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(Süd-)Thüringen/Friedrichroda: Deutschland muss sterben, damit wir feiern können
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Eintragsdatum: 2016-11-17 — Quelle: AGST
Am vergangen Sonntag, den 13. November fand der alljährliche Volkstrauertag statt. Das war uns als Kampagne „Volkstrauertag abschaffen – Gegen NS-Verharmlosung, Naziaufmärsche und deutsche Opfermythen“ erneut Anlass, um zum einen gegen das „Heldengedenken“ der Nazis in Friedrichroda zu protestieren und zum anderen auf den geschichtsrevisionistischen Gehalt des Volkstrauertages als Ausdruck der deutsche Gedenkpolitik aufmerksam zu machen. In Schleusingen, Suhl und Zella-Mehlis wurden darüber hinaus einige Stätten des Gedenkens an gefallene deutsche Soldaten mit Farbe markiert.
Am Samstag, den 12. November fand im Rahmen der Kampagne gegen das zum Volkstrauertag herrschende Tanzverbot eine Tanzdemonstration durch Erfurt statt. Mit dieser sollte sich gegen das am Volkstrauertag herrschende Tanzverbot ausgesprochen werden, das Mittel zur Stiftung eines Kollektivs der deutschen Nation in dem gemeinsam begangenen „stillen Feiertag“ und seinen Gedenkveranstaltungen ist. Es bot eine Tanzdemo für die knapp über 80 Teilnehmer_innen einen angenehmen Rahmen, um die Kritik am Volkstrauertag bzw. der deutschen Gedenkpolitik zum Ausdruck zu bringen. So wurden über einen LKW und umrahmt von der Musik zweier DJs mehrere Redebeiträge verlesen. Neben der Problematisierung deutscher Gedenkpolitik, deren Inhalte ihr in der im letzten Jahr erschienen Broschüre nachlesen könnt, auf die hier nocheinmal verwiesen sei, gab es verschiedenen Redebeiträge. Unter anderem vom Infoladen Sabotnik zur Kritik des Nationalismus oder den zum Nachlesen empfohlenen Redebeitrag des Club Communism Jena „Es gibt kein Kommunismus, weil es Deutschland gibt“, dem auch die Überschrift dieses Textes entlehnt ist.
Am darauffolgenden Sonntag, dem Volkstrauertag, wurde in Friedrichroda gegen das nunmehr zum 14. Mal stattgefundenen zentrale „Heldengedenken“ der Nazis in Friedrichroda protestiert. Dem Aufruf zur Kundgebung in Eiseskälte mitten im Nirgendwo folgten etwa 30 Antifaschist_innen und noch weniger – aber immerhin eine Hand voll – Anwohner_innen des Ortes Friedrichroda. Jedes Jahr aufs neue wird hier auch die Ignoranz und schweigende Akzeptanz des Naziaufmarsches durch den Großteil der Bewohner_innen Friedrichrodas problematisiert. Das setzte die Stadt in den letzten Jahren immer mehr unter Druck, sich irgendiwe zum Naziaufmarsch und den Antifaprotesten zu verhalten. Die Kritik des Antifa-Bündnisses dabei ignorierend oder nicht verstehend, versucht man sich in Friedrichroda schon länger der Imagepflege mithilfe der Extremismusdoktrin, um sich von den Nazis einerseits, der als Nestbeschmutzer betrachteten Antifa andererseits abzugrenzen. (vgl. Alerta #3, S. 23ff.) So fand in diesem Jahr eine Demonstration unter dem schmissigen Motto: „Bürgerdemo gegen links und rechts“ mit etwa 40 Teilnehmern statt.
Da wo die jahrelange Ignoranz der Bevölkerung diverse Klein- und Großstädte schwer zu knacken ist, besteht kaum Ansatz für eine weiterreichende Kritik. Daraus die Konsequnz ziehend, dass es zumindest darum gehen muss, die allerorts vorwiegend nach innen wirkenden Kranzniederlegungen und Heldengedenken der Nazis zu stören, markierten Aktivist_innen die Stätten des Gedenkens an deutsche Täter in Schleusingen, Suhl und Zella-Mehlis mit Farbe. An jenen finden alljährlich auch von Stadt- und Gemeinde organisierte und von deren Anwohner_innen besuchte Gedenkveranstaltungen statt, in denen oft unwidersprochen den deutsche Tätern gedacht wird. Dass dabei das Versehen der Denkmäler mit Farbe im ersten Moment für allgemeine Empörung und Ablehnung sorgt, steht dem Anliegen solcher Aktionen nicht entgegen, zwingt es doch zur Auseinandersetzung mit der Intention der Urheber und kann so im besten Fall bei einigen, die sich sonst unwidersprochen einem Gedenken anschließen, das dem Chrakater nach relativistisch ist, Dissonanzen erzeugen. All jenen, die ihre ursprüngliche Empörung nicht in Nachdenken und Hinterfragen sublimieren wollen, vermag es zumindest den Tag vermiesen.
Mit den Vorwurf jener, die wir einluden, einen Redebetrag auf der Demo zu halten, die Veranstaltung sei dem Inhalt ebenso wie der Form nach „ekelhaft“, schier „unerträglich“, werden wir uns zeitnah auseinandersetzen. Langfristig halten wir es trotz überschaubarer Resonanz auf die diesjährigen Aktionen für sinnvoll, den Volkstrauertag zum Anlass zu nehmen, eine deutsche Gedenkpolitik zu kritisieren und durch Provokation und Kritik zum Nachdenken anzuregen. Wie und ob das im nächsten Jahr passieren wird, erfahrt ihr dann an dieser Stelle.
Südthüringen: Deutsche Täter sind keine Opfer
Jedes Jahr aufs Neue werden am Volkstrauertag Gedenkveranstaltungen an Soldatendenkmälern abgehalten um den gefallenen deutschen Soldaten zu gedenken. In Südthüringen wechseln sich die Vertreter von Städten und Gemeinden mit Neonazikameradschaften an den jeweiligen Denkmälern ab, um ihrer NS-Verharmlosung freien Lauf zu geben und den deutschen Opfermythos zu manifestieren. Deshalb wurden die Stätten der deutschen Täter in Schleusingen, Suhl und Zella-Mehlis mit Farbe markiert!
Die Geschichte des Volkstrauertages begann bereits in der Weimarer Republik. Im Jahr 1926 wurde der erste Volkstrauertag begangen, um den deutschen Gefallenen des Ersten Weltkriegs zu gedenken. Was damals schon seinen Zweck in einer mehr oder weniger intensiven Kriegshetze fand, trat zur Zeit des Nationalsozialismus offen zu Tage. Die Nazis begingen den Volkstrauertag als sogenanntes "Heldengedenken" und auch die heutigen Nazis knüpfen nicht nur begrifflich an diese Tradition an. Nach der militärischen Niederschlagung Nazideutschlands und dem Abbruch der Shoah durch die Anti-Hitler-Koalition wurde der Volkstrauertag in der alten Bundesrepublik wieder eingeführt. Heute soll ausdrücklich den Toten beider Weltkriege und den Opfern der Gewaltherrschaft aller Nationen gedacht, für Frieden, Versöhnung und Verständigung gemahnt werden. Jeder spezifische historische Charakter jener "Gewaltherrschaft[en]", die durchaus inzwischen auch den Staatskapitalismus der DDR einschließt, geht in einem solchen Gedenken verloren. Die deutschen Täter, die Millionen Menschen ausrotteten, stehen in einer Reihe mit den Mauertoten, den gefallenen Alliierten und den Opfern der Deutschen. Ein solches nivellierendes, also zwischen Opfern und Tätern nicht mehr unterscheidendes, Gedenken im Land der Täter ist für die politische Linke und für alle Menschen problematisch, die dafür eintreten, dass die Bedingungen der deutschen Barbarei, die Bedingungen des eliminatorischen Antisemitismus in diesem Land und weltweit beseitigt werden. Die gleichmachende deutsche Gedenkpolitik zum Volkstrauertag ist Ausdruck eines Bewusstseins, das die wirkliche Aufarbeitung des Nationalsozialismus ablehnt, verdrängt bzw. diesen überhaupt vergessen machen will. Sie bestätigt nur immer wieder den Satz Paul Spiegels, wonach sich hinter den Rufen nach Frieden die Mörder verschanzen. Eine solche Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit hätte u.a. die Kontinuität jener Bedingungen, die nach Auschwitz führten und die bis in die Gegenwart fortdauern, zu thematisieren und zum Gegenstand politischer Kämpfe zu machen. Im Sinne eines solchen antifaschistischen Kampfes ist ein Gedenken an die deutschen Täter nicht hinnehmbar. Wir gedenken den ermordeten Jüdinnen und Juden, den Kommunistinnen und Kommunisten, den Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern, den Sinti und Roma sowie all den anderen unzähligen Opfern, die aufgrund einer menschenverachtenden Ideologie ihr Leben lassen mussten. Wir gedenken auch den Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern, den Partisaninnen und Partisanen sowie den Soldatinnen und Soldaten der Anti-Hitler-Koalition. Für dieses Erinnern und Gedenken bedarf es keines Volkstrauertages, der im Begriff des Volkes ein Denken mitführt, das in Deutschland immer mit der Blut- und Bodenideologie verknüpft war, für welche Rassismus und Antisemitismus wesentliche Bestandteile sind. Eine Gemeinschaft, die auf Ausgrenzung basiert, lehnen wir ab. Wir kämpfen für ein solidarisches Miteinander aller Menschen, ungeachtet ihrer sexuellen Orientierung, Hautfarbe oder Herkunft, für eine Gesellschaft jenseits kapitalistischer Ausbeutung und Zurichtung.
Doch es reicht nicht nur die Stätten des deutschen Opfermythos mit pinker Farbe und Teer zu verschönern. Unsere Kritik an der deutschen Gedenkpolitik muss auf die Straße getragen werden!
Kommt am 13. November gegen das "Heldengedenken" in Friedrichroda (Landkreis Gotha) auf die Straße! Unterstützt die Antifa-Kundgebung um 16 Uhr gegenüber des REWE-Parkplatzes. Weiterhin findet am heutigen Samstag ab 18 Uhr eine Demonstration unter dem Motto "Ihr trauert, wir feiern! Gegen NS-Verharmlosung, Tanzverbot und deutsche Opfermythen!" in Erfurt statt. Für Infos besucht: volkstrauertag-abschaffen.tk
Arbeitskreis Tätermarkierung Rennsteig, November 2016
Quelle: linksunten.indymedia.org, 12. November 2016.
Fotos von der Kundgebung in Friedrichroda findet ihr bei Lionel C. Bendtner auf flickr.com.
/// Unterstützt die Antifaschistischen Gruppen in Südthüringen! /// antifa-sth@riseup.net /// agst.afaction.info ///