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![]() Für aktuelle News checkt bitte unseren neuen Blog!Thüringen: Gemeinschaftsprojekt Heimatschutzbr>Eintragsdatum: 2012-02-17 — Quelle: NEIN Vor einigen Wochen erschien in Erfurt das aktuelle Szene-Blättchen NEIN. Neben anderen interessanten Artikeln und Berichten befindet sich in der Ausgabe ein Kommentar, der den Umgang der Zivilgesellschaft mit dem NSU kritisiert. Da das Heftchen in Südthüringen nicht kursiert, aber die Positionierung der radikalen Linken in Thüringen hierzu wünschenswert ist, haben wir den Artikel eingescannt und hier verfügbar gemacht.
Gemeinschaftsprojekt Heimatschutz
Quelle: Nein #20, Januar 2012Vor einigen Wochen wurde eine über Jahre hinweg zentrale Figur der Thüringer Naziszene, Ralf Wohlleben aus Jena, verhaftet. Er soll in Verbindung mit dem Naziterrortrio Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt gestanden haben. Dass nun weitere Thüringer Nazi-Größen den Weg in die U-Haft bestreiten werden, ist nicht unwahrscheinlich. In diesem Artikel geht es nicht darum weitere Indizien zusammenzutragen, sondern vielmehr um die Annäherung an die wirklichen Gründe für die aktuelle Gemeinschaftshatz auf die Nazis. Die deutsche Mainstream-Presse von Bild bis TAZ ist außer sich vor Freude. Beinahe jede Woche zerren sie neue Nazis ans Licht der Öffentlichkeit, die in Verbindung mit den Naziterroristen standen oder gestanden haben könnten. Unter anderen sind nun André Kapke aus Jena, Patrick Wieschke aus Eisenach und Thomas Gerlach aus Altenburg im Gespräch. Die Thüringer Zivilgesellschaft freut sich auch. Sie gefällt sich in der Rolle des Zuarbeiters und sucht fieberhaft in Archiven nach Bildern und Verbindungen, die sie der Presse zuspielen kann. Solange der lesende und Fernsehen konsumierende deutsche Mob noch für die Gestalten der militanten Nazi-Szene zu begeistern ist, wird die Hatz fröhlich weitergehen. Freilich ist Mitleid hier nicht angebracht. Schließlich werden endlich mal Strukturen beleuchtet, auf die Thüringer Antifa-Gruppen seit Jahren hinweisen. Doch sind eindeutig Tendenzen zu vernehmen, dass man in der Linken vor lauter Schadenfreude das Denken auf Eis gestellt hat und sich der eigenen Betroffenheit erst immer wieder neu versichern muss. Warum, frage ich. Dass die bundesdeutsche Presse nun eine Nazi-Größe bzw. vermeintlichen Terrorhelfer nach der anderen ans fade Licht der Öffentlichkeit zerrt und von diesen Charakterprofile zu erstellen meint, hat vor allem einen Grund: die Mitarbeit der deutschen Zivilgesellschaft. Auf nichts wartet die Zivilgesellschaft und ihr voran die staatlich geförderten mobilen Beratungsteams mehr, als auf diese Gelegenheit. Die prekären Einrichtung, die schon seit Jahren von Abschaltung und Drangsalierung bedroht sind, machen sich so unverzichtbar, indem sie ein Feld für die Presse öffnen, das vorher nur die radikale antifaschistische Linke bearbeitet hat, die Anti-Nazi-Recherche. Berauscht vom neuen Bedeutungsgewinn fließen so Informationen über Informationen an die Mainstream-Medien, die gar nicht genug private Details zu verpixelten Nazifressen ins Internet, die Zeitung und ins Fernsehen werfen können. Das Bild, das hier befördert wird, ist das eines verzweigten Netzwerkes aus wahnhaften Mördern und ihren Helfern. Doch lenkt die Informationsflut und Enthüllungsrhetorik nur vom Wesentlichen ab, der Ideologie der Nazis, den Motiven und Gründen für ihr Handeln. Hier soll es auch nicht darum gehen Schnittmengen zwischen Nazis und »Normalgesellschaft« zu benennen, das tun Thüringen Monitor, Heitmeyer- und FES-Studien zur Genüge, sondern hier soll auf die gemeinsame Struktur von bürgerlicher und faschistischer Ideologie verwiesen werden. Sowohl bürgerliche als auch faschistische Ideologie sind zu begreifen als Antworten auf die Anforderungen kapitalistischer Vergesellschaftung, beide dienen der Rechtfertigung der bestehenden Verhältnisse. Daran ändert auch die antikapitalistische Rhetorik vieler Nazis nichts, denn ihr Antikapitalismus ist kein Bruch mit den bestehenden Verhältnissen, sondern deren Zuspitzung und potentielle Krisenform. Der springende Punkt ist die Konstitution bürgerlicher Subjektivität überhaupt, ihre politökonomische Struktur, die sowohl der bürgerlichen wie der faschistischen Ideologie zugrunde liegt. Vor allem in der Absetzbewegung des bürgerlichen Subjekts von vermeintlichen Unter- und Übermenschen generiert dieses seine Identität; es ist rassistisch und antisemitisch konstituiert. In Krisen kapitalistischer Reproduktion, die immer eine Krise bürgerlicher Subjektivität und Identität zur Folge haben kann, neigt dieses Subjekt zur militanten Abwehr der vermeintlichen Bedrohungen von unten und oben. [1] Die heutigen Nazis sind also eine Art Vorposten, in dem das bürgerliche Individuum seine eigene Ideologie in konsequenterer, zugespitzterer Form sehen kann. Potenziell ist das zum Subjekt formierte bürgerliche Individuum, das seinen Arbeitsplatz von »Fremdarbeit« bedroht sieht und auf die raffenden Banken schimpft, schon der Nazi, der bereit ist zuzuschlagen, wenn er den Verlust der freien Verfügung über sich selbst, sein Selbstbewusstsein als atmende Ware bedroht sieht. Solange diese Wahrheit aber unter dem Amalgam bürgerlicher Ideologie schlummert, wird das bürgerliche Subjekt, das der Zivilgesellschaftende darstellt, den Naziterror in pathologischer Betroffenheit zurückweisen und fieberhaft dabei helfen die Verfolgung jener zu betreiben, die quasi Geheimnisverrat betrieben haben, indem sie die Wahrheit über diese Gesellschaft haben aufblitzen lassen. Anstatt sich nach dem Bekanntwerden der Morde des Nazi-Trios zurückzuziehen und nachdenklich zu werden, berauschen sich diese Teile der Gesellschaft lieber an ihrer eigenen Blödheit und Borniertheit bei Udo Lindenberg, Peter Maffay und Clueso. Als könne das Geschunkel und die beschämenden Reden und Ansagen der Bauchredner des Wahnsinns beim bürgerlichen »Rock für Deutschland« (das der Nazis findet jedes Jahr in Gera statt) im Jenaer Paradies vor einigen Tagen die verdrängte Wahrheit über die Morde endgültig vergessen und Jena zu einer weltoffenen Stadt machen. Die Zivilgesellschaft arbeitet mit am großen Endziel, der Schadloshaltung der Bundesrepublik Deutschland, die als geläuterte den Kampf gegen die Zukunft der eigenen Vergangenheit aufgenommen haben will. In Wirklichkeit verweisen die Anstrengungen auf etwas ganz anderes, auf die pathologische Schuldabwehr. In der ganzen Dramaturgie der Hatz darf nicht ans Licht kommen, dass es die Denkbestimmungen dieser Gesellschaft sind, die den Naziterror genauso hervorbrachten, wie die Schuldabwehr und die Hatz auf die Verräter, die sich nicht an die rechtsstaatlichen Auflagen hielten, Ausländer erst abzuschieben und in der Heimat sterben zu lassen und Menschen durch systematische Ausbeutung zu zermürben, statt mit der Waffe niederzustrecken. Die Verteidigung des Standort Deutschland gegen seine eigenen Auswüchse und die Abwehr der Schuld am faschistischen Morden verkleiden die Potentaten der bürgerlichen Gesellschaft als Betroffenheit. Sie affirmieren dabei eine Gesellschaft in der rassistische Abschiebungen und Diskriminierungen Alltag sind, das dumpfe Ressentiment gegen Israel zum guten Ton gehört und in der ´Hunger kein Grund zur Produktion ist´. (Horkheimer) Die deutsche Gesellschaft ist keineswegs so freundlich, friedliebend und weltoffen, wie man das gern hätte; sie ist der Schoß aus dem die faschistischen Mörder erst gekrochen sind und in dem sie ihre politische Heimat fanden. Die radikale Linke tut gut daran, diesen Heimatschutzbund aus deutscher Politik, Medien-Mainstream und Zivilgesellschaft zu meiden und eine politische Praxis zu befördern, die nur darin bestehen kann durch radikale Aufklärung »das Volk vor sich selbst zu erschrecken lehren«, wie Marx es einmal formulierte; sich der Euphorie über die staatlich-organisierte Zerschlagung von Nazistrukturen (der dieser über Verfassungsschutz und Erziehung freilich erst ermöglicht hat) zu entziehen und den Blick auf das zu werfen, was zwar nicht offensichtlich, aber wirklich ist, nämlich die gemeinsame Ideologie von Tat und Schuldabwehr, von Naziterror und bürgerlichem Heimatschutz. Ilja Antiboche [1] Wer sich für diesen Zusammenhang, für die Konstitution bürgerlicher Subjektivität und ihren Widerspruch zur Idee des Menschenrechts interessiert, dem sei folgender Aufsatz wärmstens empfohlen: Joachim Bruhn: Übermensch und Untermensch - Über das Verhältnis von Rassismus und Antisemitismus. In: Ders.: Was deutsch ist - Zur kritischen Theorie der Nation. Ca ira-Verlag, Freiburg, 1994, S. 77-110. |
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