Antifaschistische Gruppen Südthüringen

Antifaschistische Gruppen Südthüringen

News
Ueber uns
Archiv
Dates
Chronik
Texte
Kontakt
Links
Mitmachen
Naziangriffe melden





Facebook

RSS


Because we are friends

Für aktuelle News checkt bitte unseren neuen Blog!


Sonneberg: "Atmosphäre latenter Bedrohung"

Eintragsdatum: 2009-12-06Quelle: Freies Wort

In Sonneberg marodieren des Nachts antisemitische Schlägertrupps durch die Stadt. Angriffe auf Linke sind auf der Tagesordnung. Die Polizei will von einem politischen Hintergrund aber lieber nicht reden. Wir dokumentieren einen Bericht aus dem Freien Wort vom 4. Dezember 2009.

04.12.2009 - Freies Wort
Sofort ins Gesicht geschlagen

Rechte verprügeln Mandatsträger und seinen Bruder. Vorfall wird Thema im Landtagsinnenausschuss.
Von Stefan Löffler

Sonneberg - Ein im wahrsten Sinne übles Ende nahm der jüngste Freitag der Dreizehnte für Filip Heinlein, den Sonneberger Kreistagsabgeordneten von Bündnis 90/Grüne, und seinen 16-jährigen Bruder.

Was war passiert? Am späten Abend jenes Freitags hielten sich die Brüder mit Freunden in einer Gaststätte in der Innenstadt auf. Filip Heinlein berichtet: "Es muss so gegen Mitternacht gewesen sein, als plötzlich fünf bis sechs jüngere Männer den Gastraum betraten. Sie hatten kurz geschorenes Haar und trugen die in der rechten Szene so beliebten Thor-Steinar-Klamotten. Sie benahmen sich von Beginn an äußerst aggressiv und skandierten ein antisemitisches Nazi-Lied. Dann setzten sie sich provokativ an einen Tisch mit Punks und begannen, diese anzupöbeln." Zwar zogen die Pöbler wieder ab - doch eben nur scheinbar.

Als Filips jüngerer Bruder das Lokal am frühen Samstagmorgen verließ, lauerten ihm draußen jene Rowdys auf. Der 16-Jährige wurde beleidigt und geschubst. Er habe "Judenlocken", solche und andere antisemitische Anwürfe folgten, unmittelbar vor dem ersten Schlag ins Gesicht, schildert Filip Heinlein. Der wiederum ging, als er bemerkte, was sich vor der Kneipe abspielte, dazwischen. "Ich bekam sofort einen heftigen Schlag ins Gesicht, der mich zu Boden gehen ließ. Dann einen Tritt gegen den Kopf. Meinem Bruder wurde unter anderem ein Glas überm Kopf zertrümmert." Zwischenzeitlich rückte die Polizei mit zwei Streifenwagen an. Heinlein mutmaßt, dass wohl andere Gäste, die zuvor das Lokal verlassen hatten und ebenfalls belästigt worden waren, diese alarmiert haben. Während die jüngeren Schläger sofort Reißaus nahmen, mimten die Älteren plötzlich "Streitschlichter", schildert Heinlein die Situation.

Sauer ist der 24-Jährige aber vor allem deshalb, weil die Beamten sich auf keine Diskussion darüber einlassen wollten, ob es sich bei den Tätern nun um Jungnazis handele oder nicht. Nur weil Lieder über Juden gesungen worden seien, müssten die Leute noch lange nicht rechtsextrem sein. Das könnten auch nur Betrunkene gewesen sein, zitiert Heinlein die Beamten. "Wer rechtsradikal sei, könnten letztlich nur Richter und Staatsanwälte einschätzen", hieß es.

Die Polizei bestätigte immerhin gestern auf Freies Wort-Nachfrage, dass gegenwärtig gegen zwei identifizierte und einen unbekannten Täter wegen gefährlicher Körperverletzung sowie Volksverhetzung ermittelt werde. Die Anzeige wegen rechter Hetze sei von Amts wegen erstattet worden. Somit werde auch überprüft, ob eine einschlägige Gesinnung Auslöser der rohen Gewalt gegen die beiden Jugendlichen war.

Beschuldigt seien zwei 20 Jahre alte Männer, sagt Saalfelds Polizeisprecherin Cindy Prochnow. "Es werden derzeit Vernehmungen vorbereitet sowie Zeugen gesucht, die Angaben machen können." Zu Beginn der Ermittlungen, so Prochnow weiter, verfolgte man zunächst den Verdacht einer Körperverletzung. "Erst mit Fortschritt der Ermittlungen wurden nähere Einzelheiten bekannt. Für die Beamten vor Ort gestaltete sich eine Klärung des Sachverhaltes schwierig, da eine Vielzahl von Schaulustigen anwesend war."

Atmosphäre latenter Bedrohung

Einen Rüffel für die Beamten, die in der Tatnacht eingesetzt waren, müsse es nach Ansicht Filip Heinleins trotzdem geben. Jedenfalls beschwerte sich der 24-Jährige bereits bei der übergeordneten Polizeidirektion in Saalfeld.

Es gehe nicht an, das "nahezu Nacht für Nacht rechte Schlägertrupps durch Sonnebergs Straßen ziehen und Leute attackieren" und die Polizei dies als gewöhnliche Gewalt in Folge von Überalkoholisierung abhake. Filip Heinlein: "Ein Bekannter wurde nachts in einer Seitenstraße misshandelt, nur weil er lange Haare hat und ein Metal-T-Shirt trug. Und ein anderer wurde an einer Sonneberger Tankstelle von einem amtsbekannten Rechten verprügelt - am hellerlichten Tag. Ich selbst bin im Frühjahr in einer Disko von zwei Rechten verprügelt worden. Im Polizeibericht wurde damals von einem einzigen Schlag ins Gesicht berichtet. Von dem damals ebenfalls erfolgten Tritt gegen den Kopf war genau so wenig die Rede wie davon, dass die Tat von Rechten begangen wurde. Man kann in dieser Stadt nachts einfach nicht mehr sicher durch die Straßen gehen. Das sind ja bald Zustände wie zu Zeiten der Weimarer Republik!"

Für Heinleins jüngeren Bruder jedenfalls endete die Bedrohung nicht mit dem Übergriff in jener Nacht auf den 14. November. In den Tagen darauf hätten einige der Angreifer noch zwei Mal dem 16-Jährigen aufgelauert - glücklicherweise vergebens.

Neuerliche Propaganda-Aktion

Sonneberg, so könnte man den Eindruck haben, war in den vergangenen Wochen öfters im Visier rechtsextremer Stimmungsmacher. Erinnert sei an die antisemitisch verbrämten Sprüche auf Transparenten an der Stadtumgehung am 2. November (Freies Wort berichtete). Das nächste Mal musste der Bauhof zum Saubermach-Einsatz dann am Morgen des 27. November ausrücken. Anrufer hatten das Ordnungsamt informiert, weil die Auffahrt zur Wehd am Eichberg mit Plakaten tapeziert worden war. Dabei wurde für dieselbe rechtsextreme Internetplattform geworben, wie schon bei der Aktion Anfang November.

Aber auch dort, wo nicht platte Sprüche einschüchtern, scheint sich ein Klima der Bedrohung zu verbreiten, wo Rechte in Erscheinung treten. So kam es am frühen 22. November in Mupperg zu einer nächtlichen Schlägerei, woran dem Vernehmen nach mindestens ein Mitglied aus der braunen Szene Sonnebergs beteiligt war.

Den ersten Ermittlungen der Polizei zufolge wurde dabei einem 40-Jährigen die Nasenspitze von einem 34-Jährigen abgebissen. Der 34-Jährige wiederum erlitt vermutlich eine Bissverletzung an der Hand, verursacht von seinem Kontrahenten. Zum Motiv der Auseinandersetzung laufen noch die Ermittlungen, teilt die Polizei mit. Vermutlich balgte sich das Duo um eine Frau. "Eine politische Motivation ist in diesem Fall nicht erkennbar", so die Polizei.

Auf Grund der ständigen Bedrohungen und Vorfälle erbaten dieser Tage dann mehrere Geschädigte aus Sonneberg Rat vom Thüringer Hilfsdienst für Opfer rechtsextremer Gewalt (THO) und bei der Mobilen Beratung in Thüringen (für Demokratie - gegen Rechtsextremismus; kurz: MOBIT).

Beide Organisationen entsandten Vertreter vor Ort. Der Eindruck der MOBIT-Mitarbeiter nach dreistündiger Diskussion mit den Jugendlichen: "Aus all ihren Berichten entnahmen wir, dass es nicht nur die zunehmende brutale Gewalt der Rechtsradikalen ist, die ihre Besorgnis erregt, sondern vor allem auch die ganze Atmosphäre in Sonneberg, wo es scheinbar doch eine beträchtliche Akzeptanz für rechtes Ideengut und rechtslastige Propaganda gibt. Zudem beängstigt sie das Totschweigen vieler Übergriffe."

Aus Sicht des THO handelte es sich bei dem Vorfall vom 13./14. November "nicht um eine banale Schlägerei vor einer Kneipe, sondern ganz eindeutig um einen rechtsextrem motivierten Übergriff. Sowohl das Singen des Nazi-Liedes als auch die Herabwürdigung des jüdischen Glaubens belegen dies. Zudem dauert die Bedrohung der Betroffenen an, da Täter in Gruppen vor den Schulen und Arbeitsstellen der Opfer warten, um diese zur Rücknahme ihres Strafantrags zu bewegen."

Die THO-Vertreter betonen: "Daher ist es von großer Bedeutung, dass Polizei und Politik in Sonneberg die rechtsextreme Motivation dieses Angriffs erkennen und die Opfer vor weiteren Übergriffen schützt."

Als zumindest handfester Begleitschaden nach dem Überfall erweist sich offensichtlich das erschütterte Vertrauen von Filip Heinlein in die hiesige Polizei. Übrigens nicht zum ersten Mal. Bekanntlich geriet der 24-Jährige von rund einem Jahr schon einmal über kreuz mit den Ordnungshütern - damals noch nicht als Lokalpolitiker, sondern als Musikfest-Manager.

Im Zuge eines Amtshilfeersuchens hatten seinerzeit Polizisten im Auftrag einer Gerichtsvollzieherin die Abendkasse des 1. Rock-für-Toleranz-Musikfestivals beschlagnahmt (Freies Wort). Wegen dieser Sache suchte die Polizei im Nachgang zwar mehrfach das klärende Gespräch und man traf sich auch, aber angespannt scheint das Verhältnis der Beteiligten dennoch auch weiterhin zu sein. Sonnebergs Polizeichef Andreas Barnikol äußerte gegenüber Freies Wort, er hätte jedenfalls gerne die Gelegenheit genutzt, die jüngsten Vorwürfe des jungen Kreistagsmitglieds im Gespräch zu entkräften. Möglicherweise hätte sich dann auch aufklären lassen, dass der Übergriff auf die Heinleins allein aus ermittlungstaktischen Gründen nicht an die große Glocke gehängt wurde.

Der Zug für Schadensbegrenzung vor Ort scheint jedenfalls durch zu sein: Die Vorfälle in Sonneberg werden wohl freistaatweit verhandelt werden.

Mittlerweile wurde sowohl seitens grüner als auch linker Landtagsabgeordneter gemeinsam Antrag gestellt, den Angriff auf die Heinleins und seine Folgen im Innenausschuss des Landtags zu erörtern.


Quelle: http://www.freies-wort.de/nachrichten/regional/sonneberg/sonneberglokal/art2407,1076136
Antifaschistische Gruppe Südthüringen