Am 9. November 2013 demonstrierten ca. 500 Menschen in Greiz gegen die menschenfeindliche Hetze einer rassistischen Bürgerinitiative. In einem gemeinsamen Redebeitrag plädieren die Antifaschistische Aktion Gotha und die Antifaschistischen Gruppen Südthüringen für Wachsamkeit, Solidarität und die Ausweitung des Kampffeldes.
Redebeitrag zur Kritik des rassistischen Massenbewusstseins
Einmal die Woche marschiert in dieser Stadt ein Mob aus Nazis und rechtem Wutbürgertum auf, um gegen das Heim von Geflüchteten Stimmung zu machen. Kein Tag vergeht, an dem nicht irgendein Idiot aus diesem Mob, der hier Freitags aufmarschiert, auf Facebook beteuert, er sei doch kein Nazi. Was diese Leute, die zwar gerne mit Nazis demonstrieren, aber doch lieber keine sein wollen, wohl selbst nicht richtig glauben können: Sie haben recht. Rassismus war noch nie ein Privileg organisierter Nazis. Das Grundrecht auf Asyl etwa hat im Jahr 1993 nicht etwa die NPD abgeschafft, sondern die damalige Bundesregierung mit Hilfe der SPD. Verantwortlich für Abschiebungen und Grenzsicherung ist nicht Holger Apfel, sondern die regierende deutsche Politik. Die Unterbringung in Lagern, Residenzpflicht, Gutscheinsystem und die Verdammung zur Untätigkeit waren auch keine Erfindungen der Neonazis. Allerdings – und hier liegt der blinde Fleck so mancher Flüchtlingsinitiative: Die ausschließliche Verantwortung für die betriebene rassistische Politik den aktuell Herrschenden und deren Willensbildung zuzuschreiben, greift zu kurz. Schließlich gilt es Rassismus nicht einfach als Vorurteil zu begreifen, das durch gutes Zureden auszutreiben ist, sondern als gesellschaftliches Verhältnis, das die bestehende Ordnung aus sich heraus produziert, um – kurz gesagt – ihren Mitgliedern ein Ventil für die immanente Verarbeitung von Abstiegsängsten zu bieten. Wenn die Herrschenden nun eine rassistische Politik betreiben, dann tun sie das nicht nur, weil sie selber Rassisten sind, sondern weil ihnen die Verhältnisse, die keiner mehr verstehen und erst recht keiner mehr verändern will, kaum eine andere Wahl lassen.
Wer wiedergewählt werden will, hat die Staatsknete unter den Wählern zu verteilen. So ist auch die aktuelle Syrienpolitik der staatstragenden deutschen Linken zu begreifen. In einer Situation, in der sich nicht mehr sagen lässt, ob man lieber die Autokraten um Assad oder die rebellierenden Islamisten am Drücker sehen will, gibt es für eine politische Linke nur eines, das sinnvoll ist, zu fordern: Die Öffnung der Fluchtwege für alle, die willens sind, dieses Land zu verlassen. Was die deutsche Linke stattdessen tut, ist gegen mögliche amerikanische Militärinterventionen zu hetzen und nach Frieden zu plärren, wo dieser unmöglich ist. Mal davon abgesehen, dass Frieden in dieser Welt und unter kapitalistischen Bedingungen noch nichts ist, was dem Elend eine Ende machen würde. Warum die staatstragende Linke, die sich wählen lassen will, nicht eindeutig für die Menschen eintritt, liegt auf der Hand. Die rassistische deutsche Mehrheitsgesellschaft will keine Flüchtlinge aus Syrien, weil sie ihnen die Sozialhilfe und die schimmlige Baracke neidet, in denen die Geflüchteten zumeist untergebracht werden.
Und aus diesem Grund fallen die Solidaritätsbekundungen immer etwas vage aus. Zwar versucht man mittels gut gemeinter Information Verständnis für die Situation der Geflüchteten zu wecken. Doch von Mitgefühl für Menschen von einer anderen Scholle, aus einem anderen Land war der rassistische deutsche Mob, diese Mischung aus Nazis, rechtem Wutbürgertum und Abstiegsgeängstigten, nie zu erwärmen. Tatsachen, wie die Fluchtgeschichten der Einzelnen, gehören zu den Dingen, von denen sich die Landsleute ihre Meinung nicht verbiegen lassen. Nirgendwo mehr als in Deutschland gilt Adornos Feststellung, wonach Kälte zum Grundprinzip bürgerlicher Subjektivität geworden sei. Und nichts anderes zeigt sich in dem Hass und der Wut, die der rassistische Mob hier Freitags und eigentlich jeden Tag mobilisiert. Diese Leute bestätigen täglich aufs neue eine gesellschaftliche Tendenz, nämlich die Gleichgültigkeit des Lebens jedes Einzelnen. Wo sich die Identität des Einzelnen in seiner gesellschaftlichen Funktion erschöpft, da wächst mit dem Heer der gesellschaftlich-produzierten Überflüssigen die Last für die, die noch funktionieren dürfen und eben die Angst, sich bald in dieses Heer einreihen zu müssen. Deswegen will man die Geflüchteten nicht hier haben. Sie führen den Deutschen vor Augen, wo die Geschichte, deren Logik man nicht begreift, sich hinbewegt.
Und weil das deutsche Massenbewusstsein wie kein anderes die Niederlage in der gesellschaftlichen Konkurrenz als Zerstörung des Selbst wahrnimmt, weil die Deutschen, denen es eigentlich noch gut geht, ihr Leben in der Konkurrenzgesellschaft als eine nie abreißende Kette von Kränkungen und Demütigungen erfahren, deswegen ist der Hass gegen die Ausländer hier grenzenlos und die erfahrene Demütigung muss erwidert werden gegen jene, denen es noch beschissener geht, die Hilfe suchen und dafür staatlich drangsaliert und vom Mob beschimpft werden. Auf die Idee, dass die herrschende Ordnung, ihre Logik und Anforderungen Ursache des gesellschaftlichen Elends ist, dass es dem Menschsein viel näher käme, mit den verfolgten Ausländern gemeinsam die kapitalistische Ordnung abzuschaffen, als die Ausländer innerhalb dieser Ordnung zu beseitigen, darauf kommen die Landsleute eher selten. Stattdessen sehen die Deutschen ihr Heil im Hass und der Vertreibung der Ausländer, die den Einheimischen die Arbeit, die Sozialleistungen und den Raum wegnehmen sollen, weil die weit her gereisten eben die Idylle der ostthüringischen Tristesse stören, wo man ja immerhin einen Spielplatz und einen Konsum sein eigen nennt. Die hassenden Deutschen kennen eben keine eigene Schlechtigkeit, sie kennen nur eine schlechte Welt und vor der wollen sie sich und ihre Sippschaft schützen.
Von diesem Dreckspack und jenen, die heimlich ihre Forderungen politisch umsetzen, indem sie die Asylgesetzgebung verschärfen, abschieben und drangsalieren, geht eine immerwährende Gefahr aus. Weil die Deutschen, mit einem Wort Wolfgang Pohrts, immer dann, wenn sie jammern, dass sie sich umzingelt, bedroht, gedemütigt, deprimiert und übervorteilt fühlen, den Angriffsplan schon in der Tasche tragen, deswegen ist Wachsamkeit und Solidarität das Gebot der Stunde, um zu verhindern, was zu verhindern ist. Deswegen gilt unsere Solidarität den Geflüchteten und den vor Ort aktiven Antifaschistinnen und Antifaschisten!
Gegen Deutschland und seine Rassisten!
Pogrome verhindern bevor sie entstehen!