Antifaschistische Gruppen Südthüringen

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Jena: Redebeitrag zur Zukunft antifaschistischer Bündnispolitik

Eintragsdatum: 2010-09-12Quelle: AGST

Am vergangenen Freitag fand in Jena eine antifaschistische Demonstration unter dem Motto "Kein Volk, kein Fest, kein Volksfest" statt. Inhaltlich ging es gegen die Volksfeste von und gegen Nazis und die Entpolitisierung der Proteste gegen Naziaufmärsche durch die Zivilgesellschaft. In einem Redebeitrag begründete die Antifa Arnstadt, warum Gesellschaftskritik nicht zugunsten eines "alle gegen Nazis" zurückgestellt werden darf. Wir dokumentieren.

Redebeitrag zur Zukunft der antifaschistischen Bündnispolitik

Die Geschichte der Antifa im postfaschstischen Deutschland ist die Geschichte eines Abwehrkampfes. Es geht und ging im Wesentlichen darum, Schlimmeres als das Jetzige zu verhindern und den unzähligen Aufmärschen, Angriffen und Anschlägen durch Neonazis Einhalt zu gebieten. Ziel von Bündnispolitik war und ist es, neben der Verhinderung von Naziaufmärschen, kritisch in die Bündniszusammenhänge hineinzuwirken und zur kritischen Bewusstseinsbildung beizutragen. Leider tritt und trat dieses Ziel zu oft hinter das der bloßen Verhinderung von Naziaufmärschen zurück. Die Kritik an der Gesellschaft, die die Nazis hervorbringt, und damit auch an den eigenen potenziellen Bündnismitgliedern zurückzustellen, halten wir für einen Fehler. Der Rückzug radikaler Gesellschaftskritik aus Protesten gegen Nazis hat nicht zur Stärkung der Antifa beigetragen, sondern zu ihrer Marginalisierung. Längst haben zivilgesellschaftliche Akteure die Deutungshoheit über gemeinsame Veranstaltungen und ihre politische Stoßrichtung. Aus dem Protest gegen Nazis, als ein Widerstand gegen die regressivsten Elemente der Gesellschaft und damit auch gegen die sie hervorbringende Gesellschaft, macht die Zivilgesellschaft in Thüringen und anderswo eine Verteidigung des Grundgesetzes, jüngst von Thüringer Akteuren auf den Punkt gebracht, als insistiert wurde, man betreibe hier Verfassungsschutz.

In solchen Bündnissen hat die Antifa, die sich als Ort radikaler Gesellschaftskritik versteht, nichts mehr verloren. Längst weiß man nicht mehr über welche Erscheinungsform man angewiderter sein soll, über Nazis oder die teils deutschtümmelnde Zivilgesellschaft. Ein Beispiel aus dem Südthüringer Raum soll das kurz illustrieren. In Hildburghausen führten ein bekannter Nazi-Kader und seine Gefolgschaft jüngst eine Kundgebung durch, um gegen das Asylbewerberheim zu demonstrieren. Der Protest aus den Reihen der Demokraten brachte es dazu, in seinem Aufruf positiven Bezug auf den Nationalwahn zur Fußballweltmeisterschaft und die Nation an sich zu nehmen. Dass deutscher Nationalismus und Naziideologie nichts sind, was sich ausschließt, sondern etwas das zusammengehört, blieb hier natürlich unbemerkt.

Was Nazis und die deutschtümmelnden Demokraten noch unterscheidet, ist, dass die einen alle Nicht-Deutschen ausweisen wollen und die anderen nur die, die dieser Gesellschaft keinen Nutzen bringen. Günther Beckstein, ehemaliger bayerischer Ministerpräsident, brachte das einst auf den Punkt, als er in einem Interview sagte: "Wir brauchen weniger Ausländer, die uns ausnützen, und mehr, die uns nützen." Facharbeiter ja, Hilfesuchende nein - so heißt das Credo. Und selbst wenn die zivilgesellschaftlich orientierten Sozialdemokraten, Grünen und Christen jetzt widersprechen wollen, es ist die reale Politik eines Staates bei dem sie konstruktiv mitarbeiten.

Die deutsche Politik ist, wie die jeder fortgeschrittenen kapitalistischen Demokratie notwendigerweise zutiefst rassistisch und nationalistisch. Die Krisenideologie, die es hervorbringt, heißt Antisemitismus. Das kapitalistische System selber ist das eigentliche Problem, es bringt nicht nur die Nazis hervor, sondern auch ihre Ideologie. Die Nazis stehen nicht vor der Machtübernahme in Deutschland. Sie sind kleine marginalisierte Minderheiten, was deren Gefährdung für zahlreiche Menschengruppen nicht relativieren darf. Ja, Nazis morden auch heute, aber sie übernehmen in absehbarer Zeit nicht die Macht. Was von ihrer Ideologie nicht behauptet werden kann. Rassismus, Nationalismus, Antisemitismus, Sexismus und andere Ideologien der Ungleichheit sind fest verankert in der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Sie kommen genau dann zum Ausdruck, wenn kein Zivilgesellschafter und längst kein kulturindustriell zugerichteter Normaldeutscher aufschreit, wenn täglich Menschen in Hunger, Folter und Tod abgeschoben werden - abgeschoben aus Deutschland, wenn täglich tausende an den Folgen von Hunger sterben, weil der Kapitalismus die Ausnutzung der Ressourcen verweigert, wo es um die Abschaffung des Hungers geht, wenn Transferleistungsempfänger von Behörden drangsaliert werden, weil die Produktivität des System Arbeitsplätze überflüssig macht und die Arbeitspflicht trotzdem festschreibt.

Die hier beschriebenen Zustände sind eine kurze beispielhafte Aufzählung, der den unmenschlichen Gesamtzustand und seine Ursachen sichtbar machen soll. Wer meint, seinen Protest gegen Nazis, als Einsatz für ein besseres Deutschland zu erklären und nicht als die Abschaffung dieser Zwangseinrichtung, der hat all das nicht verstanden. Und wer das Aufklären und Bewusstmachen dieser Katastrophe zurückstellen will, weil er oder sie meint, es gelte erstmal schlimmeres zu verhindern, der oder die wird einsehen müssen, dass hier gegen Windmühlen angerannt wird. Bloße Anti-Nazi-Politik ist das Abarbeiten an Symptomen eines Problems, das Kapitalismus heißt und damit ist nicht lediglich die Wirtschaftsweise als solche gemeint, sondern die Ideologie, die sich ins gesellschaftliche Bewusstsein als "zweite Natur" eingebrannt hat.

Die Antifa muss Bündnisse aufkündigen, in denen ein gesellschaftskritischer Standpunkt nicht vertreten werden kann oder dort, wo er untergeht. Sie muss, anstatt sich an Nazi-Events abzuarbeiten, die radikale Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse vorantreiben, in der Hoffnung zur kritischen Bewusstseinsbildung vieler Einzelner beizutragen. Für Bündnispolitik heißt das, sich Bündnisse zu suchen, in denen die Mitglieder auf inhaltliche Kritik nicht narzistisch gekränkt reagieren, sondern sie als Chance zur Reflexion des eigenen Standpunktes wahrnehmen. Sinnvoll ist es, auf einen Zustand hinzuarbeiten, in dem sich jeder Bündnisteilnehmer nur noch einem Zwang freiwillig beugt, nämlich dem zwanglosen Zwang des besseren Arguments. Die Veränderung des Ganzen erfordert immer auch die Emanzipation der Einzelnen von den Anforderungen einer von Konkurrenz und Profitstreben durchdrungenen Gesellschaft. Wer diese Zurichtungsmaschinerie zerstören will, muss sie erstmal verstehen lernen. Dazu gehört es, zu begreifen, dass Nazievents vielleicht geeignete Anlässe sind radikale Gesellschaftskritik zu betreiben, dass aber etwas gewaltig schief läuft, wenn die Verhinderung dieser Aufläufe zum einzigen Ziel, zum Selbstzweck, verkommt.
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