Welcome 2009 - good bye NPD
2009 wird spannend... und zwar in vielerlei Hinsicht.
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Eintragsdatum: 2009-01-01 — Quelle: AGST
Seit einigen Jahren versuchen wir, die Antifaschistische Gruppe Südthüringen (AGST), antifaschistische Politik im Süden Thüringens zu forcieren. Der Versuch durch emanzipatorische Kritik auf all das einzugehen, was unserer Meinung nach in der Thüringer Provinz nicht passt, ist oft schwierig. Dennoch sind wir zuversichtlich und freuen uns über jeden sichtbaren Erfolg unserer Arbeit. Deshalb wollen wir auch 2009 weiterhin für und mit euch informieren, kritisieren und protestieren. Auch dieses Jahr wird es neonazistische Demonstrationen, Übergriffe und Konzerte in gewohnt erschreckender Kontinuität geben. Ebenso sicher wird es unsere Arbeit dagegen geben. Dennoch wird 2009 für uns als Antifaschist_innen in Thüringen nur bedingt ein Jahr wie jedes Andere.
2009? What's up?
In den Medien wird das Jahr 2009 gerne für Thüringen als "Superwahljahr" betitelt. Leider können uns, die wir sowohl den Staat als auch die Nation Deutschland ablehnen, parlamentarische Wahlen nicht egal sein. Viel zu sehr stehen sie im Gegensatz zu unserer Vorstellung des denkenden, wirklich handelnden und nachdenkenden Menschen. Auch geben sie viel zu sehr indikativ, also interpretierbar, ein Bild der Menschen wieder, welche sich an ihnen beteiligen. Ob sie wählen, wen sie wählen und besonders was sie sich davon direkt oder indirekt erhoffen. Europa- und Bundestagswahlen, Landtags- und Kommunalwahlen sollen wie im alljährlich, quasi mantrahaft, die deutsche Demokratie unter Beweis stellen, und sind dabei unseres Erachtens nach, nicht mehr als Legitimation für eine Stellvertreterpolitik auf der einen und angebliche Mitbestimmung auf der anderen Seite. Da das Verständnis von eigenem Mitspracherecht und eigener Verantwortlichkeit, sowie von Politik im allgemeinen, von einem Großteil der Menschen auf eine Handvoll Kreuze alle paar Jahre reduziert wird, gilt es das System der Stellvertreter-Demokratie grundsätzlich in Frage zu stellen.
Dennoch soll das Hauptaugenmerk unserer Arbeit zu den Wahlen im Herbst 2009 auf einer Partei liegen, welche sich von den Anderen in speziellem Maße abhebt. Unter den sich dieses Jahr zur Wahl stellenden Parteien, tritt eine durch ihre Forderungen, ihre Mitglieder, sowie durch ihre Geschichte und Bedeutung besonders negativ hervor. Die NPD, die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands", wird dieses Jahr in Thüringen versuchen, nach Sachsen 2004 und Mecklenburg-Vorpommern 2006 in das dritte Landesparlament einzuziehen, und ihre Chancen stehen dabei erschreckender Weise nicht besonders schlecht.
Laut einer Umfrage des Forschungsinstitutes Forsa vom 10. September 2008 liegt die NPD landesweit bei 4 Prozent. Der Sprung über die 5 Prozenthürde scheint zum Greifen nah. Jene Hürde ist auf Kommunalebene nicht mehr existent. Der NPD scheint also zumindest der Einzug in zahlreiche Kommunalparlamente sicher zu sein.
Doch was verbirgt sich hinter der Partei, welche 2001 Objekt von Verbotsbestrebungen des Bundestags war, welches an vom Verfassungsschutz eingeschleusten V-Leuten scheiterte? Wer sind ihre Funktionäre und wer ihre Wähler? Jenen Fragen wollen wir selbstverständlich bis zur Wahl nachgehen und versuchen sie im Ansatz zu erläutern. Am meisten jedoch beschäftigt uns natürlich die Frage, wie der NPD effektiv entgegengetreten werden kann- und wie es unserer Meinung nach nicht funktioniert.
Who the f***k is NPD?
Im Wahlkampf tritt die NPD gerne offensiv als "Volkspartei", "Denkzettel für die Blockparteien" und "Partei des kleinen Mannes" auf. Die Historie der 1964 gegründeten Partei ist, bei umfassender Betrachtung, jedoch bei weitem eindeutiger als die relativ inhaltslosen Schlagwörter aus Flyern und Parteiwerbespots erahnen lassen. Rassismus, nationalistische Forderungen sondergleichen, das Verleugnen der Verbrechen Deutschlands zur Zeit des deutschen Nationalsozialismus und die Verunglimpfung der Opfer des deutschen Faschismus sind nur einige der Punkte derer die NPD während ihrer Arbeit in Kommunal- und Landesparlamenten, sowie auf teils gewalttätigen Demonstrationen und Kundgebungen nicht müde zu werden scheint. Auch wenn sich dieser sichtbare Effekt mit der eigentlich von der NPD erstrebten, auf "Unkonformität" zielenden, Außenwirkung nur Bedingt deckt.
Die menschenverachtende Ideologie hinter der Partei, in Verbindung mit Organisation und erschreckend großer Sympatisant_innenschaft, machen die NPD zur Gefahr. Ein Indiz der relativ guten und weitreichenden Strukturen der NPD in Thüringen ist bereits die Tatsache des Wahlantrittes an sich. Eigentlich stand seit 2004 fest, dass hier die DVU, die "Deutsche Volksunion", eine weitere Partei des rechten Randes, zur Wahl antreten sollte. Grund hierfür ist der zwischen NPD und DVU 2004 geschlossene "Deutschlandpakt", ein Abkommen welches bis zum Jahr 2009 einen Großteil der Bundesländer auf beide Parteien quasi "aufteilt". Zweck ist es das "national gesinnte Wählerpotenzial" nicht auf mehrere schwache Parteien aufzuteilen, sondern den beteiligten Parteien öfter den Sprung über relevante Prozentmarken zu ermöglichen. 2005 tritt diesem Bündnis extrem rechter Parteien noch die verhältnismäßig unbedeutende DP, die "Deutsche Partei", bei.
Noch 2004 waren für die DVU, neben der Kandidatur zur Europawahl, auch der Wahlantritt in den vier Bundesländern Bremen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen vorbehalten. 2008 erklärt sich die DVU bereit den Pakt zugunsten der NPD zu "modifizieren"- und auf eine Beteiligung an den Wahlen in Thüringen zu verzichten.
Die Gründe hierfür sind einfach zu erläutern. Seit Jahren baut die NPD Thüringer Strukturen aus und auf, während die DVU zusehends selbst bundesweit an Bedeutung verliert. Hier wird deutlich dass die NPD als klarer Gewinner aus dem Pakt hervor zu gehen scheint. Eine Basis für zukünftige parlamentarische Interaktion, welche die Gefahren, die von der Partei ausgehen, nur verstärkt. Erkannt werden muss unbedingt, dass die Linie der Partei große Gefahren auch abseits von rechten Gewalttaten birgt. Seit dem NPD-Bundesparteitag 1996 gehören zum Konzept der Partei, der "Kampf um die Straße", der "Kampf um die Köpfe" und der "Kampf um die Parlamente". Um den Einfluss in den Parlamenten zu ermöglichen und aus dem "Kampf um die Köpfe", mit einer möglichst hohen Anhängerschaft hervor zu gehen, liefert die NPD bevorzugt dort einfache Antworten, wo die meisten Menschen eben jene hören wollen, und sich mit den Selbigen wohlwollend zufrieden geben. Gerade auf soziale Probleme konzentriert sich hier die NPD verstärkt- und das erschreckend positive Feedback der Wähler_innen bleibt, gerade in Regionen größerer sozialer Defizite, nicht aus. Das reale Existenzproblem Arbeitslosigkeit wird schlicht mit Überfremdung begründet, Lösungen finden sich bei der NPD immer wieder und auf nahezu alle Probleme in einer "Volksgemeinschaft", einer forcierten Einigkeit all jener, die nach rechter Ideologie als deutsch gelten. Probleme werden der Einfachheit halber, was in keinem Widerspruch zur Ideologie steht, den "Parteibonzen" oder die "Ostküstenkapitalisten" (Pseudonym für vermeintliche Juden in der amerikanischen Wirtschaft) zugeschrieben.
Dabei ist die Parteistrategie klar Wähler_innen orientiert, während gleichzeitig kleine unliebsame "Details", wie die Vorstrafenregister oder politischen Lebensläufe der Parteimitglieder, welche Wähler_innenstimmen kosten, lieber unter den Tisch gekehrt werden. Dem und der politisch Frustrierten wird im Einklang mit der Parteiideologie nach dem Mund geredet, da hier bei einer großen Masse mit einfachsten Stammtischparolen gepunktet werden kann, da meist rassistische und nationalistische Stereotypen bereits verinnerlicht sind. Die resultierenden Sympathien lassen sich in Wähler_innenstimmen umsetzen. Stimmen, welche sich in parlamentarischen Ämtern und somit Mitsprache ausdrücken.
Dennoch muss klar sein, dass die letztendliche Verantwortlichkeit für Sympathien zur NPD, nicht in einer zielgerichteten Beeinflussung durch die Partei, sondern klar bei denen zu finden ist, welche die Sympathien hegen. Wer die Anhängerschaft der NPD auf Verblendete, sozial Benachteiligte reduziert, verklärt die Tatsachen und macht deutsche Täter zu Opfern. Zwar hat diese Debatte mehrere Dimensionen, jedoch darf sich die Kritik an den Wähler_innen und Anhänger_innen der NPD auf gar keinen Fall dadurch verbaut werden, dass diese Menschen als "manipuliert" angesehen werden. Auch wenn es vielleicht beim ersten Betrachten so anmutet, stellt dies absolut keinen Widerspruch zur Strategie der NPD dar, mit "einfachen" und massentauglichen Konzepten Menschen zu binden.
Es muss notwendigerweise endlich realisiert werden, dass Nationalismus bis Rassismus ihre Wurzeln in großen Teilen der Gesellschaft haben und die NPD diese Teile nur überzeugen muss, dass die Unterstützung der NPD als Partei in Ordnung ist. Die NPD, ihre Wähler_innen und Sympathisant_innen dürfen nicht als ein der Gesellschaft äußerliches Problem betrachtet werden. Das Problem ist vielmehr die bürgerliche Gesellschaft selbst, aus der die Neonazis erst hervorgehen.
Oft sind die Leitlinien der NPD bei Flugblättern, Demonstrationsmottos oder auch Wahlkampagnen, Einfachheit und Provokation. Je einfacher und dienstuntauglicher, desto mehr die erreicht werden, je provokativer oder gar skandalöser, desto mehr Aufsehen wird erregt und wiederum ebenso mehr Menschen, welche sich der NPD zuwenden.
And now?
Das Konzept mit der potenziellen Wähler_innenmasse möglichst konform zu gehen, und dennoch dabei möglichst Systemunkonform zu wirken- schließlich gibt sich die Partei als "einzig wahre Opposition"- geht dabei jedoch nicht komplett auf. Die Partei ist wie wenige Andere mit sich selbst über die Meinungen und Ideologien der Mitglieder und der Frage in wie weit diese auch nach außen vertretbar sind, im Unklaren. Denn klar ist für die Parteispitze, dass zwar mit Fremdenfeindlichkeit und Heimatverbundenheit bei Wähler_innen prinzipiell zu punkten ist, Übergriffe auf Migrant_innen beispielsweise jedoch ein Tabu sind und gesellschaftlich geächtet werden.
Zweierlei Aspekte sollen somit dabei im Rahmen unserer Arbeit gegen den NPD-Wahlkampf 2009 beleuchtet werden. Zum Einen wollen wir uns selbstverständlich dem offenen Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus widmen, welche reale Tatsachen der Praxis von NPD-Parteimitgliedern und deren Umfeld darstellen. Zum Anderen soll es uns jedoch selbstverständlich auch um gesellschaftlich akzeptierte Formen der selben Probleme gehen. Probleme, welche jedoch die Wählerstatistiken nicht belasten, sondern aufbessern und in Wahlprogrammen und Parteipropaganda mehr als nur zu erahnen sind. Hierbei geht es zum einen um einen akzeptierten Rassismus, der absolut gar nicht in Form von "Ausländer raus!"-brüllenden Neonazis daherkommt, als auch einen subtilen und weitverbreiteten Antisemitismus, der meint schnelle Analysen wirtschaftlicher Probleme liefern zu können, sowie einen schwarz-rot-goldenen Nationalismus, welcher nicht unbedingt direkt etwas mit Hakenkreuz-Sprühereien zu tun haben muss und sich selbst hinter dem konturlosen Label Patriotismus verbirgt.
Wie kann also effektiv der NPD, sowie der Zahl derer Wählerstimmen entgegenwirkt werden? Klar und selbstverständlich muss sein, dass die Stimmenzahl nur als grobes Zeichen der Sympathien für Ideologie und Partei, in der wählenden Bevölkerung zu sehen ist. Die Anzahl der Stimmen zu senken, während die Sympathien in der gesamten Bevölkerung eigentlich realer Fakt sind, kann kein Lösungsansatz sein!
Eine Gesellschaft, welche sich selbst für jede, nicht für eine rechte Partei abgegebene Stimme, beweihräuchert, und selbst dabei Ursachen und wirkliches "rechtes" Potential komplett ausblendet, ist nicht in der Lage auch nur ansatzweise ausreichend gegen neonazistische Tendenzen, und schon gar nicht gegen Fremdenfeindlichkeit im Allgemeinen, vorzugehen. Andere Verhältnisse wären wünschenswert, entsprechen jedoch nicht der Realität.
Noch weniger kann der Kampf gegen rechte Tendenzen einem deutschen Staat und dessen Behörden überlassen werden. Anstrengungen gegen menschenverachtendes Gedankengut dürfen nicht zur Werbung für ein angeblich geläutertes Deutschland und damit zur Farce verkommen. Zu oft wird plakativ, und einem Werbespot für die Produkte "deutsche Wirtschaft" und "Tourismus" gleichkommend, versucht medial möglichst wirksam aufzuzeigen, dass in Deutschland kein Platz für Neonazis sei. Ein Phänomen welches nur Auftritt wenn der Skandal ohnehin schon durch die Medien läuft. Sei es wenn Neonazis ausgerechnet zum 60. Jahrestag der deutschen Kapitulation im Fokus der Weltöffentlichkeit durch das Brandenburger Tor marschieren wollen, so geschehen 2005. Oder auch wenn rechte Jugendliche 2007 im sächsischen Mügeln Hetzjagd auf Menschen migrantischen Hintergrunds machen und 2008 die Reizbarkeit der Zivilgesellschaft mit einer Messerattacke auf den Passauer Polizeipräsidenten, welcher den Leichnam Friedhelm Busses, einer ehemalig führenden Persönlichkeit der rechten Szenen, hat exhumieren lassen, ans Limit gebracht wird.
Mit einer Politik, in welcher erstens nur reagiert wird und zweitens selbst dies nur geschieht, wenn skandal- und quotenfixierte Medien oder die Zivilgesellschaft dies, aus welchen Ursachen auch immer einfordern, können gesellschaftliche Veränderung, verantwortliche Selbstbestimmung oder reflektierte Kritik keine Erfüllung finden. Somit soll ebenso Inhalt unserer Arbeit gegen den Wahlkampf der NPD, die Kritik an der Kritik sein, wobei wir versuchen wollen bestmöglich darauf einzugehen, warum die Arbeit gegen neonazistische Strukturen, als auch die einhergehende Arbeit an, aber auch mit Teilen der Gesellschaft, unserer Meinung nach, im Moment leider Primär nur Sache von Antifa und staatsunabhängigen Organisationen und Personen sein kann. Ob organisiert oder nicht, spielt hier nur in der Möglichkeit der Ausschöpfung der Mittel eine Rolle.
Eine solche Arbeit kann und muss unterschiedlichst aussehen.
It's your turn. Again.
Selbstverständlich können Menschen jeden Alters, in Gruppen organisiert, besser Veranstaltungen planen, Flyer gestalten oder auch ein linkes Konzert auf die Beine stellen. Dennoch gibt es eine Vielzahl von Dingen, die von jeder und jedem gemacht werden können. Das beginnt beim Entsorgen von Wahlkampfplakaten und endet bestimmt nicht beim praktischen Entfernen von Neonazis und Rassist_innen aus Kneipen, Jugendclubs oder der örtlichen Dorfdisco. Auch das Stören von rechten Demonstrationen, Kundgebungen oder Wahlkampfveranstaltungen darf keine Hemmschwelle darstellen. Im Aufruf zur Stimmabgabe für eine nicht rechte Partei a la "jede nicht abgegebene Stimme ist eine Stimme für die NPD", sehen wir kein ausreichendes Mittel gegen die NPD. Wer etwas gegen die NPD machen will, sollte mehr hinbekommen als Werbung für die eigene Partei oder das Label "Demokratie made in Germany" zu machen. Ein Kreuz an der augenscheinlich richtigen Stelle reicht in unseren Augen weder gegen rassistisches und nationalistisches Gedankengut der NPD und anderer Parteien des rechten Rand, noch kann es wirkliche Mitbestimmung bedeuten. Auf keinen Fall darf es darum gehen Ergebnisse schön zu manipulieren, damit die Thüringer Provinz nazifrei nach außen wirkt. Es muss darum gehen eine klare Politik gegen Rassismus und Nationalismus, gegen die NPD, sowie gegen die Meinungen und Ideologie all derer Wähler_innen und Sympatisant_innen zu vertreten. Und zwar nicht halbherzig und als Mittel zum Zweck, sondern überzeugt und unnachgiebig. Wir freuen uns darauf der NPD den Wahlkampf 2009 mit eurer Hilfe bestmöglich zu vermiesen und hoffen auf eure Kreativität und euren Aktionismus.