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Gehlberg: Landrat will Isolationslager erhalten br> Eintragsdatum: 2008-07-16 — Quelle: AGST Einen Monat ist es her, als in Arnstadt die Flüchtlinge aus dem Sammellager Gehlberg auf die Straße gingen. Inzwischen luden die Menschen zu einer Pressekonferenz und wollten die Öffentlichkeit über das Isolationslager informieren. Der Landrat bekräftigt mittlerweile, dass er das Gehlberger Lager mindestens bis 2010 erhalten will. "Wir wollen menschenwürdig leben"
Sich die Proteste gegen das Isolationslager in Katzhütte zum Vorbild nehmend, haben sich die Flüchtlinge aus dem Gehlberger Lager entschlossen ihre Geschicke in die eigenen Hände zu nehmen. Seit kurzem protestieren sie gegen die schlechten Bedingungen im Isolationslager Gehlberg, gegen die rassistische Ausgrenzung und die Isolation überhaupt.
Am 14. Juni gingen 30 von ihnen in Arnstadt auf die Straße, um sich zu wehren ( AGST berichtete). Unterstützt wurden sie lediglich von einigen linken Aktivist_innen. Die öffentliche Wahrnehmung des Protestes wurde durch die Lokalpresse hergestellt, die weitgehend versuchte objektiv über den Widerstand der Flüchtlinge zu berichten und sich nicht, wie üblich, darauf beschränkte die Meinungen und Relativierungen der politischen Verantwortungsträger_innen einzufahren.
Pressekonferenz konnte nicht verhindert werden
Für Mittwoch den 2. Juli luden die Bewohner_innen des Gehlberger Lagers interessierte Pressevertreter_innen zu einer Ortsbegehung und Gespräch mit den Betroffenen ein. Das Angebot wurde wahrgenommen. Allerdings durften die Bewohner_innen die angereisten Interessierten der Presse nicht im Lager empfangen. Die Pressekonferenz fand vor dem Tor des abgezäunten und kameraüberwachten Lagers statt, da der Landkreis sein Hausrecht bemühte und die Veranstaltung auf seinem Territorium untersagte. Warum man dies tat, liegt auf der Hand. Ein Vertreter des Landratsamtes ließ sich trotz Einladung natürlich nicht blicken.
"Wir sind psychisch am Boden"
Im Folgenden veröffentlichen wir Ausschnitte des uns zur Verfügung gestellten Skriptes eines Heimbewohners zur Pressekonferenz (Rechtschreibung und Grammatik nicht im Original):
Wir wollen euch über die Lage Gehlbergs informieren, die Lage der Flüchtlinge und unsere weitere Aktivitäten informieren.
1. Gehlberg liegt mitten im Thüringischer Wald, am südlichen Rand des Landkreis "Ilmkreisâ. Ein Spaziergang in die falsche Richtung (Oberhof) ist mit Geld zu bestrafen. (Anmerkung AGST: Oberhof liegt im Landkreis Schmalkalden-Meiningen, Flüchtlinge dürfen ihren Landkreis, wegen des Residenzpflichtgesetztes nicht verlassen)
2. Die nächste Stadt im Landkreis, Arnstadt, ist etwa 50 Minuten mit dem Bus (30 Minuten mit dem Zug) entfernt. Leider ist dort nicht die zuständige Ausländerbehörde, sondern in Ilmenau. Ilmenau ist etwa 1 Stunde 30 Minuten mit dem Zug von Gehlberg entfernt. Damit ist die Reise zu Ausländerbehörde, Gesundheitsamt und Sozialamt tatsächlich eine Reise, die bis zu 5 Stunden Zeit kostet.
3. In Gehlberg selbst ist die medizinische Versorgung sehr schlecht, so ist die Hausärzten nur an zwei Tage zu besuchen, ansonsten wird nur Notruf und -Arzt gesichert.
Das Lager, selbst hat 9 Häuser und wird von 4 Überwachungskameras überwacht. Eine Asylheimleiterin arbeitet an allen Arbeitstagen, während die Wachmänner von 19:00 bis 7:00 arbeiten müssen. Diese arbeiten sogar an den Wochenenden. Ein Hausmeister arbeitet nur an zwei Tagen in der Woche. Ein Haus brannte vollständig vor einigen Jahre, ein anderes Haus musste letztes Jahr geleert werden, da es dort zu großen Problemen kam. Z.B. gab es mehrere Ratten im Haus, die nur mit Rattenfalle gefasst werden konnten, Wasser floss/tropfte herunter. Was letztendlich im Zwangsumzug der Menschen endete. Andere Häuser leiden unter massiven Mangel, wie kaltes Wasser über Wochen, die Heizung ist oft sehr schlecht, dass man andere Geräte anmachen sollte, um sich aufzuwärmen. Tatsache ist, dass die Heizung nur von 2:00 bis 6:00 angemacht wird. Den Rest des Tages bleibt sie aus. Eine Telefonzelle gibt auch im Heim, die Geld nur einnimmt, aber telefonieren kann man damit nicht. Der Weg zum Bahnhof ist nicht beleuchtet und dauert für die meisten etwa 40 Minuten. Dort müssen wir den unteren Weg im Winter über den Schnee laufen, da der Winterdienst diesen Weg oft nicht räumt. Dazu kommt ein bergauf Weg, wo die vielen Kranken zu leiden haben.
Wir kommen zu den Problemen der Menschen hier:
1. Psychische Krankheiten:
Alle Asylbewerber aus Gehlberg waren mindestens einmal in einer Psychiatrie gewesen, viele von uns haben mindestens ein Selbstmordversuch hinter sich. Wir sind psychisch am Boden. Das liegt einerseits an den Fluchtgründen, Fluchtweg und anderseits am Leben ohne Perspektive im Lager Gehlberg. Die meisten von uns bekommen Schlaftabletten, da sie sonst nicht schlafen können und das über Jahre hinweg.
2. Prozess nach einer Krankheit:
Wenn ein Asylbewerber in Gehlberg krank wird, ist es ein großes Problem. Das nicht nur weil die Hausärztin nur an zwei Tagen in Gehlberg ist. Die Asylbewerber mit ihren sprachlichen Kenntnissen müssen mit der Bürokratie kämpfen. Denn erstmal müssen sie einen Krankenschein beantragen, um erst zur Ärztin gehen zu dürfen. Wenn die Asylbewerber eine Überweisung zu einen anderen Arzt bekommen, sollen sie dann zum Gesundheitsamt in Ilmenau fahren, um dort eine Genehmigung zu erhalten. Der Fahrt nach Ilmenau bekommen sie nach Wochen zurückbezahlt. Sie müssen als kranke Menschen den Berg runter und rauf laufen und auch den Zugweg in Kauf nehmen, der 3-5 Stunden dauert. Das müssen sie als kranke Menschen einfach hinnehmen. Im Winter ist das an sich ein Grund zum krank werden. Erst danach können sie einen Termin bei einen Arzt erhalten und zu ihm fahren. Das dauert mindestens zwei Wochen.
3. Geldfrage und Arnstadt:
Würden die Flüchtlinge in einer Stadt wohnen, würde der Landkreis viel Geld sparen. Auch in einer Wohnung in Arnstadt zu wohnen ist billiger als ein Lager zu unterhalten. Das haben viele Studien gezeigt. In einer normalen Wohnung zu leben, sichert für uns ein menschwürdiges Leben.
4. Kindergarten:
Hier haben die Familien mit kleinen Kinder riesige Probleme. Da die Kinder nicht alleine fahren können, müssen die Eltern mitfahren. Doch weigert sich das Landratsamt die Transportkosten für die Eltern zu bezahlen. Etwa 65⬠kostet eine Monatskarte nach Gräfenroda. Da einige kein Bargeld bekommen, wird das Geld von ihren Gutscheinen abgezogen, was eigentlich ein Minimum für Lebensmittel ist. Die Flüchtlinge hätten in einer Stadt das wenig vorhandene Geld sparen können, da sie nicht zu anderen Ort fahren müssen.
5. Bildung:
Hier gibt es auch Probleme, so gibt es ein Mädchen, die keine Berufsschule besuchen kann, weil sie ihr Kind nicht in die Kinderkrippe bringen kann. In einer Stadt wäre das kein Problem. Einem anderen Mädchen wurde es verboten eine Ausbildung zu beginnen. Der Fall von Tawfik Lbebidy war bereits in den Medien veröffentlicht. (Anmerkung AGST: LINK)
6. Verkehr:
Der Verkehr in Gehlberg ist zwar existent, entspricht aber nicht den Bedürfnissen der Menschen. So gibt es nur 4 Mal (2 frühmorgens; 2 nachmittags) einen Bus zum Bahnhof und nur an Arbeitstagen. Ansonsten gibt es eine Busverbindung an Schultagen nach Gräfenroda bis Schulende. Der DB-Verbindung nach Ilmenau ist mit einem Umsteigen nach Ilmenau verbunden.
"Für die einen sind es Menschen mit Augen und Ohren, für die anderen Kostenfaktoren"
Der Landrat Benno Kaufhold (CDU), der, wenn es um die zahlreichen Aktionen von Neonazis geht, gerne mal den (Pseudo-)Antifaschisten gibt, lässt in dieser Frage alle Hüllen fallen. "An der fachlichen Unterbringung ist nichts zu kritisieren", sagt Kaufhold gegenüber der Lokalzeitung "Thüringer Allgemeine". Die Unterbringungsform sei bewusst gewählt worden. Gegenüber "Freies Wort" behauptet Kaufhold die Jahrzehnte alten, brachen Ferienhütten aus DDR-Zeiten seien "absolut lebenswert". Den Betroffenen in Gehlberg bleibt bei solchen Worten der Atem stehen. Auch wenn er das Gehlberger Lager als das Paradies auf Erden verkaufen möchte, Kaufhold selber würde in diesem modifiziertem Knast mit Sicherheit nichtmal die Ferien verbringen.
Frühestens im Jahre 2010 sei an eine andere Unterbringungsform zu denken, denn bis dahin laufen noch Verträge, die man einhalten werde, so Kaufhold.
Dass es mit einer menschenwürdigen Unterbringung nicht so einfach werden würde, dessen ist man sich in Gehlberg bewusst und so geht der Kampf um das Ende der Isolation weiter. Die kämpfenden Flüchtlinge sind auf unsere Solidarität und praktische Unterstützung angewiesen.
Schließt alle Isolationslager!
Für globale, soziale Rechte!
Presse:
02.07.08 - Thüringer Allgemeine
"Menschenwürdig leben"
GEHLBERG. Gegen ihre zentrale Unterbringung haben Mitte Juni die Bewohner des Asylbewerberheimes Gehlberg in Arnstadt demonstriert. Gestern, bei einem Vor-Ort-Termin, wiederholten sie eindringlich ihre Forderungen.
Ohne Frage, die Wohnsiedlung am Rande Gehlbergs, die sich ihren DDR-Ferienbungalow-Charme über all die Jahre bewahrt hat, liegt absolut idyllisch: Ringsum Grün, ein weiter Blick ins Land auf die Berge des Thüringer Waldes und eine Ruhe, die höchstens von Vogelgezwitscher durchzogen wird. Hier kann man durchatmen und abschalten, Urlaub machen, klasse.
Für die Flüchtlinge in Gehlberg hat die schöne Landschaft längst ihren Reiz verloren. Das sagt so ausdrücklich zwar keiner draußen vor dem Tor des Lagers (der Landkreis hatte auf sein Hausrecht gepocht und die von den Bewohnern kurzfristig organisierte Pressekonferenz auf seinem Territorium untersagt), aber in ihren Worten spielen die Berge ringsum keine Rolle. Für sie geht es um andere Dinge. Um Isolation, fehlende Kontakte zur Außenwelt, weite und für sie oft unbezahlbare Wege zum Arzt, zum Einkauf oder für Ämterbesuche. Sie fühlen sich abgeschottet, ferngehalten vom gesellschaftlichen Leben. Das Lager ist eingezäunt, jeder Schritt wird beobachtet, das Kreisgebiet dürfen sie nicht verlassen.
Wenn Tawfik, Magamajeva und all die anderen Bewohner des Lagers erzählen, bedarf es keiner ausschmückenden Worte, um ihre eigentliche Not zu begreifen. In Gehlberg leben ausschließlich Familien, derzeit sind es elf - insgesamt 38 Bewohner unterschiedlichster Nationalitäten, davon 23 Kinder. Doch schon da beginnt für sie das Dilemma. Zweimal die Woche kommt eine Ärztin in den Ort. Medizinische Hilfe außerhalb dieser Zeit macht die Fahrt nach Arnstadt oder Ilmenau notwendig - mit Bus und Bahn über Gehlberg/Plaue ein mehrstündiges und obendrein teures Unterfangen. Schlimmstenfalls mit einem kranken Kind an der Hand.
Und ärztliche Hilfe wird oft benötigt, wie Helmut Krause, Notarzt, Oberarzt in Ilmenau, Mitglied der Härtefallkommission und Menschenrechtsbe- auftragter der Landesärztekammer, bestätigt. Zu den psychischen Leiden infolge Krieg und Gewalt in der Heimat vor allem unter den weiblichen Bewohnern gesellen sich im Winter bei allen physische. Leichte Häuser, dürftige Beheizung, dazu der allgemeine Stress und hygienische Missstände. Alle Frauen nehmen Medikamente - Antidepressiva und Blutdruckmittel. Dass sie zweimal in der Woche ein Bus-Shuttle nach Gräfenroda zum Einkauf bringt, macht den nächsten Kritikpunkt nicht wett, dass sie dort mit den Gutscheinen (weiterer Kritikpunkt) nur im teuersten Supermarkt etwas bekommen.
Sabine Berninger, Abgeordnete der Linken in Land, Kreis und Stadt sowie Mitglied des Flüchtlingsrates, kennt die Verhältnisse in Gehlberg, die sich von vergleichbaren Einrichtungen in Thüringen nicht unterscheiden. Warum ausgerechnet die Familien im Ilmkreis nicht in der Stadt leben dürfen, wo Schule, Kindergarten, Ausbildungsplatz und vielfältige Einkaufsmöglichkeiten ohne Umstände zu erreichen sind, ist für sie unverständlich. Am fehlenden Geld kann es nicht liegen, da hat der Kreis in den zurückliegenden Jahren sogar 800 000 Euro weniger ausgegeben, als er vom Land an Zuweisungen für die Asylbewerber eingestrichen hat, gibt sie das Ergebnis ihrer Kleinen Anfrage im Landtag wider und kündigt für die nächsten Wochen die weitere Unterstützung der Proteste der Flüchtlinge und Asylsuchenden an.
"Wir sind nicht undankbar", bringt ein junger Asylbewerber gestern das Anliegen aller Bewohner des Gehlberger Lagers auf den Punkt. "Aber wir möchten menschenwürdig leben."
Kerstin FISCHER
03.07.08 - Neues Deutschland
Idylle im Nirgendwo
Ortstermin im thüringischen Gehlberg: Die Flüchtlinge des dortigen Asylbewerberheimes fordern die Schließung ihrer Unterkunft
Von Anke Engelmann, Gehlberg
Sie leben in einem ehemaligen Kinderferienlager irgendwo im Thüringer Wald: Flüchtlinge aus Palästina, Aserbaidshan und Pakistan. Sie alle eint der Wunsch, der völligen Abgeschiedenheit zu entkommen.
Als Erstes überfällt den Besucher die Stille. Das ehemalige DDR-Ferienlager hat einen Spielplatz, Holzbänke laden zum Sitzen ein, Gras und Bäume. Doch der Spielplatz liegt verwaist, das Gras steht hoch. Ein schöner Sonnentag im Juni, nur die Vögel lärmen. Elf Familien leben hier, aus Syrien, Aserbaidshan, Palästina, Weißrussland, Pakistan, meist zwei in einem Häuschen, teilen sich Küche und Bad. Am Eingang, wo in einem Container eine strenge Dame mit leicht russischem Akzent wacht, ist der Grund des Besuches zu nennen. "Privatbesuch?" Gründlich wird der Personalausweis gecheckt. Gegenüber eine Weide mit hellbraunen Kühen, der Blick auf Berge und Fichten. Idylle im Thüringer Wald.
Sara und Rachima Magamajeva wollen nur eins: weg hier. Die Wohnung, in der die beiden Frauen mit dem Kleinkind leben, besteht aus zwei Zimmern, einer schmalen Küche, einem Bad mit Dusche und Toilette. Im größeren der beiden Räume eine Schrankwand, die Türen hängen schief. Auf dem Boden grasgrüner Filz, ein Bügeleisen hat einen Abdruck hineingebrannt. Ein Bett, zwei Stühle, ein kleiner Tisch, ein großer Tisch, Holzfenster, einfach verglast. Über einem der beiden Nachtspeicheröfen Spuren eines großen Wasserflecks. An der Außenwand, hinter dem Tisch, auf dem ein großer RFT-Fernseher steht, und hinter der Gardine Stockflecken, die Tapete löst sich an mehreren Stellen.
"Wir werden hier krank"
Schwarzer Schimmel wächst auf der weiß gestrichenen Presspappe unterm Fenster. "Wir werden hier krank", sagt die jüngere der beiden. "Es ist immer kalt, es regnet, es gibt Spinnen." Rachima kommt aus Aserbaidshan. Sie wird bald 18, wie sie betont, wirkt schmal und kindlich: große dunkelbraune Augen, glänzendes schwarzes Haar. Doch das Kindliche täuscht. Rachima trägt eine Menge Verantwortung, und sie ist eine Kämpferin. "Wir wollen ja nicht in einer Villa leben", sagt sie. "Wir wollen in die Stadt." Lange hat die Familie in Arnstadt gelebt. In Gehlberg gibt es Berge, Wald und im Winter viel Schnee. Nichts für eine 18-Jährige. Sie vergesse ihr Deutsch, sagt Rachima. Die Freundinnen aus der Schulzeit sind weit weg. Gern würde sie einen Abschluss an der Berufsschule machen, am liebsten als Kosmetikerin. Doch sie muss sich um ihren Sohn kümmern. Ihre Mutter kann diese Aufgabe nicht übernehmen. Sie ist schwer depressiv. Das Leben in Gehlberg mache sie krank, sagt sie. Rachima verhandelt mit der Anwältin, die für ihre Mutter den Aufenthaltsstatus erstreiten soll. Die hält sie für ein Kind, glaubt sie. Besucht ihren Freund im Knast, wo er seit zwei Jahren sitzt, weil er sich geweigert hat, sein Herkunftsland anzugeben, damit er nicht abgeschoben werden kann. Kümmert sich um ihre Mutter und ihren Sohn und um den Haushalt, wenn die Mutter im Krankenhaus behandelt wird.
Einmal in der Woche fährt ein Bus ins benachbarte Gräfenroda zum Einkaufen. Einen Discounter gibt es dort nicht. "Drei Euro für ein Kilo Tomaten", schimpft Rachimas Mutter. Bei diesen Preisen sind die Gutscheine über 126 Euro monatlich pro Erwachsene und 80 Euro für das Kind schnell aufgebraucht. Billiger wäre es bei Aldi in Ilmenau. Doch wie dahin kommen? 40 Euro Taschengeld pro erwachsene Person. Fahrscheine müssen zunächst davon bezahlt werden. Rachima berichtet darüber, wie sie das Leben in Gehlberg erlebt. Den steilen Berg vom Bahnhof zum Heim. Die Familie aus Pakistan, die seit sechs Jahren das Haus nicht verlassen hat.
Die blonde Frau aus Weißrussland bekommt überhaupt kein Taschengeld, sagt sie. Wenn nicht eine Freundin die Zwillinge in die Kita bringen würde, müssten ihre beiden Töchter zu Hause bleiben. Das Kita-Essengeld wird ihr mit den monatlichen Wertgutscheinen verrechnet. So bleiben von 551 Euro für fünf Personen noch 513 Euro übrig. Die junge Mutter klagt über die ärztliche Versorgung, ist mit der Hausärztin im Ort nicht zufrieden, die ihren Kindern schon mal Erwachsenenmedikamente verschrieben habe. Bei Zahnproblemen mache der Zahnarzt zunächst einen Befund. Damit gehe sie zur Ausländerbehörde, die ihr o.k. geben muss. Eine langwierige Angelegenheit. Zumal der Zahnarzt nur einen Zahn pro Quartal saniere, berichtet sie. Auch in ihrer Wohnung Schimmelpilze. Das liege am Lüften, habe man ihr gesagt.
Schimmelpilze in der Wohnung
"Ich bin hergekommen, weil ich ein normales Leben führen wollte", sagt Wissal Obeid. Weit weg vom Krieg. Im Wohnzimmer der palästinensischen Familie sucht die junge Frau stockend nach deutschen Worten, Rachima unterstützt. Die Fensterritzen sind zum Teil mit Klebeband zugeklebt - gegen den Zug. Es sei sehr kalt und die beiden Kinder seien oft krank, erläutert die Hausherrin auf Nachfrage. Ein normales Leben? Sie beschreibt Schlafstörungen, Migräne und Depressionen. Belastend auch der ungeklärte Aufenthaltsstatus: Für drei Monate wird die Duldung jeweils verlängert. Eine Erwerbstätigkeit ist der Schneiderin und ihrem Mann, der Frisör ist, nicht gestattet. Draußen vor dem Fenster sind kleine Beete mit Gurken, Petersilie und Zwiebeln. "Das sind meine Freunde", sagt Wissal und lächelt ein bisschen. Jahrelang untätig herumzusitzen, macht die Leute krank, noch dazu, wenn sie irgendwo im Nirgendwo leben müssen und Wege in die Stadt nur mit großem Aufwand zu bewältigen sind. "Die Unterbringung im Heim kann Krankheiten hervorrufen. Das kommt häufig vor", sagt Rechtsanwältin Mirjam Kruppa, die auch die Magamajevs vertritt. Aggressionen und Depressionen sind die Folge. Dazu kommt noch die Residenzpflicht. Demnach dürfen die Asylbewerber den Landkreis nicht verlassen - auch wenn sie Arbeit haben oder einen Studienplatz.
Wie die Flüchtlinge untergebracht werden, regelt bundesweit das Asylbewerberleistungsgesetz. In Thüringen werde das "sehr eng interpretiert", erläutert Sabine Berninger von der Linksfraktion im Landtag. Demnach sei dem Quartier im Heim Vorrang einzuräumen. Doch bei genauer Abwägung von Kosten und Nutzen könnte die dezentrale Unterbringung für die Kreise sogar günstiger sein. Das machen Städte wie Suhl und Gera vor, die ihre Asylbewerber in städtischen Wohnungen einquartiert haben. Zumal sich die Flüchtlinge in Thüringen immer mehr wehren: erst Katzhütte, jetzt Gehlberg. Beistand leistet die Flüchtlingsorganisation The Voice Refugee Forum. Auch die LINKE hat angekündigt, das Thema in den Kreistag zu bringen. "Wir unterstützen die Forderung nach einer dezentralen Unterbringung", sagt Sabine Berninger. Im Landratsamt scheint man über die renitenten Flüchtlinge nicht erfreut. Der bauliche Zustand des Asylbewerberheimes sei "soweit in Ordnung". "Wenn etwas kaputt ist, wird es repariert", sagt Sozialamtschef Wolfgang Habermann und erläutert: Speziell für Familien und Alleinerziehende sei das Heim ein "betreutes Wohnen".
LINKE will Thema in den Kreistag bringen
Und schildert die "besondere Unterstützung": Hilfe bei den Hausaufgaben für die Kinder, Begleitung der Eltern zu den Elternabenden. Die Zusammenarbeit mit der Schule in Gräfenroda sei eng, man bemühe sich zudem, speziell für die Frauen Angebote zu machen: Kino, Schwimmbad, Museen, Wanderungen. Eine Schließung des Heimes ziehe das Amt derzeit nicht in Erwägung, so Habermann weiter. Jedenfalls nicht vor 2009. Bis dahin sei man vertraglich gebunden.
So lange wollen die Bewohner nicht warten. Vor zwei Wochen zogen 30 von ihnen zum Arnstädter Landratsamt und versuchten, mit Plakaten und Reden Aufmerksamkeit zu erringen. Vor allem Frauen ergriffen das Wort: auch Wissal und Rachima. Sie forderten, das Lager zu schließen und die Bewohner in Städten dezentral unterzubringen. Am 24. Juni wollen sie erneut vorm Landratsamt in Ilmenau demonstrieren. In Arnstadt stehen viele Wohnungen leer und die kommunale Wohnungsbaugesellschaft würde Mieter wie die Magamajevs oder die Obeids vielleicht mit offenen Armen empfangen.
04.07.08 - Freies Wort
Kreistag
Wechsel frühestens im Jahr 2010
Landrat äußert sich zu Forderungen der Flüchtlinge in Gehlberger Unterkunft
Arnstadt - Seit einigen Wochen fordern die Flüchtligen im Gehlberger Asylbewerberheim eine dezentrale Unterbringung in Wohnungen in Arnstadt oder Ilmenau (Freies Wort berichtete). Landrat Benno Kaufhold erteilte dem im Kreistag eine klare Absage. "Wir erfüllen unsere Verträge", sagte er. Der Vertrag mit dem Betreiber laufe bis 2010, sei frühestens im September 2009 kündbar. Was danach geschehe sei zum jetzigen Zeitpunkt vollkommen offen. Möglich, dass man neu ausschreibt oder aber die Unterbringung wieder selbst übernimmt. Abhängig sei dies auch von der Zahl der Flüchtlinge, die dann dem Ilmkreis zugewiesen wären.
Kein Verständnis
Gehlberg, so erklärte Kaufhold weiter, sie bewusst wegen seiner idyllischen Lage als Unterbringung für Familien mit kleinen Kindern und psychischen Problemen ausgewählt worden. Dass gerade diese Isolation nun von den Asylbewerbern beklagt wird, kann der Landrat nicht nachvollziehen. Der Betreiber würde mit einem Kleinbus einmal die Woche eine Fahrt zum Einkaufen nach Gräfenroda anbieten. Zweimal im Monat ginge es nach Arnstadt beziehungsweise Ilmenau zu den Ämtern.
Zudem kümmere sich eine Sozialbetreuerin intensiv um die Flüchtlinge. Im Notfall fahre auch sie die Leute mal zum Arzt. Zudem stünden den Asylbewerbern alle Möglichkeiten offen, die auch die Gehlberger haben. Der Kreis bemühe sich nach allen Kräften zu helfen, setze sich zum Beispiel dafür ein, dass ein junger Mann studieren könne oder eine junge Frau ihre Ausbildung beenden.
Kaufhold gab zu, dass die Wohnungen sicher nicht mehr im Zustand wie vor 20 Jahren sind, doch sie seien absolut lebenswert, betonte er. Zur Zeit seien zehn Familien so untergebracht. Bei dreien laufe das Asylverfahren noch, die anderen hätten eine Duldung. Für die aktuellen Diskussionen zeigte Kaufhold wenig Verständnis. Hier werde mit gezielter Stimmungsmache die gute Arbeit kaputt gemacht. Die momentan gewährleistete intensive Betreuung sei bei dezentraler Unterbringung nicht mehr möglich, aber dringend nötig. "Gehlberg", so sein Fazit. "Ist kein Katzhütte zwei." br
07.07.08 - Thüringer Allgemeine
Flüchtlinge bleiben in Gehlberg
ARNSTADT (kf). An der Unterbringung der Flüchtlinge in Gehlberg wird sich kurzfristig nichts ändern. Darauf wies Vize-Landrat Rainer Zobel gestern noch einmal hin.
Als Grund nannte er den Vertrag mit dem Betreiber der Unterkunft, der erst im Jahr 2010 auslaufe und aus dem der Kreis nicht so ohne weiteres aussteigen könne, wiederholte Zobel eine Information Landrates auf der jüngsten Kreistagssitzung.
Bereits seit 1997 werden im Ilmkreis Asylbewerberfamilien, alleinerziehende sowie psychisch kranke Flüchtlinge, die noch keinen Bleibestatus in der Bundesrepublik haben (anerkannte Flüchtlinge erhalten eine Wohnung und Unterstützung bei der Integration) in der früheren Feriensiedlung am Rande des idyllisch gelegenen, 650 Einwohner zählenden Urlaubsortes untergebracht. Auf dem weitläufigen Areal sehen die Behörden besonders die zahlreichen Kinder gut aufgehoben, die sich dort "bestens frei bewegen können". Zur Betreuung ist extra eine Sozialberaterin angestellt, Kinder können den Kindergarten in Gräfenroda besuchen, für Schulkinder gibt es Hausaufgabenbegleitung, ein kostenloses Freizeitangebot mit Basteln, Kino-, Schwimmbadbesuchen sowie spezielle Veranstaltungen für die Frauen, dazu Feiern mit Gästen aus der Nachbarschaft sowie Vertretern von Behörden. "An der fachlichen Betreuung gibt es nichts zu kritisieren", ist Landrat Benno Kaufhold überzeugt. Die Unterbringungsform sei bewusst gewählt, um den speziellen Personenkreis aus dem Umfeld einer üblichen Gemeinschaftsunterkunft herauszunehmen und familiengerecht unterzubringen.
Doch glücklich sind die Bewohner damit nicht. Sie beklagen die Abgeschiedenheit (TA berichtete) sowie umständliche Wege zu Behörden und Ärzten nach Arnstadt oder Ilmenau, fühlen sich abgeschottet und ausgegrenzt, würden lieber in der Stadt leben.
Dass es schwierig ist, mit öffentlichen Nahverkehrsmitteln in die Kreisstadt oder nach Ilmenau zu gelangen, will der Vizelandrat nicht bestreiten. Für Fahrten zum Einkauf, zu Behörden oder Arztbesuchen unterhalte der Betreiber deshalb einen Kleinbus und trägt die Kosten dafür, betont Zobel. Jede Familie habe mindestens einmal wöchentlich die Möglichkeit, ihren Einkauf in Gräfenroda zu erledigen, mindestens zweimal im Monat in Ilmenau oder Arnstadt, kann er die Aufregung nicht verstehen. Ob der Vertrag mit dem Betreiber über 2010 hinaus verlängert wird oder nicht, ist noch offen. "Darüber kann man nachdenken. Darüber wird man auch nachdenken", signalisierte Zobel, dass bei der Entscheidung die Einwände zumindest nicht einfach beiseite geschoben werden.
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