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Suhl-Goldlauter: Flüchtling in Abschiebehaft

Eintragsdatum: 2008-01-02Quelle: Michael Stade

In Suhl-Goldlauter sitzt der Asylbewerber Li Jun Wen, der vor 10 Jahren aus China geflohen ist, in Abschiebehaft. Dass dieser Fall, der nur einer unter vielen ist, bekannt wurde, ist der engagierten Flüchtlingsarbeit von Michael Stade zu verdanken. Er schildert, warum und unter welchen Bedingungen ein Mensch, der seit 10 Jahren in Deutschland lebt, ins Gefängnis muss und täglich mit der Abschiebung rechnen muss.

Quelle: Michael Stade / Datum: 28.12.07
Warum Herr Li Jun Wen in Suhl im Gefängnis sitzt

Herr Li Jun Wen lebt seit 10 Jahren in Deutschland. Mit Frau Zhou Yun Xue hat er eine Partnerschaftsbeziehung, aus welcher die Kinder Jany und Jawy hervorgingen. Frau Zhou, die in Sachsen ein China-Restaurant führt, hat aus einer früheren Beziehung auch noch zwei Söhne, die inzwischen erwachsen sind.

Herr Li Jun Wen lebte bis jetzt als abgelehnter Asylbewerber im Zustand der Duldung. Dass Asylanträge abgelehnt werden, ist mittlerweile der Regelfall, während zur Zeit des Kalten Krieges noch mehr als 80 % der Anträge anerkannt wurden, ist diese Quote inzwischen auf 0,8 % zurückgegangen. Nur, wenn ausreichend Unterstützung durch besserverdienende Verwandte oder Bekannte da ist, gelingt es bei einem guten Rechtsanwalt und etwas Glück bisweilen, die Asylanerkennung per Gerichtsverfahren durchzusetzen. Einmal gemachte Fehler, etwa das Verschweigen oder die Falschdarstellung entscheidender Asylgründe im "Interview", der einmaligen Gelegenheit, die Fluchtgründe im Beisein eines Dolmetschers darzulegen, lassen die Tür zum Asyl unwiderruflich zuschlagen. Besonders durch Foltererlebnisse traumatisierte Flüchtlinge, die im Dolmetscher sofort einen Agenten des sie verfolgendenden Geheimdienstes vermuten und, auch um Angehörige zu schützen, dann Dinge verschweigen, tappen regelmäßig in diese Falle und verlieren jede Aussicht, je als politischer Flüchtling anerkannt zu werden.

Der Staat ist bestrebt, abgelehnte Asylbewerber abzuschieben. Zunächst setzt er ihnen eine Frist, freiwillig auszureisen, danach werden sie gegen ihren Willen außer Landes gebracht, genau so, wie im Lexikon Brockhaus 80 das Wort "Deportation" definiert wird. Allerdings muss der Staat, in welchen die Abschiebung erfolgen soll, dem abgelehnten Asylbewerber per Dokument bescheinigen, dass er Staatsbürger dieses Staates ist. Ob der Person in diesem Staat Verfolgung und Folter droht, spielt dabei weniger eine Rolle. Lediglich manche Staaten, über welche Menschenrechtsorganisation besonders krasse Menschenrechtsverletzungen berichten, werden zeitweilig mit Abschiebeverbot belegt. Togo, wo bereits mehrere aus Deutschland abgeschobene Flüchtlinge nachweislich zu Tode gefoltert wurden und andere spurlos verschwanden, wurde dieser Status nicht zuerkannt, kurz vor Weihnachten 2006 sind dorthin nochmals 17 Flüchtlinge abgeschoben worden.

Auch Herr Li wurde aufgefordert, bei der Passbeschaffung mitzuwirken, damit er nach China abgeschoben werden kann. Die Ausländerbehörde Gotha pflegt als Druckmittel das monatliche Taschengeld von 40 € auf 5 € zu kürzen. Sonst erhalten Asylbewerber lediglich Chipkarten, auf welche sie Lebensmittel und Kleidung in bestimmten, oft teueren Supermärkten kaufen können, andernorts auch Gutscheine, ja auch Zuteilung von Nahrungsmittelpaketen hat es schon gegeben, es gibt aber auch die Auszahlung in Bar. Es kommt vor, dass Asylbewerber die Botschaften ihrer Herkunftsländer zwecks Beantragung eines Passes besuchen, diese ihnen diesen Besuch aber nicht bestätigen. Selbst, wenn die Botschaft bescheinigt, dass kein Pass ausgestellt werden kann, wird diese Kürzung manchmal aufrechterhalten. Die Sozialleistungen erfolgen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz von 1993, mit welchem eine Ungleichbehandlung gegenüber den Sozialhilfeempfängern eingeführt worden war, um die Sozialleistung gegenüber jenen um etwa ein Drittel zu kürzen.

Asylbewerber können ihren Wohnsitz nicht wählen, sie unterliegen einer Aufenthaltsbeschränkung auf den Landkreis, den sie nur mit behördlicher Genehmigung verlassen können, der sogenannten "Residenzpflicht". Diese Regelung hat Deutschland im Gegensatz zu den anderen Ländern der EU im Alleingang eingeführt. Eine Entsprechung hat diese Aufenthaltsbeschränkung im Nazi-Deutschland, wo Juden nicht mehr ohne Genehmigung ihre Stadt verlassen durften. Obwohl nach einem Jahr Aufenthalt Asylbewerber prinzipiell arbeiten dürfen, ist dies durch die Residenzpflicht oft sehr schwer. Zudem gibt es eine Rangfolge, zuerst Deutsche, dann EU-Bürger, dann Ausländer mit Aufenthaltsstatus und zuletzt Asylbewerber. Hat ein Asylbewerber einen Arbeitgeber gefunden, der ihn einstellen würde, so muss dieser Arbeitgeber die Stelle dem Arbeitsamt melden, welches diese 4 Wochen lang anbieten muss, ob etwa ein Bevorrechtigter sich bewirbt. Nur dann, wenn sich niemand beworben hat und der Arbeitgeber die Stelle immer noch anbietet, dann darf ein Asylbewerber arbeiten.

So lebte Herr Li nun 10 Jahre auf Kosten des Steuerzahlers in Deutschland. Am 17. November 2006 beschloss die Innenministerkonferenz ein Bleiberecht für langjährig geduldete Flüchtlinge, der Einzelpersonen ab 8 Jahren und Familien ab 6 Jahren Aufenthaltsdauer ermöglichen sollte, eine Aufenthaltsberechtigung zu bekommen. Bedingung dafür war die unwiderrufliche Zurückziehung des Asylantrages. Diese Bleiberechtsregelung ließ den Antragstellern bis 31.12.2007 Zeit, die Bedingungen zu erfüllen, insbesondere durch Arbeit selbst ihren Lebensunterhalt zu sichern, wobei hier die Vorrangregelung entfiel. Daneben gab es eine Reihe Zusatzbedingungen, wie keine Vorstrafen, Sprachkenntnisse und schließlich ein gültiges Personaldokument. Herrn Li wurde erklärt, dass er die Möglichkeit habe, auf diesem Wege Bleiberecht zu erhalten und der Antrag wurde von der Ausländerbehörde akzeptiert. Inzwischen wurde der IMK-Beschluss durch ein Bundesgesetz ersetzt, dass über diesen hinausgeht und vorsieht, dass die Bedingungen bis Ende 2009 erfüllt sein müssen. Diese neue Regelung nach § 104 a Aufenthaltsgesetz ersetzt den IMK-Beschluss, das heißt, die Antragsteller des alten Bleiberechts fallen automatisch nun unter diese neue Regelung.

Trotzdem erhielt Herr Li, wie auch andere Antragsteller, eine Ablehnung des Bleiberechts gemäß IMK-Beschluss, gegen die er Widerspruch einlegte. Ein Ablehnungsbescheid dieses Widerspruchs der Ausländerbehörde Gotha wies darauf hin, dass erneuter Widerspruch nunmehr mit 25 € kostenpflichtig sei (bei 5 € Taschengeld sind das 5 Monatsgehälter!). Während in einem anderen Fall ein Rechtsanwalt diese Gebühr als gesetzwidrig abwies, zahlte Herr Li diese Gebühr. Die Ablehnung des Bleiberechts stützte sich auf folgende Sachverhalte.

1. verspätete Passbeschaffung
2. ungenügende Kenntnis der deutschen Sprache (A2)
3. Herr Li hatte zeitweise nicht, wie vorgesehen, im Wohnheim gewohnt

Während für die Sprachkenntnisse die neue Bleiberechtsregelung noch eine Frist bis zum 01.07.2008 vorsieht, wo diese Kenntnisse dann geprüft werden, waren die Gründe 1 und 3 bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung gegeben, Herr Li hätte einen Bleiberechtsantrag gar nicht stellen brauchen. Allerdings ist die Erfüllung der Wohnsitzauflage nicht Voraussetzung des Bleiberechts, lediglich von einer vorsätzlichen Hinauszögerung oder Behinderung behördlicher Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung ist die Rede. In den Durchführungsbestimmungen heißt es, dass bei diesem Kriterium ein großzügiger Maßstab zugunsten des Asylbewerbers anzulegen sei. Dazu muss die Ausländerbehörde nachweisen, dass sie aufenthaltsbeendende Maßnahmen eingeleitet hatte, die durch vorsätzliche Handlungen des Antragstellers vereitelt wurden.

Nachdem die Passdokumente nun eingetroffen waren, hatte die Leiterin der Ausländerbehörde Gotha Herrn Li noch am Montag, dem 03.12.2007 versichert, dass er trotz der Ablehnung des Bleiberechts gemäß IMK-Beschluss nicht abgeschoben werden würde, er war sich sicher, gemäß dem neuen Bleiberecht also immer noch eine reelle Chance zu haben. Das war eine glatte Lüge, denn die Ausländerbehörde betrieb die Abweisung der Rechtsmittel beim Verwaltungsgericht, welches dann zuungunsten des Herrn Li entschied.

Am nächsten Tag kam die Polizei ins Wohnheim Waltershausen, um Herrn Li und einen weiteren Asylbewerber, Herrn Chen He Wen, abzuschieben. Während Herr Chen vom Flughafen Frankfurt nach China abgeschoben wurde, kam Herr Li dort mit solch schweren Verletzungen an den Handgelenken und am Kopf an, dass er nicht reisefähig war. Er gab an, von der Polizei geschlagen geworden zu sein. Am nächsten Tag, dem 05.12.2007 gab es dann einen Gerichtstermin, bei welchem die Leiterin der Ausländerbehörde Gotha beantragte, Herrn Li in Haft zu nehmen, um zu verhindern, dass er Maßnahmen ergreift, um die Abschiebung unmöglich zu machen, z. B. indem er sich selbst verstümmelt. Seit dem sitzt nun Herr Li in der Justizvollzugsanstalt Suhl-Goldlauter.

Am 17.12.2007 wurde erneut ein Versuch unternommen, Herrn Li über den Flughafen Frankfurt abzuschieben. Dies konnte aber vorerst durch einen neu eingeschalteten Rechtsanwalt verhindert werden, der die Anerkennung der Vaterschaft für Jany und Jawy Zhou forderte und entsprechende Rechtsmittel einlegte.

Somit saß Herr Li nun über Weihnachten wie ein Schwerverbrecher im Gefängnis, ohne jemals in einem fairen Gerichtsverfahren verurteilt worden zu sein - ein klarer Verstoß gegen Grundgesetz und UN-Menschenrechtcharta. Verantwortlich für diese eklatanten Menschenrechtsverletzungen ist in erster Linie die Ausländerbehörde Gotha, welche ihren Ermessensspielraum in extrem ausländerfeindlicher Weise auslegte und absichtlich Asylbewerber täuschte, um sie zu veranlassen, mit Nachdruck die Beschaffung von Dokumenten voranzutreiben, im Glauben, damit die Bedingungen für einen sicheren Aufenthaltstitel zu erfüllen, statt dessen damit aber nur die Abschiebung betrieb.

Was bitte sollen die Kinder Jany und Jawy, die heute am 27.12.2007 ihren von Hämatomen entstellten Vater im Gefängnis besucht haben, denn nun von der freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Rechtsstaates Bundesrepublik Deutschland denken?

Neben zahllosen schwarz gelockten Migrantenkindern mit großen Kulleraugen, die fröhlich Weihnachtslieder sangen und Deutschlands Willen zu einer harmonischen multikulturellen Gesellschaft illustrierten, dass es schon beinahe weh tat, gab es eine negative Meldung, die alle deutschen Medien über das Weihnachtsfest 2007 dominierte. Es war dies die Tat eines Jugendlichen Türken und eines Griechen, die einen Rentner im Münchener U-Bahnhof brutal zusammengeschlagen hatten, wobei sie "Scheiß-Deutscher" gerufen haben sollen. Kein Wort von den Abschiebehäftlingen, die landauf, landab in Gefängnissen und Abschiebe-Lagern sitzen, ohne je ein Verbrechen begangen zu haben, kein Wort von den Bedingungen, unter denen Asylbewerber Jahre und Jahrzehnte lang gezwungen werden, zu leben, welche Hürden ihnen in den Weg gelegt werden, wenn sie nur ein Leben unabhängig von Sozialunterstützung führen wollen, ganz zu schweigen von den täglichen Demütigungen.

Es ist diese extreme Selektivität, welche die Berichterstattung prägt, die sich weigert, angemessen auch die Perspektive der Ausgegrenzten zu transportieren. Diese Selektivität hatte damals die öffentliche Meinung manifestiert, dass "die Juden an allem Schuld sind". Damals endete dies mit einer gewissen "Endlösung". Die Selektivität der heutigen Berichterstattung manifestiert die Meinung, dass "die Ausländer an allem Schuld sind". Es wird Zeit, dass die Medien in Deutschland ihre falsche und bequeme Rücksicht gegen Staatsorgane aufgeben und endlich zu dem aufsteigen, was sie in einer funktionierenden Demokratie zu sein haben, nämlich ein Machtfaktor, der den anderen Machtfaktoren (Legislative, Exekutive, Gerichtsbarkeit) auf Augenhöhe gegenüber tritt, sonst ist die friedliche Zukunft unseres Landes ernsthaft gefährdet!

Michael Stade

Anmerkungen der AGST:

Die AGST unterstützt die Intention des Textes, der die menschenunwürdigen Zustände für Migrant_innen in Deutschland darlegt. Auch wir fordern die sofortige Freilassung von Li Jun Wen und die Abschaffung der rassistischen Sondergesetze. Eine Verbesserung der Situation für Asylbewerber_innen lassen sich in Deutschland heute durchaus erkämpfen. Eine Überwindung des (institutionellen) Rassismus kann jedoch der Appell an die Zuständigen und der Kampf um Flüchtlingsrechte nicht erreichen. Eine grundlegende Ursache für den institutionellen Rassismus ist das Vorhandensein von Staatlichkeit. Schließlich ist jeder Nationalstaat ein Konstrukt, welches nach rassistischen Kriterien unterscheidet wer dazu gehören darf und muss und wer nicht. Die Überwindung von Nationalstaatlichkeit global ist die Perspektive auf ein Ende des Rassismus.
Desweiteren möchten wir anmerken, dass ein Vergleich des heutigen deutschen Rassismus mit dem Antisemitismus der 30er Jahre, der schließlich nach Auschwitz führte, unangebracht ist. So unhuman und menschenverachtend das Leben eines Flüchtlings in Deutschland, von der Unterbringung in Sammellagern über den Abschiebeknast bis zur Deportation auch ist, einem Vergleich mit dem antisemitischen Vernichtungswahn Nazideutschlands hält es nicht stand.

Freiheit und Bleiberecht für Li Jun Wen!

Update (19.01.07): Lokalzeitung bricht das Schweigen

Am 18. Januar 2008, fast 2 Monate nach dem ersten Versuch der Polizei Li Jun Wen abzuschieben, bricht eine Südthüringer Lokalzeitung das Schweigen und berichtet, nicht unkritisch, über den Fall und die rassistischen Zustände in Deutschland. Wir dokumentieren den Artikel des Freien Wort an dieser Stelle.

18.01.07 - FW
Abschiebung
Fast schon draußen vor der Tür Deutschlands
Li Jun Wen aus China wollte lieber arbeiten anstatt nur Stütze zu kassieren - deshalb sitzt er jetzt im Gefängnis von Suhl-Goldlauter
Von Redaktionsmitglied Jens Voigt


Im Gefängnis in Goldlauter sitzt Li Jun Wen und hofft, dass er nicht abgeschoben wird, sondern zurück zu seiner Familie darf. Fotograf/Quelle: frankphoto

Suhl/Gotha/Glauchau - Das "Wang Fu" am Stadtrand von Glauchau nennt sich "China-Spezialitätenrestaurant", etwas großspurig, im Grunde ist es ein besserer Imbiss, für die Leute aus den Betrieben ringsum. Chefin im "Wang Fu" ist Zhou Yuen Xue, gekocht wird von Li Jun Wen, Frau Zhous Lebensgefährten und Vater ihrer kleinen Söhne Jamy und Jawy. Er arbeitete für 7,80 Euro die Stunde, wohnte mit im Haus, nun wollte er einen Deutschkurs machen. So wären drei wesentliche Bedingungen erfüllt, unter denen Deutschland neuerdings jenen das Bleiben erlaubt, die bislang als "geduldete" Ausländer permanent auf der Kippe standen zur Abschiebung. Arbeit, Wohnung, Deutsch, das war der Plan, aber er hat nicht funktioniert. Das "Wang Fu" hat schließen müssen, Frau Zhou ist erst mal arbeitslos. Denn statt in Glauchau am Herd zu stehen, sitzt Herr Li im Gefängnis von Suhl-Goldlauter. Seit über einem Monat. Wartend, hoffend, die Tür seines "Haftraums" möge sich zum "Wang Fu" und einem Leben als Familienvater in Deutschland öffnen. Bangend, sie könnten ihn wieder in Hand- und Fußfesseln legen und nach Frankfurt/Main bringen, in den Flieger setzen nach China. Ihn abschieben.

Die Geschichte von Li Wen Jun ist eine, wie sie sich hundert- und tausendfach abspielt in Deutschland und trotzdem höchst selten an die Öffentlichkeit gerät. Wer nicht gerade Oppositionsführer war in seinem Heimatland oder politisch prominent wie zuletzt der ehemalige Verteidigungsminister Georgiens, geht in aller Regel einen stillen, unbeachteten Weg durch die deutsche Bürokratie, von Antrag zu Antrag, Ablehnung, Widerspruch, Prüfverfahren, Duldung. Im Jahr 2006 lebten rund 200 000 "geduldete" Ausländer in der Bundesrepublik und etwa 2400 in Thüringen. Menschen, die keinen Pass hatten sondern ein Papier mit einem roten Strich, dessen Gültigkeit halbjährlich oder Monat um Monat verlängert wurde oder auch nicht, die de facto nicht arbeiten durften und den festgelegten Landkreis nicht verlassen. Ein Schattenheer von 200 000 Menschen im Wartestand.

Angst vor dem Arbeitslager

Dies zu ändern versprach eine Verabredung der Innenministerkonferenz (IMK), die Ende 2006 beschlossen und in Länder-Verordnungen umgesetzt wurde. Die so genannte Bleiberechtsregelung beinhaltete, kurz gefasst, dass geduldeten Ausländern eine Aufenthaltserlaubnis gewährt wird, sofern sie sich seit mindestens sechs Jahren in Deutschland aufhalten, keine Straftaten begangen haben, über Wohnung, ausreichende Deutschkenntnisse sowie über einen Job verfügen, der ihnen ein Auskommen ohne Zugriff auf Sozialleistungen sichert. Aber: Bewerber müssen ihren Antrag bis Mai 2007 stellen, und der Aufenthalt wird zunächst auf zwei Jahre befristet. Im August 2007 geht die Bleiberechtsregelung über in den Paragrafen 104 des novellierten Aufenthaltsrechts, sie ist jetzt ein richtiges Bundesgesetz, ohne Befristung für den Antrag. Für die Ausländerbehörden bedeutet das, Bleiberechts-Anträge nach IMK-Regelung zu beenden und, wenn dies die Betroffenen wünschen, Verfahren gemäß dem neuen Aufenthaltsrecht zu eröffnen. Es ist eine Art logische Sekunde im oft jahrelangen Verfahrensablauf, ein Spalt, in dem eine Ausländerbehörde das tun kann, was über Jahrzehnte ihr stillschweigender politischer Auftrag war: die "geduldeten" Ausreisepflichtigen, deren Beherbergung Aufwand und Geld kostet, loszuwerden, bevor sie in den nächsten gesicherten Rechts-Raum eintreten.

Herr Li lebt seit zehn Jahren in Deutschland, fast die ganze Zeit in Thüringen. Bei seiner Einreise war er 30 Jahre alt, er war geflohen aus Angst: In der Chemiefabrik im ostchinesischen Zhengzhou, wo er beschäftigt war, hatte es eine Havarie mit nachfolgendem Feuer gegeben. Verursacht vom Sohn des Direktors, aber der habe Li, den einfachen Arbeiter, zum Sündenbock machen wollen, Gefängnis, vielleicht sogar Arbeitslager hätten ihm gedroht. Ob die Geschichte stimmt, bleibt offen. Lis Asylantrag jedenfalls wird abgelehnt, denn dafür hätte nur eine belegbare staatliche Verfolgung ausreichend Gründe geliefert. Li, verheiratet und ohne Pass, kommt ins Asylbewerberheim nach Waltershausen, er führt ein unauffälliges Leben. 2001 lässt Li sich scheiden, es gibt eine neue Liebe in Deutschland: Frau Zhou. Die in Glauchau lebt und dort zu sein hat wie er in Waltershausen. Natürlich holt er sich nicht jedes Mal die vorgeschriebene Genehmigung zum Verlassen des Landkreises, jeder "Geduldete" verstößt mehr oder weniger oft gegen die "Residenzpflicht", das wissen Flüchtlingsorganisationen ebenso wie Ausländerbehörden, unausgesprochen gilt das Abkommen, wenigstens nicht zu oft und zu dreist dagegen zu verstoßen. Doch wie oft ist zu viel, wenn man eine neue Liebe hat und zwei Söhne in Glauchau? Li spricht fast kein Deutsch und auch kein Englisch, nach Einschätzung seiner Rechtsanwälte hat er von all dem, was ihm über die Jahre in der Ausländerbehörde erklärt oder beauflagt wird, nicht wirklich viel verstanden. Oder verstehen wollen. Etwa seine "Mitwirkungspflicht" im Verfahren, zum Beispiel bei der Passbeschaffung. Was bedeutet, nach Berlin zur chinesischen Botschaft zu fahren und die Dokumente zu beantragen. Wer aber einen Pass hat, beseitigt damit auch eine Abschiebe-Bremse. Und unter Asylbewerbern kursiert das Gerücht, dass die Botschaft die deutschen Behörden schneller über neue Passinhaber informiert als die von Berlin in ihre "Residenz"-Orte zurück gefahren sind ...

Wie auch immer, für Li nähert sich Anfang Dezember die logische Sekunde seines Verfahrens. Sein Antrag auf Bleiberecht nach IMK-Beschluss wurde bereits abgelehnt, sein Widerspruch dagegen auch. Die Begründung der Ausländerbehörde fasst Michael Stade vom Gothaer Verein "L"amitien", der sich um Lis Schicksal kümmert, so zusammen: verspätete Passbeschaffung, ungenügende Deutschkenntnisse, wiederholter Aufenthalt außerhalb des Wohnheims. Trotzdem aber, so hat es Li laut Stade verstanden, versichert die Leiterin der Ausländerbehörde Li am 3. Dezember, er werde bestimmt nicht abgeschoben und habe gute Chancen in einem neuen Verfahren. Der 40-Jährige glaubt daran. Schließlich hat er inzwischen seinen neuen Pass vorgelegt. Das Landratsamt Gotha hingegen erklärt auf Nachfrage, die Mitarbeiterinnen im Ausländeramt würden "grundsätzlich keine Zusicherungen" geben und die Leiterin habe an diesem Tag gar nicht mit Li gesprochen.

Verletzungen an Kopf und Händen

Am nächsten Morgen erscheint in Waltershausen die Polizei. Li und Chen He Wen, ein weiterer Chinese, werden nach Frankfurt/Main gebracht - zur Abschiebung. Chen fliegt davon, Li nicht. Warum, darüber gehen die Darstellungen auseinander. Laut Stade soll Li am Flughafen mit derartigen Verletzungen an Kopf und Händen eingetroffen sein, dass er nicht reisefähig war. Nach Auskunft seiner Anwälte hat Li sich derartig gegen das Bugsieren in die Maschine gestemmt, dass der Versuch abgebrochen wurde. Möglicherweise auch auf Betreiben der Airline, weil es für die "Schüblinge" keine Flug-Begleitung gab und ein tobender Li ein Sicherheitsproblem hätte werden können. Sandra Jesse vom Thüringer Flüchtlingsrat jedenfalls geht nach Zeugen-Beobachtungen davon aus, dass Li unverletzt wieder in ein Fahrzeug gesetzt und nach Thüringen gebracht wurde, zunächst nach Erfurt, dann über Gotha nach Goldlauter. Dort kommt er mit Hämatomen und Schürfwunden an, sowohl Lis Rechtsanwalt Keller als auch Adelino Massuvira, ein Betreuer der Suhler Evangelischen Gemeinde, bestätigen diese Angaben Stades. Wer und wann dem "Schübling" die Wunden beigebracht hat, ist strittig und wird wohl kaum noch zu klären sein: Im Untersuchungsbericht des Goldlauterer Anstaltsarztes, so Keller, "steht davon kein Wort".

Mitte Dezember soll Li erneut abgeschoben werden. Diesmal schaffen ihn Polizisten sogar bis in den Flieger. Doch kurz vor dem Start der Maschine scheitert auch dieser Versuch: In letzter Minute erreichen die Anwälte beim Oberverwaltungsgericht in Weimar das Aussetzen der Abschiebung. Li kommt wieder nach Goldlauter. Und bleibt dort, bis heute. Noch in Deutschland und doch fast schon draußen vor seiner Tür.

Die Anwälte arbeiten jetzt auf zwei Gleisen. Zum einen versuchen sie die Vaterschaftsanerkennung wenigstens für den kleinen Jawy durchzusetzen, zum anderen den Abschiebungsbeschluss des Gothaer Gerichts zu entkräften. Es geht um Fristen und Ausnahmen, um wahrscheinliche Einkommen, Mietkosten und Sprach-Prognosen, um die Interpretation, ob ein Mann am falschen Ort sich nun "aufenthaltsbeendenden Maßnahmen" vorsätzlich habe entziehen wollen oder einfach nur bei Frau und Kindern sein wollte. Es geht um die Ermessens-Spielräume, die - wider alle offiziellen Behauptungen - auch das neue Gesetz hat und wer sie wie zu nutzen weiß. Ein Gesetz, das laut Bekundung aller Bundestagsparteien "großzügig" zugunsten der Antragsteller angewendet werden soll und von dem der Vorsitzende der Thüringer Härtefallkommission vor einigen Tagen mitzuteilen wusste, es ermögliche es "nunmehr den Ausländerbehörden in einer Vielzahl von Fällen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, so dass ein Härtefallersuchen nicht mehr nötig" sei.

Klare Regeln, eindeutige Bestimmungen, das neue Aufenthaltsgesetz soll ein sicherer Rechts-Raum sein. Die Frage ist nur, ob Li Jun Wen ihn auch betreten darf. Ein Mann, dessen sieben und vier Jahre alte Söhne ihren Wunsch, wenn auch ein bisschen fehlerhaft, in der Sprache seines Noch-Gastgeberlandes auf ein Pappschild gemalt haben: "Gibt meine Vater zurück!"


Jamy und Jawy haben ihren Wunsch auf ein Schild gemalt: Sie wollen, dass ihr Vater zu ihnen zurück kehrt. Foto: privat

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