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Zella-Mehlis: Rechtsextreme Argumentation als Deutschhausaufgabe br> Eintragsdatum: 2008-08-06 — Quelle: AGST "BRD: dieses System bringt uns den Volkstot!" - so betitelte der aus Göttern stammende Tobias Winter, Schüler des Gewerblich-Technisches Berufsbildungszentrum Zella-Mehlis (GTBBZ), eine Hausaufgabe. Ziel dieser Arbeit war es, eine Argumentation zu einem selbst gewählten Thema zu verfassen. Bereits beim Lesen der äußerst plump anmutenden Überschrift ließ sich erahnen, in welche Richtung die Argumentation des Schülers führen wird. So versuchte er, durch aneinandergereihte Phrasen, die jeglichen Inhalt vermissen lassen, seine menschenverachtende Weltanschauung argumentativ darzulegen. Durch Formulierungen wie "das höchste ist die reine Weitergabe des reinen Lebens, die Erhaltung des deutschen Blutes und der deutschen Kultur!" gab Winter schließlich klar zu verstehen, dass ihm die Erhaltung der "deutschen Rasse" wichtiger ist, als das Recht auf Selbstbestimmung eines jeden Menschen. Auch die seiner Meinung nach bestehenden physischen Unterschiede zwischen Menschen, die aus verschiedenen Regionen der Erde stammen, betonte er in seiner Arbeit: "Alle Völker sind von Grund auf in ihrem Antlitz verschieden und das ist Naturgewollt und richtig!"
Das Pamphlet gipfelt schließlich in der Forderung nach einem "[...] deutschen Sozialismus, der nicht nur die Interessen des Volkes vertritt, sondern auch seine Perfektion in der Volksgemeinschaft findet!" Dies ist mit anderen Worten eine Rückforderung des Nationalsozialismus, welcher einen Sozialismus für das "deutsche Volk" darstellen soll, wobei jedoch kein Platz für Menschen nichtdeutscher Abstammung in der zu errichtenden "Volksgemeinschaft" vorgesehen ist.
Da Winters Formulierungen keinerlei Straftatbestände erfüllen, verzichtet die Schule auf einen Schulverweis. Eine Lösung wäre es eh nicht. Winter ist eben einer unter vielen. Als Reaktion sollen nun verstärkt Projekte "gegen Rechts" an der Schule durchgeführt werden, etwa in Zusammenarbeit mit dem "Mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Thüringen" (MOBIT). Weiterhin soll nun das Lehrpersonal auf Codes und Outfit der neuen und alten Rechten geschult werden, damit diese auch sogleich identifiziert werden können. So referierten schließlich Szenekenner_Innen im Rahmen einer Dienstberatung des Schulamtes über diese Thematik, damit die Teilnehmer_Innen der Beratung die neu gewonnenen Informationen schließlich in ihre eigenen Schulen weitertragen können.
Das verstärkte Vorhandensein rechtsextremistischer Denkweisen in dieser, und allgemein in Berfsschulen, begründet Schulamtsleiter Diez damit, dass - etwa im Gegensatz zu Gymnasien - Berufsschulen verstärkt von Menschen besucht werden, denen nichts anderes als eine überberufliche Ausbildung bleibt. Demnach seien Berufsschulen auch immer ein "Sammelbecken benachteiligter Jugendlicher."
Das Thüringer Kultusministerium schätzt diesen Aufsatz als eine absolute Ausnahme ein, so gebe es keine vergleichbaren Vorfälle. Dies kann jedoch kaum mit Gewissheit behauptet werden, da nicht davon auszugehen ist, dass jede_r Lehrer_in auf die gleiche Weise handelt, und Geschehnisse dieser Art meldet und öffentlich macht. Anstatt sich derer anzunehmen und diejenigen zu unterstützen, die sich aktiv gegen Neonazis engagieren, erscheint es freilich einfacher, das Vorkommen rechtsextremer Denkweisen schlichtweg zu leugnen. Richtungweisend hierfür sind nicht zuletzt die von der Thüringer Landesregierung gesetzten Zeichen, lehnte diese doch erst kürzlich ein Programm gegen Neonazis ab.
Presse:
08.07.08 - Freies Wort
Dumpfbraune Provokation per Hausaufgabe
Rechtsextremismus / Nach der Propaganda-Tirade eines Zella-Mehliser Berufsschülers wollen Lehrer und Schulamt pädagogisch handeln, nicht abstrafen
Von Jens Voigt
Zella-Mehlis - Es war eine Hausaufgabe wie jede andere am Gewerblich-Technischen Berufsbildungszentrum Zella-Mehlis: Ausarbeiten einer Argumentation zu einem selbst gewählten Thema. Robert N.*, angehender Maschinen- und Anlagenführer für Lebensmitteltechnik aus einem kleinen Ort bei Apolda, gab seine Blätter kommentarlos ab, die Deutschlehrerin ordnete sie ohne weitere Ansicht in den Klassen-Stapel. Ein paar Tage später, beim Korrigieren, bekam sie eine Gänsehaut. Nicht wegen der eher brüchigen Rechtschreibung und Grammatik, sondern wegen des Inhalts: Vor ihr lag ein Pamphlet unverstellten, hemmungslosen Neo-Nationalsozialismus.
Schon die Überschrift verhieß Arges: "BRD - dieses System bringt uns den Volkstot!" Er setze sich ein, so Schüler N. "für einen deutschen Sozialismus, der (...) seine Perfektion in der Volksgemeinschaft findet", das "höchste" sei die "reine Weitergabe des reinen Lebens, die Erhaltung des deutschen Blutes"; "jede Form der Völkermischung ist rückschrittlich und selbstzerstörerisch". Der Staat habe dem "deutschen Volk in Art und Kultur" zu dienen, "artfremder Geist, der sich im Liberalismus und Materialismus äußert", müsse "bekämpft" werden.
So, jetzt macht mal
Sätze, wie man sie von der alten NPD kennt, als sie noch nicht Kreide gefressen hatte, um gesellschaftsfähig und wählbar zu erscheinen. Tiraden, wie sie zuweilen noch auf Treffen der Neonazi-"Kameradschaften" geschmettert werden. Ein dumpfes Gemisch aus Deutschtümelei, Rassen-Huberei, Totalitarismus und Sozial-Versprechen. Ausgebreitet nicht vor Gesinnungsgenossen in Hinterzimmern, nicht hinter der Hand getuschelt irgendwo. Sondern am Computer geschrieben, mutmaßlich großteils übernommen von irgend welchen braunen Homepages und als schulische Arbeit der Lehrerin und damit "denen da oben" hingeknallt: So, jetzt macht mal. Wäre das "System" tatsächlich ein solches wie Robert N. zu glauben vorgibt, hätte es scharf und hart reagieren müssen: Aussprache beim Direktor, Eltern einbestellt, Schüler zwangsversetzt nach irgendwo. Vor 20 Jahren hatte W. sein Geschreibsel unweigerlich, mindestens, in den Jugendwerkhof geführt und seine Familie in besondere Obhut der Stasi. Aber das "System" besteht in Wirklichkeit aus sehr verschiedenen Regelkreisen, Schule, Verwaltung und Justiz, es basiert auf sehr viel Freiheit und Rechten und noch mehr auf abwägender, prüfender Diskussion. Das "System" tut sich ein bisschen schwer mit Robert N. und seinem hingerotzten Aufsatz.
Wobei zunächst alles seinen vorschriftsgemäßen Gang nahm: Sofortige Information per Telefon ans Schulamt, von dort aus schriftlich ans Kultusministerium, es gibt, wie ein Sprecher erklärt, Formblätter für so etwas. Das Ministerium wiederum setzte Mobit in Kenntnis, das Mobile Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Thüringen. So weit die offizielle Darstellung. Inoffiziell freilich werden ein paar Abweichungen erzählt, jene zum Beispiel, dass die Deutschlehrerin zunächst Rat suchte bei einer Kollegin, die wiederum direkt den Schmalkalder Schulamtsleiter Wolfgang Diez informierte und danach erst den eigenen Schulleiter, um, wie es heißt, sicher zu gehen, dass die Sache nicht im Sande verlauft. Auch das Ausfüllen des richtigen Formblatts in der Schulleitung sei erst nach einem weiteren Anruf aus Schmalkalden gelungen. Marginalien vielleicht, jedoch passen sie zu Einschätzungen, wonach an der Berufsschule nur zwei, drei Lehrer sich immer wieder engagieren bei Aktivitäten gegen Rechtsextremismus, der Rest des rund 70-köpfigen Kollegiums eher abwartet.
Andererseits: Immerhin gibt es Aktivitäten, schon vier Veranstaltungen hat Mobit an der Schule organisiert, Vorträge und Rollenspiele. Ein weiteres Seminar über rechtsextreme Zeichen, Klamotten und Codes war noch vor dem "Vorfall", wie die schriftliche Ausscheidungbraunen Geistes im Lehrerzimmer genannt wird, vereinbart worden.
Ängste um den Ruf der Schule
Schulamtsleiter Diez weiß um die Gratwanderung, die nun auf die Verantwortlichen zukommt. "Natürlich verstehe ich die Ängste um den Ruf der Schule", sagt er. Zumal schon einige Aktivisten der rechtsextremen Szene Thüringens dort ihre berufstheoretische Lehrzeit absolvierten. Andererseits könne dies die Schule auch schwerlich verhindern: "An Berufsschulen kommen, im Unterschied zu Gymnasien, auch Jugendliche, denen nichts anderes bleibt als eine überbetriebliche Lehre oder ein Orientierungsjahr." Oder, um es deutlicher zu formulieren: "Berufsschulen sind immer auch ein Sammelbecken benachteiligter Jugendlicher." Noch ein zweiter Unterschied erschwert das Angehen gegen Rechtsextremismus oder Gewalt: In der Schule sind die Jugendlichen ganze zwölf Wochen pro Lehrjahr, sonst erfolgt die Ausbildung in den Betrieben. "Die Schüler sind eher Gäste als Teil einer Klassen- oder Schulgemeinschaft", so Diez. Von daher böten sich von vornherein weniger pädagogische Mittel an. Solche sind aus Sicht des Schulamts auch die richtigen, um auf den "Aufsatz" von Robert N. zu reagieren. "Ein Verweis oder gar Schärferes, gar vor der Klasse ausgesprochen, wäre kontraproduktiv", meint Diez, "das würde den Jungen doch nur zum Helden in seinen Kreisen machen."
Gleichwohl, Diez will handeln. "Wir dürfen so etwas nicht unter den Tisch kehren, sondern müssen die Dinge angehen, auch öffentlich", ist er überzeugt. Als Mitglied im Meininger Bürgerbündnis gegen Rechts hat er kürzlich mit demonstriert gegen ein NPD-Treffen. "Typen, wie sie da vornanstehen, setzen auf die Verführbarkeit von Jugendlichen", meint er, "falsche Toleranz oder Wegschauen spielt denen in die Hände." Gleich nach Bekannt werden des "Vorfalls" hat Diez eine etwas andere Dienstberatung im Schulamt anberaumt: Ein Szenekenner referierte über Zeichen und Codes sowie aktuelle Strukturen der rechtsextremen Gruppierungen. "Das sollen die Mitarbeiter weiter tragen an die Schulen, damit dort etwas in Gang gesetzt wird", hofft der Amtsleiter. In der Zella-Mehliser Berufsschule gab es am Donnerstag ein Treffen von Schulleitung, einigen Lehrern, Schulamt und Mobit. Zwar scheiterte trotz vorheriger Zusage die unmittelbare Information an die Presse, trotzdem sickerten Ergebnisse durch. Demnach wird auf, eine Anzeige gegen den Schüler verzichtet, weil sein Text nach Einschätzung der Runde haarscharf an Straftatbeständen vorbei geht. Für die Hausaufgabe hat Robert N. eine glatte Sechs bekommen, weil seine "Argumentation" mangels belegbarer Aussagen keine sei, so die fachliche Begründung. Mit dem als verschlossen geltenden Schüler, der bislang gänzlich unauffällig gewesen sei, sollen nun vor allem Gespräche geführt werden. Ein erster Versuch in der vergangenen Woche, so heißt es, sei allerdings mehr oder weniger gescheitert. Einige Lehrerinnen wollen den Ausbildungsbetrieb des 17-Jährigen über das Pamphlet informieren. N. lernt in der Filiale eines internationalen Backwaren-Konzerns bei Jena " "die sollten wissen, welchem Wahn ihr Lehrling nachläuft", findet eine der Pädagoginnen.
Ansonsten wurde verabredet, demnächst eine zusätzliche Mobit-Veranstaltung ins Haus zu holen, Schüler, die sich gegen Neonazis und Gewalt engagieren, in ihren Klassen zu unterstützen und aufmerksam zu bleiben. "Wenigstens ein Anfang ist gemacht", sagt eine Lehrerin, die an der Beratung teilnahm. Sie wünscht sich, dass nun endlich "alle Kollegen aufwachen und einheitlich handeln". Wie etwa jener Lehrer, der Schüler, die in Szene-Klamotten erscheinen, sofort zum Umziehen auffordert " nötigenfalls zu Hause.
Als "absolute Ausnahme" schätzt das Thüringer Kultusministerium den möglicherweise als Provokation verfassten Aufsatz ein, es gebe, so ein Sprecher, "keine vergleichbaren Fälle". Erstmals habe einer "richtig Klartext" niedergeschrieben, meint auch Schulamtsleiter Diez. Doch rechtsextreme Anklänge in Schülerarbeiten habe es auch schon früher gegeben, ein Fall an einer Suhler Berufsschule liege gar nicht so lang zurück. Petra Pawelskus, Beraterin bei Mobit, erinnert sich an einen "offen rassistischen" Text, der im Februar vorigen Jahres am Gymnasium Bad Satzungen für Aufregung sorgte. "Dass jemand einen ganzen Propaganda-Text verfasst und bewusst zur Bewertung abgibt, mag neu sein", urteilt Pawelskus, "aber das verstärkte Umwerben von Schülern durch rechtsextreme Gruppen ist es nicht." Mit Aktionen wie dem Verteilen ihrer "Schulhof-CD", Ostereiern oder auf flippig getrimmten Flugblättern buhlten NPD und andere um Akzeptanz bei Jugendlichen, um sie als Unterstützer zu gewinnen. Dass solche Aktionen auch Erfolge zeitigen, belegen Zahlen des Kultusministeriums. Demnach wurden von 2005 bis 2008 insgesamt 189 Delikte der politisch rechtsextrem motivierten Kriminalität an Thüringer Schulen erfasst. Strafrechtlich häufig nicht relevante Vorkommnisse wie diskriminierende Beschimpfungen, die Bedrohung von Mitschülern oder das gegenseitige Aufhetzen von verschiedenen Schülergruppen flossen allerdings nicht in die Statistik ein. "So ein Text wie in Zella-Mehlis", meint Pawelskus, ist nur die Spitze des Eisbergs." Ein derart verfestigtes rechtsextremes Weltbild wieder aufzubrechen, werde "sehr, sehr schwierig".
Bei ersten Anzeichen aktiv werden
Umso mehr müssten Lehrer und Erzieher nicht nur sensibilisiert, sondern auch qualifiziert werden, schon bei den ersten Anzeichen aktiv zu werden. Pawelskus fordert deshalb eine stärker verpflichtende Fortbildung der Pädagogen zum Thema. Und angesichts der mehr als 1100 zusätzlichen Lehrerstellen ab nächstem Schuljahr sollte es auch möglich sein, flächendeckend pädagogische Berater für das Vorgehen gegen Rechtsextremismus zu installieren. Im soeben vom Kultusministerium herausgegebenen Maßnahmekatalog zur Nutzung der Überkapazitäten steht davon zwar nichts. Aber Schulamtsleiter Diez hat schon seinen Ansatz gefunden. Eine halbe Stelle je Schulamtsbereich ist im Katalog für einen "Koordinator zu Sekten und neureligiösen Bewegungen" vorgesehen. Diez wird die Bezeichnung erweitern, um "politischen Extremismus". Das werde in Erfurt bestimmt akzeptiert. "Wir packen das da rein", sagt Diez, "irgendeiner muss ja mal anfangen."
(* Name der Redaktion bekannt)
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