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Erfurt: Redebeitrag zu den neuen Montagsdemos auf Ratschlag-Mahngang

Eintragsdatum: 2014-11-09Quelle: Antifa Suhl/Zella-Mehlis

Am vergangenen Freitag, dem 7. November 2014, beteiligten sich ca. 70 Antifaschist_innen am Mahngang des 24. Antifaschistischen/Antirassistischen Ratschlages, der in diesem Jahr in Erfurt stattfand. Auf diesem Mahngang hielten wir auf dem Anger den nachfolgend dokumentierten Redebeitrag über die neuen Montagsdemos, die in Erfurt und dutzenden weiteren Städten Deutschlands seit April diesen Jahres stattfinden.

Redebeitrag der Antifa Suhl/Zella-Mehlis zu den neuen Montagsdemonstrationen

Seit April diesen Jahres macht in Deutschland eine neue Friedensbewegung von sich reden. Die deutschlandweiten Montagsmahnwachen demonstrieren wöchentlich montags in dutzenden Städten und wollen an die Montagsdemonstrationen anschließen, die 1989/90 das Ende der DDR einläuteten. Auch in Erfurt nehmen sie einen vermeintlich bevorstehenden Krieg in der Ukraine zum Anlass, um sich allmontaglich auf dem Anger als Kriegsgegner zu profilieren. Nachdem es eine zeitlang so aussah, als würde die Bewegung einschlafen oder in eine Krawallbewegung gegen Israel münden, das sich mal wieder die Hamas vom Leib halten musste, was in Deutschland den Breitensport der „Israelkritik“ entfesselte, sind die Montagsdemos inzwischen in mehr oder weniger feste organisatorische Zirkel übergegangen, die den Zirkus auch ohne Massenzulauf am Leben erhalten und als ewiges Mantra das eigene Überleben nach der Fußballweltmeisterschaft anpreisen.

Um es gleich zu Beginn zu sagen: Die Erfurter Montagsdemonstranten haben mit dem Kampf gegen Krieg soviel zu tun, wie die Kölner Hooligans von vor zwei Wochen mit dem Kampf gegen Salafismus. In beiden Fällen ist das vermeintliche Engagement ein Feigenblatt für die Äußerung ganz anderer Sehnsüchte; ist der Protest eine Ersatzhandlung für den Generalangriff auf ganz andere Gegner: nämlich auf die Fiktion vom internationalen Finanzjudentum auf der einen Seite und auf der anderen Seite eben auf alles, was nicht in die Welt aus Kleinfamilie und völkischer Gesellschaftsvorstellung passt.

Was nun die Montagsdemonstranten miteinander verbindet ist eine diffuse Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen, mit Krieg und Krise, mit sozialer Unsicherheit und Abstiegsangst. Die Schuldfrage spielt dabei eine bedeutende Rolle. Für die Montagsdemonstranten ist es ausgemachte Sache, dass es sich v.a. bei den Negativfolgen der herrschenden Gesellschaftsordnung um das Resultat der bewussten Aktivitäten einer kleinen Elite handelt, die sich gegen den Rest der Welt verschworen haben und die auf den Rücken der kleinen Leute und aus deren Elend Profit schlagen. Auf den Gedanken, dass die Normierungen und die Verstrickungen in den kapitalistischen Vollzug bis tief ins eigene Selbst reichen und das eigene Engagement entscheidend bestimmen, kommen die Montagsdemonstranten nicht. Sie verkürzen das komplexe Gefüge kapitalistischer Elendsproduktion klassisch strukturell-antisemitisch zum Projekt einiger weniger, die das Geld- und Zinssystem, das man von der Produktion entkoppeln möchte, steuern, manipulieren und für die sich schnell Namen finden. Sie heißen Bilderberger, Rothschilds, Zionisten oder einfach „die da oben“. Mit solcher Ideologie stehen sie in bester deutscher Tradition und damit dem Wahnsinn deutlich näher als der Aufklärung, die sie betreiben wollen und die dringend geboten wäre, möchte man dem Missstand Kapitalismus ein Ende machen.

Sie gefallen sich als Wahrheitssuchende und stoßen selbst im Rudel doch nur immer wieder auf die alten Antworten, die ihre Großväter und Urgroßväter ins Projekt der Endlösung überführten, weil in Deutschland, das schrieb einmal Wolfgang Pohrt, „die einzelnen vor dem individuellen Verrücktwerden häufig durch den kollektiven Wahn bewahrt [werden], der ihre Verrücktheit in den Rang einer geltenden Norm erhebt und so ihre Realitätstüchtigkeit sichert“.

Dieser Zustand, im Kollektiv dem Wahnsinn zu frönen, löscht jeden rational-begründeten Zweifel der Einzelnen, sich in dieser Sache entscheidend zu irren, aus. Derartige Selbstzweifel, sich auf der falschen Fährte zu befinden, der gesellschaftlich hervorgebrachten Ideologie verfallen zu sein, kennen die Montagsdemonstranten nicht. Diese Leute, die unentwegt den Himmel nach Chemtrails absuchen oder mit ihrer Reichsbürgeridentität hausieren, feiern sich allmontaglich als ein Grüppchen der Erleuchteten, die endlich den wahren Zugang zum Verständnis der Welt gefunden haben und noch dazu Gleichgesinnte, die das eigene Selbst bestärken. Sie treten den Beweis an, dass sich in der Masse nur die Dummheit und der Skrupel exponentiell vermehren und sind den religiösen Erweckungsbewegungen nicht unähnlich, die auch auf ein ursprüngliches Verständnis der Welt gestoßen sein wollen und sich diese doch nur anders verklären. Auch die Montagsdemonstranten sind nicht auf die Geheimnisse der Welt gestoßen, sondern ihnen auf ganz ungeheimnisvolle Weise auf den Leim gegangen. Ihr Verschwörungsantisemitismus ist ein ideologischer Reflex des politökonomisch-konstituierten bürgerlichen Subjektes, das seine eigene gesellschaftlich hergestellte Überflüssigkeit fürs Produktionsverhältnis darin kompensiert, alles Unverstandene, Geheimnisvolle, kurz: das Abstrakte kapitalistischer Vergesellschaftung auf eine Gruppe zu projizieren, gegen die sich schließlich ihr Verfolgungseifer richtet: die Bänker, die Konzernchefs, die Zionisten, die Rothschilds, die Medien etc. Solange sie darüber nur allmontaglich auf den Marktplätzen der Republik ohne weiteren Zulauf jammern und klagen, bleibt diese Bewegung aber harmlos.

Gefährlich wird diese als öffentlich tagende Selbsthilfegruppe sich konstituierende Allianz von Antisemiten erst, wenn sie mehr will als regionalen Konsum oder öffentliches Genörgel über den Zustand der Welt und ihrer Bewohner, wenn sie die friedensduselige Maskerade ablegt, sich mit schlagkräftigeren Fraktionen der deutschen Rechten zusammenschließt und den vermeintlich Verantwortlichen für das Weltübel auf die Pelle rückt. Der Anfang ist gemacht. Jürgen Elsässer, ein Vordenker der Montagsantisemiten und vor einigen Wochen bei selbigen zu Gast in Erfurt, hat Vertreter der sogenannten „Hooligans gegen Salafisten“ zur Großkundgebung der Montagsbewegung am 9. November nach Berlin eingeladen. Was sich hier am Jahrestag der Reichspogromnacht anbahnen könnte, ist eine wahrhaft unheimliche Allianz – von Leuten, die nach ein paar Klicks bei Google oder Youtube meinen alles verstanden zu haben und Menschen, die straßenkampferprobt und bereit sind, den Bauchrednern des Wahnsinns zu folgen, die die Führer der Montagsdemos zweifellos darstellen. Dieses Bündnis von den an dieser unseligen Gesellschaft irre gewordenen Montagsantisemiten und den völlig verrohten faschistischen Hooligans hätte vielleicht das Potential zum Pogrom, wenn man sie nicht stoppt.

Diese unheimlichen Allianzen nicht aus den Augen zu lassen und ihre Vorstöße abzuwehren, ist elementarer Bestandteil antifaschistischer Praxis. Zur ihr gehört, sich ein Verständnis über Ideologie und Ursachen von Antisemitismus zu erarbeiten. Wer die montags in Erfurt aufmarschierenden Antisemiten, ihren Wahnsinn, seine gesellschaftlichen Ursachen und die Möglichkeiten, dass dieser sich zur Epidemie ausweitet, verstehen will, den laden wir morgen zum Workshop von Jan Gerber von AG Antifa Halle ein, zweite Workshopphase. Wie sehen uns. Vielen Dank!

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