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„Freie Kameradschaften“

In Folge des Verbotes zahlreicher rechtsextremistischer Organisationen und der Repressionswelle gegen einzelne Aktivisten sowie neonazistische Demonstrationen und Veranstaltungen seit 1992 versuchten die Nazis neue Netzwerke zu installieren. Die Sicherstellung von Unterlagen, Propagandamaterial und auch Waffen sowie teilweise langjährige Haftstrafen für Rechtsextremisten verunsicherte und schwächte die Szene[1]. Ein möglichst unantastbares Organisationsmodell wurde angestrebt. Dazu bedienten sie sich zunehmend moderner Hilfsmittel wie Mailboxen, Infotelefone und das Internet. Außerdem erfanden die Neonazis die „freien Kameradschaften“. Diese sind angelehnt an Strukturen der linksautonomen Szene[2], i.d.R. aber hierarchisch aufgebaut und verfügen über überregionale Vernetzung in „Aktionsbündnissen“ und „-Büros“. Kameradschaften sind dabei oft ungleich politisiert. Von eindeutig neonazistischen Kameradschaften wird gesprochen, wenn folgende Merkmale aufzufinden sind:

Ideologisch stehen die Neonazis der Kameradschaften dem Nationalsozialismus des 3. Reiches nahe, auch Ideen der „Neuen Rechten“ haben Einfluss auf die Vordenker der Szene. Sie bezeichnen sich als „Nationale Sozialisten“ oder „freie Nationalisten“. Eine zunehmende subkulturelle Entwicklung zu sogenannten „autonomen Nationalisten“ (oder auch „Nationalanarchisten“) innerhalb der Kameradschaftsszene zeichnet sich vor allem seit den neunziger Jahren ab[4]. Diese Zusammenschlüsse „freier Nationalisten“, also parteiloser Rechtsextremisten, gelten als durchaus gewaltbereit. In der Öffentlichkeit werden sie vor allem bei Demonstrationen[5] und im Zuge des sich häufenden Immobilienerwerbes, zur Schulung von Kadern wahrgenommen[6].

Exkurs: „Wo keine erkennbare Organisation vorhanden ist, kann man diese auch nicht zerschlagen!“[7] - Die Struktur der Kameradschaften

Als nach der Wiedervereinigung die rechtsextreme Gewalt bei den Angriffen in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen und anderswo eskalierte, wobei allein zwischen 1990 und 1995 neunundsechzig Menschen dem braunen Terror zum Opfer fielen[8], wurden zahlreiche militante Neonaziorganisationen verboten. Bundesweit betraf dies vor allem die „Nationalistische Front“ und die „Deutsche Alternative“ (beide 1992[9]). Die führenden Köpfe der bundesdeutschen Naziszene außerhalb der NPD brauchten nun ein neues Organisationskonzept. Um zukünftig Verboten entgehen zu können, wurde das offene Modell der „freien Kameradschaft“ konstruiert. Die Nazigrößen der früheren Nationalen Liste (NL) Christian Worch, Thomas Wulff und Thorsten Heise installierten also eine lose Organisationsform, die vor allem für Jugendliche attraktiv ist. In diesen schwer fassbaren Strukturen fällt es den Neonazis leicht, durch Party, Spaß und Kameradschaftsgefühl junge Menschen einzubinden, politisch zu vereinnahmen und schließlich propagandistische und militante Aktionen auf klandestine und dezentrale Art und Weise durchzuführen. Aus den entstandenen lokalen oder regionalen Kameradschaften wurden keineswegs „freie“, sondern hierarchisch koordinierte Aktionsbündnisse geschaffen. Zu den Ersten dieser Art gehört das „Nationale und Soziale Aktionsbüro Norddeutschland“ (NSAN). Hier sind die Kameradschaften aus Pinneberg[10], Neumünster, Northeim, Kiel, Bremen, Lüneburg, Celle und Hamburg unter der Führung von Thomas Wulff organisiert[11]. Diese Struktur gilt bundesweit als Vorreiter der Kameradschaften und lokalen Vernetzungen, wie zum Beispiel für das Thüringer Modell „Nationalen und sozialen Aktionsbündnis Westthüringen“ (NSAW)[12].

Waffen und Gewalt bei „nationalen Sozialisten“

Im Gegensatz zu den teilweise strukturell ähnlichen Gruppen in der linksautonomen Szene haben sich Kameradschaften als Modell nicht anarchisch zusammengefunden, sondern sind ein installierter Rahmen für „Freie Nationalisten“. Vorreiter der parteilosen Bewegung sind die Neonazis Christian Worch und und Thomas Wulff. Beide wirken bereits seit den siebziger Jahren in der neonazistischen Szene, vor allem in Michael Kühnens „Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten“ (ANS/NA) und der „Freheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP)[13], welche Anfang der neunziger Jahre verboten wurde und als eines der Vorgängernetzwerke des Kameradschaftsmodells gilt[14]. Die beiden Hamburger Worch und Wulff arbeiten bis heute intensiv zusammen, so inszenieren sie gemeinsam regelmäßig bundesweit neonazistische Demonstrationen. Auch die regionale, landes- und sogar bundesweite Vernetzung der „Freien Kameradschaften“ in sogenannten Aktionsbüros geht auf den Einfluss der Hamburger zurück. Sie brachten mit dem „Aktionsbüro Nord“ erstmalig verschiedene Kameradschaften unter ein politisches Dach. Worch hat seit seinem Abgang von der NPD 1977[15] ein zwiespältiges Verhältnis zu der Partei. Zwar lehnt er ihre vermeintlich zu systemtreue Linie ab, doch sieht er sie auch als ein Mittel zur Durchsetzung seiner politischen Ideale: "Selbstverständlich ist auch die NPD als Partei nur ein Mittel zur Durchsetzung unserer Weltanschauung"[16]. Worch war einer von zahlreichen ehemaligen Mitgliedern verbotenener Organisationen, welche gemeinsam mit 4 000 Neonazis am 07.02.1998 am „Tag des Nationalen Widerstandes“ der NPD in Passau teilnahmen[17].

Organisation von oben

Immer wieder werden bei Neonazis und rechtsextremen Skinheads Waffen und Sprengstoffe sichergestellt. Nach Angaben des Sprechers des Bundeskriminalamtes, Dirk Büchner, gab es allein in den Jahren 1999 – 2002 insgesamt 178 Funde von Spreng- und Brandvorrichtungen bei Angehörigen der rechtsextremen Szene. In Einzelfällen waren entsprechende Terrorakte bereits vorbereitet, wie ein Anschlag auf die Grundsteinlegung einer Synagoge in München. Zu rechtsextremistischen Sprengstoffanschlägen kam es u. a. 1998 gegen die Wehrmachts-Ausstellung in Saarbrücken, welche Verbrechen der deutschen Wehrmacht im zweiten Weltkrieg darstellt[18], und im Jahr 2002 auf einen jüdischen Friedhof in Berlin-Charlottenburg[19]. Immer wieder kommt es zu Sprengstoff- und Waffenfunden auch in Thüringen (z. B.1998 Rohrbomben aus 1,4 Kilogramm TNT in Jena, 2004 „explosive Stoffe“ und Chemikalien in Ohrdruf bei Gotha)[20]. Der thüringische Neonazi Patrick Wieschke, Kopf der Kameradschaft Eisenach und damaliger Vorsitzender der NPD-Jugendorganisation JN („Junge Nationaldemokraten“) stiftete im Jahr 2000 ein JN-Mitglied an, einen Sprengsatz an einem Dönerimbiss explodieren zu lassen[21]. Im norddeutschen Pinneberg hatte sich, Polizeiangaben zufolge, eine militante Kampfgruppe aus der örtlichen „Kameradschaft Pinneberg“ entwickelt. Das Landeskriminalamt Schleswig-Holstein gab an, die Gruppe hätte sich am Modell der britischen „Combat 18“ orientiert[22]. Besonders für Aufsehen sorgte in der Vergangenheit die paramilitärische Gruppe „Skinheads Sächsische Schweiz“ (SSS). Beamte fanden bei Hausdurchsuchungen aktiver Anhänger der Gruppe Sprengstoff, Sprenggranaten, Raketenteile, Pistolen, Munition und sogar Panzerfäuste[23]. Die Gruppe wurde teilweise von Mitgliedern der NPD mit aufgebaut und unterstützt die Partei bei Veranstaltungen und Wahlkämpfen[24]. Mitglieder der Kameradschaft fielen wiederholt durch gewalttätige Angriffe gegen Jugendliche und Migranten auf[25].

Quellen

  1. Pfahl-Traughber, Armin, Rechtsextremismus in der Bundesrepublik, C.H.Beck, München 1999
  2. Neonazistische Kameradschaften in Deutschland, BfV, 2000
  3. Verfassungsschutzbericht Thüringen 2004
  4. Embleme und Logos extrem rechter Organisationen, in: Agentur für soziale Perspektiven e.V. (Hrsg.): Versteckspiel. Lifestyl, Symbole und Codes von neonazistischen und extrem rechten Gruppen, Berlin 2002, S. 10/11
  5. Erkennbar sind „freie Nationalisten“ auf rechtsextremen Demonstrationen durch das Tragen schwarzes Fahnen, welche, neben zahlreicher aus der NS-Zeit annektierter, aber illegaler Zeichen, als Symbol der Bewegung betrachtet werden. „Hervor, Leute, hervor! Die schwarze Fahne empor!“ Zitiert aus: 'Autorenkollektiv' auf http://www.aktionsbuero.org/seite/grafiken/selbstverstaendnis.pdf
  6. Röpke, Andrea, Speit, Andreas (Hrsg.): Braune Kameradschaften. Die neuen Netzwerke der militanten Neonazis, Ch.Links, Berlin 2004
  7. „Nachrichten der HNG“, Nr. 159/1994, in: Pfahl-Traughber, Armin, Rechtsextremismus in der Bundesrepublik, C.H.Beck 1999, S. 62
  8. Röpke, Andrea, Speit, Andreas (Hrsg.): Braune Kameradschaften. Die neuen Netzwerke der militanten Neonazis, Ch.Links, Berlin 2004, S. 18
  9. Neonazistische Kameradschaften in Deutschland, BfV 2000
  10. Die „Kameradschaft Pinneberg“ fiel später unter den Verdacht der Bildung einer „Kampfgruppe“, siehe 4.4: Waffen und Gewalt bei „nationalen Sozialisten“
  11. Röpke, Andrea, Speit, Andreas (Hrsg.): Braune Kameradschaften. Die neuen Netzwerke der militanten Neonazis, Ch.Links, Berlin 2004
  12. Thüringer Verfassungsschutzbericht 2003
  13. Röpke, Andrea, Speit, Andreas (Hrsg.): Braune Kameradschaften. Die neuen Netzwerke der militanten Neonazis, Ch.Links, Berlin 2004
  14. Neonazistische Kameradschaften in Deutschland, BfV 2000
  15. Röpke, Andrea, Speit, Andreas (Hrsg.): Braune Kameradschaften. Die neuen Netzwerke der militanten Neonazis, Ch.Links, Berlin 2004
  16. Worch zitiert aus Zentralorgan Ausgabe 8/99, nachzulesen auf http://lexikon.idgr.de/w/w_o/worch-christian/worch-christian.php am 09.01.2006
  17. Die NPD unter Deckert und Voigt, in: Hoffmann, Uwe: Die NPD. Entwicklung, Ideologie und Strukutr, Euroäischer Verlag der Wissenschaft, Frankfurt am Main, 1999
  18. http://www.klick-nach-rechts.de/ticker/2003/11/bombenterror.htm am 07.01.2005
  19. „Neonazis sind immer auf der Jagd nach Waffen und Sprengstoff“, DIE WELT am 13.09.2003
  20. Nazi-Sprengstofflabor gefunden, JUNGE WELT am 29.11.2003
  21. Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2001, Vorabdruck, S. 21/22
  22. Röpke, Andrea, Speit, Andreas (Hrsg.): Braune Kameradschaften. Die neuen Netzwerke der militanten Neonazis, Ch.Links, Berlin 2004, S. 44
  23. Ebd.
  24. Belege für die Zusammenarbeit zwischen NPD und SSS kamen vor allem nach dem Verbot ans Licht. So werden nach einem „Hack“ eines rechtsextremistischen Internetforums Benutzer benannt und privater Emailverkehr veröffentlicht. Unter Bezugnahme auf Spiegel-Online behauptet Telepolis (http://www.heise.de/tp/r4/artikel/19/19445/1.html), dass die der Staatsanwaltschaft vorgelegten Daten den Kontakt zwischen Partei und der paramilitärischen Gruppe beweisen. Auch der STERN berichtet unter dem Titel „Neue Heimat für alten Hass“ am 29. Juli 2004 über Verbindungen.
  25. http://lexikon.idgr.de/s/s_k/skinheads-saechsische-schweiz/s-s-s.php am 07.01.2006