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![]() Für aktuelle News checkt bitte unseren neuen Blog!Jungle World: Disko zu linksradikaler Politikbr>Eintragsdatum: 2010-04-21 — Quelle: Jungle World Wir dokumentieren 2 weitere Diskussionsbeiträge aus der Jungle World zu Ansätzen antifaschistischer und linksradikaler Politik. 08.04.2010 - Jungle World
Extrem totalradikal
Wer gegen jeden Extremismusbegriff argumentiert, homogenisiert unzulässig die politische Mitte und täuscht über gesellschaftliche Widersprüche hinweg. von Sebastian Voigt »Vielleicht wäre sie in der NPD besser aufgehoben«, hieß es im Nazi-Forum Altermedia über die neue Familienministerin Kristina Schröder (vormals Köhler). Auch auf anderen Nazi-Seiten erhält sie viel Beifall. Seit 2002 ist sie die Beauftragte der Unionsfraktion im Bundestag für Extremismus und geht konsequent gegen Linke und vermeintliche Deutschland-Hasser vor. Ihre Aussagen über Islamisten sind zwar bisweilen richtig, aber tendenziös. Sie allein aufgrund dieser Positionen zu verteidigen, verkennt die Differenz zwischen einer emanzipatorischen und einer reaktionären Islamkritik. In den vergangen Jahren hat sie sich dafür eingesetzt, die Programme gegen Rechtsextremismus auch auf Islamismus und Linksextremismus auszudehnen und erreicht, dass hierfür zwei Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Außerdem sollen alle Initiativen, die staatliche Fördergelder erhalten, durch eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz überprüft werden. Was dies bedeutet, ist klar: Unter Verweis auf angeblich verfassungsfeindliche Tendenzen soll linken, zivilgesellschaftlichen Initiativen das Geld entzogen werden. Dies träfe vor allem Gruppierungen in Ostdeutschland, die häufig unter schwierigen Bedingungen versuchen, der rechten Hegemonie etwas entgegenzusetzen, sei es, dass Räume für alternative Subkulturen zur Verfügung gestellt oder Veranstaltungsreihen zu politischen Themen durchgeführt werden. Ein gutes Beispiel ist das soziokulturelle Zentrum Treibhaus e.V. Döbeln, wo seit Jahren mit staatlichen Fördergeldern um den 9. November herum eine Aktionswoche gegen Antisemitismus organisiert wird. Dass es dort auch immer wieder zu Problemen mit Nazis kommt, gehört zum ostdeutschen Alltag. Mit der Fokussierung auf Linksextremismus geht bei Kristina Schröder eine Relativierung rechtsextremer Gewalt einher, die sie für überschätzt hält. Es geht nicht darum, wie es Teile der Antifa aus identitätspolitischen Gründen tun, die gesellschaftliche Relevanz des Rechtsextremismus zu übertreiben und im Denken der frühen neunziger Jahre verharrend einen neuen Faschismus an die Wand zu malen. Die Nazis sind eine marginalisierte Gruppe, und auch ihre Parteien fristen ein trauriges Dasein in den wenigen Parlamenten, in denen sie vertreten sind. Deutschland ist eine funktionierende bürgerlich-parlamentarische Demokratie und unter historischer Perspektive noch nie so gefestigt gewesen wie heute. Das sollte jedoch nicht dazu verleiten, die Kritik zu unterlassen oder in eine, von einigen insinuierte, Affirmation Deutschlands abzudriften. Es bedeutet lediglich, sich auf eine Analyse der Verhältnisse einzulassen und diese nicht in ein vorgefertigtes ideologisches Raster zu pressen. Dennoch darf über rechtsextreme Gewalt nicht geschwiegen werden, solange sie eine Bedrohung für Migranten, Linke und andere darstellt. Dass dem so ist, zeigt nicht zuletzt der Überfall von Nazis am 24. Oktober 2009 auf die Spieler und Fans des Roten Stern Leipzig bei einem Fußballspiel in Brandis, als diese mit äußerster Brutalität mit Eisenlatten angegriffen wurden. Sich dagegen effektiv zu wehren, kann nicht bedeuten, die im Kampfsportkurs erworbenen Fähigkeiten einzusetzen und die antifaschistische Selbstjustiz zu organisieren, sondern, wie es der Rote Stern getan hat, eine erfolgreiche Pressekampagne zu starten, mit den staatlichen Repressionsorganen zusammenzuarbeiten und auf diesem Wege die Verurteilung der Angreifer zu hohen Gefängnisstrafen zu erwirken. Es geht um die Nutzung der Mittel des Rechtsstaats zur Garantie der individuellen körperlichen Unversehrtheit. Dies als ein faschistisches Strafbedürfnis abzutun, wie es Mario Möller in seinem Beitrag (Jungle World 13/2010) getan hat, ist, gelinde gesagt, schwer nachzuvollziehen. Ohnehin zeichnet sich sein Text durch eine hohe Dichte an Phrasen aus. Das antideutsche Geraune, das in der Zivilgesellschaft nur die »Volksgemeinschaft auf der Höhe der Zeit« erkennen kann und in jeder Antifa-Gruppe, die in ostdeutschen Kleinstädten versucht, den Nazis etwas entgegenzusetzen, einen neuen, massenverliebten Volksfrontversuch wittert, hilft weder zur Einschätzung der realen gesellschaftlichen Verhältnisse, noch schärft es die Waffen der Kritik, wie behauptet wird. Jede Möglichkeit der Entwicklung der deutschen Verhältnisse wird darin a priori ausgeschlossen. Die vergangenen 60 Jahre haben nicht stattgefunden, und Veränderungen dürfen sich nicht ergeben haben. Solche antideutschen Positionen stellen eine bizarre Verzerrung der Erkenntnis dar, dass die Vernichtung der europäischen Juden der Zivilisationsbruch war. Sie können deshalb getrost ignoriert werden, solange sie nicht das Maß an kritischer Selbstreflexion aufbringen, das Wolfgang Pohrt in puncto »4. Reich« bewiesen hat: »Ich habe 1989ff in den Kategorien von 1933 interpretiert - ich hatte keine anderen. Damals war es ein Irrtum, heute ist es Ideologie geworden.« Viel interessanter ist hingegen eine Debatte über die Positionen der Leipziger Initiative gegen jeden Extremismusbegriff (Inex), die vor zwei Jahren gegründet wurde und deren thematische Ausrichtung aufgrund der Entwicklungen gänzlich neue Brisanz gewonnen hat. In ihrem aktuellen Text fordern sie »alle AkteurInnen der Zivilgesellschaft dazu auf, sich endlich analytisch und praktisch vom Extremismusansatz zu verabschieden«. In diesem sehen sie eine Relativierung des Nationalsozialismus, weil er zusammen mit dem Totalitarismustheorem dazu diene, den NS mit der DDR in der Formel der »beiden deutschen Diktaturen« gleichzusetzen, wodurch jegliche Spezifik des NS verwischt werde. Die staatliche Anti-Extremismuspolitik schränke zunehmend den Platz für »eine notwendige und berechtigte linke Gesellschaftskritik« ein. Als Hauptkritikpunkt am Extremismusbegriff wird angeführt, dass dieser eine liberale, demokratische Mitte suggeriere, die von zwei politischen Extremen, links und rechts, bedroht werde. Dadurch würden in der gesamten Gesellschaft weit verbreitete Ressentiments wie Rassismus, Homophobie oder Antisemitismus zu einem marginalen Problem gemacht. Außerdem würden »alle Überlegungen gesellschaftlicher Veränderung jenseits der bestehenden Ordnung« kriminalisiert. Immer mehr nicht-staatliche Organisationen, die antirassistische und antifaschistische Aufklärungsarbeit leisten, liefen Gefahr, ihre Arbeit einstellen zu müssen. Deshalb rufen sie dazu auf, »im Bündnis mit unabhängigen Gruppen (...), die diskursive Verankerung des Extremismusdenkens in der Gesellschaft zu lösen. In diesem Sinne fordern wir den Abschied vom staatlich verordneten Antiextremismus und eine Re-Politisierung der Zivilgesellschaft.« Zu Recht weist Inex darauf hin, dass Antisemitismus und Homophobie keine Phänomene der politischen Extreme, sondern stark in der gesellschaftlichen Mitte verankert sind. Dies wird durch alle empirischen Studien bestätigt. Zugleich käme es aber darauf an, die Differenzen zwischen Ost- und Westdeutschland und die zwischen Stadt und Land zu betonen. Wer einmal mit dem Zug von Leipzig durch die ländlichen Gebiete Ostdeutschlands fährt und dann in Frankfurt oder Hamburg am Hauptbahnhof aussteigt, weiß, was gemeint ist. Westdeutschland ist in den letzten Dekaden faktisch ungewollt zu einer Einwanderungsgesellschaft geworden. Der westdeutsche Staat wollte in den sechziger Jahren billige Arbeitskräfte und bekam Individuen mit Wünschen, Träumen und Vorstellungen, die begannen, sich hier ein neues Leben aufzubauen. Inex nimmt nicht wahr, dass diese Veränderungen mittlerweile selbst im liberaleren Teil der CDU nicht nur angekommen und akzeptiert sind, sondern auch gutgeheißen werden. Auch ist es nicht als Marginalie abzutun, dass Migranten der zweiten Generation es heutzutage zu Parteivorsitzenden oder gar Bundesministern bringen. Dies wäre vor 20 Jahren noch undenkbar gewesen. Selbst die zu Recht heftig kritisierte Kristina Schröder sieht keinen Widerspruch zwischen ihrer äußerst konservativen moralischen Haltung und der Befürwortung gleichgeschlechtlicher Ehen. Inex homogenisiert somit selbst die gesellschaftliche Mitte und blendet Veränderungsprozesse aus. Auch in ihrer Kampagne gegen die Wendefeierlichkeiten 2009 konstruierte Inex sich ein Deutschland-Bild, das primär auf den Pogromen gegen Asylbewerberheime und Wohnhäuser von Migranten Anfang der neunziger Jahre basiert. Damit reproduzieren sie eine antideutsche Position, die sich die Realität zur Bestätigung der ideologischen Prämissen zurechtbiegt. Folgerichtig spielt die Bedrohung der westlichen Gesellschaften durch den Islamismus für sie kaum eine Rolle, ebenso wenig wie die deutsche Politik gegenüber der iranischen Theokratie. Inex vertritt einen antideutsch gewendeten Antinationalismus nach einem abgewandelten Motto von Karl Liebknecht: »Der Hauptfeind ist das eigene Land.« So richtig die Kritik an der hegemonialen Verwendung des Totalitarismusbegriffs ist, die politischen Maßgaben folgt, so falsch ist es doch, sich einer Diskussion über das erkenntnistheoretische Potential kritischer Totalitarismustheorien wie der von Hannah Arendt völlig zu entziehen. Diese Haltung brachte Hannes Gießler in einem Text für den Conne Island Newsflyer auf den Punkt: »Abgeschmackt ist auch der eingeübte linksradikale Herdenreflex gegen die Totalitarismuskritik. Dass es Unterschiede zwischen Nationalsozialismus und realexistierendem Sozialismus gibt, schließt noch lange nicht aus, Gemeinsamkeiten unter einem Oberbegriff zu erfassen. Und der Begriff >totalitär< eignet sich dazu ziemlich gut: Während sozialistische Gemeinwesen zuungunsten individueller Disparität auf totale Integration zielten, die die Ermordung politischer Gegner nicht ausschloss, zielte der Nationalsozialismus wesentlich auf die totale Vernichtung des Judentums. Damit ist der entscheidende Unterschied dieser säkularen Bewegungen des 20. Jahrhunderts angezeigt, ohne Gemeinsamkeiten von vornherein der Erkenntnis zu entziehen. Über Totalitarismustheorien im Einzelnen kann man sich streiten. Den Begriff Totalitarismus im Ganzen abzulehnen, ist reflexhafte Abwehr der Linken gegen die Auseinandersetzung mit der eigenen verbrecherischen Tradition.« In diesem Sinne wäre über die Positionen von Inex zu streiten. Quelle: http://jungle-world.com/artikel/2010/14/40699.html 15.04.2010 - Jungle World
Kritik an der Formel formulieren!
Die Ablehnung des Extremismusansatzes ist notwendig, um Nazismus nicht als Randphänomen erscheinen zu lassen und um eine auf die gesamte Gesellschaft gerichtete Kritik formulieren zu können. Den Extremismusansatz ablehnen! von Sarah Uhlmann Zehn Jahre »Aufstand der Anständigen« bieten Anlass, nach dem Zustand der Antifa zu fragen. Der seit damals häufig wiederholte Satz, die Nazis kämen aus der Mitte der Gesellschaft, steht symbolisch für den Anspruch, sich nicht allein auf Nazis zu fixieren. Doch dieser Satz verkam zur Phrase, denn in weiten Teilen der politischen Öffentlichkeit, auf staatlichen Ebenen aber auch bei Antifa-Gruppen, wird das Denken und Handeln von den Begriffen des Extremismusansatzes dominiert. Nur durch einen politischen Zugang, der den Extremismusansatz aufgibt, wird der Blick auf die diskriminierenden Einstellungen und Strukturen in der gesamten Gesellschaft gerichtet und die Möglichkeit einer über das Bestehende hinausweisenden linken Politik bewahrt. Der Extremismusformel zufolge besteht die Gesellschaft aus einer bürgerlichen Mitte, die vom linken und rechten Rand bedroht wird. Die vorgenommene Parallelisierung von Linken und Rechten verharmlost nicht nur die von Nazis ausgehende Bedrohung, sondern verunmöglicht auch eine adäquate Analyse des Nazi-Problems. Auch wenn mehrheitlich Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Zivilgesellschaft ihre explizite Gegnerschaft zu den Nazis äußern, geht ihnen, wenn das Nazi-Problem zu einem Randphänomen erklärt wird, der Blick auf seine gesellschaftlichen Grundlagen verloren. Weder findet eine konsequente Auseinandersetzung mit den in weiten Teilen der Bevölkerung verbreiteten Ansichten und Ideologien wie Rassismus, Homophobie, völkischer Nationalismus und autoritäre Hierarchie- und Ordnungsvorstellungen statt. Noch werden gesellschaftliche Strukturen, die zur Verfestigung dieser Ungleichwertigkeitsideologien führen, beispielsweise die restriktiven Aufenthaltsbestimmungen für Asylsuchende oder das immer noch auf biologistischen Abstammungskategorien basierende deutsche Staatsbürgerschaftsrecht, kritisch thematisiert. Zum Auftakt dieser Diskussionsreihe hat Mario Möller (Jungle World 13/2010) die ideologische Schnittmenge zwischen Nazis und Mehrheitsgesellschaft negiert. Im selben Text schreibt er, dass die Gesellschaft »immer noch die (...) - wenngleich postnazistische - deutsche Volksgemeinschaft« ist. Wie das aus dem Nationalsozialismus hervorgegangene Deutschland einerseits immer noch Volksgemeinschaft und andererseits nicht von Ungleichwertigkeitsideologien durchdrungen sein soll, bleibt sein Geheimnis. In dem er davon ausgeht, dass es nur noch »marginalisierte nazistische Trachtenvereine« gibt, die konträr zur deutschen Normalität stehen, offenbart er ein merkwürdiges Verständnis von Gesellschaft, in der Nazis quasi vom Himmel fallen. Möller steht mit seiner Meinung, dass Antinazi-Politik überflüssig ist, nicht allein da. Ein Teil der sogenannten Postantideutschen sieht Deutschland vom Rassismus geheilt und versteht das Naziproblem maximal als ein reines Ostphänomen. Dies widerspricht allerdings sowohl den staatlichen als auch den nicht-staatlichen Statistiken, die für den Westen Hunderte von nazistischen Übergriffen dokumentieren. Darüber hinaus machen sich Möller und andere mit ihrer Konzentration auf Gewaltdelikte von Nazis mit der Problemsicht von Verfassungsschutz und anderen Vertreterinnen und Vertretern der Extremismusformel gemein. Rassismus wird als eine Art Betriebsunfall in einer ansonsten modernisierten und freiheitlichen Gesellschaft interpretiert. Wer Rassismus als Herrschaftsverhältnis und gesellschaftliches Ordnungssystem analysiert, kommt jedoch zu anderen Ergebnissen. Die Lebensrealität rassistisch markierter Menschen ist auch in Westdeutschland oft von Diskriminierungen geprägt: So genannte verdachtsunabhängige Polizeikontrollen zum Beispiel zielen in Bereichen wie Bahnhöfen oder Innenstädten überwiegend auf die Feststellung von Residenzpflichtverletzungen. Auch wenn es stimmt, dass die heutigen Verhältnisse nicht mehr mit der Situation in den neunziger Jahren zu vergleichen ist, darf man nicht vergessen, dass liberale und postnazistische Kräfte miteinander ringen. Die viel beschworene Liberalisierung Deutschlands wird aber mehr von einem Teil der politischen Elite verkörpert, als dass sie grundlegend in der Bevölkerung verankert wäre. In der breiten Öffentlichkeit findet das Extremismusschema Anerkennung, weil es den Nexus zwischen Nazis und Mehrheitsgesellschaft zu verdecken hilft und gleichzeitig eine scheinbar klare Gliederung der Gesellschaft suggeriert. Mittels der Konstruktion »Mitte versus Links- und Rechtsextremismus« wird eine Unterteilung in demokratisch und undemokratisch, also sagbare und unsagbare politische Positionen vorgenommen. Eine inhaltliche Füllung der Begriffe Links oder Rechts bleibt aus. Ohne die Inhalte auf den Grad an Freiheit und Gleichheit zu überprüfen, werden emanzipatorische und menschenverachtende Positionen auf eine Stufe gestellt. Die Extremismusformel korreliert hier mit einem staatsfetischistischem Demokratieverständnis: Politisches Handeln drückt sich demnach vorrangig durch die Wahrnehmung des Wahlrechts aus und spielt sich damit vor allem in den Institutionen und vorgegebenen Bahnen des Staates ab. Somit werden die Spielräume für Protest und politische Selbstermächtigung klar begrenzt. Als am 13. Februar Tausende Menschen den größten europäischen Naziaufmarsch erstmalig durch Blockaden verhinderten, beurteilte Eckhardt Jesse, einer der prominentesten Vertreter der Extremismusthese, dies als »eine Niederlage für den Rechtsstaat«. Damit hätten sich die Protestierenden »über Recht und Gesetz hinweg gesetzt«, denn wenn Gerichte die Demonstration genehmigten, müsste die Ausführung auch gewährleistet werden. Im Extremismusmodell wird selbst ziviler Ungehorsam als der Demokratie zuwiderlaufend interpretiert. In diesem Bestreben, den Status quo abzusichern, und in ihrem Grundmuster sind sich die Extremismusformel und die Totalitarismustheorie gleich. Während erstgenannte sich meist um gegenwärtig politisch Aktive im Inneren kümmert, ist letztgenannte auf die historischen Fälle gerichtet. Beiden Ansätzen ist gemein, dass sie den demokratischen Verfassungsstaat als antagonistische Gesellschaftsform zu Totalitarismus und Extremismus auffassen. Die Demokratie wird dabei als ideologiefrei charakterisiert. Dass aber in bürgerlichen Gesellschaften neben einer rassistischen auch eine kapitalistische Ideologie herrscht, die an die Konkurrenz als Garant für globalen Fortschritt glaubt, wird dabei übersehen. In der Intention, die bestehende Ordnung zu legitimieren, geht die Erklärungskraft verloren. Die Totalitarismustheorien können zwar formale Analogien hinsichtlich staatlicher Herrschaftstechniken und Repressionsapparate offenlegen, doch Erklärungen über historische Prozesse und Dynamiken, soziale Träger, ökonomische und ideologische Triebkräfte sucht man vergeblich. Infolgedessen ist die Ablehnung dieser Theorien nicht, wie Sebastian Voigt in seinem Disko-Beitrag (14/2010) behauptet, »eine reflexhafte Abwehr der Linken«. Es ist eine politische Konsequenz, aufgrund der instrumentellen Funktion der Totalitarismustheorien diese zu verwerfen. Das meint nicht, dass man Stalinismus und Nationalsozialismus nicht miteinander vergleichen kann. Aber nur, weil man mit dem Wort totalitär Elemente der Herrschaft beider Verbrechensregime beschreiben kann, muss man dafür nicht auf die Totalitarismustheorien zurückgreifen. Auch Adorno hat auf die »totalitären Tendenzen der gesellschaftlichen Ordnung« in der hochkapitalistischen Gesellschaft verwiesen, ohne gleich zum Totalitarismustheoretiker zu avancieren. Doch Voigt schneidet ein wichtiges Thema an, wenn er behauptet: »Inex homogenisiert (...) die gesellschaftliche Mitte und blendet Veränderungsprozesse aus«, die er mit den Liberalisierungstendenzen in der CDU verdeutlicht. In dem Moment jedoch, wo er selbst von der Mitte spricht, verfällt er dem dichotomen Denken von Rand und Mitte und übersieht den heterogenen Charakter der Gesellschaft. Sobald man die Mitte benennen und inhaltlich bestimmen will, ist sie nicht mehr existent. Doch wenn man die Mitte-Rand-Aufteilung der Gesellschaft ablehnt und von ideologischen Überschneidungen zwischen den klassischen politischen Lagern ausgeht, schließt sich die Frage nach adäquaten Begrifflichkeiten an, das politische Spektrum zu fassen. Statt simplifizierend zu vereinheitlichen, wäre ein genauerer Blick auf Gesellschaft und die existierenden politischen Inhalte und Ziele nötig. Ein Anfang wäre gemacht, wenn man Nazis einfach als Nazis benennt. Ansonsten kann man die Leute auch einfach als das bezeichnen, was sie sind: Rassisten oder völkische Nationalisten. Angesichts des mit der Extremismusformel verbundenen Verständnisses von Gesellschaft und Politik, das nazistische Einstellungen nicht zu bekämpfen vermag, aber politische Spielräume einschränkt, bleibt uns rätselhaft, warum nicht nur Sebastian Voigt sondern auch linke und antifaschistische Gruppen und Zeitungen wie die Jungle World oder das Antifaschistische Infoblatt die Begrifflichkeiten in dieser oder in abgewandelter Form (»extreme Rechte«) beibehalten. Man mag es als eine nicht besonders tief greifende Politik werten, sich um Begrifflichkeiten und Diskurshoheiten zu streiten. Aber das Vokabular der Extremismusthese zu verweigern, ist nicht nur eine semantische Spielerei. Ziel ist eine antifaschistische Politik, die weder einen alleinigen Fokus auf die Nazis legt, noch diese als marginalisierte Gruppe abtut, sondern die die Gesamtgesellschaft in ihre Analysen und Praxen einschließt. Vor allem aber verkörpert das Ablehnen des Extremismusparadigmas die Negation eines Verständnisses von Gesellschaft und Politik, in dem die Selbstbestimmung des Menschen, die Notwendigkeit politischer Konflikte und ein utopisches Moment zugunsten eines staatlichen Kontrollbedürfnisses und autoritärer Ordnungsvorstellungen aufgegeben werden. Die Autorin ist Mitglied der Initiative gegen jeden Extremismusbegriff (Inex). Quelle: http://jungle-world.com/artikel/2010/15/40746.html |
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