Antifaschistische Gruppen Südthüringen

Antifaschistische Gruppen Südthüringen

News
Ueber uns
Archiv
Dates
Chronik
Texte
Kontakt
Links
Mitmachen
Naziangriffe melden





Facebook

RSS


Because we are friends

Für aktuelle News checkt bitte unseren neuen Blog!


Ilmenau: Netzwerk hilft Flüchtlingen

Eintragsdatum: 2015-03-07Quelle: Antifa Arnstadt-Ilmenau

Abseits des von SÜGIDA und Co. gestreuten Hasses gegen Flüchtlinge gibt es Initiativen und Netzwerke, die praktische Hilfe für Geflüchtete organisieren. Nicht nur in Erfurt, wo Aktivisten eine Abschiebung verhinderten, sondern auch im südthüringischen Ilmenau gibt es inzwischen ein Netzwerk, das praktische Hilfestellungen leistet. Wir dokumentieren einen Bericht aus der Thüringer Allgemeinen.

Knapp 200 Freiwillige erleichtern Flüchtlingen in Ilmenau den Alltag

Ilmenau. Wie sich Bürger in Ilmenau zusammenfanden, um Flüchtlinge auf ihren ersten Schritten in den fremden Alltag zu begleiten.

Für den ersten Besuch hatte sich Ursula Weisgerber-Schaaf gründlich vorbereitet. Am Computer hat sie Bilder ausgedruckt und den städtischen Busfahrplan, sie hat ein Wörterbuch eingepackt und ein paar Plüschtiere. Dann klingelte sie an der fremden Tür.

Guten Tag, ich bin Ihre Patin.

Das war, sagt sie, schon ein mulmiges Gefühl. Wie wird man sich verstehen, auf welche Fragen wird man stoßen. Eine Familie aus Albanien, fünf Kinder, das älteste sechs Jahre - mehr wusste sie nicht.

Ein paar Brocken Englisch, der Rest der Verständigung mit Händen und Füßen, erinnert sie sich lachend. Wenn man will, geht alles.

Das war im Dezember. Inzwischen sprechen sie und Bärbel Dittmann von "unseren Kindern". Die beiden Frauen teilen sich die Patenschaft. Sie haben der Familie die Stadt gezeigt, erklärt, in welchen Geschäften es nicht so teuer ist und wo es Spielplätze für die Kinder gibt. Einmal begleitete Ursula Weisgerber-Schaaf die Eltern bei einem längeren Weg in der Stadt, da passte Bärbel Dittmann auf die fünf Kinder auf.

Es fällt schwer, all die Details dieser Hilfe aufzuzählen. Man könnte auch einfach sagen: Sie sind für die Familie da. Meist geplant, manchmal auch schnell auf Zuruf.

Zum Beispiel als jener besorgte Anruf kam. Sie hätten da einen Brief von einer Behörde bekommen, den sie nicht verstehen und ob es "das Amt" sei - die Ausländerbehörde. Die Aufregung galt, wie sich herausstellte, einem Schreiben von der GEZ. Sie haben die Familie beruhigt und erklärt, was Rundfunkgebühren sind. Gerade sind sie dabei, die Dokumente der Familie zu scannen und für den Computer zu sichern.

Ursula Weisgerber-Schaaf und Bärbel Dittmann sind zwei von etwa 100 Paten, die in Ilmenau Flüchtlinge betreuen.

Begonnen hatte alles im Sommer, als es hieß: Flüchtlinge kommen nach Ilmenau. Am Anfang waren es Studenten der Technischen Universität, die sich überlegten, was man für die Neuankömmlinge tun könnte, erinnert sich Stephanie Reiß.

Die behördlichen Hilfsstrukturen sind das eine. Doch es sei, sagt sie, doch klar, dass kein Amt auf die individuellen Bedürfnisse eines einzelnen Flüchtlings eingeht. Nicht so, wie es jemand braucht, den das Schicksal in ein fremdes Land verschlägt. Dessen Sprache er nicht versteht und dessen Alltag für ihn ein großer weißer Fleck ist. Der dunkle Erinnerungen im Rücken hat und für den schon das Ausfüllen eines behördlichen Fragebogens eine Herausforderung ist.

Willkommenskultur ist ja ein großes Wort. Wirklich lebbar ist sie nicht von Amts wegen. Sondern nur so: von Mensch zu Mensch.

"Wir waren uns schnell einig, dass wir die Stadt einbeziehen wollten", sagt Stephanie Reiß. Sie ist Doktorandin in der Universität und gehört zu den Initiatoren des Netzwerkes und Patin für eine Familie ist sie auch.

Etwa 200 Ilmenauer gehören zum Netzwerk

Sie waren, erinnert sie sich, überrascht, wie viele Menschen sich meldeten, als in der Lokalzeitung die ersten Artikel über das Vorhaben erschienen. Ärzte waren darunter, Hausfrauen, Studenten, Angestellte, Vereinsmitglieder. Ilmenauer eben.

Als im November die ersten Flüchtlinge kamen, war das Hilfsnetz schon geknüpft. Sie haben mit den Ankömmlingen einen Adventsspaziergang durch die Stadt gemacht, sie haben zusammen Plätzchen gebacken, sie haben den Flüchtlingen vor allem dieses Angebot machen können: Wir sind da, wenn ihr Hilfe braucht. Nicht irgendwie, sondern konkret. Mit Telefonnummern, Adressen.

Das Netzwerk ist gut organisiert. Es gibt Arbeitsgruppen für jeden Lebensbereich, der für die Flüchtlinge wichtig ist. Schule, Medizin, Sprache, Spenden, Freizeit. Um das Übersetzen kümmern sich zum Beispiel viele Studenten der Universität, ausländische Kommilitonen helfen mit Arabisch aus. Inzwischen, schätzt Stephanie Reiß, sind es etwa 200 Helfer, auf die man zurückgreifen kann. Der große Kreis ermöglicht schnelle Hilfe, weil sie auf breiten Schultern verteilt ist. "Wir machen das ja alle ehrenamtlich", bemerkt Stephanie Reiß.

Als am vergangenen Wochenende die erste Flüchtlingsfamilie ihre eigene Wohnung bezog, packten vier Ilmenauer mit an. Eine E-Mail, ein schnelles Telefonat - die Kommunikationswege sind kurz.

In der Ilmenauer Schule, in der derzeit die meisten Flüchtlingskinder lernen, unterstützen Helfer die Lehrer bei der Nachmittagsbetreuung.

Das kann natürlich nur eine Übergangslösung sein, weiß Stephanie Reiß. Doch sie weiß eben auch, dass es für eine Schule eine Herausforderung ist, plötzlich sieben neue Schüler in den Klassenräumen zu haben, die kaum ein deutsches Wort können. Sie brauchen besondere Aufmerksamkeit und die anderen Kinder sollen dabei auch nicht zu kurz kommen.

Die Ämter der Stadt sind bei diesen Hilfen einbezogen. Anders ginge es nicht.

Doch manchmal müssen die Helfer auch eingreifen, wenn ein Amt etwas unbekümmert mit den Belangen der Flüchtlinge umgeht. Da war zum Beispiel dieser Termin, den die Außenstelle des Bundesamtes für Migration der albanischen Familie mitteilte: Montagmorgen, 6.45 Uhr in Hermsdorf. Wie soll, fragt Ursula Weisgerber-Schaaf, eine Familie mit fünf kleinen Kindern das von Ilmenau aus mit Bus und Bahn schaffen? Sie hätten am Vorabend anreisen müssen, um pünktlich zu sein. Und der Termin in der Außenstelle war wichtig, keiner von denen, zu denen ein Flüchtling zu spät kommt.

Ursula Weisgerber-Schaaf telefonierte mit der Behörde, erreichte eine Verlegung um drei Stunden. Dann fand sich sogar einen Ilmenauer, der die Familie mit seinem Auto nach Hermsdorf fuhr, wartete und wieder nach Hause brachte.

Er hatte dafür einen Urlaubstag geopfert. Ohne viel Worte. Auch so etwas gibt es.

Jede Familie hat einen Paten gefunden

Mittlerweile hat jede der derzeit 21 Flüchtlingsfamilien Paten. Wenn man Ursula Weisgerber-Schaaf fragt, warum sie das alles tut, erzählt sie von dem Jahr, das sie mit ihrem Mann in Israel verbracht hat. Da hatten sie eine Wohnung, eine Arbeit, geordnete Strukturen. Und trotzdem waren sie froh, Menschen zu finden, die ihnen ihre Freundschaft anboten.

Sie weiß, sagt sie, wie es sich anfühlt, plötzlich in einem fremden Alltag zu stehen.

Außerdem ist so eine Patenschaft keine Einseitigkeit. Bärbel Dittmann, die sich beim Netzwerk meldete, weil sie seit Dezember im Ruhestand ist und gern etwas Sinnvolles tun wollte, erzählt, wie erfüllend sie diese Hilfe erlebt. Du erfährst, sagt sie, viel von anderen Schicksalen in anderen Leben. Erfahrungen, die sonst unzugänglich bleiben. Du wächst an den Aufgaben, sagt sie. Und sie erlebt ihre eigene Stadt mit anderen Augen.

Erlebnisse wie jenes in einem Ilmenauer Schuhgeschäft. Die älteste Tochter brauchte dringend Winterschuhe, aber das Paar, dass ihr passte, war zu teuer für das Budget der Familie. Da legten die Verkäuferinnen kurzentschlossen zusammen und zahlten die Differenz.

So etwas zu erleben, sagt Bärbel Dittmann, ist ein beglückendes Gefühl.

Thoumama Hadidi und seine Familie gehören zu den ersten Flüchtlingen, die in Ilmenau ankamen. Die syrische Familie stammt aus der Nähe von Damaskus. In der Heimat hat er als Anwalt gearbeitet. Wirtschaft und Auslandskontakte, ein gefragter Mann.

Der Krieg hat die Familie vertrieben. Mit einem Fischerboot kamen sie über das Mittelmeer. 250 Menschen, Flüchtlinge aus Syrien, Palästina, Afghanistan.

Er will, was hinter ihm liegt, vergessen. Das ist natürlich ein unerfüllbarer Wunsch. Doch die Menschen, die ihm hier ihre Hand reichten, haben ihm und der Familie diesen Neuanfang leichter gemacht.

Sie haben ihre Herzen geöffnet, ihre Zeit gegeben für ein Lächeln. So sagt er es.

Die Behörden haben inzwischen über den Asylantrag der Familie entschieden. Sie könnten in eine Großstadt ziehen, irgendwo in Deutschland.

Sie haben sich entschieden. Für Ilmenau.

Kontakt:

Wer Flüchtlinge oder Flüchtlingsfamilien mit einer Patenschaft oder anderer Hilfe unterstützen möchte, wendet sich bitte werktags 8 bis 19 Uhr an unsere Telefonnummer (0361) 2 27 51 34 oder per E-Mail an die Adresse: service@thueringer-allgemeine.de

Quelle: http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/leben/detail/-/specific/Knapp-200-Freiwillige-erleichtern-Fluechtlingen-in-Ilmenau-den-Alltag-164406627
Antifaschistische Gruppe Südthüringen