Antifaschistische Gruppen Südthüringen

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Friedrichroda/Gotha: Kampagne gegen Nazis und deutsche Gedenkpolitik – ein Fazit

Eintragsdatum: 2014-11-27Quelle: Antifa Suhl/Zella-Mehlis

Nach 2009, 2012 und 2013 organisierte auch in diesem Jahr ein Bündnis von Antifa-Gruppen aus Gotha und Südthüringen im Vorfeld des Volkstrauertages und zum Volkstrauertag selbst Aktionen gegen den Naziaufmarsch in Friedrichroda und die Bedingungen dieses Aufmarsches überhaupt. Die Stadt Friedrichroda läutete in diesem Jahr endgültig den Strategiewechsel weg von der jahrelangen Politik der Ignoranz ein – allerdings ohne von der Verharmlosung des Nationalsozialismus abzuweichen.

Strategiewechsel in öffentlicher Berichterstattung und Stadtpolitik

Mehr als zehn Jahre haben Presse, verantwortliche Politik und Stadtbevölkerung in Friedrichroda geschwiegen und die Nazis ohne weitere Beachtung oder mit heimlicher Sympathie (genau wissen wir das nicht) laufen lassen. Nachdem im vergangenen Jahr durch die Aktionen des Antifa-Bündnisses diese Strategie nicht mehr ohne größere Imageschäden zu verkraften war und bröckelte, ist sie im Jahr 2014 vollständig verworfen worden. Die Lokalpresse berichtete Tage vor dem Aufmarsch in Friedrichroda sowohl über die Aktionen des Antifa-Bündnisses wie auch über die bürgerlichen Protestregungen. Letztere fielen zwar verhalten aus, aber, was ihre inhaltliche Stoßrichtung anging, waren sie von langer Hand vorbereitet. Bereits im Februar hatten sich Bürgermeister Klöppel und der Friedrichrodaer Stadtrat das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz eingeladen, um sich von den wichtigsten Helfern der NSU-Mörderbande erklären zu lassen, durch welches Vorgehen man sich die Nazis und die Nestbeschmutzer von der Antifa wirkungsvoll vom Hals halten könne. Es wurde also die Extremismus-Doktrin bemüht und der antifaschistische Protest mit dem Treiben der Nazis auf eine Stufe gestellt – soweit war man schon im Vorjahr. Gegen solche, wie es im Jargon des Antikommunismus heißt, "Extremisten" sollten sich die Bürger Friedrichrodas rote Karten in die Fenster hängen. Soviel sei vorab gesagt: Von dieser Aktion bemerkte man gar nichts. Rote Karten waren im Stadtbild nicht zu finden. Auf Bemühen zivilgesellschaftlicher Kräfte aus dem Landkreis Gotha und ganz Thüringen kam auch ein Aufruf zustande, der zur Beteiligung am Protest gegen die Nazis aufrief. Dieser wurde von Bürgermeister Klöppel höchstpersönlich zensiert und unterschrieben, was bei uns als Antifa-Bündnis auf Verwirrung stieß. Schließlich rief der Bürgermeister, dem es um die Diffamierung von vermeintlichem "Extremismus" ging, zur Kundgebung der "linksextremen" Antifa auf, die sich prompt zum Sachverhalt äußerte.

Aktionswoche

Das Antifa-Bündnis Gotha rief in der Woche vor dem Volkstrauertag zur Aktionswoche auf und veranstaltete mehrere Vortrags- und Infoveranstaltungen, auch außerhalb des Gothaer Landkreises. Wie schon im Vorjahr lag ein Schwerpunkt der Antifa-Kampagne auf der inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Vergangenheitsbewältigung in den Nachfolgestaaten des Nationalsozialismus. Auch andere als die unmittelbar in die Vorbereitung involvierten Aktivist_innen verstanden den Aufruf zur Aktionswoche als Gelegenheit und Aufforderung aktiv zu werden. Herausragendstes Beispiel, neben allerlei kleineren und größeren Plakatieraktionen, ist die Aufhübschung des Vaterland-Denkmals in Friedrichroda mit rosa Farbe. Die Dorfgemeinschaft kochte vor Wut und überlegt sich zusammen mit ihren Nazis schon Strafmaßnahmen für potentiell in Frage kommende Täter. Der Anmelder der Nazidemo, Marco Zint, sprach über Facebook schon offene Drohungen gegen das antifaschistische Hausprojekt des Juwel e.V. in Gotha aus und der in herausragender Weise widerliche NPD-Nazi Mario Lehner aus Hörselgau gab einen Einblick in die Gedankenwelt potentieller Mörder. Auf Facebook schlägt Lehner vor: "Die ehrlosen Dreckschweine gehören zerhäckselt und zusammen mit der Gülle auf den Acker ausgebracht."

Ebenfalls im Rahmen der Aktionswoche wurde in Friedrichroda ein Flugblatt an die Haushalte verteilt, das die Gründung einer Bürgerinitiative für zeitgenössisches Desinteresse an deutschen Zuständen verkündete und in satirischer Form die Haltung der Bevölkerung Friedrichrodas zum Naziaufmarsch und zu gesellschaftspolitoschen Themen überhaupt persiflierte. Kern der Aktionswoche waren allerdings die beiden Protestveranstaltungen am Samstag und Sonntag.

Antifa-Demo am 15. November in Gotha

Kurz nach 17 Uhr startete die antifaschistische Vorabenddemo vom Bahnhof durch die Gothaer Innenstadt. Während des Laufens gab es Live-Musik von Björn Peng und Aika Akakomowitsch. Zur Auftaktkundgebung sprach neben einer Vertreterin des Antifa-Bündnis Gotha, die Vorsitzende des Thüringer Verbandes der Verfolgten des Naziregimes / Bund der AntifaschistInnen (TVVdN/BdA), Elke Pudszuhn. Zwischenkundgebungen gab es vor dem Rathaus, dort sprach Madeleine Henfling von der Thüringer Bürgerbündnis-Vernetzung und ein Vertreter der Antifa Gotha, und am Neumarkt, wo jemand von uns sprach. Die Beteiligung außerhalb der autonomen Antifa-Szene aus dem näheren Umkreis Gothas fiel bescheiden aus. Großes Interesse daran, eine radikale Kritik deutscher Gedenkpolitik am Vorabend des Volkstrauertages auf die Straße zu tragen, bestand nicht. Vielleicht ist eine Demo auch der falsche Ort solcher Auseinandersetzungen. Immerhin tanzten einige dutzend Antifas bei hervorragenden Soundverhältnissen durch Gothas Innenstadt gegen Nazis, deutsche Opfermythen und das wenige Stunden später einsetzende Tanzverbot, das während des Volkstrauertages gilt. Begleitet wurde die Demonstration von mehreren Mannschaftswagen der Thüringer Polizei. Glücklicherweise gab es trotz einem Betreuungsverhältnis von etwa eins-zu-eins keine größeren Stressereien durch die Staatsmacht.

Antifa-Kundgebung am 16. November in Friedrichroda

Das Interesse, gegen den Naziaufmarsch und die städtische NS-Verharmlosung zu protestieren, war am Volkstrauertag und in Friedrichroda selber schon größer als noch am Abend zuvor in Gotha. An der Kundgebung beteiligten sich neben den Antifas auch Vertreter linker Parteien und der Gewerkschaften. Besondere Härte bewies Friedrichrodas Bürgermeister Thomas Klöppel, der mit ein paar Kollegen tatsächlich, wie angekündigt, an der Antifa-Kundgebung als Zuhörer teilnahm und sich eineinhalb Stunden antifaschistische Kritik an seiner eigenen Politik und Ideologie anhörte. Auf der Kundgebung war neben den Redebiträgen des Vortages noch ein Redebeitrag zur Situation in Friedrichroda und einer zur kritischen Auseinandersetzung mit der Extremismusdoktrin zu hören sowie ein kurzes Statement der Landtagsabgeordneten der Partei "Die Linke", Johanna Scheringer-Wright. Außerdem wurde ein anonym zugegangenes Schreiben verlesen, das wohl von den Aktivist_innen stammt, die das hässliche Vaterland-Denkmal verschönerten und den Nazis einen farbigen Empfang bereiteten. Diese Nazis marschierten mit etwa 140 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu ihrem rosa Denkmal und hielten das "Heldengedenken" ab.


Mit dem Bekenntnis der Stadt Friedrichroda und der Thüringer Zivilgesellschaft künftig mehr gegen den Aufmarsch unternehmen zu wollen kommt am Volkstrauertag nun ein weiterer Akteur ins Ignorantenstadl am Waldesrand hinzu. 2015 kann kommen.

Bilder



































Satire




Redebeiträge

Meine (Elke Pudszuhns) Gedanken zum sogenannten Volkstrauertag

Man muss schon in die Geschichte dieses Tages schauen, um deren Werdegang zu begreifen. 1926 für kapitalistische Interessen geopferte Soldaten auf den Schlachtfeldern des 1. Weltkrieges ins Leben gerufen, war dieser Tag in der Weimarer Republik nie ein gesetzlicher Feiertag. 1934 wurde der Tag zum Heldengedenktag umbenannt und ab 1939 dem Tag der Wiedereinführung der Wehrpflicht am 16. März begangen. Ab 1952 findet in Abgrenzung zum Heldengedenktag aus der Nazizeit, der sogenannte Volkstrauertag in der alten Bundesrepublik am Ende des Kirchenjahres im November statt. In der DDR wurde dieser Tag nie begannen, aus gutem Grunde.

Nun wird seit 1990 der „Toten zweier Weltkriege an den Fronten und in der Heimat und an die Opfer der Gewaltherrschaften aller Nationen“ gedacht. Wo keine alten Kriegerdenkmäler auf dem Gebiet der ehemaligen DDR bestanden, wurden neue in den Orten errichtet, um auch der „Opfer der DDR und des Stalinismus“ am sogenannten Volkstrauertag zu gedenken. Und man bezieht in den Reden bereits die für deutsche Interessen umgekommenen Bundeswehrsoldaten ein, aber nicht die, die durch deutsche Beteiligung an den Kriegen in der Welt umgekommene Zivilbevölkerung, darunter viele unschuldige Kinder.

Nun wird bei Potsdam ein neuer Gedenkplatz für „gefallene“ Bundeswehrsoldaten, es sind seit 1990 100, die meisten in Afghanistan umgekommen, geschaffen. Die Verwischung der Grenzen zwischen Opfer und Täter-innen, der verharmlosende Vergleich von DDR und Naziregime sollen Ursache und Wirkung von Krieg und Völkermord verschleiern. Gedenken ist allgegenwärtig und während das Erinnern an Ereignisse der Geschichte genau diese lebendig erhalten und sich durch Analyse des Vergangenen Perspektiven für das Kommende ergeben können, wird innerhalb der offiziellen Gedenkpolitik häufiger Geschichte an das bestehende angepasst, als an sie erinnert und kritisch reflektiert. Die Deutung über die Geschichte ist ein wichtiges Element herrschender Politik.

Geschichtsdeutungen und -politik ist aber auch ein Feld, dessen sich traditionell auch Nazis annehmen. Neben dem Volkstrauertag ist es besonders der 13. Februar in Dresden, an dem ein „Trauermarsch“ stattfindet, mit dem die Nazis der Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg gedenken. Der bürgerliche Protest dagegen versteht sich zwar als antifaschistisch, unterstützt aber dennoch den Opfermythos. Diese Deutung der Geschichte ist Ausdruck kollektiver Erinnerungspolitik, die durch ein breites bürgerliches Spektrum getragen wird, während linke antifaschistische Proteste jedes Jahr starker Repressionen ausgesetzt sind. Das zeigen die Prozesse gegen Pfarrer König aus Jena, Terra und Heiner Fink aus Berlin oder gegen Bodo Ramelow.

Meine Solidarität gilt allen antifaschistischen Kämpfern im Hier und Heute. Anlässlich des dritten Jahrestages der Enttarnung der rechten Terrorgruppe NSU am 4. November 2011 in Eisenach forderte ich in einer Presseerklärung die Landesregierung auf, endlich konkrete Schritte für die Errichtung eines Gedenkortes für die Opfer des NSU zu unternehmen. Es ist beschämend, dass auch drei Jahre nach dem Auffliegen des NSU in Thüringen noch immer kein Gedenkort für die Opfer des NSU existiert. In anderen Bundesländern gibt es bereits Denkmäler, teils wurden sogar Straßen und Plätze nach Opfern der Nazi-Mörder benannt. Doch in Thüringen, dem Entstehungsort des NSU gibt es seitens der CDU geführten Landesregierung bisher nicht mal konkrete Pläne für einen Gedenkort an die Opfer. Es wird Zeit, dass etwas geschieht! Eine neue Landesregierung muss umgehend aktiv werden, um auch hier einen Ort zu schaffen, der an die Opfer des Terrors und an die Mitverantwortung der Thüringer Politik und Behörden erinnert.

Aufklärung und Erinnern gehören zusammen. Im kommenden Jahr beginnt das offizielle Gedenken am 27. Januar mit dem Tag der Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Armee vor 70 Jahren und setzt sich fort mit dem Erinnern an die Befreiung der Städte und Dörfer in Deutschland sowie der Befreiung der Häftlinge aus den KZ`s, Zuchthäusern und Gefängnissen bis hin zum 8. Mai. Würden die Abgeordneten des Bundestages endlich den 8. Mai als Tag der Befreiung als gesetzlichen Gedenktag einführen, könnte der verlogene Volkstrauertag wegfallen. Am 8. Mai, dem Tag der Befreiung Europas von der Barbarei, gedenken wir der Opfer des Faschismus: das ist der Tag, an dem wir uns tief verneigen vor den Soldaten der Anti-Hitler-Koalition, vor den Partisanenund Kämpfern des illegalen Widerstandes, vor den Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen und Wehrmachtsdeserteuren. An dem wir uns ehrfurchtsvoll verneigen vor den 11 Millionen in den KZ`s, Zuchthäusern und Folterkammern der Gestapo bestialisch Ermordeten, vor jenen, welche die Hölle überlebten und am 8. Mai schworen:
NIE WIEDER FASCHISMUS – NIE WIEDER KRIEG!

An dem wir uns in besonderer Dankbarkeit verneigen vor dem sowjetischen Volk und seiner Roten Armee- vor dem Land, das die Hauptlast bei der Zerschlagung des Faschismus trug, an dem wir unsere unbeschreibliche Abscheu vor dem Rassenwahn der Nazis, dem 6 Millionen Juden und 600000 Sinti und Roma zum Opfer fielen, und wir vergessen nicht die Missbrauchten: nicht jene,die Hitler hinterher liefen, ihn zumindest tolerierten und die – ihm dienend – für deutsche Kapitalinteressen krepierten. 6 Millionen Deutsche fielen oder starben im Bombenhagel oder auf der Flucht.

Doch erinnern allein genügt nicht, wir müssen mit Brechts Worten sagen: „Der Schoss ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“! Deshalb treten wir weiterhin für die Erfüllung des Schwurs ein, den die Überlebenden am 19.4.1945 auf der Totenfeier des selbst befreiten KZ Buchenwald leisteten: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel“.

Ich lade euch heute schon ein, am 11./12. April 2015 an den Befreiungsveranstaltungen und Begegnungen mit Zeitzeugen teilzunehmen und den Schwur zu erneuern. Das sind wir allen Ermordeten und Geschundenen schuldig; alles zu tun, ihren Kampf für eine friedliche Welt fortzusetzen und gegen Neonazismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Völkerhass einzustehen.

Redebeitrag der Antifa Gotha

Eigentlich war geplant euch an dieser Stelle ein paar Einblicke in die örtliche Neonazi-Szene zu liefern. Alte Nazis, neue Nazis; deren Vernetzungen und Aktionsfelder werden wir euch heute jedoch ersparen.

Stattdessen wollen wir die Gelegenheit nutzen, ein paar Worte über Trennlinien zu verlieren. Es gibt offensichtliche Trennlinien und solche, die nur ab und zu sichtbar werden. 24 Jahre lang waren die Differenzen zwischen konservativer Regierungsclique und ihren Untertanen in Thüringen kaum sichtbar. In unterschiedlichen Konstellationen regierten die Konservativen, die Beherrschten nahmen es hin. Nach 24 Jahren droht der Machtverlust, die alternativlose Merkel und Gauck versuchen ihre Steigbügelhalter aus der SPD und von den Grünen wieder an ihre vorgesehenen Plätze zu scheuchen. Solange die politische Vertretung der mittleren und gehobenen Einkommen und Vermögen über alle herrscht, ist die Welt in Ordnung. Wird die politische Vertretung der unteren Einkommen und Vermögen in die politischen Entscheidungen einbezogen, werden erste Risse im gesellschaftlichen Gefüge sichtbar. Leiharbeiter_innen und Arbeitslose sollen ihre Interessen lieber hinten anstellen.

4000 Menschen, die vor dem Erfurter Dom zur Erinnerung an die Reichspogromnacht mit Fackeln und Kerzen gegen eine Regierungsbeteiligung der Linken demonstrieren, sind ein eindrucksvolles Signal dafür, dass der Spaß vorbei ist. CDU, AfD, NPD und militante Neonazis gemeinsam auf der Straße; gegen das Potential dieser historischen Allianz sind die HoGeSa der reinste Witz. Ein Gutes hat das Ganze aber trotzdem, es ist in diesem Land wieder chic gegen Wahlergebnisse und mögliche Regierungen als solche auf die Straße zu gehen.

Die Zeiten ändern sich, die Bildzeitung fordert zum Telefonterror bei einem Gewerkschaftsführer auf, der Focus veröffentlicht ein Bild seiner Privatadresse. Gelockerte Radmuttern und zerstochene Reifen bei Linke-Politikern, weil diese im parlamentarischen Zirkus nicht mehr nur Opposition sein wollen. Traurigerweise ist es aber einfach konsequent in einem Konflikt mit gegenläufigen Interessen harte Bandagen anzulegen. Löhne rauf oder Dividende rauf? Flüchtlinge aufnehmen oder Flüchtlinge verprügeln und abschieben? Die kurdischen Selbstverteidigungskräfte unterstützen oder den Islamischen Staat machen lassen? Manchmal gibt es Kompromisse, oft auch nicht, und viel zu oft lässt man sich einlullen.

Um zum Tagesanlass zurückzukommen. Entweder trauert man um einen toten Nazisoldaten oder man ist froh drüber, dass der Nationalsozialismus militärisch bezwungen wurde. Schon nach kurzem Nachdenken wird man darauf kommen, dass beides gleichzeitig ohne eine gehörige Portion Schizophrenie nicht geht. Und nur weil es unsere eigenen Großväter waren, ändert das rein gar nichts. Die IS-Terroristen werden in 80 Jahren hoffentlich schon lange militärisch besiegt sein. Der Ein oder Andere wird das ganze überlebt haben und selbst der Großvater von irgendjemandem sein. Aber die Vorstellung, diese Terroristen in dasselbe Gedenken einzubeziehen wie die Fotografen mit den abgehackten Köpfen, ist doch einfach nur ekelerregend. Und nicht anders verhält es sich mit dem Gedenken an die, die vor 70 Jahren hierzulande massenhaft industriell vernichtet wurden. Das gleiche Gedenken für die, die die Knöpfe gedrückt haben, die Züge gefahren sind, und die Zäune bewacht haben?

Das heißt nicht, dass wir irgendwem verbieten wollen um einen gefallenen Verwandten zu trauern. Sowohl die katholische wie auch die evangelische Kirche bieten für solche Anlässe den passenden Rahmen. Allerseelen oder der Totensonntag – ganz ohne politische Bedeutung kann hier um alle Toten dieser Welt getrauert werden. An diesen Terminen wird den Toten auch keine Funktion auferlegt, indem sie als „Soldaten“, „Gefangene“, „Zivilisten“ usw. betrauert und letztlich instrumentalisiert werden. An diesen beiden kirchlichen Terminen werden sie einfach nur als „Menschen“ betrauert.

Aber am Volkstrauertag geht es ja auch nicht wirklich um Bekannte oder Verwandte, da geht es um die Rehabilitierung der deutschen Armee und der Freisprechung aller Deutschen. Ganz normale Menschen, die nicht ganz so normale Verbrechen begangen haben. Aber voller Pflichtbewusstsein, Obrigkeitshörigkeit und Selbstaufopferung – gute deutsche Tugenden; kann also so schlimm nicht gewesen sein. Zumindest nicht so schlimm, dass man sich heutzutage noch dran stören sollte?

Und wenn Schipanski, unser CDU-Bundestagsabgeordnete, hier an den DGB appelliert doch gefälligst am Volkstrauertagsgedenken teilzunehmen, dann sollte sich der DGB fragen, ob man am 27. Januar um die Opfer des Nationalsozialismus, also auch um die im KZ Sachsenhausen und im KZ Oranienburg inhaftierten und ermordeten Gewerkschafter trauern kann, wenn man am Volkstrauertag auch ihre Peiniger mit ins Gedenken einbezieht. Eine Verhöhnung für all diejenigen, die damals Widerstand geleistet haben und dafür mit ihrem Leben zahlen mussten.

Hunderte Männer und Frauen aus Gotha wurden von den Nationalsozialisten zwangssterilisiert. Tausende Zwangsarbeiter_innen und Kriegsgefangene mussten in Gotha Zwangsarbeit verrichten. Über 200 kamen dabei ums Leben. Dr. Werner Sylten starb, weil er Konsequenzen aus seinem Glauben zog und eben nicht mitmachte. Nicht nur in Gotha wurde zur Reichspogromnacht Jagd auf Menschen jüdischen Glaubens gemacht. Auch im kleinen Luftkurort Friedrichroda rottete sich ein Nazimob zusammen und überfiel das jüdische Fremdenheim im Schreibersweg, nur einen Steinwurf vom Vaterlandsdenkmal entfernt.

Neben den Millionen von Erschlagenen, Erschossenen, Vergasten, zu Tode Gearbeiteten, trieb das NS-System zahllose Menschen in den Freitod. Der SPD-Politiker und Gewerkschafter Anton Reißner ersparte sich und seiner Familie den Gang ins KZ. Die Courage gegen das Ermächtigungsgesetz zu stimmen führte zu seiner ersten Verhaftung. Er floh in die Niederlande. Nach dem deutschen Einmarsch nahm er sich gemeinsam mit seiner Frau und ihrem 24-jährigem Sohn das Leben. Von ihm stammt der Satz: „Wir müssen das kapitalistische System beseitigen, das die schwere Schuld für die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Zustände unserer Zeit trägt.“ Er war ganz offensichtlich ein kluger Mann, genutzt hat ihm das bedauerlicherweise recht wenig. Wirtschaftliche, soziale und politische Zustände sind gleichzeitig Erklärung und Rechtfertigung der schlimmsten Ausrutscher in diesem Land. Ob damit nun die Abermillionen „normalen“ Deutschen entschuldigt werden, die in den 30er Jahren alle fleißig den rechten Arm gehoben haben, die „normalen“ Deutschen, die in den 90er Jahren die Neonazis bejubelt haben, als diese Flüchtlingsheime in Brand gesteckt haben. Oder die „besorgten Bürger“, die heute wieder gegen die auf die Straße gehen, die bei uns Hilfe und Zuflucht suchen. Alles liebe und nette Menschen, aber die Umstände, die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Umstände, treiben sie leider dazu, zu manchen Menschen nicht mehr lieb und nett zu sein.

Forward to the past – oder gegen jeden Extremismus

Wir wurden aufgefordert doch bitteschön anzuerkennen, dass sich dieses Jahr erstmals in Friedrichroda so etwas wie „Protest“ regt. Die Gesamtsituation ist etwas undurchsichtig, während der Bürgermeister Klöppel zur Antifa-Kundgebung aufruft, die immerhin unter dem Motto „Volkstrauertag abschaffen!“ steht, besucht er selbstverständlich am Vormittag das Volkstrauertags-Gedenken der Stadt. Dort werden Krokodilstränen um all jene vergossen, die Opfer von Krieg, Vertreibung und Gewaltherrschaft wurden. Täter gibt es da keine, Krieg und Gewaltherrschaft sind Ereignisse, die in den Augen der völkischen Trauergemeinde wohl eher den Charakter von Naturkatastrophen haben.

Weiterhin ruft er seine Untertanen auf, ihren Protest durch rote Pappstücken im Fenster, mit der Aufschrift „Platzverweis für Extremisten“, auszudrücken. Klar, dem Bürgermeister geht es nicht nur um die Neonazis, weitaus störender fürs Stadtimage und die dumpfe Idylle am Waldesrand ist für ihn wohl die Anwesenheit der Antifa in seinem beschaulichen Drecksnest.

Vermutlich könnte nicht einmal Herr Klöppel sagen, wer oder was ein „Extremist“ eigentlich ist. Klar, bei Neonazis oder Salafisten ist es recht leicht, wenn die ihre Ideologie in die Tat umsetzen, gibt es Tote und Verletzte – das ist menschenverachtend. Andere anzugreifen bis hin zu Mord und Totschlag aufgrund ihres Glaubens oder Unglaubens, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Herkunft oder ihres Aussehens, da kann so ein Sammelbegriff schon Sinn machen. Aber es ist ja nicht die Tat, die einen Extremisten ausmacht. Auch wenn die Tat noch bevorsteht, das Weltbild, dass die Menschen je nach Art des Extremismus in lebenswert und lebensunwert unterteilt, ist ja schon im Kopf.

23.000 Menschen verloren ihr Leben an den Außengrenzen der EU. Sie sind tot, weil die Unterscheidung, ob ein Menschenleben etwas wert ist oder nicht, kein exklusives Denkmuster von Neonazis oder Salafisten ist. Manche Menschen sterben, weil sie der Mehrheitsgesellschaft einfach scheißegal sind. Menschenverachtung getarnt als Sachzwang, die eigene Verantwortung wird mit Begriffen wie „alternativlos“ versucht zu leugnen. Aber die, die heute über den Bau von Zäunen und anderen Abwehrsystemen gegen ganz normale Menschen entscheiden, und hier eine ähnliche Trennung von lebenswert und lebensunwert an den Tag legen, sind frei vom „Extremismusverdacht“. Der Unterschied jemanden zu töten oder ihn sterben zu lassen, obwohl man helfen könnte, ist letztlich marginal. Aber was bleibt dann noch vom bürgerlichen Extremismusgequatsche übrig, wenn der Unterschied einzig und allein in der „Staatlichkeit“ liegt?

Der bürgerliche Kunstgriff besteht jetzt darin, unter den Begriff des Extremisten auch uns Antifaschist_innen zu packen. Da werden die Erklärungen dann in der Regel etwas dünn, wem sprechen wir schon wegen des Glaubens, der Herkunft etc. das Recht auf ein freies und würdevolles Leben ab? Das klappt dann meistens nur, indem eine indirekte Gleichsetzung von geborstenen Fensterscheiben mit gebrochenen Knochen vollzogen wird. Klar ist es ärgerlich, wenn Scheiben zu Bruch gehen, da freut sich höchstens der örtliche Glaser. Aber wer das in einem Atemzug mit dem Ärger über zu Bruch gegangene Menschen nennt, der kann uns gestohlen bleiben und hat auf unserer Demo/Kundgebung nichts zu suchen und soll sich verpissen!

Redebeitrag der Antifa Suhl/Zella-Mehlis zur Kritik der deutschen Gedenkpolitik

Vor einer Woche, am Jahrestag der Reichspogromnacht demonstrierten auf dem Erfurter Domplatz ca. 4.000 Menschen u.a. mit Fackeln bewaffnet und aus verschiedenen Lagern der Thüringer Rechten kommend gegen die sich anbahnende rot-rot-grüne Regierungskoalition. Sie befürchten offenbar den Wiederaufbau der Mauer, den Untergang des Abendlandes oder den Verlust ihrer Privilegien, die viele der gut situierten Demonstranten nach 25 Jahren CDU-Filz anhäufen konnten. Eine breite rechte Volksfront, wie sie in Thüringen seit Jahrzehnten nicht mehr zusammenkam, versammelte sich also am Abend des 9. November, zusammengeschweißt durch ihren Antikommunismus, eine Haltung, die umso heftigere emotionale Reaktionen auszulösen scheint, je weiter eine wirkliche kommunistische Alternative entfernt ist. Denn die Linke und Bodo Ramelow haben mit dem Kommunismus so viel zu tun wie die Antikommunisten mit dem, wofür sie vorgeblich auf die Straße gehen: eine Gesellschaft ohne staatlich alimentierte Zurichtung und Überwachung. Dass die Thüringer Rechte am Jahrestag der Reichspogromnacht nicht vor einem potentiellen Lynchzug im Fackelschein zurückschreckt, ist auch ein Resultat jener gedenkpolitischen Praxis, für die der Volkstrauertag steht.

Das Volkstrauertagsgedenken blendet systematisch den Unterschied zwischen Tätern und Opfern aus und damit nicht nur Ursache und Wirkung von des deutschen Massenmordes, sondern den spezifischen Charakter einer Gesellschaft, die diese Barbarei in einem der am weitesten entwickelten Industriestaaten möglich machte. Die deutsche Version der Geschichte bzw. ihre volkstrauertagliche Ausprägung kennt nur noch Opfer. Das unterschiedslose Gedenken an die sogenannten Kriegstoten und die Opfer zunächst nicht weiter differenzierter Gewaltherrschaft[en] macht alle gleich: Die Mörder und ihre Opfer, die Gequälten und ihre Folterer, die Widerstandskämpfer und Partisanen und ihre Verfolger, die deutschen Vernichtungstruppen und die Soldaten der Anti-Hitler-Koalition. Diese Geschichtspolitik löscht die Spezifik des deutschen Verbrechens aus und leitet zum Vergessen an. Wo allen unterschiedslos gedacht werden soll, ist auch egal, wem da und warum da gedacht wird.

Was in solchem Gedenken vergessen gemacht wird, ist nicht nur jene Spezifik des deutschen Verbrechens, sondern vergessen gemacht werden auch jene Bedingungen, die nach Auschwitz führten und die bis in die Gegenwart fortdauern. Jene Kontinuitäten, die in der deutschen Gedenkpolitik hervortreten, dieses Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie hat antifaschistische Gedenkpolitik herauszustellen, zu kritisieren und zu bekämpfen. Sie steht unversöhnlich zu Deutschland, zu seinen potentiellen und wirklichen Nazis und zu einer Ideologie, die immerwährende Basis für den nächsten Angriff auf die Menschheit ist. Statt also eine wirkliche Aufarbeitung der Vergangenheit zu betreiben und mit dem Wachhalten der Erinnerung an die Verbrechen die fortbestehenden Bedingungen für seine Wiederholung zu beseitigen, beklatschen jene Deutschen, die noch keine bekennenden Nazis sind, am Volkstrauertag allerorts die herrschende Form von Demokratie und mahnen für den Frieden. Dabei wird verdeckt, dass die NSDAP sich 1933 nicht an die Macht putschte, sondern demokratisch gewählt wurde – die Demokratie also kein Mittel war, den Faschismus aufzuhalten – und dass, wer für den Frieden mahnt, nicht vergessen darf, dass die Deutschen bewiesen haben, dass es Schlimmeres gibt als den Krieg; dass dieses Land ein Verbrechen in die Welt gesetzt hat, das nur durch alliierte Bomberflotten und Panzerverbände gestoppt werden konnte. Die Vernichtung des europäischen Judentums hatte in Deutschland höchste Priorität. Selbst als an allen Fronten die deutschen Linien einbrachen und die Wehrmacht überall auf dem Rückzug war, wurde ein wesentlicher Teil des deutschen Schienennetzes für die Deportation der Juden statt für die logistische Unterstützung der deutschen Truppen genutzt. Die Niederlage im Krieg gegen die Alliierten konnten die Deutschen noch verschmerzen, solange die Juden nur restlos vernichtet wurden.

Von solcher Spezifik des deutschen Verbrechens, der Vernichtung der europäischen Juden, die für niemanden ausgebeutet oder versklavt wurden, sondern einfach vernichtet, will man am Volkstrauertag nichts wissen. An diesem Tag zeigt sich das Fundament deutscher Vergangenheitsbewältigung: die Verdrängung, Verharmlosung und das Vergessen der eigenen Geschichte. Wer so mit der Vergangenheit umgeht, nimmt in Kauf, dass sie sich wiederholt. Wer nicht, wie im Schwur von Buchenwald weitsichtig festgehalten, für die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln eintritt, sondern den deutschen Faschismus nur noch quantifiziert und als Gewaltherrschaft neben anderen zu den Akten legt, der unterstützt mindestens passiv, ob er will oder nicht, dass mit der gegenwärtigen Gesellschaft die Bedingung der Möglichkeit von Auschwitz fortbesteht. Solange die mit dieser furchtbaren Gesellschaft bestehenden Möglichkeitsbedingung für die faschistische Barbarei nicht beseitigt werden, bleibt dieses Land, was es ist und als was es immer wieder benannt werden muss: ein Mordkollektiv im Wartestand.

Das politische Personal dieses Mordkollektivs im Wartestand, dessen äußerste Spitze, die | morgen in Friedrichroda / hier und heute | wieder marschierenden Nazis sind, versammelt sich vormittags am Volkstrauertag bereits allerorts an den Gedenksteinen der gefallenen Deutschen für den rituellen Kranzabwurf. Auch die inzwischen zu Nazigegnern bzw. eher: Extremismusgegnern geläuterten Verantwortlichen in der Friedrichrodaer Stadtpolitik sind kein Teil der Lösung, sie sind Teil des Problems. Dass die Mehrheit der Deutschen den Tag vor der Glotze oder beim Sonntagsausflug mit der Sippschaft verbringt, ist auch kein Grund für Entwarnung. Wann und wie die unaufgeklärte Mehrheitsbevölkerung im Sinne faschistischer Krisenbewältigung mobilisierbar wird, wissen wir nicht. Die aktuellen Entwicklung einer rechten, antikommunistischen Volksfront lassen erahnen, was los sein wird, wenn sich auch in Deutschland die Krise des Kapitalismus zuspitzt. Denn gerade weil eine Lehre aus der Geschichte besagt, dass die Deutschen, wenn sie sich angegriffen, bedroht oder umzingelt fühlen, den Angriffsplan schon in der Tasche tragen, deswegen ist mit Aufmärschen, wie dem vor einer Woche in Erfurt und mit denen, die sich alljährlich zum Volkstrauertag abspielen, nicht zu spaßen.

Solange darf antifaschistische Gesellschaftskritik nicht locker lassen, diese Gesellschaft in ihrer Menschenfeindlichkeit bloßzustellen und die Kräfte zu sensibilisieren und zu stärken, die die Deutschen eines Tages stoppen und eines noch ferneren Tages aus der Geschichte verbannen könnten. Tage wie der Volkstrauertag bieten hierfür geeignete Anlässe, um die deutsche Version der Geschichte zurückzuweisen und den Deutschen ihr Gedenken an die Mörder von damals so unbequem wie möglich zu machen. Der Volkstrauertag ist Ausdruck eines politischen Programms geworden und gehört abgeschafft mit der Gesellschaftsordnung, die solche Tage nötig hat.

Auftakt: Was ist los in Friedrichroda?

Friedrichroda ist eine Kleinstadt am Nordrand des Thüringer Waldes. Wer hier herfährt und eine Zeitlang im Städtchen verweilt, wird den Eindruck nicht los: Hier ist die Welt zu Ende. Das muss der sagenhafte Ort sein, an dem sich Hase und Igel, Wildkatze und Fuchs Gute Nacht sagen. Hier interessiert man sich nicht für die Probleme der Welt, weil diese Welt erst im 15 km entfernten Gotha wieder eine Relevanz zu haben scheint. Hier, in der beschaulichen Einöde, möchte man in Ruhe gelassen werden. Diese Hinterlandruhe wird seit einigen Jahren immer wieder gestört – freilich nicht von den Nazis, die hier ganz gut her passen, sondern von uns. Ein Schnelldurchlauf durch die Leidenstage einer Friedhofsstadt.

Als vor mehr als 10 Jahren der erste Fackelmarsch der Nazis am Volkstrauertag durch Friedrichroda zog, waren die Nazis wohl selber überrascht, wie gut sie in dieses Städtchen passten. Während in jedem Dorf, wo sich Nazis niederlassen, derzeit Anti-Nazi-Bürgerinitiativen aus dem Boden schießen, schätzte man in Friedrichroda die jungen Kameraden, die sich zu benehmen wussten und ein Herz für den Naziopa bewiesen, den sie einmal im Jahr in ihre Reihen zurückriefen. Glücklicherweise blieben die Versuche, ihn wiederzuerwecken bisher ohne Erfolg. In Friedrichroda gibt es schon genug Untote.

Dieses Stelldichein der Nazis, mit dem wohl nicht wenige Bürger sympathisierten und mit dem kein Eingeborener wirkliche Probleme zu haben schien, solange man ihn nicht beim Fernsehen störte, lief jahrelang ohne nennenswerte Zwischenfälle. Als sich im Jahr 2005 zwei junge Antifaschisten wagten, den Aufmarsch zu stören, machten die Nazis vom Faustrecht Gebrauch und schlugen eine junge Antifaschistin krankenhausreif. Die Polizei war zu dieser Zeit sicher irgendwo Asylsuchende drangsalieren, denn für die Harmonie zwischen der Stadt Friedrichroda und ihren Nazis bedurfte es ihrer nicht.

Erst im Jahr 2009 zog man seitens der Antifa Konsequenzen aus dem jahrelangen Schauderstündchen zum Volkstrauertag. 150 Antifaschistinnen und Antifaschisten demonstrierten damals durch die Kleinstadt und erwogen eine Blockade des Naziaufmarsches am Nazi-Denkmal. Aus dieser wurde letztlich nichts. Die Symbolik, sich zwischen die Nazis und ihr Denkmal zu stellen, gefiel uns damals überhaupt nicht. Auch ändert sich durch die Blockade von Naziaufmärschen nicht deren – bis ins Bürgerliche hinein anschlussfähige – Ideologie und ihr durchschlagender Charakter.

In den folgenden beiden Jahren marschierten die Nazis wieder ohne größere Proteste. Erst im Jahr 2012 gab es wieder eine Antifa-Demo, die mehr als 2009 den Fokus ihrer Kritik von den Nazis auf die die Nazis hervorbringende Gesellschaft verlagerte – also sich in Ursachenanalyse übte, was zum Volkstrauertag heißt, die Kritik der deutschen Gedenkpolitik voranzutreiben. An den Bürgern der Stadt Friedrichroda ging diese Radikalisierung der Kritik vorbei. Hier wollte man auch im Jahr 2012 nichts von irgendwelcher Kritik wissen, sondern einfach seine Ruhe, ob nun mit oder ohne Nazifackelmarsch. Die Stadtbevölkerung präferierte im Umgang mit den Nazis weiter eine Mischung aus Ignoranz und Toleranz. Die Stadtoberen gingen beispielgebend voran, die Lokalpresse schwieg ebenfalls.

Dieses Schweigen ist seit dem Jahr 2013 vorbei. Nach den Antifa-Aktionen im Vorfeld des Volkstrauertages blieb selbst der schläfrigen Lokalpresse nichts übrig, als über die Geschehnisse zu berichten. Der Reihe nach. Während die im Vorfeld in Gotha stattfindende Veranstaltungsreihe zur Kritik des Volkstrauertages und der deutschen Gedenkpolitik noch, wie üblich, ignoriert wurde, sorgte eine Aktion in Friedrichroda für Aufsehen. Am Vormittag des 6. November 2013 bot sich den mit Einkaufen beschäftigten Menschen in der Fußgängerzone ein ungewohnter Anblick. Eine spontan anberaumte Antifa-Kundgebung bot den Rahmen für eine Preisverleihung der besonderen Art. Für 10 Jahre Schweigen, Zuschauen und Mitmachen beim jährlichen Fackelmarsch zum Volkstrauertag, zur Verherrlichung der Mörder von Millionen Menschen, verlieh das Antifa-Bündnis Gotha den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Friedrichroda den Goldenen Scheißhaufen, einen Preis für 10 Jahre Ignoranz und Akzeptanz von Naziaufmärschen, NS-Verharmlosung und Menschenhass.

Während die apathisch durch die Innenstadt wandelnden Gestalten nicht so richtig wussten, wie ihnen geschah, wusste es ihr Vorsteher, Bürgermeister Klöppel sofort. Er beklagte anschließend in der Presse, dass das Image des Kurortes beschmutzt werde. Allerdings nicht weil hier Nazis zum Stadtbild gehören, sondern weil es jemanden gibt, der auf diesen Zustand aufmerksam macht. Ähnlich wie der Friedrichrodaer Kleinstadtfürst, der sich um das Image seiner Klitsche sorgt, geht es zahlreichen Friedrichrodaern, die sich in sozialen Netzwerken Luft machten und dort ihre Ressentiments kultivieren. Aber es gab auch verhaltenen Beifall für die Aktion. Nicht wenige Einwohner haben von der Ignoranz die Nase voll und signalisieren Bereitschaft zum Protest.

Für weiteren Aufruhr sorgte ein in der Woche darauf verteiltes Satire-Flugblatt. Darin ließ nicht nur die NPD ihre eh schon nur halbherzig aufrecht erhaltene biedere Maske fallen, sondern auch die Rolle der Stadt Friedrichroda als Zuträger der Nazis kam überspitzt auf den Punkt.

Im Jahr 2014 gingen diese provokativen Aktionen weiter. Eine frisch gegründete Bürgerinitiative für zeitgenössisches Desinteresse an deutschen Zuständen parodierte den Friedrichrodaer Ignorantenstadl bis zur Kenntlichkeit und verteilte eigens angefertigte Flyer, die den Abriss des Vaterland-Denkmals fordern, freilich nicht, weil man ein großes Problem mit den Nazis hätte, sondern, weil sie die Ruhe der pomadigen Einöde stören.

Inzwischen ist auch die Stadtpolitik munterer denn je und sieht sich nach all dem Aufsehen, dass die Antifa-Aktionen in den letzten beiden Jahren erregte und nach dem Engagement zivilgesellschaftlicher Nazigegner in den letzten Monaten zum Handeln gezwungen. Ihre Strategie der Verharmlosung haben aber Bürgermeister Klöppel und die seinen aber nicht aufgegeben. Sie protestieren gleichermaßen gegen die Nazis, also die Verehrer von Mördern, und gegen die Antifa, die im Jargon des Antikommunismus als „Linksextremisten“ bezeichnet werden. Aber dazu werden wir später mehr hören.

Alles in allem haben die Vorfeldaktionen in den vergangenen beiden Jahren die Aufmerksamkeit für die Volkstrauertagsproblematik mehr denn je gesteigert. An diese Aktionen gilt es auch in Zukunft anzuknüpfen, weil wir den Naziaufmarsch nur dann nachhaltig unmöglich machen können, wenn wir über seine Möglichkeitsbedingungen aufklären und den Nazismus mit seinen Ursachen beseitigen. Dafür, und nicht für ein sauberes Stadtimage und auch nicht gegen Extremisten, sondern gegen die Gesellschaft, die die Nazis hervorbringt, gehen wir heute auf die Straße.

Gegen Deutschland und seine Nazis!

Redebeitrag zum Extremismus-Begriff

Zum 12. Mal in Folge nun begehen die Nazis heute hier in Friedrichroda ihr Heldengedenken. Und nicht zum ersten mal sind wir auch vor Ort, um gegen das Gedenken der Nazis an die NS-Verbrecher zu protestieren und um gegen ein Gedenken zu protestieren, wie es am Volkstrauertag auch von bürgerlicher Seite begangen wird, wenn in einem allgemeinen Gedenken an die Toten der Weltkriege der Unterschied zwischen Opfern und Täter des Nationalsozialismus nivelliert wird. Zweiteres wurde hier schon mehrfach betont, geht aus dem Aufruf hervor sowie dem Motto unter dem diese Veranstaltung steht; und doch scheint es immer wieder hervorgehoben werden zu müssen. Denn traf der Protest in den letzten Jahren nur auf Schweigen und Ignoranz der Öffentlichkeit und Einwohner in Friedrichroda, provozierte die Verleihung des goldenen Scheißhaufens für 10 Jahre Ignoranz im letzten Jahr erstmalig eine öffentlich wahrnehmbare Reaktion, sodass sich nun auch der Bürgermeister gezwungen sieht, sich irgendwie zum Naziaufmarsch und den dagegen stattfinden Protest zu verhalten. Dieses Verhalten fiel dergestalt aus, dass der Bürgermeister sich öffentlich von allen den Stadtfrieden störenden Extremisten distanzierte und in diesem Jahr sogar zur Teilnahme an der aktuell stattfindenden Gegenkundgebung aufrief, nicht aber ohne einen Zweifel daran zu lassen, dass er das Anliegen der Kundgebung, eine Kritik der deutschen Gedenkpolitik zu leisten und im Zuge dessen die Abschaffung des Volkstrauertag zu fordern, nicht unterstützt.

Es ist immer wieder von einer Instrumentalisierung des Volkstrauertages durch die Nazis die Rede. Das aber wird der Sache nicht gerecht, denn es verschleiert, dass der geschichtsrevisionistsche Gehalt dieses Gedenkens als eines, welches den Tätern und Opfern des NS gleichermaßen gilt, bereits im Volkstrauertag als Gedenktag zu diesem Zwecke angelegt ist. Da es nun nicht möglich ist, sich inhaltlich vom Gedenken der Nazis abzugrenzen, ohne dabei ein Gedenken (auch) an die Täter des Nationalsozialismus zu verurteilen, tut man das hier zu Orte unter Verwendung des Extremismusbegriffs.

Zu diesem Zwecke lud der Stadtrat im letzten Jahr den Verfassungsschutz nach Friedrichroda um sich über die Bedrohung der Demokratie von Links- und Rechtsextremismus informieren zu lassen. Für heute forderte der Bürgermeister die Einwohner Friedrichrodas dazu auf, sich Schilder in die Fester zu hängen, mit der Aufschrift „Platzverweis für Extremisten“. Das im Nachhinein zur Taktik stilisierte Schweigen der Stadt scheint also gebrochen. Bürgermeister Klöppel spricht in diesem Zusammenhang von einem Strategiewechsel; weg vom Zurückdrängen der Rechtsradikalen durch Nichtbeachtung. Gestört fühlte man sich dabei vorwiegend wohl weniger von den Nazis, die jahrelang unter Ignoranz und heimlicher Akzeptanz der Einwohner in Friedrichroda marschierten, sondern vom antifaschistischen Protest, der, so der Bürgermeister gegenüber der Super-Illu, ihre Stadt beschmutzen würde. So schlägt man mit der Positionierung gegen Extremisten zwei Fliegen mit einer Klappe: man kann sich öffentlichkeitsirksam von den Nazis abgrenzen und gleichzeitig seine Ablehung gegenüber dem antifaschistischen Protest zum Ausdruck bringen.

Dem Extremismusbegriff liegt dabei das Verständnis einer Bedrohung der Gesellschaft durch „Extremisten“ von den gesellschaftlich links und rechts verorteten Rändern zugrunde. Eine Differenzierung nach Einstellungen und politischen Zielen erfolgt dabei nicht. Vermittelt wird vielmehr, dass eine politische Mitte der Gesellschaft existiert, die sich von diesen Extremen klar abgrenzen lässt. Die Komplexität der Gesellschaft geht dabei unter. Das Vorhandensein von nazistischer Ideologie in der Mehrheitsgesellschaft wird verharmlost und in ihrem Vorhandensein auf die extremen Ränder der Gesellschaft reduzierend, ausgeblendet.

Daraus ergibt sich auch die politische Relevanz der Extremismusbegriffs, denn es geht hier freilich nicht um die Kritik eines Begriffes als solchen, sondern um eine Kritik der in ihm zum Ausdruck kommenden Ideologie, bei der antifaschistisches Handeln delegitimiert und mit dem der Nazis gleichgesetzt wird und im Zuge dessen die bürgerliche Ideologie Legitimation erfährt. Denn dort, wo eine vermeintlich „normale Mitte“ von ihren „Rändern“ getrennt wird, wo Naziideologie zum Randphänomen erklärt wird, wird auch die Verbindung der gesellschaftlichen Normalität zu ihr geleugnet. Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus werden zu gesellschaftlichen Randerscheinungen gemacht und die „demokratische Mitte“ kann sich ihrer moralischen Erhabenheit sicher sein.

Abgleitet ist der der Extremismusbegriff aus der Totalitarismus-Theorie Hannah Arendts. Arendt analysierte das System des Nationalsozialismus in Deutschland und des Stalinismus in der Sowjetunion und fand dabei wesentliche Gemeinsamkeiten, die sie dazu anleitete, beide System als totalitäre Systeme zu kategorisieren. Ging es Hannah Arnedt noch um den Vergleich einzelner Wesensmerkmale beider Regime, erfolgte in der BRD eine Zurichtung ihrer Theorie hin zu einer Grundlage für eine Gleichsetzung des Sozialismus und Nationalsozialismus. Wurde im Historikerstreit noch heftig darüber gestritten, ob ein Vergleich von Nationalsozialismus und real existierenden Sozialimus aufgrund der strukturell angelegten Relativierung der Naziverbrechen generell zulässig ist, gehört es heute fast zum guten Ton, die Systeme gegeneinander abzuklopfen. Die vor allem vom in Dresden ansässigen Hannah-Arendt-Institut für Totalistarismus-Forschung betriebene Relativierung des NS durch die Gleichsetzung des NS und der DDR ist zwar wissenschaftlich stark umstritten, hat sich aber als Legitimationsgrundlage der BRD etabliert und folgt dabei der selben Logik wie die Extremismustheorie. Die bürgerliche Demokratie erfährt durch formale Abgrenzung Legitimation und im Zuge dessen wird auch alles dämonisiert, was mit dem Ziel ihrer Überwindung antritt. In dieser Denktradition wird antifaschistisches Handeln und dessen Ziel mit dem der Neonazis gleichgesetzt und mit dem impliziten Verweis auf die vermeintlich moralische Überlegenheit kann so guten Gewissens die von uns formulierte Kritik ignoriert werden. Und nur unter größter Ignoranz der Kritik kann es auch erklärt werden, dass der Bürgermeister zu Teilnahme an einer Kundgebung aufruft, die von Menschen veranstaltet wird, die er selbst als Extremisten bezeichnet.

Der hiesige Bürgermeister hat sich also einem Begriff zu eigen gemacht, der nicht weniger zum Ziel hat, als den Nationalsozialismus zu verharmlosen. Damit steht er auch ganz im Zeichen einer Gedenkpolitik, wie sie heute zum Volkstrauertag begangen wird. Das Ganze dient schließlich der Nicht-Auseinandersetzung mit den Gemeinsamkeiten zwischen den eigenen Vorstellungen und denen der Nazis und wohl auch der Abwehr der Einsicht, dass diejenigen, die sich zu Verteidigern der aktuellen Gesellschaftsordnung aufgeschwungen haben, im Sinne einer kritischen Gesellschaftstheorie die eigentlichen Apologeten eines totalitären Systems sind.

FRIEDRICHROSA!

Dem Volkstrauern einen Strich durch die Rechnung gemacht

Heute ist Volkstrauertag und das Land der Täterinnen und Täter beschwört seinen Opfermythos. Der deutsche Erinnerungsdiskurs offenbart mal wieder seine geschichtsrevisionistische Fratze und im thüringischen Friedrichroda treffen sich hunderte Neonazis, um in ihrem alljährlichen Gedenkritual den Nationalsozialismus zu verharmlosen.

Der Bürgermeister Klöppel entblödet sich nach jahrelangem Wegschauen auch nicht, in feinster Extremismustheorie-Rhetorik gegen linksradikales Engagement zu zetern. Damit passt er sich ganz wunderbar ins relativierende Geschichtsbild eines dummdeutschen Mobs, in dem die SS-Männer von damals auf eine Stufe mit den Insassen und Ermordeten von Birkenau, Auschwitz, Buchenwald gestellt werden. Nichts anderes lässt auch die ekelhafte Gedenktafel vor dem Denkmal in Friedrichroda verlautbaren.

Aber auch dieses Jahr gibt es antifaschistischen Protest. Als ein Teil davon haben wir in der Nacht zum Samstag das Denkmal in rosa Farbe getunkt, um dieses Gedenken zu stören. Dem Volkstrauern einen rosa Strich durch die Rechnung machen! Weil der Volkstrauertag aus dem Gedenkkalender gestrichen und weil jeder Naziaufmarsch, jede rassistische Bürgerinitiative und jeder rechte Parteitag gestört, verhindert und abgeschafft gehört.

Unsere Solidarität und antifaschistische Grüße an die Antifa-Demos dieses Wochenende in Gotha und Friedrichroda.

Infos dazu: http://volkstrauertag-abschaffen.tk

Antifaschistische Gruppe Südthüringen