Am 1. Mai sind in Saalfeld 600 Neonazis aus ganz Deutschland, Österreich und Tschechien durch die Stadt marschiert. Ein Bündnis aus Zivilgesellschaft und antifaschistischen Initiativen und Gruppen hatte zum Gegenprotest aufgerufen. Auf einer antifaschistischen Demonstration am Morgen des 1. Mai wurde der Redebeitrag der Antifa Suhl/Zella-Mehlis zur Notwendigkeit radikaler Gesellschaftskritik verlesen.
Für den heutigen 1. Mai wollen in Saalfeld mehrere Hundert Neonazis aus dem Spektrum der Kameradschaften, Freien Kräfte und des III. Wegs demonstrieren und eine Drohkulisse aufbauen, die sich gegen Flüchtlinge, Migranten und alle richtet, die sich außerhalb ihrer beschränkten Anschauungen befinden. Zwar geht diese Bedrohung bereits die anderen 364 Tage im Jahr von den Nazis aus, jedoch schließt sich am heutigen Tag der Mob aus ganz Deutschland zusammen und tritt gebündelt in der Kleinstadt auf. Es ist dabei einerseits wichtig und unterstützenswert sich am heutigen Tag den Nazis geschlossen entgegenzustellen und es zu versuchen ihrem Aufmarsch und den dahinter stehenden Strukturen es so schwer wie möglich zu machen. Dennoch darf es nicht bei der Bekämpfung der Nazistrukturen und ihrer Aktionen bleiben. Wer sich auf eine reine Antinaziarbeit beschränkt und dabei darauf hofft dem Problem Herr zu werden, der wird zwangsläufig gegen Windmühlen ankämpfen. Eine weitreichende Bekämpfung von Nazistrukturen schließt auch eine Auseinandersetzung mit den Ursachen ein, welche den Nährboden für die Nazis bilden. Für uns liegen diese Ursachen zur Entstehung von Nazistrukturen nicht etwa in individuellen Problemen und Befindlichkeiten der Nazis, wie fehlende Schulbildung oder eine schlechte Kindheit, sondern vielmehr in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, in der wir leben. Eine notwendige Voraussetzung der nachhaltigen Bekämpfung von Nazis ist es, sie als notwendiges Produkt dieser Gesellschaft zu betrachten und mittels Gesellschaftskritik gegen eben jene Verhältnisse vorzugehen. Die Nazis und deren Treiben sind nichts, was unabhängig von dieser Gesellschaft gedacht und verstanden werden kann.
Eine wirksame Bekämpfung der Nazis kann weder über die durchtrainierte Sportgruppe, noch über das Rufen nach der starken Hand des Staates erreicht werden. Für eine wirkliche Auseinandersetzung gilt es zum einen das Problem als eines aus dieser Gesellschaft resultierendes zu begreifen und zum anderen die Totalität der kapitalistischen Unterdrückungsmechanismen zu erkennen. Wer sich bei der Auseinandersetzung der Erkenntnis entzieht, dass die Nazis eine logische Konsequenz aus einer Ausbeutung und Armut reproduzierenden Gesellschaft sind, wird sich zwangsläufig bei regressiven Anschauungen wiederfinden und versuchen mit einer blinden Praxis sich jeglicher Auseinandersetzung mit der eigenen Ohnmacht gegenüber den herrschenden Verhältnissen zu entziehen. Dabei findet man sich schnell in Zirkeln wieder, die in ihren Ritualen des politischen Veganismus, der vermeintlich konsumfreien Abstinenz oder in der Erstürmung eines Gebäudes in Frankfurt den Weg aus den Verstrickungen dieser Gesellschaft sehen und so tun, als wäre die Welt eine bessere, würde man den Fortschritt boykottieren.
Wenn von den herrschenden Verhältnissen die Rede ist, die notwendigerweise Rassismus, Antisemitismus und andere Menschenfeindlichkeiten hervorbringen, spiegeln sich diese vor allem in den rassistischen Abschiebepraxen des Bundes und der Länder wieder, in der täglichen Zurichtung auf Arbeit, in der Schule, beim Studium oder bei der ausgeführten Einschränkung durch staatliche Behörden und Instanzen. Jedoch werden diese Verhältnisse und die resultierende Menschenfeindlichkeit nicht etwa durch eine bunte oder weltoffene Stadt oder ein Land und schon gar nicht durch die vielseitig beschworene 'Demokratie' verhindert. Viel mehr trägt die vorherrschende Demokratie zur Verteidigung der Verhältnisse bei. Die Demokratie dient in einer unfreien Gesellschaft lediglich als Verblendung dafür, dass die Herrschaft, unter der man lebt, nichts mehr mit Selbstbestimmung oder Mündigkeit zu tun hat. Es muss daher ein wichtiger Schritt sein, sich nicht hinter das Abfeiern der Demokratie zu verschanzen und eine Abwehrhaltung gegenüber Nazis einzunehmen, ohne wirklich zu wissen was deren Anschauungen bedeuten und woher diese resultieren.
Wenn sich Saalfeld heute also 'querstellt', wie es das Motto dieser heutigen Demonstration ist, dann wohl kaum, weil sich der Großteil der Akteure oder gar der Saalfelder Bevölkerung nicht in einer solchen Auseinandersetzung mit den Anschauungen der Nazis oder der Verhältnisse steht, sondern vielmehr zum Zwecke einer öffentlichkeitswirksamer Abwehrreaktion. Eine Abwehrreaktion, die darauf zielt, das Image dieser Stadt zu verteidigen und sich möglichst breit in einem Bündnis zu präsentieren, stellt eher Standortpolitik dar, die sich weniger an gewaltorientierten Neonazishorden stört, als an dem möglichen Imageschaden für das sich geläutert gebende Deutschland.
Würde es bei dem hier aufrufenden Parteien und Gewerkschaften um eine kritische Betrachtung dieser Gesellschaft gehen, dann würden die Vertreter von SPD, über Grüne bis zur Linkspartei, von DGB bis zur IG Metall feststellen, dass ihre rassistische Politik der Abschiebungen, der Verschärfung der sozialen Absicherungen, ihr propagierter Arbeitsfetisch oder die Zementierung von Ausbeutung, Verdinglichung und Entfremdung genau dem entgegenstehen, was sie sich heute auf die Fahnen geschrieben haben. Denn mit einer „weltoffenen, vielfältigen und solidarischen Gesellschaft“ wie sie hier heute gefordert wird, hat das nichts zu tun. Wenn eines hilft, um gegen die Unterdrückungsverhältnisse vorzugehen, dann ist es nicht die blinde Praxis gegen Nazis oder andere Auswüchse der kapitalistischen Gesellschaft, sondern viel mehr die vernünftige Theorie, die sich in eine vernünftige Praxis übersetzen lässt. Für uns bedeutet es, die Erkenntnis darüber, dass Nazis ein Produkt dieser Gesellschaft sind, dies in eine Theorie und Praxis zu bringen, die das Ziel hat, eben jene Ausbeutungsverhältnisse zu überwinden und den Verein freier Menschen, wie es Marx nannte, zu erkämpfen. Der Weg dahin kann über das Vorantreiben des kritischen Bewusstsein durch die radikale Linke, auch innerhalb solcher Bündnisse, wie es heute hier versammelt ist, geschehen, statt sich darauf einzuschießen den einzelnen Produkten der herrschenden Verhältnisse hinterher zu rennen und diese vermeintlich zu bekämpfen, was im schlimmsten Fall eine Standortverteidigung irgend eines Kaffs oder gar die Verteidigung Deutschlands bedeutet. Was die Antifa Arnstadt-Ilmenau bereits vor knapp 3 Jahren in ihrem Redebeitrag in Saalfeld anmerkte, ist auch heute nicht anders: „Wir wollen kein besseres, kein geläutertes, kein nazifreies Deutschland, wir wollen, dass Deutschland endlich aufhört.“