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Friedrichroda: 100 auf Antifa-Demo gegen Nazis und die deutsche Gedenkpolitik

Eintragsdatum: 2013-11-20Quelle: Antifa Arnstadt-Ilmenau

Nach 10 Jahren scheint es mit dem zentralen Fackelmarsch der Neonazis in Friedrichroda vorbei zu sein. Die Tradition ist gebrochen. Lediglich 24 Nazis aus den Kameradschaften nahmen in diesem Jahr am Gedenken teil, ohne Fackelmarsch und tagsüber. Die Antifa-Kampagne schaffte es dagegen in diesem Jahr erstmals eine größere Öffentlichkeit für das Thema zu schaffen und brauchte den Naziaufmarsch ohnehin nicht, um eine Kritik der deutschen Gedenkpolitik auf die Straße zu tragen.

Ende des Traditionsaufmarsches?

10 Jahre lang kamen jährlich zum Volkstrauertag Nazis aus ganz Thüringen nach Friedrichroda um den verstorbenen Mördern der deutschen Barbarei zu gedenken. Angemeldet hatte es stets ein Partei-Kader im Auftrag der NPD. Im Jahr 2013 endet diese Tradition vorerst. Die NPD meldete nicht mehr in Friedrichroda an, sondern verzog sich auf die andere Seite des Rennsteigs, nach Eisfeld. Damit das Gedenken in Friedrichroda nicht ins Wasser fällt, erbarmte sich ein Nazi aus der Kameradschaftsszene. Thomas Reißig aus Brotterode meldete den Aufmarsch an. Warum die NPD nicht mehr in Friedrichroda anmeldete, ist unklar. Denkbar sind mehrere Gründe. Die wahrscheinlichste Interpretation ist wohl die folgende: über Jahre kümmerte sich niemand um den Aufmarsch der Nazis. Sie marschierten unbehelligt durch die Kleinstadt am Nordrand des Thüringer Waldes. Die Stadt ließ die Nazis gewähren und der Teil der Bevölkerung, dem es nicht egal war, fand wohl Gefallen an den anständigen Kameraden mit einem Herz für den Naziopa. Jahrelang lief dieser Aufmarsch also in Harmonie. Als in den letzten Jahren und durch die Aktivitäten des Antifa-Bündnisses sich die Stadt Friedrichroda genötigt sah, ihre freundliche Zusammenarbeit mit den Nazis zu erklären, wurde auch der Umgang mit den Nazis rauer. Die NPD lief Gefahr, die über Jahre aufgebaute Sympathie zu verspielen, wenn wegen ihr auch Dutzende Linksautonome jährlich in die Stadt kamen und die Ruhe der Einöde störten. Sie konnte nicht damit rechnen, dass das mehrheitlich bildungsferne Klientel, auf das sie sich stützt, die Ursache des Krachs am Volkstrauertags nur bei der Antifa sucht, sondern dass man hier irgendwann, wie in Eisfeld schon geschehen, auf die plumpe Erklärung kommt, dass beide Sorten Extremisten zu verdammen sind. Bevor man also alle aufgebauten Sympathien verspielte, zog man ins nächste Kaff und hoffte auf Ruhe bei der Arbeit an der Basis.

Freilich besteht die Möglichkeit, dass wir uns irren und andere Gründe den Ausschlag gaben für den Verzicht auf Friedrichroda. Auch dass sich die Kameradschaften diese Tradition nicht nehmen lassen wollen, könnte ein Grund sein, Friedrichroda im kommenden Jahr wieder ins Programm zu nehmen. Lassen wir uns überraschen. In diesem Jahr kamen jedoch lediglich 24 Nazis zum Aufmarsch nach Friedrichroda. Aus dem angekündigten Fackelmarsch bei Tageslicht wurde nichts. Das Gedenken am Vaterland-Denkmal fand allerdings statt. Ruhe fanden die Nazis diesmal aber keine. In der Umgebung fingen immer wieder versteckte Alarmvorrichtungen an zu schrillen.

Ende des Schweigens?

10 Jahre lang stimmten Stadt, Presse und Bevölkerung ins verordnete wie gewünschte Schweigen zum Volkstrauertag ein. Erst in diesem Jahr erzwang das Antifa-Bündnis mit seinen Aktionen eine Abkehr von der Politik der Ignoranz. Die Verleihung des Goldenen Scheißhaufens für 10 Jahre Akzeptanz und Ignoranz von Naziaufmärschen, NS-Verharmlosung und Menschenhass am Mittwoch, den 6. November, in der Friedrichrodaer Innenstadt sorgte nicht nur für Aufsehen in sozialen Netzwerken, sondern auch die bürgerliche Presse brach kurzzeitig ihr Schweigen und berichtete. Auch die Reaktionen während der diesjährigen Antifa-Demo am Streckenrand lassen darauf schließen, dass immer mehr Anwohner die Politik der Ignoranz nicht mehr mittragen wollten. Schließlich waren deutlich weniger verrammelte Fenster und verkniffene Gesichter am Streckenrand zu sehen, dafür immerhin einige Menschen, die interessiert nach Flyern griffen. Freilich geht es der Bevölkerung in erster Linie nicht um eine Kritik wie sie die Antifa übte, sondern sie trieb vornehmlich die Sorge um das Image ihres Städtchens an. Inwiefern also vernagelte Ignoranz Friedrichrodaer Prägung oder verblödetes Gutmenschentum wie in Eisfeld die wünschenswerteren Formen des Umgangs mit der Naziproblematik sind, ist nicht abschließend zu beantworten. Den real und potentiell Betroffenen von Nazigewalt ist zweiteres näher als das Wegschauen nach Friedrichrodaer Gangart.

Antifa-Demo: Kritik der deutschen Gedenkpolitik

Gegen 15 Uhr sammelten sich die Teilnehmer_innen an der Demonstration des Antifa-Bündnisses am Bahnhof. Zum Auftakt verlas das Bündnis einen Redebeitrag zur Kritik des Volkstrauertages und zur Situation in Friedrichroda. Außerdem sprach Elke Pudszuhn vom Thüringer Verband der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschist_innen. Gegen 16 Uhr startete die Demonstration und zog lautstark durch die Straßen Friedrichrodas bis zum Vaterland-Denkmal, dem Pilgerort der Nazis. Hier verlas die Antifa Suhl/Zella-Mehlis einen Redebeitrag zur Kritik deutscher Gedenkpolitik. Im Anschluss an diese Zwischenkundgebung zog die Demo lautstark durch die Innenstadt bis ins Neubaugebiet an der Bebraer Straße zur letzten Kundgebung. Die Antifa Gotha versuchte hier mit einigen wohl formulieren Worten den Umgang der Stadt Friedrichroda mit der Situation zum Volkstrauertag zu kritisieren und forderte die Einwohner zum Dialog auf. Die Demo schien also einigermaßen verträglich zu enden, wäre da nicht die Thüringische Bereitschaftspolizei, die meinte noch einige Leute drangsalieren und wegen Nichtigkeiten anzeigen zu müssen, um ihr Dasein zu rechtfertigen. Nach zähen Verhandlungen mit der Einsatzleitung und nachdem die inkriminierten Personen in einer unübersichtlichen Situation aus der Schusslinie gebracht wurden, gestand die Einsatzleitung gönnerhaft, dass man auf die Aufnahme von Anzeigen heute verzichte. Falls einige der Personen, die trotzdem ihre Personalien an die Bullen geben mussten, im Nachhinein Vorladungen, Strafbefehle oder ähnliches erhalten, bitten wir euch, euch mit der Roten Hilfe Südthüringen in Verbindung zu setzen. Wir lassen niemanden im Stich!


Wir bedanken uns bei allen, die uns unterstützt haben und die dazu beitragen, dass der deutschen Version der Geschichte, der Verharmlosung von Shoah und Vernichtungskrieg, immer wieder widersprochen werden kann!

Auftakt: Was ist los in Friedrichroda?

Friedrichroda ist eine Kleinstadt am Nordrand des Thüringer Waldes. Wer hier herfährt und eine Zeitlang im Städtchen verweilt, wird den Eindruck nicht los: Hier ist die Welt zu Ende. Das muss der sagenhafte Ort sein, an dem sich Hase und Igel, Wildkatze und Fuchs, Hirsch und Wildschwein Gute Nacht sagen. Hier interessiert man sich nicht für die Probleme der Welt, weil diese Welt erst im 15 km entfernten Gotha wieder eine Relevanz zu haben scheint. Hier, in der beschaulichen Einöde, möchte man in Ruhe gelassen werden. Diese Hinterlandruhe wird seit einigen Jahren immer wieder gestört – freilich nicht von den Nazis, die hier ganz gut her passen, sondern von uns. Ein Schnelldurchlauf durch die Leidenstage einer Friedhofsstadt.

Als vor 10 Jahren der erste Fackelmarsch der Nazis am Volkstrauertag durch Friedrichroda zog, waren die Nazis wohl selber überrascht, wie gut sie in dieses Städtchen passten. Während in jedem Dorf, wo sich Nazis niederlassen, derzeit Anti-Nazi-Bürgerinitiativen aus dem Boden schießen, schätze man in Friedrichroda die jungen Kameraden, die sich zu benehmen wussten und ein Herz für den Naziopa bewiesen, den sie einmal im Jahr in ihre Reihen zurückriefen. Glücklicherweise blieben die Versuche, ihn wiederzuerwecken bisher ohne Erfolg. In Friedrichroda gibt es schon genug Untote.

Dieses Stelldichein der Nazis, mit dem wohl nicht wenige Bürger sympathisierten und mit dem kein Eingeborener wirkliche Probleme zu haben schien, solange man ihn nicht beim Fernsehen störte, lief jahrelang ohne nennenswerte Zwischenfälle. Als sich im Jahr 2005 zwei junge Antifaschisten wagten, den Aufmarsch zu stören, machten die Nazis vom Faustrecht Gebrauch und schlugen eine junge Antifaschistin krankenhausreif. Die Polizei war zu dieser Zeit sicher irgendwo Asylsuchende drangsalieren, denn für die Harmonie zwischen der Stadt Friedrichroda und ihren Nazis bedurfte es ihrer nicht.

Erst im Jahr 2009 zog man seitens der Antifa Konsequenzen aus dem jahrelangen Schauderstündchen zum Volkstrauertag. 150 Antifaschistinnen und Antifaschisten demonstrierten damals durch die Kleinstadt und erwogen eine Blockade des Naziaufmarsches am Nazi-Denkmal. Aus dieser wurde letztlich nichts. Die Symbolik, sich zwischen die Nazis und ihr Denkmal zu stellen, gefiel uns damals überhaupt nicht. Auch ändert sich durch die Blockade von Naziaufmärschen nicht deren – bis ins Bürgerliche hinein anschlussfähige – Ideologie und ihr durchschlagender Charakter.

In den folgenden beiden Jahren marschierten die Nazis wieder ohne größere Proteste. Erst im Jahr 2012 gab es wieder eine Antifa-Demo, die mehr als 2009 den Fokus ihrer Kritik von den Nazis auf die die Nazis hervorbringende Gesellschaft verlagerte – also sich in Ursachenanalyse übte, was zum Volkstrauertag heißt, die Kritik der deutschen Gedenkpolitik voranzutreiben. An den Bürgern der Stadt Friedrichroda ging diese Radikalisierung der Kritik vorbei. Hier wollte man auch im Jahr 2012 nichts von irgendwelcher Kritik wissen, sondern einfach seine Ruhe, ob nun mit oder ohne Nazifackelmarsch. Die Stadtbevölkerung präferierte im Umgang mit den Nazis weiter eine Mischung aus Ignoranz und Toleranz. Die Stadtoberen gingen beispielgebend voran, die Lokalpresse schwieg ebenfalls.

Dieses Schweigen ist seit diesem Jahr vorbei. Nach den Antifa-Aktionen im Vorfeld des Volkstrauertages blieb selbst der schläfrigen Lokalpresse nichts übrig, als über die Geschehnisse zu berichten. Der Reihe nach. Während die im Vorfeld in Gotha stattfindende Veranstaltungsreihe zur Kritik des Volkstrauertages und der deutschen Gedenkpolitik noch, wie üblich, ignoriert wurde, sorgte eine Aktion in Friedrichroda für Aufsehen. Am Mittwoch vergangener Woche bot sich den mit Einkaufen beschäftigten Menschen in der Fußgängerzone ein ungewohnter Anblick. Eine spontan anberaumte Antifa-Kundgebung bot den Rahmen für eine Preisverleihung der besonderen Art. Für 10 Jahre Schweigen, Zuschauen und Mitmachen beim jährlichen Fackelmarsch zum Volkstrauertag, zur Verherrlichung der Mörder von Millionen Menschen, verlieh das Antifa-Bündnis Gotha den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Friedrichroda den Goldenen Scheißhaufen, einen Preis für 10 Jahre Ignoranz und Akzeptanz von Naziaufmärschen, NS-Verharmlosung und Menschenhass.

Während die apathisch durch die Innenstadt wandelnden Gestalten nicht so richtig wussten, wie ihnen geschah, wusste es ihr Vorsteher, Bürgermeister Klöppel sofort. Er beklagte anschließend in der Presse, dass das Image des Kurortes beschmutzt werde. Allerdings nicht weil hier Nazis zum Stadtbild gehören, sondern weil es jemanden gibt, der auf diesen Zustand aufmerksam macht. Zur Kritik solcher Logik hören wir nachher noch einen Redebeitrag der Antifa Gotha. Ähnlich wie der Friedrichrodaer Kleinstadtfürst, der sich um das Image seiner Klitsche sorgt, geht es zahlreichen Friedrichrodaern, die sich in sozialen Netzwerken Luft machen und dort ihre Ressentiments kultivieren. Aber es gab auch verhaltenen Beifall für die Aktionen. Nicht wenige Einwohner haben von der Ignoranz die Nase voll und signalisieren Bereitschaft zum Protest.

Für weiteren Aufruhr sorgte ein in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch verteilter Satire-Flyer. Darin lässt nicht nur die NPD ihre eh schon nur halbherzig aufrecht erhaltene biedere Maske fallen, sondern auch die Rolle der Stadt Friedrichroda als Zuträger der Nazis kommt überspitzt auf den Punkt. Alles in allem haben die Vorfeldaktionen die Aufmerksamkeit für die Volkstrauertagsproblematik mehr denn je gesteigert. An diese Aktionen gilt es auch in Zukunft anzuknüpfen, weil wir den Naziaufmarsch nur dann nachhaltig unmöglich machen können, wenn wir über seine Möglichkeitsbedingungen aufklären und den Nazismus mit seinen Ursachen beseitigen. Dafür gehen wir heute auf die Straße.


Gegen Deutschland und seine Nazis!

Redebeitrag der Antifa Suhl/Zella-Mehlis zur Kritik der deutschen Gedenkpolitik

Selten sind die Deutschen so gefährlich, wie wenn sie jammern, dass sie sich bedroht, gedemütigt, deprimiert und zurückgesetzt fühlen. Meist tragen die jammernden Deutschen dann schon den Angriffsplan in der Tasche – die aktuelle Lage etwa in Greiz oder Schneeberg zeigt das ganz deutlich – oder sie propagieren, wie am Volkstrauertag, wo mehr als sonst wo quasi rituelles Jammern angesagt ist, eine deutsche Version der Geschichte, die in ihren verschiedenen Nuancierungen alles andere als ein Privileg der Nazis ist. Diese deutsche Version der Geschichte bzw. ihre aktuelle Ausprägung kennt nur noch Opfer. Das unterschiedslose Gedenken an die sogenannten Kriegstoten und die Opfer zunächst nicht weiter differenzierter Gewaltherrschaft[en] macht alle gleich: Die Mörder und ihre Opfer, die Gequälten und ihre Folterer, die Widerstandskämpfer und Partisanen und ihre Verfolger, die deutschen Vernichtungstruppen und die Soldaten der Anti-Hitler-Koalition. Diese Geschichtspolitik löscht die Spezifik des deutschen Verbrechens aus und leitet zum Vergessen an. Wo allen unterschiedslos gedacht werden soll, ist auch egal, wem da und warum da gedacht wird.

Was in solchem Gedenken vergessen gemacht wird, ist nicht nur jene Spezifik des deutschen Verbrechens, sondern vergessen gemacht werden auch jene Bedingungen, die nach Auschwitz führten und die bis in die Gegenwart fortdauern. Jene Kontinuitäten, die in der deutschen Gedenkpolitik hervortreten, dieses Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie hat antifaschistische Gedenkpolitik herauszustellen, zu kritisieren und zu bekämpfen. Sie steht unversöhnlich zu Deutschland, zu seinen potentiellen und wirklichen Nazis und zu einer Ideologie, die immerwährende Basis für den nächsten Angriff auf die Menschheit ist. Statt also eine wirkliche Aufarbeitung der Vergangenheit zu betreiben und mit dem Wachhalten der Erinnerung an die Verbrechen die fortbestehenden Bedingungen für seine Wiederholung zu beseitigen, beklatschen jene Deutschen, die noch keine bekennenden Nazis sind, am Volkstrauertag allerorts die herrschende Form von Demokratie und mahnen für den Frieden. Dabei wird verdeckt, dass die NSDAP sich 1933 nicht an die Macht putschte, sondern demokratisch gewählt wurde – die Demokratie also kein Mittel war, den Faschismus aufzuhalten – und dass, wer für den Frieden mahnt, nicht vergessen darf, dass die Deutschen bewiesen haben, dass es Schlimmeres gibt als den Krieg; dass dieses Land ein Verbrechen in die Welt gesetzt hat, das nur durch alliierte Bomberflotten und Panzerverbände gestoppt werden konnte. Die Vernichtung des europäischen Judentums hatte in Deutschland höchste Priorität. Selbst als an allen Fronten die deutschen Linien einbrachen und die Wehrmacht überall auf dem Rückzug war, wurde ein wesentlicher Teil des deutschen Schienennetzes für die Deportation der Juden statt für die logistische Unterstützung der deutschen Truppen genutzt. Die Niederlage im Krieg gegen die Alliierten konnten die Deutschen noch verschmerzen, solange die Juden nur restlos vernichtet wurden.

Von solcher Spezifik des deutschen Verbrechens, der Vernichtung der europäischen Juden, die für niemanden ausgebeutet oder versklavt wurden, sondern einfach vernichtet, will man am Volkstrauertag nichts wissen. An diesem Tag zeigt sich das Fundament deutscher Vergangenheitsbewältigung: die Verdrängung, Verharmlosung und das Vergessen der eigenen Geschichte. Wer so mit der Vergangenheit umgeht, nimmt in Kauf, dass sie sich wiederholt. Wer nicht, wie im Schwur von Buchenwald weitsichtig festgehalten, für die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln eintritt, sondern den deutschen Faschismus nur noch quantifiziert und als Gewaltherrschaft neben anderen zu den Akten legt, der unterstützt mindestens passiv, ob er will oder nicht, dass mit der gegenwärtigen Gesellschaft die Bedingung der Möglichkeit von Auschwitz fortbesteht. Solange die mit dieser furchtbaren Gesellschaft bestehenden Möglichkeitsbedingung für die faschistische Barbarei nicht beseitigt werden, bleibt dieses Land, was es ist und als was es immer wieder benannt werden muss: ein Mordkollektiv im Wartestand.

Das politische Personal dieses Mordkollektivs im Wartestand, dessen äußerste Spitze, die hier und heute wieder marschierenden Nazis sind, versammelte sich heute vormittag bereits allerorts an den Gedenksteinen der gefallenen Deutschen für den rituellen Kranzabwurf. Dass die Mehrheit der Deutschen den Tag vor der Glotze oder beim Sonntagsausflug mit der Sippschaft verbracht hat, ist kein Grund für Entwarnung. Wann und wie die unaufgeklärte Mehrheitsbevölkerung im Sinne faschistischer Krisenbewältigung mobilisierbar wird, wissen wir nicht. Die aktuellen Entwicklungen in Greiz, Schneeberg und anderen Orten, wo unentwegt Stimmung gegen die Heime von Asylbewerbern gemacht wird, lassen erahnen, was los sein wird, wenn sich auch in Deutschland die Krise des Kapitalismus zuspitzt. Solange darf antifaschistische Gesellschaftskritik nicht locker lassen, diese Gesellschaft in ihrer Menschenfeindlichkeit bloßzustellen und die Kräfte zu sensibilisieren und zu stärken, die die Deutschen eines Tages stoppen und eines noch ferneren Tages aus der Geschichte verbannen könnten.

Tage, wie der Volkstrauertag bieten hierfür geeignete Anlässe, um die deutsche Version der Geschichte zurückzuweisen und den Deutschen ihr Gedenken an die Mörder von damals so unbequem wie möglich zu machen. Wer trotzdem meint, er brauche einen Tag, um die toten Angehörigen zu ehren, der kann das still und heimlich auf dem jeweiligen Friedhof an jedem beliebigen Tag tun. Einen Tag, an dem kollektive Gedenkrituale, unter Anrufung des Zwangszusammenhanges Volk, zelebriert werden, braucht es dazu nicht. Dieser Tag ist Ausdruck eines politischen Programms geworden und gehört abgeschafft mit der Gesellschaftsordnung, die solche Tage nötig hat.


Den Volkstrauertag abschaffen!
Nie wieder Deutschland!

Redebeitrag der Antifaschistischen Aktion Gotha zum Umgang der Stadt Friedrichroda mit Naziaufmärschen, NS-Verharmlosung und dem Volkstrauertag.

Liebe Mitdemonstrierende, liebe Friedrichrodaerinnen und Friedrichrodaer, wir wollen die Gelegenheit nutzen und auf die Kritik von Herrn Klöppel und der Stadt Friedrichroda eingehen. In einer Stadtratsmitteilung vom 29.10. wird recht deutlich was für Bürgermeister Klöppel und die Stadtoberen das wirkliche Problem rund um den Volkstrauertag ist.

Zitat: „Sie sind in Friedrichroda nicht erwünscht! Wir brauchen keinen Aufmarschtourismus, weder von rechten noch von linken Gruppen in Friedrichroda. Sie schaden dem Image unseres Urlaubsortes erheblich. Darauf können wir gerne verzichten!“

Extremismus-Doktrin, gepaart mit dem obersten Ziel der Imagepflege. Anstatt sich mit unserer Kritik und den Argumenten zu befassen, belassen es Herr Klöppel und der Stadtrat dabei, Neonazis und solche Menschen die Widerstand gegen eben diese leisten, gleichzusetzen und sich damit vor einer inhaltlichen Auseinandersetzung zu drücken. Da man mit Nazis nicht redet, und Antifaschist_innen laut Extremismus-Doktrin ja genauso böse sind, sollte mit denen auch nicht geredet werden. Schließlich verortet sich ein Herr Klöppel in der vermeintlich „guten politischen Mitte“. Von dieser Mitte zweigen links und rechts die Ränder bogenförmig ab, und so reduziert man etwas so komplexes wie die Gesellschaft, auf so etwas Einfaches wie ein Hufeisen. Was auf den ersten Blick durch die Einfachheit besticht, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als unzutreffend und gefährlich. Die Grenzen zwischen „Normal“ und „Extrem“ sind willkürlich und schwammig. Und so landen dann beispielsweise sowohl der Nationalsozialistische Untergrund zusammen mit einer antirassistischen Kampagne wie „Rassismus tötet!“, in einem Topf. Beide extremistisch, also außerhalb der guten Mitte, also gleich schlecht. Und das obwohl es nichts Gemeinsames gibt, weder in den Zielen, noch den Methoden.

Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit, Einstellungen also die das Hufeisenmodell in der Theorie, dem extrem rechten Rand zuspricht, sind in der gesellschaftlichen Realität aber bis weit in die Mitte hinein verbreitet. Antisemitische Einstellungen finden sich bedauerlicherweise auch in Teilen der politischen Linken. Aber obwohl die pseudowissenschaftliche Theorie des Extremismus an der Realität zerbricht, weil sie die Wirklichkeit eben nicht fassen kann, wird sie von gewissen bürgerlich konservativen Kreisen gebetsmühlenartig vorgetragen. Zum einen soll erreicht werden dass Sie, liebe Friedrichrodaer Bürgerinnen und Bürger bloß nicht auf die Antifa-Demo gehen und zuhause bleiben. Denn wer nicht mit Nazis in einen Topf geworfen werden will, der darf auch nicht gegen sie protestieren. Klingt komisch, ist aber so – zumindest in der Welt der Extremismus-Theoretiker. Der zweite erhoffte Effekt der Extremismus-Doktrin ist eben der dass sich die „gute Mitte“ einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit Themen wie Rassismus, Antisemitismus und Sozialdarwinismus nicht stellen muss. Die Logik dahinter: Die ganzen Schlechtigkeiten werden den extremen Rändern zugeschrieben, da man sich selbst aber zur guten Mitte zählt kann man kein Rassist oder Antisemit sein. Oder eben um zum aktuellen Anlass zu kommen, ein Herr Klöppel muss nicht erklären wo denn eigentlich die Unterschiede zwischen dem offiziellen Volkstrauertags-Gedenken und dem Heldengedenken der NPD liegen. Die NPD verzichtet zwar auf die „Trauer“ um die Opfer des Nationalsozialismus und beschränkt sich auf die Täter. Das offizielle Gedenken hingegen gilt allen. Also sowohl den Menschen die durch die deutsche Barbarei ihr Leben verloren haben, als auch denen die es erdacht, organisiert und durchgeführt haben. Auch für die von Sebastian Reiche in die Reihen zurückgerufenen Waffen-SS-Schlächter ist Platz im offiziellen Gedenken. Doch dank der Extremismus-Doktrin haben es Menschen wie Herr Klöppel, also die „gute politische Mitte“, eben nicht nötig sich mit ihrer eigenen Nähe zu extrem rechten Positionen zu befassen.

Soviel zum Hufeisen, jetzt zur Imagepflege der Stadt. Um es kurz und knapp zu halten. Angenommen Friedrichroda hätte kein Problem weil es den größten regelmäßigen Naziaufmarsch Thüringens beherbergt. Sondern das Problem wären beispielsweise viele und sehr tiefe Schlaglöcher, wären dann die Menschen Schuld am Imageproblem der Stadt die sich über die Schlaglöcher beschweren, oder vielleicht doch eher die Schlaglöcher? Der größte Teil der Neonazis kommt wohl nicht aus Friedrichroda, ebenso wie die meisten Gegendemonstrant_innen bedauerlicherweise nicht von hier sind. Da wäre es auch mehr als falsch das Stadtimage den Neonazis oder uns zuzuschreiben. Wenn der Eindruck entstanden ist das Friedrichroda kein Problem mit Neonazi-Fackelmärschen hat, sich tolerant zeigt gegenüber solchen Leuten die offen den Nationalsozialismus verherrlichen, dann liegt das nicht an uns. Die Verantwortung für das „schlechte Image“ können alle Friedrichrodaerinnen und Friedrichrodaer, die heute zuhause vor der Glotze sitzen, mal schön selber tragen. Zum schlechten Image trägt auch keine provokante Aktion von ein paar engagierten Antifaschist_innen bei, sondern eher kollektives Ignorieren, Tolerieren und Akzeptieren dieser schauerlichen Volkstrauertags-Zeremonie.

Die von Herrn Klöppel bevorzugte Strategie im Umgang mit Neonazis, die „Abstrafung durch Nichtbeachtung“ hat unserer Meinung nach noch nie funktioniert. Die in den 90er Jahren praktizierte „Akzeptierende Jugendarbeit“ hat damals ihren Teil dazu beigetragen dass sich eine gut organisierte rechte Szene bilden konnte. Das Tolerieren von antisemitischen, rassistischen oder sexistischen Weltbildern hat eben nicht zum Abbau solcher Einstellungen geführt. Und was damals falsch war ist es heute auch noch. Den Nazis geht es bei ihrem „Heldengedenken“ in erster Linie auch nicht um Außenwirkung. Im Gegensatz zu NPD-Demos vor Flüchtlingsunterkünften oder den diversen Open-Air-Rechtsrock Veranstaltungen ist die rechte Szene in Friedrichroda nicht darauf aus neue Sympathisanten zu ködern, oder sich in der Öffentlichkeit als Stimme des kleinen Mannes anzubiedern. Wenn die Veranstaltung in Friedrichroda unbeachtet bleibt passt das den Nazis ganz gut. Denn hier tritt ihre Verbundenheit mit dem historischen Nationalsozialismus offen zu Tage. Der positive Bezug auf die Soldaten der Waffen-SS, das Schwadronieren über den Kampf von damals, der heute fortgesetzt werden müsse, der Fackelmarsch ganz im Stile der alten SA-Märsche. Hier kann nun keiner mehr von seriöser Radikalität oder „gesundem Patriotismus“ reden, die Leute die Jahr für Jahr nach Friedrichroda pilgern sehen sich selbst als die Erben der NSDAP. Und die Veranstaltung hier in Friedrichroda dient den Nazis dazu, eben diese positive Bezugnahme in den eigenen Reihen zu festigen – und das mit allen Konsequenzen. Solche Veranstaltungen festigen das Weltbild der Neonazis, und so wie einst die Großväter mit der Waffe in der Hand für Volk und Vaterland ihr größt mögliches Opfer gaben – ihr Leben. So gibt es auch heute wieder Menschen, die in ihrem Hass auf alles Fremde über Leichen gehen, mit der Bereitschaft auch ihr eigenes Leben für „die Sache“ zu geben. Und wenn der Soldat der damals während des Überfalls auf Osteuropa gefallen ist ein Held war – also um es mal auf den Punkt zu bringen, ein Soldat der die Unterjochung Europas vorangetrieben hat, ein Soldat der seinen Teil dazu beigetragen hat das europäische Judentum beinahe komplett auszurotten. Wenn so ein Mensch heute noch als „Held“ verehrt wird, kann das was er damals so angestellt hat ja nicht so falsch gewesen sein.

Wir stellen uns deshalb auch gegen das „offizielle Volkstrauertags Gedenken“, ein Gedenken das die Grenzen zwischen Opfern und Tätern wegwischt, und dadurch versucht zu suggerieren das ja alle irgendwie Opfer waren. Die einen eben Opfer der Nazis, und die Nazis Opfer der Verführungskünste eines Hitler und seiner Clique. Ein Gedenken das gleichzeitig die Opfer der Konzentrationslager und die Toten der Wachbataillone eben dieser KZs einschließt, ist unserer Meinung nach Abzulehnen. Es käme ja auch kein Mensch auf die Idee bei einer Trauerfeier für die Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds Mundlos und Böhnhardt mit einzubeziehen.

Abschließend will ich kurz auf die Aussage des Bürgermeisters Klöppel in der TA vom 08.11. eingehen. Nachdem er sich „maßlos“ über den Goldenen Scheißhaufen geärgert hat erwähnt er dass die Stadt ja sowieso machtlos gegen die Nazis sei, wegen der Versammlungsfreiheit. Auch uns liegt es fern hier nach dem Polizeistaat zu rufen, das Versammlungsgesetz zu verschärfen, oder ähnlichem. Aber wie sie sehen gibt es ja durchaus andere Möglichkeiten sich mit Neonazis auseinanderzusetzen. Dieser Vorwurf richtet sich nun nicht an den Bürgermeister, sondern an Sie alle als Bewohner dieser Stadt. Auch wenn eine Nazidemo nicht verhindert werden kann, ist es mehr als angebracht sie nicht widerspruchslos und unkommentiert stattfinden zu lassen. Wenn ihr die Positionen der Neonazis nicht teilt, dann macht das auch deutlich!

Und uns einen Aufmarsch-Tourismus vorzuwerfen ist auch mehr als lächerlich. Es ist bei weitem nicht so dass wir schon im Sommer die Tage im Kalender abstreichen, und voller Vorfreude unserem großen Ausflug nach Friedrichroda entgegenfiebern. Aber wir werden nicht wegbleiben solange NS-Verharmlosung und Menschenhass offen auf die Straße getragen werden. Das machen wir auch keinesfalls um euch Friedrichrodaerinnen und Friedrichrodaer zu ärgern, oder weil wir euer Image als Luftkurort nachhaltig schädigen wollen. Und wir würden es begrüßen wenn wir das in Zukunft vielleicht auch nicht mehr ohne euch tun müssten. Und um Protest gegen Neonazis zu organisieren müsst ihr nicht warten bis der Bürgermeister oder der Stadtrat euch dazu einlädt, dazu braucht es nur euch.


Antifaschistische Aktion Gotha
November 2013
























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