„...den Wald vor lauter Bäumen nicht!?“

Bevor du dieses Heft liest, wollen wir kurz das eigentliche Anliegen dieser Ausarbeitung erläutern.

Du wirst dich vielleicht fragen, warum es diese Broschüre eigentlich gibt. Vielleicht hattest du noch nie Ärger mit Jugendlichen oder anderen Menschen, die für dich als Neonazi zu erkennen waren. Eventuell kennst du Menschen, die sich selbst als nationalistisch bezeichnen; vielleicht waren sie nicht unfreundlicher zu dir als andere - eventuell sogar netter - und du bist gut mit ihnen ausgekommen.
Und dass sie sich als Nationalistin oder Nationalist bezeichnen, findest du nicht schlimm. Vielleicht gehörst du aber auch zu denen, die nicht in die rechte Ideologie passen.
Du hast bunte Haare, bist migrantischer Herkunft, hörst Hip Hop oder bist einfach nur der Meinung, dass menschenverachtendes Verhalten eigentlich keinen Platz in einer wirklich humanen Gesellschaft haben kann.
Vielleicht gehörst du auch zu einer Minderheit - oder dein Button mit dem durchgestrichenen Hakenkreuz passte irgendwem einfach nicht. Die Menschen hinter diesem Verhalten, die zum einen freundlich, zum anderen gewalttätig oder verachtend sind, bleiben dieselben.
Auch Neonazis können nett sein - aber sie sind dabei immer noch Neonazis!
Für viele werden die Auswirkungen rechten Gedankenguts zur Realität. Ob in Schulen oder Betrieben, Witze auf Kosten vermeintlicher „Juden“ oder „Neger“ sind an der Tagesordnung, Beleidigungen sowieso. Kaum ein Mensch sagt etwas. Kaum ein Mensch unternimmt etwas. Kaum ein Mensch merkt etwas. Aber warum? Es ist für viele einfach „normal“.

Von „Wurzeln“ und „Trieben“

Um rechtes Gedankengut zu erkennen und dementsprechend handeln zu können, muss man darauf achten, „den Wald vor lauter Bäumen“ eben nicht aus den Augen zu verlieren.
Der alltägliche Rassismus in Sprache und Denken der Menschen lässt Vieles zu schnell als „normal“ erscheinen, was eigentlich nicht sein darf.
Der Süden Thüringens ist dafür ein Beispiel. Fremdenfeindliche Grundstimmungen - auch ohne besonders viele „Fremde“ - werden problemlos von Generation zu Generation weitergegeben und so bei der Jugend, auch in extremeren Formen, häufig leichter akzeptiert.
In vielen Gemeinden oder Familien Südthüringens werden junge Rassist_innen zu politisch aktiven Jugendlichen verklärt, und Kritiker_innen an dem angeblich nicht existenten Problem des Neonazismus zeitgleich als Nestbeschmutzer_innen diffamiert.

Das ist natürlich nur eine Facette der Wechselwirkungen von gesellschaftlicher Wurzel und „extremen“ Auswüchsen. Beides muss erkannt, kritisiert und bekämpft werden.
In den folgenden Texten wollen wir versuchen, unterschiedliche Eckpunkte des rechten Alltags in Südthüringen zu beleuchten.
Zum einen soll die Frage geklärt werden, inwieweit Patriotismus eigentlich „schlecht“ sein kann, zum anderen, was eigentlich Nationalismus, Antisemitismus und Rassismus sind.
Wo tritt Rassismus heute wie auf? War der Nationalismus in Deutschland eine Erscheinung, die wirklich mit dem Ende des zweiten Weltkrieges, der „Entnazifizierung“ und einer scheinbar neuen Gesellschaft beendet wurde oder ist auch hier und heute noch in Politik, Gesellschaft oder Kultur nationalistisches Denken zu finden - und wenn, in welcher Form? Auch hier sollten wir im Auge behalten, dass Rassismus oder Antisemitismus in der hiesigen Gesellschaft eben nicht Neonazis vorbehalten sind und die Wurzeln der extremen Rechten klar in der Mitte der Gesellschaft liegen.

Times are changin’ ...

Noch vor wenigen Jahren schien es einfach, sich von jenen, die als Nazis „verschrien“ waren, zu distanzieren, weil man sie scheinbar leicht erkennen konnte.
Bilder von grölenden Skinheads mit Bomberjacke, Springerstiefeln und im besten/ schlechtesten Fall einem Baseballschläger in der Hand prägten sich seit Anfang der neunziger Jahre als festes Bild des „typischen Rechten“ ein.
War es damals schon nicht so einfach, wie es schien, so ist es heute bei weitem schwieriger.

Zum einen haben sich neue Symbole und optische Codes etabliert, zum anderen hat sich auch das Feld der propagierten Themen und Parolen erweitert. Für Menschen, die sich nicht allzu oft mit dem Thema beschäftigen, ist es schwierig geworden, Neonazi-Aktionen, Marken oder einfach nur Akteur_innen in ihrer Funktion zu erkennen. Die zunehmende Konspirativität tut ihr Übriges.
Mit den Codes und Symbolen wollen wir uns an dieser Stelle nicht befassen, das haben schon genug andere getan. Deshalb soll sich der zweite Teil dieser Lektüre mit dem Versuch beschäftigen, eine Übersicht der (Neo)Nazi-Läden, der Hauptakteur_innen, Bands, Kameradschaften und anderer Eckpunkte rechten Lebens und Lifestyles in Südthüringen zu geben.
Wir denken, das ist wichtig, um aufzuzeigen, dass diese Region sehr wohl ein großes Problem mit dem rechten Rand hat, auch wenn Politiker_innen, Polizei und Innenbehörden es offiziell abstreiten.
Zudem glauben wir, dass das Wissen über eben jene Treffpunkte, Kneipen, Läden oder Personen erster Ansatzpunkt einer jeden Politik gegen den lokalen oder regionalen Neonazismus sein muss.

Und nun: Viel Spaß mit hoffentlich jeder Menge Denkanstößen, Erkenntnissen und Informationen.

Illustrationen findet ihr lediglich in der Print- und PDF-Version der Broschüre.