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Zella-Mehlis: "Freies Wort" zieht Resümee

Eintragsdatum: 2006-12-14Quelle: AGST

Ein gutes viertel Jahr ist seit der antifaschistischen Demonstration vom 26. August in Zella-Mehlis vergangen. Am 12. Dezember erschien im Freien Wort ein mehr oder weniger ausführlicher Artikel um die Geschehnisse vor, während und nach der Demonstration. Wir dokumentieren.


12.12.06 - Freies Wort

RECHTSEXTREMISMUS
Wegsehen, überhören, beschweigen, tiefer hängen
Obwohl mindestens ein Verein von braunen "Kameraden" unterwandert wurde, möchten Zella-Mehliser Stadtobere vor allem Nichtöffentlichkeit

VON REDAKTIONSMITGLIED
JENS VOIGT

Verdammtes Internet. "Eigentlich", sagt Karl Nehring, "haben wir von dem ganzen Zeug gar nichts gewusst." Bis Ende Juli. Als im Netz "diese Dinge" abrufbar wurden. Danach der Aufruf zur Demo. Von "No-go-area Zella-Mehlis" war die Rede, vom tiefen Hineinfressen braunen Myzels in die Stadt. Nein, findet Nehring noch immer, mit seiner Stadt, wie er sie kennt, hatten die grellbunten Bilder nichts zu tun: "Das ist doch alles nur virtuell."

Was virtuell ist und was nicht, das scheidet in der Stadt unterm Ruppberg nicht nur politische Lager. Je tiefer man zu graben versucht auf den Straßen, Plätzen, Gassen des arg verwinkelten Doppelorts, desto mehr entblättert sich der Konflikt um die vermeintlich wuchernde Nazi-Szene als Widerstreit um Wahrnehmung und Deutungshoheit. Zu greifen ist in Zella-Mehlis die Angst, vorgeführt zu werden als braunes Nest, und die Unsicherheit, nicht genau zu wissen, wie man dem entkommt.
So ist denn auch fast jedes Gespräch eine Erkundungsreise hinter die Barrikaden der Abwehr fremder Neugier. Zwanzig Minuten und etliche Fragen später erinnert sich Nehring des deutschen Auftaktspiels zur Fußball-WM. Im Großzelt, das er dafür auf dem Parkplatz des örtlichen Baumarkts errichtet hatte, habe er "sehr unschöne Gesänge" vernommen, "Sieg Heil"-Rufe auch, "in geschlossener Front". Und fragt man nun in Nehrings offensichtliche Erregung hinein, was danach geschah, macht der Beigeordnete seine Verzweiflung ein bisschen offen, wie weit "diese Dinge gediehen waren", "verfestigt" gar, jedenfalls nicht "mit ein paar schnellen Sprüchen" aus der Welt zu schaffen. So hat er es gesagt, als der Stadtrat erstmals diskutierte über den "Fall WSG", in nichtöffentlicher Sitzung, und bevor Nehring sein schieres Entsetzen dartat, bat er noch ums Ausschalten von Mikrofon und Protokollband. Das Normale, so scheint es, ist in Zella-Mehlis zum höchst Schwierigen geworden.

Übergriffe nur der Anfang

Warum, dafür benötigt Bürgermeister Karl-Uwe Panse genau einen Satz, nämlich in Erwiderung der Frage, ob seine Stadt ein rechtsextremes Problem hat: "Hat sie, aus meiner Sicht, gegenwärtig nicht; jedenfalls nicht so wie andere Kommunen oder Regionen in Thüringen." Aus meiner Sicht. Gegenwärtig. Nicht so wie andere. Es ist, wiewohl fest gesprochen, keine klare Ansage. Ein Lavieren. Zumal Panse nachschiebt: "Aber ich sage ausdrücklich: Wehret den Anfängen."
Die sehen so aus: Rund ein Dutzend Übergriffe von Neonazis auf Linke, Punks, Nicht-Rechte seit Anfang 2003; mindestens sieben Mal trugen die Angegriffenen Verletzungen davon. Dazu rechte "Saalveranstaltungen", Demonstrationen und Aufzüge in Nachbarorten unter maßgeblicher Beteiligung der vor drei Jahren gegründeten "Kameradschaft Zella-Mehlis". Und: Etliche "Kameraden" mit gediegener Nazi-Laufbahn tummeln sich laut "Antifaschistischer Gruppe Südthüringen" (AGST) in Vereinen der Stadt. Bei der Feuerwehr, im Karnevalsclub und vor allem in der WSG. Als Fußballfans, Spieler und Trainer. Genau dazu hat die Antifa-Gruppe im Internet genaueste Beschreibungen veröffentlicht, das "ganze Zeug", wie Nehring es nennt. Man kann dort lesen, dass der Kinder-Trainer H. und drei Spieler zum Beispiel beim alljährlichen Wehrmachts-"Gedenken" der Neonazis in Halbe waren, wen der Stürmer K. wann verprügelte, wann der Jugendbetreuer K. junge Punks vermöbelte. Fotos belegen die Aussagen; darunter Bilder von der WSG-Homepage, die die Rechtsextremen beim Feiern am Sportlerheim zeigen, angetan mit schwarzen T-Shirts und dem Aufdruck "Kameradschaft Zella-Mehlis".
Wir wollten zeigen, was hier läuft, sagt Knut*, wie die Nazis ganz locker den öffentlichen Raum erobern. Dass es offenbar egal ist, wenn einer Kriegsverbrechen leugnet und Andersdenkende verdrischt, Hauptsache, er schießt sein Tor, macht Witze oder wienert das Feuerwehrauto. Wir wollten, dass keiner mehr sagen kann, er hat das nicht gewusst. Und das endlich was passiert.
Was passierte, war indes nicht das Erwartete. PDS-Vertreterin Elke Pudszuhn forderte den Stadtrat zum Handeln auf, Beigeordneter Nehring besuchte die WSG, drang auf Reaktion, mit besagt spärlichem Ergebnis. Die WSG selbst wies jegliche Vorwürfe zurück, wehrte sich gegen "Unterstellungen", sah "Verleumdung" am Werk.

Nach der Demo wieder Schweigen

In unseren Augen, so Knut, geschah weiter keine wirkliche Auseinandersetzung. Nur wir sollten die Nestbeschmutzer sein im schönen Zella-Mehlis, ansonsten sollte alles unter der Decke bleiben. Dagegen haben wir die Demo gesetzt.
Rund 200 Menschen zogen Ende August durch die Stadt, außer Knut und einigen anderen von der AGST waren kaum Zella-Mehliser dabei. Sie trugen ihre Transparente mit "No-Go-Area", sie erzählten am Megafon all das, was schon im Internet stand. Es war ein nasser, kalter Tag, keine "Kameradschaft" ließ sich blicken, nicht einmal Kurt Hoppe trat aus seinem Haus, der örtliche Repräsentant jeder rechtsextremen Partei, die ihn ein bisschen Führer spielen lässt. Es blieb ein asymmetrischer Protest - laut und an den Leuten vorbei, die lieber ihre Klöße verdauten als sich "aufklären" zu lassen.
Danach fiel Zella-Mehlis zurück in seine Schweigestarre, äußerlich zumindest. Erschrockenen Eltern erklärte die WSG kurz darauf, keinesfalls mit den Braunen im Boot zu sein und jegliche Naziaktivität zu unterbinden. Im Übrigen seien die beklagten "Kameraden" bereits nicht mehr als Trainer tätig beziehungsweise hätten der ungeistigen Truppe abgeschworen. Was die WSG nicht sagte: Trainer Chris H. war vor zwei Jahren gegangen worden, weil Hauptamtsleiter Richard Rossel mit dem Abzug seiner Söhne drohte. "Wir hatten keine Ahnung, was einige unserer Mitglieder machen, ob die in der Kameradschaft sind oder sonst wo", räumt WSG-Sprecher Andreas Schmidt ein, "wir sind kein politischer Verein". Mit den Machern der Fan-Homepage wurde offenbar schon geredet: Auf Fotos sitzen noch dieselben allzu deutschen Biertrinker vorm Sportlerheim - aber der Kameradschafts-Schriftzug wurde von den T-Shirts retuschiert.
Wer länger hineinhört in die WSG, spürt die Ängste hinter der Empörung, mit der man zunächst die Vorwürfe abtun wollte. Auf Dauer, so raunt es auf den Rathaus-Fluren, wird sich Zella-Mehlis sowieso keine drei Sportstätten mehr leisten können - die in so trübe Wasser geratene WSG-Arena wäre wohl der erste Streichkandidat, bliebe das Image "Nazi-Spielwiese" an ihr haften. "Die WSG", sagt Schmidt bitter, "hat in der Stadt keine Lobby". Ein armer Verein, politisch naiv, als Opfer finstrer Ränkespiele?
Wie einfach wäre solche Erklärung, gäbe es da nicht auch Menschen wie Johannes Z.*, dessen Handynummer wir nach dem Anruf gleich vergessen sollen. Z. wies vor Jahren schon auf die braunen Umtriebe unterm WSG-Dach hin, trat schließlich aus. "Danach kamen noch etliche Anrufe", erinnert sich der Ex-Fußballer, "die waren glasklar: Wenn ich die Schnauze nicht halte, kriegen sie mich."
Stadtrat und Rathaus, was wunder, behandeln den Casus WSG derweil wie ein rohes Ei. Bürgermeister Panse schwadroniert von "intensiven Gesprächen" mit dem Verein, von "Empfehlungen", dieser möge sich selbst Beratung ins Haus holen, etwa durch Mobit. Und wenn nicht? Kippen dann die für nächstes Jahr geplanten rund 47 000 Euro, die die Stadt in neue Duschen und anderes auf dem WSG-Gelände stecken will? Panse hält das nicht für den "geeigneten Hebel". Was dann also? Nun, sagt der Bürgermeister, wir werden das genau beobachten, den Verein nicht allein lassen, aber ja, die Gaststättengenehmigung der "Whiskyhütte", da würden wir wohl eingreifen, "wenn das kulminiert".Ansonsten werde man bald mit der Landesstelle für Gewaltprävention beraten, über einen Maßnahmenkatalog, vielleicht wieder einen Präventionsrat bilden, wie es ihn schon einmal gab. Der dann aber einschlief, weil den Initiatoren die Zeit fehlte, weil es im Grunde keine verbindende Basis gab außer "keine Gewalt", und weil wohl keiner den Mut hatte, die zwei Alt-Nazis rauszuschmeißen, die unterm Banner falscher Toleranz ihre Ansichten ausbreiteten.

"Noch ein Schlag und ich wäre tot"

So wird, je länger Stadtverwaltung und Stadtrat darüber glucken, aus einem Zella-Mehliser Problem erst das der WSG, dann des Sportlerheims, schön handlich, und für den Rest gibt es den Monatsrapport vom Verfassungsschutz sowie den Polizeibericht; beide lese er sehr genau, betont Panse. "Bisher ist Zella-Mehlis kein Ort rechter Gewalt."
Möglicherweise eine Frage der Perspektive. Oder der Aufmerksamkeit.
Mirko W.* zum Beispiel schmerzt die angebliche Gewaltlosigkeit immer wieder im Kopf, seine rechte Gesichtshälfte ist mehr oder weniger taub. Zur Walpurgisnacht 2003 hatten den damaligen Punker acht Typen, darunter ein Mädchen, als "Vaterlandsverräter" gestellt, erst mit Faustschlägen traktiert, dann auf den schon Bewusstlosen mit Holzlatten eingedroschen. Erst als die von Mirkos Freundin alarmierte Polizei eintraf, ließen die Schläger von ihm ab. Im Krankenhaus diagnostizierten die Ärzte unter anderem einen Schädelbeinbruch; Mirko übersetzte den Befund so: "Noch ein Schlag, und ich wäre tot gewesen." Zwei der drei später verurteilten Schläger kamen mit Bewährung davon, Mirko hat sie schon bald wieder bei rechten Demos gesehen. Er ist jetzt 21 und "bestimmt kein ängstlicher Typ". Aber Alleingänge durch die Stadt meidet er.
Vielleicht müsste in Zella-Mehlis, statt in permanenter Nichtöffentlichkeit abgeschottete Gremien über Virtualität oder Wirklichkeit disputieren zu lassen, denen zugehört werden, die es betrifft: den Bürgern. Der Berufsschullehrerin Uta R., in deren Klassen seit einigen Jahren "immer mehr" Jugendliche mit eindeutigen Klamotten und Sprüchen auftauchen. Dem Direktor derselben Schule, der sich extra ein Verzeichnis rechtsextremer Symbole besorgt hat. Dem Lehrer Frank R., der Schüler mit Thor-Steinar-Klamotten oder Rudolf-Hess-T-Shirt konsequent aus der Klasse weist und der schätzt, ein Drittel laufe mit, wenn nationales Jungvolk vorweg provoziere. Oder Jugendlichen wie Maik M.*, der im städtischen Treff schon deswegen abhängt, weil er als Punker Schiss hat, ins "Rele" zu gehen, in die Kneipe "Einsiedel" oder auf den Bolzplatz. Vielleicht auch Herrn R., der nur noch weg will, seit ihn Alt- wie Jungnazis als "Verräter" verfolgen und der allerlei zu berichten weiß, wie die "Kameradschaft" auf ein Fingerschnipsen ihres Mitgründers Hoppe hin jene abstraft, die sich nicht beugen wollen. Möglicherweise wäre auch der SPD-Fraktionschef Horst Beuthe zu befragen, wie es den "Kameraden" offenbar mühelos gelang, sich als Trittbrettfahrer des Müllofen-Protests hinter das von Beuthe gehaltene Transparent zu stellen; eine Aktion, die die Kameradschaft noch immer auf ihrer Homepage bejubelt.

Einfach abwarten bis zum Beschluss?

Einstweilen jedenfalls geben sich die Zella-Mehliser Stadtoberen noch immer so, als reduziere sich ein Problem dadurch, dass man möglichst wenig darüber spricht. Hauptamtsleiter Rossel, findet "skandalisierende" Aktionen auch wenig hilfreich: "Damit verprellt man nur die, die man eigentlich gewinnen muss." Doch wie, bitteschön, soll eine Demonstration "von Bürgern mit Kerzen vor der Kirche", wie sie Panse sich an stelle einer weiteren Antifa-Aktion wünscht, je zustande kommen, wenn denselben Bürgern seit Monaten jegliche Auskunft darüber, wie ihr Stadtrat samt Bürgermeister konkret handeln will, vorenthalten wird? Welche Motivation will ein Gremium überhaupt, wenn mit Michael Regal (Freie Wähler) der Vorsitzende der stärksten Fraktion auf Anfrage meint, die Menschen in Zella-Mehlis "müssen eben abwarten", bis der Stadtrat "zu gegebener Zeit" irgendein Ergebnis seiner angeblich "intensiven Debatte" zu verlautbaren gedenkt?
Mirko W. hat, bevor er bewusstlos wurde und knapp dem Tode entging, drei der Angreifer als Neonazis erkannt. Ende Mai griffen nach Angaben mehrerer Zeugen in Zella-Mehlis erneut rund 20 Mitglieder der "Kameradschaft" vier vermeintlich linke Jugendliche an, von denen einer im Krankenhaus behandelt werden musste.Zu jener Zeit also, als Bürgermeister und Stadtrat angeblich schon "intensiv" das Problem angingen, das die Stadt laut Panse "gegenwärtig" nicht hat.

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