Auswertungspapier 2005
Dies ist ein Auswertungspapier zum so genannten "Fest der Völker" in Jena.
Zwischen Verbot, Bunt statt Braun und zivilem Ungehorsam
Im Vorfeld des Nazikonzerts am 11.0.6.05 stand eine Frage im Mittelpunkt der Auseinandersetzung:
Was tun? Die Vertreter der Stadt Jena befürworteten ein Verbot, das sie schließlich auch auf den Weg brachten, womit sie bekanntermaßen scheiterten.
Das Aktionsbündnis gegen Rechts/ Antifaplenum (AgR/AP) favorisierte von Anfang an ein offensives Vorgehen und rief dazu auf, den Nazis entgegenzutreten.
In den vergangenen Jahren hatte sich das Aktionsbündnis bei Aufrufen an die Bürgerschaft zu gemeinsamen Handeln jedoch regelmäßig in der Situation befunden, von CDU bis SPD für eine zu radikale Haltung kritisiert zu werden.
Deshalb richtete sich das Vorgehen diesmal auf eine eigenständige Aktion aus dem Bündnis heraus, ohne sie von der Beteiligung bürgerlicher Gruppen abhängig zu machen.
Das eröffnete dem Runden Tisch die Möglichkeit, je nach Sichtweise zwang es ihn dazu, eigenständige Aktivitäten zu entfalten, die unter anderem zu den täglich anwachsenden 17.00 Uhr Demonstrationen in der Woche vor dem 11.6.05 führten.
Im, auch durch die Demos geschaffenen, öffentlichen Raum stand die Frage, wie den Nazis zu begegnen sei. Dass der öffentliche Raum an diesem Tag durch Gegenaktivitäten zu besetzen sei, darin bestand eine erstaunliche Übereinstimmung aller Nazigegner – von CDU bis Aktionsbündnis. Wie diese Besetzung jedoch realisiert werden sollte, ob in Form bunter Straßenfeste in räumlicher Distanz zu den Nazis oder in körperlicher Präsenz ab den frühen Morgenstunden auf den Zufahrten zum Platz, darüber gab es Uneinigkeit. Dass sich das Aktionsbündnis nicht mit Festen oder Demos weit ab der Nazis zufrieden geben würde, war weit im Vorfeld öffentlich bekannt gemacht worden (TLZ „Gewerkschaftsjugend plant Straßenblockaden“, Äußerungen in diese Richtung am Runden Tisch). Der Konflikt wurde aber öffentlich nicht kontrovers ausgetragen. Sei es, um im Vorfeld keine Uneinigkeit aufkommen zu lassen oder der Polizei nicht Anlässe für ein Verbot der Gegenaktivitäten zu liefern. Spätestens seit dem die Blockade und nicht das Verbot für ein Verschieben der Naziveranstaltung an den Stadtrand sorgte, wird die Frage der Legitimität bis Notwendigkeit der Aktionsform nun öffentlich diskutiert.
Ziel des Aufrufs des Aktionsbündnis gegen Rechts war es, den Nazis an diesem Tag auch materiell etwas entgegenzusetzen.
Dass der Versuch der NPD, Einfluss zu gewinnen, keine Frage philosophischer Dispute ist, sondern sich auf der Strasse und mittlerweile im sächsischen Landtag realisiert, dürfte sich dem aufmerksamen Zeitgenossen nicht mehr verschließen.
Ob es der NPD gelingt, Anhänger zu gewinnen, hängt dabei im wesentlichen davon ab, ob es ihr gelingt, nach außen die noch vorhanden gesellschaftliche Abgrenzungen zu überwinden und nach innen sich zu vernetzen, zu organisieren und, das macht ihre Attraktivität in der extremen Rechten aus, zu beweisen, dass sie in der Lage ist, sich gegen uns, den politischen Gegner, durchzusetzen.
Ob es uns hingegen gelingt, die NPD zurückzudrängen, hängt davon ab, ob wir die Gesellschaft über ihre menschenverachtenden und mörderischen Ziele aufklären können, die Vorstellung einer gerechten und solidarischen Gesellschaft über alle Rassismen und Nationalismen hinweg zu entwickeln und die NPD in ihrer internen und externen Politik zu behindern.
Die Blockade verband diese Ziele und ermutigte Menschen auch jenseits politischer Zusammenhänge, in ihrer die NPD ablehnenden Haltung einen Schritt weiterzugehen.
Die Sonntagsreden wurden in die Ecke gestellt und die Menschen selber aktiv. Die begrenzte Regelüberschreitung erforderte den Mut, sich mit der Ordnungsmacht, die dazu aufforderte, den Nazis den Weg frei zu machen, anzulegen und im „einfach sitzen bleiben“ ein persönliches Risiko einzugehen.
Es drohten körperliche Schmerzen bei der polizeilichen Räumung, eine mehrstündige Ingewahrsamname und eine Strafanzeige, vor dessen Erwähnung im polizeilichen Lebenslauf nicht jedem das Herz vor Freude in die Höhe schlägt.
Ein wenig mehr Mut, als eine Barrikade aufzubauen und sich dann auf seine schnellen Füße zu verlassen, gehörte also schon dazu.
Zu diesem entschlossenen Handeln versammelten sich ca. 350 Menschen und blieben auch nach der dritten Aufforderung durch die Polizei, den Platz zu verlassen, sitzen.
Vor die Blockierer stellten sich Ratsmitglieder, die Ortsbürgermeisterin, der Sozialdezernent, Kirchen- und Gewerkschaftsvertreter und hakten sich unter.
Anders als in den meisten vergleichbaren Situationen entschloss sich die Einsatzleitung, diesmal nicht zu räumen, sondern den Nazis einen anderen Platz zuzuweisen.
Offenbar befürchteten die Entscheidungsträger (Rechtsamtsleiter und Einsatzleitung), eine gewaltsame Räumung im Nachgang politisch nicht legitimieren zu können, ohne selbst Schaden zu nehmen.
Technisch und personell wäre die Polizei in der Lage gewesen, einen anderen Einsatz zu fahren. Dass es soweit nicht kam, lag also weniger an der Menge der Blockierer, der Höhe der Barrikade oder der Befürchtung, die Situation könne im Nachgang eskalieren, sondern an dem politischen Druck, der im zeitlichen Vorfeld und an dem Tag durch die politisch sehr unterschiedlichen BlockiererInnen entwickelt werden konnte.
Nach dem überraschenden Erfolg der Blockade musste schnell eine Strategie für weitere Aktionen erarbeitet werden.
Die Teilnahme an Kundgebungen oder Bildung eines Demonstrationszuges direkt zum Hornbach Parkplatz stand zur Debatte.
Das Aktionsbündnis beschloss, in die Johannisstrasse zu ziehen, um dort an der Kundgebung der JG Stadtmitte teilzunehmen und das weitere Vorgehen zu besprechen.
Dabei kam es unterwegs zu einigen Konfusionen, u.a. als die Polizei den Demozug anhielt oder eine Gruppe AntifaschistInnen von BGS-Einheiten in Gewahrsam genommen wurden (Kasten).
In Zusammenarbeit mit der Einsatzleitung der Polizei und studentischen Aktivisten und AktivistInnen wurde nun eine Demonstration zum „Braunen Haus“ in Jena Lobeda eingeleitet, an der sich mehrere tausend Menschen beteiligten.
Einige Hundert AntifaschistInnen entschlossen sich dort, weiter nach Lobeda-Altstadt zum Nazifest zu gehen, wo sie von der Polizei unter Androhung von Festnahmen und Wasserwerfereinsatz aufgehalten wurden.
Resumee:
Es ist uns gelungen,
die Nazis, wenn nicht entscheidend, so doch immerhin zu behindern.
Sie konnten ihren symbolisch wichtigen Platz in der Innenstadt nicht bekommen und mussten an den Stadtrand ausweichen.
Das war Resultat des politischen Drucks, den wir entwickeln konnten, und der Entschlossenheit von ca. 350 BlockiererInnen, die auch unter Androhung der polizeilichen Räumung nicht wichen.
im Widerstand gegen die NPD zivilen Ungehorsam zu etablieren. Begrenzte Regelüberschreitung ist über Jena hinaus und wird für die nächsten Jahre Messlatte definitiv kommender Anti-Nazi Aktionen sein. Nazis blockieren gesellschaftsfähig gemacht zu haben, ist der größte Erfolg unserer Aktivitäten.
Die Griesblockade - Wir so stark und die Anderen so schwach?
Wenn mensch sich die Situation des 11.6. am Gries so anschaut, wird sie/er entweder ins schmunzeln kommen ob der von ihr/ihm empfundenen Freude, dass kaum mehr als eine Handvoll mutige AntifaschistInnen (nebst Anhang) durch ihren couragierten, selbstlosen und zielgerichteten Einsatz der erdrückenden Übermacht von Polizei und der sich gegen sie verschworenen Stadtoberen widerstanden und den Gries an diesem Tag nazifrei gehalten haben.
Oder nicht?
Wenn mensch sich die Fakten vor Auge ruft, sollte (eigentlich) klar werden, dass es (leider) nicht die „Macht der Straße“ war, die den Grieß frei von widerlichen Subjekten gehalten hat, sondern die Macht irgendeines beliebigen grünen, mit feinstem Filz überzogenen Taktik-Tisches irgendeiner Planungseinheit.
Die, die das „Blockadchen“ mit ihrer Anwesenheit beehrten, waren also nur ein Spielball, der es der Stadt ermöglichte, ihre „Kein Platz für Neonazis“ –Doktrin durchzuziehen und sich später mit der „Ganz Jena hasst Nazis“ -Fahne zu schmücken und die „Zivilcourage“ zu loben.
Diese Einschätzung mag verwundern, weswegen sie näher erläutert werden muss:
zunächst einmal war konnte die Blockade die demonstrationserfahrene Einsatzleitung der Jenaer Polizei nicht wirklich überrascht haben.
Immerhin haben die Erfahrungen der Kollegen aus Berlin und Leipzig sicher ihren Weg auch in thüringische Jena gefunden.
Deswegen wäre es von staatlicher Seite her schon fast grob fahrlässig gewesen, dies als taktisches Moment nicht mit in die Planungen einzubeziehen.
Des weiteren war das Kräfteverhältnis nicht so geartet, dass es für die Robocops schwierig gewesen wäre, die Blockade zu räumen;
wahrscheinlich hat jeder schon einmal miterlebt, wie es so ist, wenn die MACHT will, dass geschieht, was sie will.
Auch die Initiierung der Blockade wurde nicht behindert;
Fakt ist doch, dass die Polizei morgens zunächst einmal nur da war, weil es jeder von ihr erwartet hatte.
Die Blockade be- oder gar verhindert hat sie jedoch zu diesem Zeitpunkt und wohl auch zu keinem anderen nicht oder zumindestens nicht so, dass die Durchführung selbiger in Gefahr gewesen wäre;
durch ihr Verhalten hat die Polizei also aktiv begünstigt, dass eine Tatsache geschaffen wird, die dann später die Verlegung derer, die so dumm sind, dass es der Sau graust, gerechtfertigt erscheinen lässt
(hierzu vielleicht ein Beispiel: wenn der Huber-Bauer dabei zuschaut, wie die Scheune vom Mayr-Bauer abbrennt, ohne irgendwas zu tun, begünstigt er auch das Feuer.
Hierzu muss er auch gar nicht Öl in selbiges gießen; seine passive Haltung ist hier aktive Unterstützung genug).
Natürlich könnte mensch einwenden, dass es durchaus zwischenzeitlich so aussah, als ob die Blockade bald Geschichte wäre.
Die Räumungsdrohung allerdings war mehr eine den Status quo erhaltende Maßnahme als eine wirkliche Ankündigung.
Das Kooperationsbemühen beider Seiten früher am gleichen Tag sowie die Anwesenheit von nicht schwarz gekleideten Subjekten in der Überzahl haben wohl mit für die deeskalierende Stimmung gesorgt.
Doch das ist rein spekulativ.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Blockade nicht nur von uns politisch gewollt war, sondern dass wir es der Stadt ermöglicht haben, sich so zu präsentieren, wie sie es gerne hätte, weswegen der Erfolg zumindestens teilweise nicht nur uns zuzuschreiben ist.
Diese Aussage soll in keiner Weise die Freude darüber schmälern, dass die Nasen neben einem rosa Gebäude weit ab vom Schuss (leider ;-) ) feiern mussten und nicht in der Innenstadt, allerdings sollte mensch nicht so verbrämt in seiner Haltung sein, dass es/sie/er diese Verlegung nur der Macht derer zuschreibt, die am Grieß waren, sondern vielleicht auch einmal bedenken, dass Entscheidungen nicht zwingend dort getroffen werden, wo der Auslöser für selbige sitzt
(was ja auch literarisch wertvoll in verschiedensten Werken wie Kafkas Schloss recht plastisch und schön dargestellt wird).
Rückblick: Zusammenarbeit...
In Jena beschäftigten sich vier unterschiedliche Gruppen mit der Kundgebung der NPD.
Der Runde Tisch für Demokratie, einberufen von KoKont, dem Koordinierungsbüro des Runden Tisches für Demokratie, veranstaltete in der Woche vor dem „Fest der Völker“ täglich Demonstrationen.
Er leistete damit einen Teil der Mobilisierungsarbeit.
Das Theaterhaus bot einen Familientag ohne politische Ausrichtung – die Veranstaltung sollte für sich sprechen.
Der Studentenrat übernahm die Organisation der Demonstration für die Studierenden der beiden Hochschulen.
Der Demonstrationszug wurde von der Johannisstraße an zusammen mit dem Plenum gegen Rechts abgehalten.
Dieses hatte schon die Blockade am Grieß betreut und übernahm auch die Koordination der Proteste in Lobeda.
Die Zusammenarbeit zwischen dem Plenum und Studentenrat der Universität lief gerade im Vorfeld der Aktionen sehr gut.
Kleinere aufgetretene Probleme sind inzwischen diskutiert worden, was den Willen zur Zusammenarbeit unterstreicht.
... und Mobilisierung
Bereits im Vorfeld des „Festes der Völker“ war das Braune Haus Ziel von zwei Aktionen, die auf das Fest selbst Bezug nahmen.
1. Am 6. Mai, einen Tag nach Christi Himmelfahrt, fuhren etwa 20 Personen frühmorgens nach Lobeda, verteilten Flugblätter an die Anwohnerinnen des Braunen Hauses und überraschten die Faschisten im Schlafe – zumindest schliefen sie bis zum Einsatz des Autonomen Kommandos Wecken (A.K.W.).
Die Flugblätter informierten über das geplante „Fest“ und deren Organisatoren aus dem Braunen Haus.
Immerhin war es Ralf Wohlleben vor etwa einem Jahr gelungen, in den Alt-Lobedaer Ortschaftsrat gewählt zu werden.
Andererseits sollte diese Aktion auch als Anreiz für andere Gruppen dienen, sich mit dem „Fest der Völker“ möglicherweise schon etwas früher und kreativer auseinanderzusetzen.
Zumindest dieses Ziel ist nicht erreicht worden.
Die Polizei hatte frühzeitig ein Auge auf Gruppen des AgR/AP und erfuhr so von der eigentlich nicht öffentlich beworbenen Aktion.
2. Der „Tag der Nationalen Jugend Thüringen“, geplant für Weimar am 29. Mai 2005 und von Ralf Wohlleben angemeldet, war Anlaß für einen weiteren Besuch des Braunen Hauses. Mitglieder des AgR/AP planten, den Anmelder eine Weile im Haus festzuhalten, um den Beginn in Weimar zu verzögern. Die Blockade wurde durch die Polizei geräumt, aber in den Medien gelang es, die Verbindung zum geplanten „Fest der Völker“ herzustellen.
Bei aller Kritik der offenen Indymedia-Seite darf deren mobilisierende Wirkung von Berichten nicht unterschätzt werden. Mehr noch als Flugblätter oder Plakate können häufige Berichte von Vorfeld-Aktionen bevorstehende Demonstrationen ins Bewußtsein der linken Szene tragen. Bei beiden Aktionen ist Indymedia erfolgreich und dank guter eigener Dokumentationsarbeit als Plattform genutzt worden.
Der Auftritt der NPD im Sächsischen Landtag, das massive Vorgehen der Polizei am 16. April diesen Jahres gegen NPD-Gegnerinnen in Erfurt, der behinderte Aufmarsch der Faschisten am 1. Mai in Leipzig und die verhinderte Demonstration der NPD in Berlin am 8. Mai haben zusammen eine politische Stimmung erzeugt, in der weite Teile der Bevölkerung für das Thema sensibilisiert wurden. Dies hat unsere Mobilisierung sehr erleichtert.
Nicht zu unterschätzen ist auch die Wirkung der indirekten Mobilisierung: Wir haben uns diesmal recht früh dafür entschieden, auf die eigenen Stärken und Fähigkeiten zu bauen und nicht bereits im ersten Schritt auf andere Institutionen zuzugehen. Wir können mit einigem Recht vermuten, daß wir, indem wir Tatsachen schufen, andere unter Zugzwang setzten. Das soll nicht heißen, daß letztlich jegliche Aktion am 11. Juni von uns initiiert wurde, aber aktivierend war unser Auftreten durchaus.
Paranoia – Die Kehrseite der Medaille
Bei den Vorbereitungen der Gegenaktivitäten am 11. Juni .2005 war eines allgegenwärtig: die Drohkulisse des worst-case von bin zu 9 000 militanten Nazis in Jena führte zu einer gewissen Unsicherheit in der Antifa-Szene. So wurde zum „antifaschistischen Selbstschutz“ aufgerufen, zahlreiche linke Hausprojekte in einem weiten Umkreis bereiteten sich auf, teilweise von den Nazis angekündigt und vorbereitete, Angriffe vor. Auch schienen einige AktivistInnen eingeschüchtert von der vermuteten Größe des „Fest der Völker“. Die Mobilisierung mit der Darstellung eines faschistischen Horrorszenarios führte für einige Menschen dazu, sich nicht an den Gegenaktivitäten zu beteiligen – aus Furcht vor gewaltsamen Auseinandersetzungen oder um antifaschistische Häuser durch Präsenz zu schützen. Rückblickend wurde das Mobilisierungspotenzial der organisierenden Nazikader überschätzt.
Ausblick: Was kommt danach?
Die Mobilisierung und die Gegenaktionen gingen in unserem Bündnis eher von einem gemeinsamen Konsens aus als das üblicherweise der Fall ist.
Auf ermüdende Diskussionen zur sogenannten Gewaltfrage wurde verzichtet.
Diskussionen, die über das Anti-NPD-Faschisten-Gefühl hinauswiesen, fanden nicht statt.
Böse Zungen könnten leicht behaupten, die meisten Aktionen richteten sich gegen die NPD als solche – und eben nicht gegen die von ihr vertretene Politik.
In der Nachbereitung droht nun u.a. die Frage unterzugehen, welche tiefgreifenden Einschnitte das Versammlungsrecht an diesem Wochenende hinnehmen mußte.
Im Taumel um den Erfolg gingen die Fragen von Bürgerrechten, allgemeinen Freiheiten und der Bindung der Verwaltung und der Rechtssprechung an geltende Gesetze unter.
In der Auseinandersetzung des Staates mit den Nazis drohen wesentliche Elemente der Versammlungsrechtes in der Demonstrationspraxis abgeschafft zu werden.
Das kann nicht in unserem Interesse sein.
Der Blick auf den 11. Juni verweist also auf die breite gesellschaftliche Ebene, die sich nur scheinbar auf eine Auseinandersetzung zwischen uns und den Nazis reduziert. Vielmehr geht es um weit allgemeiner verhandelte Fragen wie die von Bürgerrechten, Rassismus und sozialer Gleichheit und den Anteilen an der Rechtsentwicklung, die die etablierte Politik zu verantworten hat. Vor dem Hintergrund unserer – verschieden gewerteten – Erfolge müssen wir für die Zukunft diskutieren, wie wir unsere Positionen stärker in die Öffentlichkeit bringen, unseren auf die NPD verengten Blick wieder weiten und diese Auseinandersetzungen miteinander verbinden.
Kasten
Zwischen 9.30 Uhr und 10.00 Uhr begann eine hessische BGS-Einheit damit, insgesamt 46 Menschen im "Nordpol" in Gewahrsam zu nehmen und vereinzelt denen Platzverweise auszusprechen, die lautstark dagegen protestierten. Die ersten "Gewahrsam-Genommenen" kamen ab 13.00 Uhr wieder frei, allen wurde ein Ermittlungsverfahren wegen "Sachbeschädigung" und "Nötigung" angekündigt. Was der Grund bzw. Anlass für die BGS-Einheit und ihr Vorgehen war, ist nach wie vor unklar, war doch die Mehrzahl der Betroffenen zum "Tatzeitpunkt" mit Aufräum- und Säuberungsarbeiten beschäftigt.Seit 13. Juni wird versucht, eine Liste aller Betroffenen zu erstellen, um eine gegenseitige Information und ein gemeinsames Vorgehen zu organisieren. Ein erster Schritt war die Veröffentlichung eines "Offenen Briefes" gegen die Gewahrsamname, um eine öffentliche Diskussion darüber zu führen. Da die Gefahr besteht, dass einige Betroffene mit höherem lokalen Bekanntheitsgrad im angekündigten Ermittlungsverfahren möglicherweise anders behandelt werden als andere und unbekanntere, soll der obengenannte Informationsaustausch genau dies verhindern helfen. Ziel ist, ein mögliches Ermittlungsverfahren von uns aus öffentlich zu führen, um so auch eine Diskussion über "Zivilcourage" und gegebenenfalls juristische Sanktionierung anzustoßen.