten Halbjahr des Jahres 2015 verzeichnet eine Statistik des Bundesinnenministeriums insgesamt 202 Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte. Bei 173 sei der faschistische Hintergrund bereits ermittelt worden. In Thüringen kommen auf 100.000 Einwohner 2,27 als rechtsextrem klassifizierte Straftaten. Damit liegt die Wahrscheinlichkeit in Thüringen Betroffener von Nazigewalt zu werden, statistisch gesehen, sogar höher als in Sachsen.
Die Abschiebung einer aus Serbien geflohenen elfköpfigen Familie der dort diskriminierten und verfolgten Roma-Minderheit konnte in Meiningen in der Nacht zum 11. August unter anderem durch das Zutun couragierter Antirassistinnen und Antirassisten verhindert werden. Sie versperrten der Polizei den Zugang zum Plattenbau im Meininger Wohngebiet Jerusalem. Im Angesicht der aufgebauten Drohkulisse durch die Abschiebebehörden verschwand ein 13-jähriges Kind der Familie während der Belagerung durch die Polizei. Die Abschiebung wurde daher vorerst abgebrochen. Wie die Verfolgungsbehörden weiter verfahren, ist unklar. SPD-Landrat Heimrich forderte „konsequente Abschiebungen“.
Da Fahrräder und Kinderwägen nicht ohne weiteres von selbst Feuer fangen und die seit Monaten forcierte Hetze gegen Geflüchtete deutschen Tatendrang weckt, ist beim Brand am Morgen des 12. August im Eingangsbereich eines Sonneberger Plattenbaus im Stadtteil Wolkenrasen mit einem Brandanschlag zu rechnen. Auch die ermittelnde Kriminalpolizei geht inzwischen von mutwilliger Brandstiftung aus. 21 der 31 im Haus lebenden Personen sind Asylbewerber. Drei von ihnen mussten mit Verdacht auf Rauchgasvergiftung ins Krankenhaus.