Am vergangenen Wochenende organisierten Antifaschist_innen in Coburg wie jedes Jahr Widerstand gegen den Pfingstkongress studentischer Männerbünde, den Coburger Convent. Und wie jedes Jahr fuhren auch wieder Antifaschist_innen aus unserer Region zur Unterstützung nach Oberfranken. Zum Auftakt der antifaschistischen Demonstration am 23. Mai, die das Bayrische USK wie jedes Jahr wie einen Ausflug von Strafgefangenen im Wanderkessel durch Coburg manövrierte, hielt die Antifa Suhl/Zella-Mehlis einen Redebeitrag, den wir hier dokumentieren.
Liebe Genossinnen und Genossen,
während wir hier heute in Coburg gegen das Treffen reaktionärer studentischer Verbindungen demonstrieren, marschiert auf der anderen Seite der ehemaligen innerdeutschen Grenze ein ganz anderes Gruselkabinett auf. In Hildburghausen versammeln sich heute hunderte zum Äußersten bereite Neonazis zu einem Open Air Fest mit Rechtsrock, Hetze und Bier. Nur wenige hundert Meter davon entfernt befindet sich ein Flüchtlingsheim mit Menschen, die angesichts dieser Konstellation wieder mal um ihre Existenz fürchten müssen. Dass in der Frage des Schutzes weder auf die Thüringer Polizei noch auf den Landkreis Verlass ist, liegt daran, dass in Hildburghausen ähnliche Brutbedingungen für faschistische und protofaschistische Strukturen bestehen, wie in Coburg, wo man die Burschis im Rathaus empfängt, also schon ein Schrittchen weiter ist als in Hildburghausen.
Denn: Die Vorstellung, das Nazifest in Hildburghausen habe mit dem Burschifest in Coburg nichts zu tun, stimmt höchstens in informell-organisatorischer Hinsicht. Was die ideologischen Dispositionen, die Weltanschauungen der Akteure betrifft, sind Burschis und Nazis Teil der selben Bewegung, die potentiell in die Abschaffung der bürgerlichen Gesellschaft und die Wiedererrichtung eines autoritären, gerichteten Volksstaates bzw. der faschistischen Barbarei münden könnte. In Coburg treffen sich die protofaschistischen think tanks von morgen, die sich hier mind. einmal im Jahr wie der letzte Pöbel benehmen dürfen; in Hildburghausen feiert der militante Nazimob mit aus der ganzen Bundesrepublik angereisten Faschisten. Während man in Hildburghausen bereits frontal gegen die herrschende Ordnung mobil macht, gibt sich der CC als selbstverständlicher Teil des neuen Deutschlands; hat es, statt auf Umsturz, auf Einflussnahme im herrschenden Ordnungsgefüge durch die Mitglieder abgesehen. Welche Strategie die durchschlagende sein wird, hat Adorno bereits 1963 mit den Worten kommentiert, er halte das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie für potentiell bedrohlicher denn dem Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie. Aus dem Blickwinkel potentieller Betroffenengruppen ergänzen sich beide Strategien ganz gut, während die Burschis und ihre Organisationen und Seilschaften etwa daran arbeiten, die Bekämpfung der Armen institutionell durch Einflussnahme in Regierungshandeln zu verschärfen, jagen die Nazis Flüchtlinge auf der Straße vor sich her und schaffen Angsträume.
Nazis wie Burschis sind objektiv eine Gefahr für Menschen mit migrantischem oder linkem Hintergrund, für Menschen mit von der Mehrheitsgesellschaft abweichenden Lebensentwürfen. Ursächlich gegen solche Strukturen vorzugehen, heißt nun zunächst ihre Entstehungsbedingungen aus dem Schoß der bürgerlichen Gesellschaft heraus zu begreifen. Faschistischen und protofaschistischen Strukturen ist nicht beizukommen, indem man die regressivsten Elemente der Gesellschaft, also Nazis und Burschis, gegen ihre Keimform, die bürgerliche Ordnung ausspielt. In vielen Städten haben wir auf diesen Zusammenhang hingewiesen. Nirgendwo ist er so evident wie in Coburg und Hildburghausen, wo Burschis und Nazis vom bestehenden Establishment geradezu der Hof gemacht wird. Der Faschismus, den die Nazis ganz offen propagieren und den die Burschis auf dem Weg durch die Instanzen zu einem bestimmten Zeitpunkt bürgerlich-kapitalistischen Verfalls in Anschlag bringen werden, ist eine Option des bürgerlichen Kapitalismus, seine potentielle Krisenform und der Wunsch großer Teile der Bevölkerung nach einer starken Hand, die endlich wieder Ordnung im vermeintlichen Durcheinander des Finanzkapitalismus, in der Vielfalt und Undurchschaubarkeit bestehender Krisenherde herstellt, bezeugt genau das. Vor allem in der Krise kapitalistischer Akkumulation steht die Demokratie, die eigentlich keine ist und nie eine war, wenn man Demokratie und Mündigkeit zusammen denkt, zur Disposition, weil die von dieser Ordnung verblödeten und zugerichteten Menschen nach Halt, nach Rationalisierung bestehender Verwerfungen, nach Reduktion gesellschaftlicher Komplexität, nach Identifikation mit einer Schutz gebenden Gemeinschaft suchen. Die Gefahr eines faschistischen Wiedererstarkens geht nicht bloß von einigen, außerhalb der Naziwohlfühlzone Hildburghausen, marginalisierten Nazis aus, die erst dann im nationalen oder internationalen Maßstab gefährlich werden, wenn sie sich an die Spitze der Massen setzen; sie geht auch nicht allein von den Burschis aus, sondern die Gefahr geht von der bürgerlichen Gesellschaft in der bestehenden kapitalistischen Verkehrsform aus, die aus sich heraus den Faschismus als Option produziert, die Dauerkrise in ihren akuten Phasen zu bewältigen.
Umso krasser die gesellschaftlichen Widersprüche in der kritischen Bestandsaufnahme erscheinen, desto geschlossener scheint der ideologische Vorhang, der die Einzelnen vor der Erkenntnis schützt, dass sie Sklaven in einem System sind, das am Ende niemandem nützt und alle zerstört. Aufgabe antifaschistischer Gesellschaftskritik ist es diesen ideologischen Vorhang zu lüften und die Gesellschaft in ihrer Unmenschlichkeit und Unfreiheit bloßzustellen sowie die Kräfte zurückzudrängen, die noch schlimmeres im Sinn haben als das Bestehende. Anders ist die Hoffnung nicht zu bewahren, dass eines Tages doch noch alles ganz anders wird. Einer solchen emanzipatorischen Perspektive zu Ausbeutung und kapitalistischer Zerstörung der Welt stehen Burschis wie Nazis gleichermaßen im Weg und zumindest letztere befinden sich in den vergangenen Monaten zumindest in unserer Region stark im Aufwind, sodass wir diesen Beitrag mit einem Appell beschließen, der den hier anwesenden vielleicht – und das wäre schön – als Selbstverständlichkeit erscheint: Lasst uns gegen die reaktionären Tendenzen in dieser Gesellschaft zusammenstehen, uns organisieren, vernetzen und kämpfen!