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Interview mit dem Bündnis „Volkstrauertag abschaffen!“

Eintragsdatum: 2016-11-07Quelle: sechel.it

Am kommenden Wochenende findet das alljährliche „Heldengedenken“ der Thüringer Neonazis am Volkstrauertag in Friedrichroda statt. Auf dem Blog sechel.it erschien ein Interview mit den Bündnis „Volkstrauertag abschaffen“, welches sich mit den vergangenen Protesten, der Kritik am Volkstrauertag und unseren diesjährigen Aktionen auseinandersetzt.

Seit mehreren Jahren zelebrieren Neonazis ihr so genanntes „Heldengedenken“ in der thüringischen Kleinstadt Friedrichroda am Volkstrauertag. Gegen diese revisionistische Veranstaltung regt sich seit 2009 Widerstand durch das antifaschistische Bündnis „Volkstrauertag abschaffen“. Doch nicht nur der Aufmarsch von etwa 100 Nazis aus sämtlichen Bundesländern steht in dessen Fokus. Auch der Volkstrauertag als Feiertag, ist Gegenstand der linksradikalen Kritik. Unser Autor Lionel C. Bendtner sprach mit den Bündnis über die vergangenen Proteste, warum der Volkstrauertag abgeschafft gehört und wie sie ihre Kritik in diesem Jahr an die Öffentlichkeit tragen wollen.

Sechel: Der Name eures Bündnisses „Volkstrauertag abschaffen!“ sagt schon einiges aus. Ihr wollt den Volkstrauertag abschaffen und kritisiert somit auch die deutsche Gedenkpolitik. Wie ist das zu verstehen und wie sieht eure Kritik daran aus?

Der erste Volkstrauertag wurde bereits im Jahre 1926 begangen, um den gefallenen Deutschen des ersten Weltkriegs zu gedenken. Im Nationalsozialismus wurde dieser Tag, wie auch heute von Neonazigruppen betitelt, von den Nazis als sogenanntes Heldengedenken begangen. Nach der Niederschlagung Deutschlands 1945 wurde der Volkstrauertag in der Bundesrepublik wieder eingeführt. Ziel war es seit jeher den Toten beider Weltkriegen zu gedenken. Es sollte für Versöhnung und Verständigung gemahnt werden und den Opfern der Gewaltherrschaft aller Nationen gedacht werden. Was hierbei jedoch verloren geht, ist der historisch spezifische Charakter der jeweiligen Gewaltherrschaften. Es werden somit die millionenfachen deutsche Massenmorde relativiert und die Shoa auf eine Stufe mit den Mauertoten gestellt. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus hat schließlich, durch eine Transformation der deutschen Gedenkpolitik, eine neue Ebene in den letzten Jahrzehnten erreicht. Während man jahrelang nicht darüber sprechen wollte, sämtliche Schuld von sich abwies und der gemeine Deutsche maximal ahnungsloses Opfer gewesen ist, ist man heute weiter. Was Eike Geisel als „Wiedergutwerdung der Deutschen“ beschrieb, fand Einzug in die Gedenkpolitik und wurde mit der „Versöhnung über den Gräbern“ am Volkstrauertag manifestiert. Den Deutschen ist mittlerweile klar, dass sie den NS nicht einfach übergehen können. Deutschland ist, gerade dank einer Fülle an Gedenkveranstaltungen, -orten und Geschichtsindustrie, zu ein Weltmeister der Vergangenheitsbewältigung geworden. Wenn deutsche Politiker wieder Auslandseinsätze begründen müssen, dann mit der Verantwortung die die Deutschen aus ihrer Vergangenheit übernommen hätten. Selbst aus der Auseinandersetzung mit der Shoah konnten die Deutschen Profit schlagen und sich moralisch überlegen fühlen. Eine Widerwertigkeit, die jegliche postnazistischen Kontinuitäten seit 1945 bis heute ausblendet. Unter anderem darum geht es eben auch, die deutsche Gedenkpoltik zu kritisieren, sowie zu demaskieren und auch 71 Jahre nach der Niederschlagung des nationalsozialistischen Deutschlands die postnazistische Kontinuität offenzulegen und zu kritisieren.

Sechel: Seit 2009 organisiert ihr regelmäßige Gegenveranstaltungen, die sich nicht nur auf eine Demonstration beschränken. Wie sahen eure Aktionen in der Vergangenheit aus?

Richtig. Im Jahr 2009 haben wir uns das erste Mal als Antifa-Bündnis mit der Thematik des Volkstrauertages auseinandergesetzt. Im Zuge des Naziaufmarsches haben wir uns auch mit dem revisionistischen Gehalt des Volkstrauertags an sich befasst und eine linksradikale Kritik daran formuliert. 2009 kam es neben dem Aufmarsch in Friedrichroda auch zu einem Fackelmarsch im nahe gelegenen Arnstadt. Dort haben wir eine Gegenkundgebung angemeldet und konnten den Aufmarsch durch eine Sitzblockade stören. Drei Jahre später, also 2012 organisierten wir ebenfalls eine Antifademo gegen den Fackelmarsch in Friedrichroda. 2013 tauchten im Vorfeld des Volkstrauertages in Friedrichroda noch Flyer auf, die sich auf satirische Weise mit der Bevölkerung Friedrichrodas auseinandersetzte. Denn diese akzeptierte das jährliche Treiben der Neonazis im Stillschweigen. Des Weiteren fand im Vorfeld eine Preisverleihung anlässlich der dortigen Ignoranz statt. Dazu kam eine öffentliche Preisübergabe, als Antifaschisten mit einer spontanen Kundgebung, einer Laudatio und einem goldenen Scheißhaufen aus Pappe den Friedrichrodaer Bürgern klar machen sollte das sie mit ihrer Ignoranz und stillschweigender Akzeptanz das Treiben der Nazis unterstützen. Eine Aktion die auch überregional mediale Wellen schlug. Vor zwei Jahren wurde anlässlich des Volkstrauertags das Denkmal, zu welchen die Nazis jedes Jahr pilgern, mit rosa Farbe verziert. Auch das damalige Bündnis für zeitgenössisches Desinteresse an deutschen Zuständen, kurz: BfzDadZ, beteiligte sich mit einer Flyeraktion [1][2]. Im vergangenen Jahr erstellten wir zusätzlich noch eine Broschüre, die sich mit unseren Protesten auseinandersetzt. Im Allgemeinen gab es neben dem Protest gegen den Naziaufmarsch also immer wieder Versuche, unsere Kritik am Volkstrauertag in die Öffentlichkeit zu tragen.

Sechel: An vielen Orten Thüringens kommt es bei Naziaufmärschen zu bürgerlichen Protestaktionen. Ist dem auch in Friedrichroda so? Was versucht die Gemeinde dem revisionistischen Aufmarsch entgegenzusetzen?

Friedrichroda steht für als Synonym für Ignoranz und stillschweigende Sympathie, was den jährlichen Naziaufmarsch in der Kleinstadt betrifft. Im vergangenen Jahr betitelte der hiesige Bürgermeister Klöppel den Aufmarsch sowie die antifaschistischen Proteste jeweils als Auflauf von Extremisten, die seinen Kurort heimsuchen und das Stadtimage beschmutzen würden. Hierbei bedient er sich dem Extremismusdoktrin, welche das Anliegen linker Aktionen auf eine Stufe mit den Zielen der barbarischen Neonazis stellt. Aus diesem Grund haben wir, wie vorhin kurz erwähnt, der Gemeinde während einer Spontankundgebung im Jahr 2013 den goldenen Scheißhaufen verliehen. Bürgerliche Anti-Nazi-Proteste gab es keine. Man hüllten sich in Schweigen und schaute tatenlos zu, wie Neonazis aus ganz Thüringen und anderen Bundesländern in gruseliger Atmosphäre ihr revisionistisches Ritual jährlich vollziehen. Erst als die Medien aufgrund der Antifa-Proteste 2013 dem kleinen Dorf mehr Aufmerksamkeit widmete, sah die Lokalpolitik den Ruf gefährdet. Schnell wollte man den Anschein erwecken, man wolle sich mit der Problematik auseinandersetzen. Was taten dann die Lokalpolitiker vom Dorf? Sie luden sich den Thüringer Verfassungsschutz ein, der wenige Jahre zuvor noch fleißig dabei half die Thüringer Neonazis des NSU beim Morden zu helfen und die Thüringer Naziszene bewusst förderte und aufbaute. Die Veranstaltung wurde damals von mehreren Antifaschisten gestört, wobei die Rolle des VS für Thüringer Naziszene in Form einer Rede sowie diversen Flugblättern deutlich gemacht wurde, sehr zum Ärger der Lokalpolitik und der anwesenden VS-Büttel.

Sechel: Was habt ihr getan, um eure Kritik auch über den Rand von Thüringen hinaus zu tragen?

Im letzten Jahr haben wir, wie bereits angerissen, eine umfangreiche Broschüre heraus gebracht. Diese setzt sich einerseits mit unserer Kritik am Volkstrauertag auseinander und andererseits gibt sie einen Überblick über vergangene Aktionen, die durch unser Bündnis organisiert wurden. Des Weiteren beinhaltet diese auch Texte zur deutschen Gedenkpolitik nach Auschwitz und wie die Gedenkarbeit in der DDR ausgesehen hat. Diese Broschüre findet ihr auf der Homepage sowie in den Infoläden in Arnstadt und Gotha. Gerne versenden wir auch auf Anfrage ein paar Exemplare. Schreibt uns einfach eine Mail.

Sechel: Das so genannte „Heldengedenken“ in Friedrichroda stellt für die Thüringer Neonaziszene die zentrale Gedenkveranstaltung im Freistaat dar. Jedoch gibt es viele kleinere solcher kruden Veranstaltungen. An welchen Orten werden sich die Neonazis noch versammeln?

Aktuell wissen wir, dass sich am Vorabend in Schleusingen scheinbar mehrere Dutzend Neonazis aus dem Umfeld des BZH versammeln wollen, um auch im Süden von Thüringens eine solche gruselige Veranstaltung durchzuführen. Dabei handelt es sich um eine lokale Neonazipartei, quasi ein Spaltprodukt der NPD, um den Nazikader Tommy Frenck. In den letzten Jahren waren sie auch auf der Schmücke am Rennsteig bei Oberhof. Es ist damit zu rechnen, dass sich im Vorfeld des Fackelmarsches überall dort Nazis einfinden werden, wo es ein Kriegerdenkmal gibt. In den letzten Jahren wurden es immer weniger und wir rechnen in Schleusingen selbst mit nicht mehr als 150 Neonazis. Dennoch, die Veranstaltungen über das Land verteilt, finden meist ohne Gegenveranstaltung und große Öffentlichkeit statt. Viele Naziaktionen werden erst einige Tage später bekannt, wenn überhaupt. Für die Nazis wirken solche Veranstaltungen nach innen, für die Szene und um sich der NS-Verherrlichung selbst zu bauchpinseln. Dort geht es nicht um ein bürgerliches Auftreten oder um übertriebene Militanz auf der Straße zu inszenieren. Die Nazis sind dort ganz in ihrer eigenen Welt und Gedenken denen, die bei dem Versuch scheiterten, die Juden in Europa endgültig zu vernichten. Beobachtet man eine solche Veranstaltung, sieht man nicht selten reihenweise heulende Nazis. Ein durchaus amüsantes und zu gleich verstörendes Bild.

Sechel: Auch in diesem Jahr wollt ihr eure Kritik am Volkstrauertag auf die Straße tragen und zum kritischen Hinterfragen anregen. Wie soll euch das in diesem Jahr gelingen?

In diesem Jahr wird es in einigen Thüringer Städten verschiedene Veranstaltungen geben. In Suhl haben wir bereits im Anschluss an die dortige Küfa einen Vortrag zur Kritik der deutschen Gedenkpolitik gehalten und mit den Menschen dort über das Thema diskutiert. Auch in Erfurt wird es einen solchen Vortrag geben. In Arnstadt, Gotha und Jena werden wir den den Dokumentarfilm „Triumph des guten Willens“ zeigen. Dieser setzt sich sich mit den Publikationen Eike Geisels auseinander, in dessen Fokus seine Kritik an der deutschen Erinnerungspolitik deutlich gemacht wird.

Am Samstag, den 12. November findet schließlich in Erfurt eine Nachttanzdemo statt, bevor wir am darauf folgenden Sonntag nach Friedrichroda fahren werden. In Erfurt werden wir uns um 18:00 Uhr am Bahnhofsvorplatz treffen um unter dem Motto „Ihr trauert, wir feiern! Gegen NS-Verharmlosung, Tanzverbot und deutsche Opfermythen!“ zur Musik der DJ’s Räubertochter und Jesper:K zum einen unsere Kritik auf die Straße zu tragen, sowie zum anderen den trauernden Deutschen ordentlich auf die Nerven zu gehen. In Friedrichroda haben wir am darauffolgenden Sonntag, den 13.November, eine Gegenkundgebung ab 16:00 direkt gegenüber des Nazitreffpunktes und unweit des Bahnhofs angemeldet.

Sechel: Mit gerade einmal 7500 EinwohnerInnen ist Friedrichroda nicht gerade eine Metropole und dort werden wohl kaum linke Strukturen vorhanden sein. Ihr sagtet, dass ihr am 13. November eine Gegenkundgebung organisiert. Wird es hierzu eine gemeinsame Anreise geben?

Es ist tatsächlich schwer aus den größeren Städten in Thüringen ins provinzielle Friedrichroda zu fahren. Da es ein weiter Weg ist, man am Ende noch tiefer im Feindesland steht, ist es nur ratsam gemeinsam anzureisen. Dabei ist es schon Tradition aus den größeren Städten gemeinsam mit dem Zug anzureisen. Nähere Informationen zu den Treffpunkten und Zugfahrzeiten findet ihr zur gegebenen Zeit auf volkstrauertag-abschaffen.tk.

Vielen Dank für das Interview.

Quelle: sechel.it, 5. November 2016.
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