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Ilmenau: Er war ja nur ein stadtbekannter Trinker

Eintragsdatum: 2010-01-28Quelle: Indymedia

Wir dokumentieren einen antifaschistischen Prozessbericht von Indymedia zum Prozess gegen den Schichtführer der Polizeiinspektion Ilmenau, der aufgrund seiner Fahrlässigkeit für den Tod von Lars Rehbeil verantwortlich ist.

IL: Er war ja nur ein stadtbekannter Trinker
Antifaschistische Prozessbeobachtung

Am Montag, dem 25. Januar fand der Prozess gegen den Schichtführer der Polizeiinspektion Ilmenau statt. Wegen Jörg P.'s Fahrlässigkeit musste Lars Rehbeil sterben. So sah es auch das Gericht und ließ Milde walten. 120 Tagessätze für die fahrlässige Tötung. Was den ganzen Prozess durchzog war die Pathologisierung Rebis, dessen unvernünftiger Drogenkonsum nur eine Kette von Versagen bei Verantwortlichen auslöste, die letztendlich zu seinem Tod führte. Ein kritischer Prozessbericht.

Was war passiert?

Am Morgen des 17. Januar 2009 starb Lars Rehbeil, ein 28-jähriger Punk aus Ilmenau in einer Gewahrsamszelle der Ilmenauer Polizeiinspektion. Was war geschehen?
Es war ein Freitagabend, der für Rebi begann, wie viele Abende. Er trank ein paar Bierchen und nahm andere Rauschmittel zu sich. Er saß in einer WG mit Freunden und beschloss mit diesen des Nachts noch auf eine andere Party zu gehen. Es muss gegen 1 Uhr gewesen sein, als sie das Haus verließen. Rebi, der sich, wie sich später herausstelle, mit den Rauschmitteln übernommen hatte, setze sich auf die Straße und verweigerte das Weitergehen. Seine Freunde ließen den Mann sitzen und zogen weiter. Kurz darauf traf ein Rettungsassistent ein, der über einen Anwohneranruf an die Rettungsleitstelle alarmiert wurde. Der Mann versuchte Rebi, der sich kurz zuvor an der Hand verletzt hatte, zu helfen. Doch Rebi wehrte sich, wollte sich nicht helfen lassen. Der Sanitäter rief die Polizei, die kurz darauf auch mit sechs Beamten ankam und Rebi mitnahm. Der Sanitäter sagte später vor dem Gericht aus, er bestand nicht auf die Fahrt ins Krankenhaus, weil er dachte die Polizei würde, wie es immer sei, einen Arzt hinzuziehen. Ein folgenschwerer Irrtum. Rebi kam in die Ausnüchterungszelle. Auf der Polizeiinspektion wurde derweil der Gerichtsbeschluss eingeholt, der die Gewahrsamnahme rechtlich absicherte. Richter Wolf kann sich vor Gericht nicht mehr genau daran erinnern, ob er anriet einen Arzt zu bestellen. In seinem Zuständigkeitsbereich fiele das jedenfalls nicht. Dafür ist die Polizei verantwortlich und gesetzlich beauftragt. Wolf sagte, es wird eigentlich immer ein Arzt gerufen.
Es wurde kein Arzt gerufen. Stattdessen gab es unregelmäßige Kontrollen durch den Türspion in der Zelle. Wie sich später herausstellte, wurden mindestes zwei Kontrollen, die schriftlich verbürgt wurden, nicht durchgeführt, sondern nur ins Kontrollbuch eingetragen. Rebi starb zwischen 5.40 Uhr und 9.05 Uhr. Er starb wegen Atemlähmungen infolge einer Mischintoxikation von Alkohol und Heroin. Der vor Gericht hinzugezogene sachverständige Mediziner sagte, Rebis Leben hätte ganz einfach gerettet werden können, hätte man einen Arzt hinzugezogen.

Eine Kette von Versagen? Wer trägt die Verantwortung?

Jörg P. macht den Eindruck des Prototyps eines Polizei-Schreibtischtäters. Er ist selbstbewusst, rechthaberisch, nicht besonders gebildet, was schon daran ersichtlich wurde, dass er seine Dienstverordnungen nicht zu kennen schien und rot und weiß verwechselte, und er hinterfragt in keiner Weise, was er zu vollstrecken hat. Er ist eine zuverlässige Exekutivmaschine, der sich von Vernunft und Menschenverstand nicht davon abhalten lässt, Law and Order aufrecht zu erhalten. Der Wille des Staates ist auch sein Wille. Weil das umgekehrt nicht funktioniert, hat sich sein Auftraggeber, der Staat, gegen Jörg P. selbst gewandt.

Jörg P. ist als Schichtführer der - rechtlich gesehen - Hauptverantwortliche. Er hat zu verantworten, dass die Polizei nicht wie in ihrer Gewahrsamsordnung vorgesehen einen Arzt für den hilflosen Rebi heranzog und ihn stattdessen ohne Hilfe in die Ausnüchterungszelle brachte, wo Rebi in den frühen Morgenstunden des 17. Januar 2009 starb. Mitverantwortlich sind auch etwas ein halbes Dutzend Polizisten, die während der Gewahsamnahme mit dem Fall in Berührung kamen. Mitverantwortlich ist der Sanitäter, der die Polizei rief und nicht gegen die Autorität der Polizei darauf bestand, Rebi einem Arzt vorzustellen. Mitverantwortlich ist möglicherweise der Haftrichter, der darauf hätte bestehen müssen Rebi sofort in ärztliche Behandlung zu übergeben. Und schlussendlich sind auch die Rebis Freunde mitverantwortlich, die ihn an jenem kalten Januarabend allein in der Kälte zurückließen. Es mag stimmen, was das Gericht im Verhandlungssaal konstatierte. Es war eine Kette des Versagens, die zum Tod des 28-jährigen Punks führte. Wenn diese Versagenskette aber zur Relativierung der Schuld der Polizeibeamten führen soll, dann ist das zurückzuweisen. Die Beamten werden dafür geschult und bezahlt, dass soetwas eben gerade nicht passiert.

Dass niemand in der PI daran dachte einen Arzt für Rebi zu besorgen und damit entsprechend der eigenen gesetzlichen Vorschriften (§10 der Polizeigewahrsamsordnung) zu handeln, hat viel damit zu tun, wer Rebi war. Jörg P. sagte im Gerichtssaal: "Man muss unterscheiden welche Personen in Gewahrsam genommen und warum." Rebi war ein Punk, ein "stadtbekannter Trinker", einer jener Leute, die per Stadtverordnung vom Wetzlaer Platz vertrieben wurden, weil sie das Stadtbild verschandeln. Rebi war für die bürgerliche Gesellschaft ein Aussätziger, für die Polizei stellte er ein Problem dar, weil seine Lebensführung von der maximal tolerierbaren abwich. All das schwingt mit, wenn ein Polizist im Gericht sagt, man müsse differenzieren, wer da in den Gewahrsam käme und dann entscheiden, ob ein Arzt hinzugezogen wird, trotz(!) anders lautender Vorschriften.

Was bleibt?

Was bleibt ist ein mehr als bitterer Nachgeschmack, dass das Leben eines "stadtbekannten Trinkers" für die Polizei einen anderen Wert zu haben scheint, als das Leben eines "normalen" Bürgers. Als umständlich und unnötig war es empfunden worden, für Rebi einen Arzt zu holen. Die notorischen Alkoholiker wachen ja am nächsten Morgen eh alle wieder auf und machen Krach in der Ausnüchterungszelle, so der O-Ton des Angeklagten im Gericht. Anstatt im Zweifel für jedes Menschenleben zu kämpfen, ging man wohl in Ilmenau das Risiko der Bequemlichkeit ein, rief keinen Arzt und hoffte Rebi würde nach dem Ausnüchtern seines Rausches wieder gehen können. Das Kalkül ging nicht auf. Rebi starb an jenem Morgen im Polizeigewahrsam, dort wo er eigentlich Sicherheit und Schutz erwarten müsste. Im Gericht wurde Rebi pathologisiert. Er sei depressiv gewesen, litt unter starken Gefühlsschwankungen und Aufmerksamkeitsdefiziten, war möglicherweise borderline-persönlichkeitsgestört, war notorischer Trinker und aggressiv. Die gesellschaftlichen Ursachen für Rebis Lebenslauf spielten keine Rolle. In einer erkalteten Gesellschaft ist jeder nur für sich selbst verantwortlich, so sehr ihn auch die unmittelbar gesellschaftlich vorgegebenen Umstände zugerichtet haben. Dass Rebis Leben nicht zuletzt durch den allgemeinen Charakter bürgerlicher Gesellschaft bestimmt ist, von der er sich bewusst abgrenzte, ist unwesentlich für ein deutsches Gericht, das Gesetze vollstreckt, die das Gesicht der kapitalistischen Barbarei tragen und sie reproduzieren sollen.

Angemessenes Strafmaß?

120 Tagessätze zu 60 Euro muss Jörg P. für die fahrlässige Tötung zahlen, sollte er nicht in Berufung gehen. Am selben Prozesstag wurde P. außerdem für Vollstreckung gegen Unschuldige bestraft, weil er einen Menschen ohne Haftbefehl in den Knast nach Suhl-Goldlauter brachte. P. erhielt dafür 90 Tagessätze zu 60 Euro. Beide Strafen wurden zu 150 Tagessätzen zu 60 Euro zusammengefasst. Warum 120 und 90 zusammen 150 ergeben, das muss die höhere Mathematik deutscher Justiz erklären. Wir wissen es nicht.
Die Frage nach der Angemessenheit des Strafmaßes ist schwer. Mit einer Geldstrafe befinden wir uns allerdings für ein fahrlässiges Tötungsdelikt am unteren Rand des gesetzlichen Rahmens, der Geldstrafe oder Knast bis zu 5 Jahren vorsieht. Es spricht sich aus der linken Retrospektive jetzt schnell von Kumpanei zwischen Polizei und Justiz. Vielleicht ist da was dran, vielleicht auch nicht.Wir möchten uns da jedenfalls nicht einreihen. Der Bulle Jörg P. wird nicht zum Menschenfreund durch den Knast und Rebis Leben kommt deswegen auch nicht zurück. Es liegt uns fern härtere Strafen zu fordern. Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der das Unterlassen von Hilfeleistung Geschichte wird, in der die Menschlichkeit und Solidarität zur Triebfeder des gesellschaftlichen Zusammenlebens werden. Wir wollen eine Gesellschaft in der Menschen nicht mehr stigmatisiert werden und Schreibtischtäter arbeitslos sowie reif für die (Re-)Education.
Ob Jörg P. von der Strafe überhaupt etwas bezahlen muss oder ob nicht irgendeine Thüringer Regresskasse für Polizisten zahlt, ist uns nicht bekannt. Zur Verhandlung war unklar, ob der Polizist berufliche Konsequenzen fürchten muss. Das Freie Wort berichtete kürzlich, dass es bisher keine Disziplinarverfahren gegen die beteiligten Polizisten gebe.

Den größten Kampf im Gerichtssaal führte Rebis Vater als Nebenkläger. Er rang sichtlich mit der Fassung, als der Preis des Lebens seines Sohnes ausgehandelt wurde. Nur einmal äußerte sich Jürgen Rehbeil, nämlich als Jörg P. sein Bedauern über den Tod seines Sohnes ausdrücken wollte. Es käme zu spät, sagte Rehbeil und rang mit der Fassung. Das ist so richtig und verständlich, wie es Bände über Jörg P.'s wirkliches Bedauern ausdrückt. Mehr als ein Jahr nach Rebis Tod äußerte der hauptverantwortliche Polizist erstmals sein Bedauern im eigenen Gerichtsprozess. Mit Recht muss an dieser Aufrichtigkeit gezweifelt werden!

Rebis Familie und Freunden gilt unser Mitgefühl!

A.C.A.B. - WIR VERGESSEN NIE!


Quelle: http://de.indymedia.org/2010/01/271861.shtml

AGST-Berichte:

Ilmenau: 28-jähriger Punk stirbt im Polizeigewahrsam - 18.01.09 - http://www.agst.antifa.net/index.php?menu=news&aid=250
Ilmenau: Trauerbesetzung in der Polizeiinspektion - 18.01.09 - http://www.agst.antifa.net/index.php?menu=news&aid=252
Ilmenau: Trauerzug für toten Punk/ Linke weiterhin unerwünscht - 24.01.09 - http://www.agst.antifa.net/index.php?menu=news&aid=253
Ilmenau: 2. Trauerzug für toten Punk - 12.01.2010 - http://www.agst.antifa.net/index.php?menu=news&aid=361
Ilmenau: 70 Menschen gedenken verstorbenen Punk - 20.01.2010 - http://www.agst.antifa.net/index.php?menu=news&aid=365

Presse:

25.01.2010 - TA
Zwei falsche Entscheidungen
Vor dem Arnstädter Amtsgericht wurde gestern der Tod eines Ilmenauers in Polizei-Gewahrsam verhandelt


Seit 35 Jahren versieht Jörg P. seinen Polizeidienst ohne größere Verfehlungen. Dann unterlaufen ihm in kurzer Zeit zwei kapitale Fehler, die ihm eine Geldstrafe in Höhe von 9000 Euro und - möglicherweise - seine berufliche Zukunft kosten könnten.

ILMENAU/ARNSTADT. Lars R. lebte ein Leben zwischen Euphorie und Selbstzerstörung. Als "manisch-depressiv" beschrieb ihn Judika M., eine langjährige Freundin aus der Ilmenauer Punk-Szene, deren Aussage gestern vor dem Amtsgericht Arnstadt verlesen wurde. "Ich liebte an ihm seine Großzügigkeit und seine liebevolle Art." Aber seine traurigen Phasen haben sie "zutiefst erschreckt." Judika M. gehört zu den letzten, die "Rebi" - so sein Name in der Szene am Wetzlarer Platz - noch bei Bewusstsein erlebt haben. In der Nacht zum 17. Januar 2009 habe man gemeinsam gefeiert, dann sei es zum Streit gekommen, die Stimmung kippte. Die kleine Gesellschaft beschloss, noch woanders hinzugehen. "Rebi", der sich kurz zuvor mit einer Rasierklinge ein Stück Haut aus der Hand geschnitten hatte, setzte sich vor dem Haus in den Schnee. "Ich dachte, er wollte wieder einmal auf sich aufmerksam machen." Die Freunde ließen ihn bei Minusgraden dort sitzen.Damit setzte eine Kette von unglücklichen Umständen ein, die letztlich zum Tod des 28-Jährigen führen sollten. Richter Peter Germann appellierte in seiner Urteilsbegründung ausdrücklich an die Ilmkreis-Polizeiführung, den Abend auszuwerten. Denn nicht nur die Freunde ließen ihn ihm Stich, sondern auch die von Passanten herbeigerufenen Rettungssanitäter übergaben den inzwischen wild um sich schlagenden Mann bereitwillig der ebenfalls herbeigerufenen Polizei. Die nahm Lars R. auf die Wache und steckte ihn in die Ausnüchterungszelle - ohne ihm einen Arzt vorzustellen, wie es die Vorschriften forderten. Dort schlief er ein. So war man bei dem stadtbekannten Alkoholiker mehrfach in der Vergangenheit verfahren. Dienstgruppenleiter Jörg P. ließ noch nachts um 2.30 Uhr einen Bereitschaftsrichter informieren. Der habe wohl emp-fohlen, einen Arzt kommen zu lassen, sobald der Patient wieder wach sei. Das sagten die Polizisten aus, der Richter im Zeugenstand bestreitete dies. Doch genau diese Verfahrensweise war letztlich das, was Lars R. getötet hat. Weil er nicht nur drei Promille Alkohol, sondern auch Heroin genommen hatte, verstärkten sich die Wirkungen der Suchtmittel bis hin zur Atemlähmung. Selbst das unverdächtige Schnarchen des R. in der Zelle wertete Gerichtsmediziner Christian O. im Zeugenstand als Indiz der beginnenden Atemschwäche. Dass ein zweiter Beamter zudem zwei Kontrollen im Haftbuch eingetragen hat, die er in Wirklichkeit gar nicht durchführte, gehört zu den weiteren Merkwürdigkeiten des Falles. Wegen fahrlässiger Tötung wurde Jörg P. gestern zu 120 Tagessätzen verurteilt, weitere 90 Tagessätze bekam er dafür, einen säumigen Schuldner von der Wache weg ins Gefängnis nach Suhl verfrachtet zu haben. Jörg P. - seit 35 Jahren im Polizeidienst - sollte eigentlich nur eine Wohnsitzermittlung durchführen, doch hatte nicht richtig auf die Akten geschaut. "Ein Irrtum", gab er gestern vor Gericht zu. Bei Michael K., der daraufhin eine Nacht ohne Haftbefehl im Knast einsitzen musste, habe er sich schon entschuldigt. Ob ihn der Irrtum seinen Job kosten wird, hängt nun vom beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren ab. Ab 90 Tagessätzen wird es eng, so die Faustformel. Richter Germann hofft indes auf dienstrechtliche Milde für Jörg P. , wenn die Urteilsbegründung gelesen wird.


25.01.2010 - MDR
Arnstadt
Polizist wegen fahrlässiger Tötung verurteilt

Weil einem betrunkenen Mann nicht die nötige ärztliche Hilfe zukommen ließ, ist ein 55-jähriger Beamter der Polizeiinspektion Ilmenau zu 9.000 Euro Geldstrafe verurteilt worden. Das Amtsgericht Arnstadt verurteilte den Polizisten am Montag wegen fahrlässiger Tötung sowie wegen fahrlässiger Vollstreckung. Der zweite Tatbestand bezieht sich jedoch auf einen anderen Fall, der ebenfalls vor dem Gericht verhandelt wurde.
Ein mit einer braunen Flüssigkeit gefülltes Glas und 2 leere Schnapsflaschen.

Im Fall der fahrlässigen Tötung ging es um den Tod eines 28-jährigen Mannes, der der Punkszene angehörte. Passanten hatten ihn vor einem Jahr vor einem Supermarkt in Ilmenau gefunden, wo er volltrunken und unter Drogeneinfluss bei kalten Temperaturen lag. Weil er sich gegen die herbeigerufenen Rettungssanitäter wehrte, wurde er von der Polizei in Gewahrsam genommen.

Als die Beamten die Zelle am nächsten Morgen kontrollieren wollten, fanden sie den 28-Jährigen leblos auf. Ein herbeigerufener Notarzt konnte nur noch seinen Tod feststellen. Laut Obduktion starb er an einer Alkoholvergiftung. Laut Staatsanwaltschaft hätte der Mann überlebt, wenn er von einem Arzt behandelt worden wäre. Weil der nun verurteilte Polizist aber keinen Arzt hinzugezogen hatte, warf ihm die Anklage vor, seine Dienstpflichten verletzt zu haben.

Im zweiten Fall, auf den sich das Urteil des Amtsgerichts ebenfalls bezog, soll der 55-Jährige im Dezember 2008 angewiesen haben, einen Mann ins Gefängnis zu bringen. Diesem war jedoch eine Haftstrafe nur angedroht worden, weil er eine Geldstrafe nicht bezahlt hatte. Vor Gericht erklärte der angeklagte Beamte, ein entsprechendes Schreiben falsch verstanden zu haben. Es sei ihm ein Irrtum unterlaufen.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.


26.01.2010 - FW
Gericht
Den Ernst der Lage nicht erkannt

Ein Polizist musste sich wegen zwei Dienstvergehen verantworten - unter anderem fahrlässiger Tötung
Von Uwe Appelfeller

Arnstadt - So viel Polizei, Besucher- und Presseandrang wie Montagnachmittag erlebt man im Arnstädter Amtsgericht selten. "Schön, dass die Größe des Gerichtssaals überhaupt ausreicht", sagte Direktor Peter Germann, nachdem er noch einige wenige freie Sitzplätze erspäht hatte. Der Gerichtschef führte die Hauptverhandlung selbst; und die auffällig vielen grün uniformierten Männer waren weniger zur Absicherung da, sondern als geladene Zeugen. Allein sieben Polizisten sollten für (oder gegen) einen Kollegen auszusagen.

Gleich wegen zwei Vergehen im Dienst war ein Ilmenauer Polizist angeklagt: Wegen fahrlässiger Tötung und Vollstreckung gegen Unschuldige. Der Schichtführer musste sich für den Tod eines 28-jährigen Mannes verantworten, der Anfang 2009 in der Ausnüchterungszelle der Ilmenauer Polizei-Inspektion gestorben war. Zudem soll er einen Mann, der eine Geldstrafe nicht bezahlt hatte, Ende 2008 kurzerhand ins Gefängnis nach Goldlauter eingewiesen haben.

Im ersten Fall ging es um den Tod eines 28-jährigen Ilmenauers. Der junge Mann aus der Punk-Szene war im Januar 2009 in der Ilmenauer Polizei-Ausnüchterungszelle gestorben - an Atemlähmung durch ein Vergiftungs-Gemisch aus Alkohol, Heroin und Morphin. Die Gerichtsmedizin hatte später drei Promille Blutalkohol bei dem Toten festgestellt.

Die Frage war, ob der Polizei-Schichtleiter seine Fürsorgepflicht verletzt habe und ob man einen Arzt zur Untersuchung hätte hinzuziehen sollen. Der Angeklagte hatte den volltrunkenen jungen Mann allerdings nicht selbst in die Zelle gesteckt, sondern mit einem Auszubildenden den Telefondienst übernommen. Gegen ein Uhr sei ein Anruf eingegangen, in dem es hieß, dass eine hilflose Person nahe dem Ilmenauer Kaufland liegt.

Aggressivität nach Gelage

Hierzu verlas Richter Germann die Aussage einer jungen Ilmenauerin, die nicht im Saal war, aber die Vorgeschichte mitverfolgt hatte. Darin beschreibt sie den 28-jährigen Punker als einerseits liebenswert, andererseits depressiv, selbstmitleidig und voller Stimmungsschwankungen. An jenem Abend habe sie mit einigen jungen Männern (teils aus der Punk-Szene) in einer Wohnung Geburtstag gefeiert. Es war Bier im Spiel und Kirschlikör, irgendwann sei der später Verstorbene mit einem anderen Mann in Streit geraten. Zudem habe er sich absichtlich mit einer Rasierklinge an der Hand verletzt. Gegen Mitternacht verließ die illustre Runde die Wohnung, um zu einer anderen Geburtstagsparty zu gehen. Vor dem Haus soll der 28-Jährige sich an den Straßenrand gesetzt haben. Alle Versuche, ihn auf die Beine zu bringen, scheiterten - weil er sich mit Fäusten zur Wehr setzte. So ließ man ihn sitzen, bis eine andere Gruppe Jugendlicher ihn fand und einen Rettungswagen anrief. Dessen Fahrer bestätigt: Der junge Mann habe auch nach ihm geschlagen und sich gewehrt, ins Krankenauto zu steigen, obwohl ihn die Sanitäter wegen der Minusgrade lediglich ins Warme bringen wollten.

Daraufhin wurde die Polizei angerufen, die den jungen Man in der (beheizten) Ausnüchterungszelle in stabiler Seitenlage ablegten. Da er sich vorher noch sehr aggressiv gebärdete, habe man nicht angenommen, dass er sich in einem lebensbedrohlichen Zustand befände.

Mehrmals habe man nach ihm gesehen und lautes Schnarchen gehört. Nach dem Schichtwechsel, am nächsten Morgen gegen neun Uhr, habe man ihn tot aufgefunden.

Der Angeklagte betonte mehrmals, dass ihm die unglücklichen Umstände, die zum Tod des jungen Ilmenauers führten, leid tun. Der Vater des Opfers murmelte darauf: "Das kommt aber sehr spät". Von unglücklichen Umständen sprach auch Richter Germann, da alle beteiligten den Ernst der Situation nicht erkannt hätten.

In den Knast gesteckt

Im zweiten Fall des Mammut-Prozesses, der Vollstreckung gegen Unschuldige, räumte der Polizist Fehler ein, beklagte sich aber auch über die Bürokratie des Polizistendaseins. Als sich an einem Dezemberabend 2008 gegen 19 Uhr der Ilmenauer K.* auf der Polizeistation meldete, erinnerte sich der Schichtführer daran, dass gegen den Mann etwas vorläge: Tatsächlich fand er eine Zahlungsaufforderung über 1160 Euro, die seit einer Woche überfällig war. Auf dem Bescheid war vermerkt, dass K. 30 Tage Haft angedroht sind, sollte er das Geld nicht zahlen. So legte ihm der Polizist Fußfesseln an und gab ihm bis 24 Uhr Zeit zum Telefonieren, um das Geld aufzutreiben: "Immerhin fünf Stunden. Ich hielt das für ausreichend, das war sicher auch großzügig von mir." Anderenfalls würde K. ins Gefängnis nach Goldlauter kommen.

Daraufhin kam K.'s Mutter zur Polizei, konnte das Geld aber auch nicht zahlen - also wurde K. in die Justizvollzugsanstalt Goldlauter gefahren und dort als Häftling aufgenommen. Allerdings wurde er in der selben Nacht wieder frei gelassen. Es hatte sich herausgestellt, dass das Schreiben ein Amtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft Bamberg war. Diese letzte Zahlungsaufforderung sollte K. zugestellt werden. Richter Germann fand klare Worte: "Sie können den Mann nicht einfach in den Knast stecken! Wir leben in einer Demokratie, in der Freiheit ein hohes Gut ist."

Woraufhin der Polizist und ein Kollege sinngemäß erklärten, bei der Vielzahl verschiedener Formulare und unkonkreter bürokratischer Anweisungen - die zudem in jedem Bundesland anders seien - hätten sie in diesem Fall den Überblick verloren. Zu unklar erschien die Formulierung, die der Schichtleiter genauso wie zwei Kollegen für einen Vollstreckungsbescheid hielten. Dennoch glaubte er, am besagten Abend richtig gehandelt zu haben, gab aber im Gericht zu: "Es war ein Irrtum."

Mit einer Gesamtstrafe von 150 Tagessätzen zu 60 Euro gilt der Polizist nun als vorbestraft. Gegen ihn läuft zudem ein internes Disziplinarverfahren, das Auswirkungen auf seinen Beamtenstatus haben könnte.
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