GEGEN DEUTSCHLAND UND SEINE NAZIS
Es gibt kein ruhiges Hinterland
Am 23. März, Ostersonntag, findet ein Ostermarsch in bzw. nach Ohrdruf statt. Ein breites Bündnis aus linken Parteien, Gewerkschaften, Initiativen und Jugendgruppen mobilisiert gegen Kriegspolitik, Militarisierung und die Stationierung der Bundeswehr auf dem Ohrdrufer Truppenübungsplatz, der während des deutschen Nationalsozialismus als Außenlager des KZ Buchenwald zur Folter und Vernichtung von Zwangsarbeitern diente.
Die Intention des organisierenden Bündnisses, sich gegen Militarisierung, Kriegspolitik und für ein solidarisches Miteinander aller Menschen stark zu machen, unterstützen wir.
DIE GESCHICHTE NICHT VERGESSEN
Die Geschichte der Kleinstadt Ohrdruf während des Nationalsozialismus in Deutschland ist geprägt durch die Vernichtung menschlichen Lebens in den Zwangsarbeitslagern in und um Ohrdruf, in denen neben Jüdinnen_Juden, Kommunist_innen und anderen politischen Gefangenen auch russische Kriegsgefangene interniert und getötet worden. Zu besonderem Ruhm brachte es das Ohrdrufer Außenlager SIII des KZ Buchenwald, in dem zeitweise ca. 12.000 Häftlinge ein unterirdisches Quartier für Hitler bauen sollten. Das Lager befand sich auf dem Gelände des heutigen Truppenübungsplatz. Anfang April wurden die in Ohrdruf internierten Häftlinge durch die SS nach Buchenwald getrieben, um eine Befreiung durch die heraneilenden amerikanischen Truppen der Anti-Hitler-Koalition zu verhindern. Auf dem Todesmarsch ins Hauptlager nach Buchenwald starben unzählige, der völlig entkräfteten und gequälten Häftlinge. Am 4./5. April wurde das Lager und die letzten sich vor der SS versteckenden Menschen durch die amerikanische Armee befreit. Ca. 3200 Menschen sollen im Lager ums Leben gekommen sein. [1]
Heute, 63 Jahre nach der Befreiung der letzten Überlebenden des einmaligen nationalsozialistischen Horrors in Ohrdruf, hat die Stadt und der ganze Gothaer Landkreis einiges zu bieten, was die beängstigenden Zustände für Linke und Flüchtlinge in beeindruckender Weise aufzeigt. Nämlich eine organisierte und schlagende Neonazi-Szene, deren politische Hegemonie auf der Straße nur selten gebrochen werden konnte. Damit einhergehend unzählige rechte Gewaltakte und eine rassistische Politik des Landkreises, bei der man sich nicht wundern braucht, wenn man von ganz rechts oft nur beklatscht wird. Auch gegen diese Zustände, die wir mit vielen provinziellen Regionen in Deutschland teilen, wollen wir am 23. März in Ohrdruf auf die Straße gehen.
BRAUNE SÜMPFE TROCKENLEGEN
Als die „braunste Stadt Deutschlands“ hat ein junges Kameradschaftsmitglied vor einigen Monaten in einem Gästebuch mal seinen Wohnort bezeichnet. Die Bezeichnung zeigt, wie selbstbewusst und offensiv sich die große und relativ junge rechtsextreme Szene der Kleinstadt geriert. Ohrdruf ist sehr wohl eine der braunsten Städte in Thüringen und bundesweit. Eine Aufzählung rechter Übergriffe wollen wir uns hier sparen. Bezeichnend ist, mit welcher Brutalität die schlagenden Faschist_innen hier gegen Linke und Migrant_innen vorgehen. Oftmals glichen die Angriffe Mordversuchen, wenn sie nicht eh mit Morddrohungen einher gingen. Dem Naziterror in Ohrdruf sind vor allem junge Punks ausgesetzt, aber auch der örtliche Döner-Imbiss wurde schon durch rechtsextreme Angriffe in Mitleidenschaft gezogen. [2]
Etliche Male wurde Ohrdruf in den letzten Jahren zum Aufmarschort für die NPD, deren rassistische Propaganda hier einen fruchtbaren Boden fand. Im Gegensatz zu Auftritten in anderen Städten des Bundeslandes wurde die NPD hier nicht ausgebuht, sondern oftmals beklatscht. 5,7 % der Zweitstimmen erhielt die NPD zur Bundestagswahl in Ohrdruf und blieb hier noch weit unter ihren Erwartungen. 5,8 % der Erstimmen erhielt der NPD-Direktkandidat Michael Burkert im Wahlkreis Gotha-Ilmkreis. In anderen Orten im Landkreis sprengte die NPD locker die 10%-Marke. [3]
DAS PROBLEM HEIßT RASSISMUS
Latente rassistische Grundeinstellungen sind nicht nur kennzeichnend für Neonazis, sie werden von einem Großteil der deutschen Bevölkerung geteilt und begünstigen so das Erstarken neofaschistischer Strukturen. Durch den institutionellen Rassismus des Staates wird der Angriff auf die Würde und das Leben von Flüchtlingen und Menschen, die zwar einen deutschen Pass haben, aber einen migrantischen Hintergrund, perfektioniert.
Ein brisanter Fall im Gothaer Landkreis wurde Anfang des Jahres durch die engagierte Flüchtlingsarbeit eines Antifaschisten aus Gotha bekannt. Es ist nur ein Fall von vielen, ein Flüchtling unter vielen und einer der wenigen, die Hilfe bekommen können. Der Flüchtling Li Jun Wen wurde von der Ausländerbehörde Gotha belogen, ihm wurde vorgeheuchelt, dass man sich um sein Bleiberecht bemühe. Doch in Wirklichkeit wurde systematisch die Abschiebung des Familienvaters, der seit 10 Jahren in Deutschland wohnt, vorbereitet und auch fast vollzogen. Seine Abschiebung scheiterte an schweren Verletzungen an Kopf und Handgelenken, die ihm nach seinen Angaben durch die Polizei zugefügt wurden. Die Abschiebung eines Freundes wurde vollzogen. Li Jun Wen war reiseunfähig und sitzt heute in Abschiebehaft in Suhl-Goldlauter. Er hat zwei Kinder, die, sollte seine Abschiebung vollzogen werden, ohne ihren Vater aufwachsen müssen. [4]
Erst zwei Monate nachdem die Abschiebebehörden den ersten Versuch unternahmen Li Jun Wen abzuschieben und durch Flüchtlingsaktivisten immer wieder die Forderung nach Öffentlichkeit gestellt wurde, brach eine Lokalzeitung das Schweigen und berichtete über die Zustände. [5]
KEIN FRIEDE DEN DEUTSCHEN ZUSTÄNDEN
Bei der Bekämpfung von Nazigewalt und rassistischen Strukturen bleiben wir als Antifaschist_innen nicht an der Analyse selbiger stehen. Kritisieren wollen wir zudem die Faktoren, welche das Erstarken des Neonazismus bedingen und begünstigen. So bleibt Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen notwendig.
In der deutschen Politik und in den Medien wird selten eingestanden, dass es hier ein Problem mit Neonazis gibt. Zumeist wird es heruntergespielt und Rassismus und Neofaschismus werden als marginal auftretende Erscheinungen verstörter Kids abgetan, welche keinen Job oder Ausbildungsstelle bekommen haben.
Rassistisches Denken, nationalistische Gebahren wie zur Fußball-WM und stumpfer Antisemitismus sind keine gesellschaftlichen Randerscheinungen. Im Gegenteil, derartige Tendenzen durchziehen alle größeren politischen Parteien und bürgerlichen Gewerkschaften. Sie alle zementieren ein System, welches in seiner Grundstruktur rassistisch und nationalistisch ist. So ist beispielsweise das Vorhandensein von Staatlichkeit ursächlich dafür, dass Menschen aus konstruierten gesellschaftlichen Kollektiven ausgegrenzt werden. Menschen, die hier Asyl suchen, müssen damit rechnen von Neonazis verprügelt, von den Deutschen ausgegrenzt und letztendlich vom Staat in Kriegsländer abgeschoben zu werden. Die so oft betonte Distanz zwischen dem deutschen Staat und seinen Nazis ist dann nicht mehr gegeben.
Und so oft es auch betont wird: Faschist_innen sind weder vom Himmel gefallen, noch sind sie eine gesellschaftliche Exklave, sie sind ein Produkt dieser Gesellschaft und als solche zu benennen. Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus wird nicht von dumpfen rechten Schlägern in die Gesellschaft getragen, sondern ihr Vorhandensein bedingt das Erstarken faschistischer Tendenzen.
Zweifelsohne begünstigt das Agitieren von NPD und Kameradschaften das Ausbreiten rassistischer Denkweisen und so verstehen wir Nazistrukturen als ein konkretes Problem, welches es ebenso konkret zu bekämpfen gilt. In Ohrdruf, dem Gothaer Landkreis, Thüringen und überall!
Kommt zum linksradikalen, antifaschistischen Block auf dem Ostermarsch!
Kein ruhiges Hinterland für Faschist_innen in Ohrdruf und dem Gothaer Landkreis!
Auf die Straße, gegen Deutschland und seine Nazis!
5. März 2008,
Antifaschistische Gruppe Südthüringen (AGST)
Antifaschistische Gruppe Gotha (AGGTH)
AG212 Bad Langensalza
Fußnoten:
[1] Infos zum Zwangsarbeitslager Ohrdruf: http://de.wikipedia.org/wiki/Zwangsarbeitslager_Ohrdruf ; Infos zur Geschichte des Truppenübungsplatz: http://de.wikipedia.org/wiki/Truppen%C3%BCbungsplatz#Th.C3.BCringen ; Mahngang wider das Vergessen: http://keinvergessen.de/ ; Bericht vom Mahngang wider das Vergessen: http://lra.antifa.net/cms/content/view/71/32/
[2] Bericht über schweren Naziangriff: http://lra.antifa.net/cms/content/view/110/32/ ; Bericht über Sprengstofflaborprozess: http://lra.antifa.net/cms/content/view/107/32/ ; Bericht über Nazigewalt im Gothaer Landkreis: http://agst.antifa.net/archiv/text045.htm
[3] Bericht über die braune Realität in Ohrdruf: http://lra.antifa.net/cms/content/view/78/32/ ; NPD kündigt offensiven Wahlkampf in Ohrdruf an http://lra.antifa.net/cms/content/view/100/32/ ; Bericht über Nazikundgebung in Ohrdruf: http://lra.antifa.net/cms/content/view/104/32/
[4] Bericht über das Schicksal von Li Jun Wen: http://agst.antifa.net/archiv/text106.htm
[5] Artikel der Südthüringer Lokalzeitung „Freies Wort“: http://agst.antifa.net/archiv/text106.htm#FW
Wir haben den Aufruf im PDF-Format für euch zum Download bereitgestellt: >>KLICK<<
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