Rechte Strukturen in der Universitätsstadt Ilmenau
Am Nordrand des Thüringer Waldes liegt mit 26.000 Einwohner_innen die größte Stadt des Kreises: Ilmenau. Doch das Städtchen im Tal der Ilm glänzt nicht nur durch die zweitgrößte Universität Thüringens und historische Besuche von Goethe – auch die örtliche Naziszene schläft nicht. Alle Jahre wieder versuchen einige Nazi-Protagonist_innen aus rechten Trinkergemeinschaften den Ansatz einer politischen Gruppe zu formieren; dies scheiterte jedoch meist binnen kurzer Zeit an der fehlenden Kontinuität und dem schwachem Organisierungsgrad. Zwar werden die meist jungen und unerfahrenen Ilmenauer Naziaktivist_innen gelegentlich beim Strukturaufbau von Außen unterstützt, doch das langfristige „auf eigenen Beinen stehen“ konnten die alten Kader ihren Schützlingen noch nicht vermitteln, was eher zu sporadischen Aktivitäten führt.
Im Jahr 2005 fand ein erneuter Versuch statt: Jennifer Jäger und ihr Freund Norman Senglaub, beide davor bei der rechten Jugendclique „Ilmsturm“ federführend aktiv, gründeten den so genannten „Nationalen Jugendbund Ilmenau“ (kurz NJI), der den Anspruch einer rechtsextremen Kameradschaft hatte. Mit Unterstützung der Kameradschaft Zella-Mehlis, in der Person von Stefan Kolb und dem damaligen NPD-Kreisvorsitzenden aus Erfurt, Michael Burkert sollte der Durchstart gelingen. Jennifer Jäger war als Kassenwärtin aktiv, kümmerte sich um die Internet-Kommunikation sowie die Öffentlichkeitsarbeit.
Die Gruppe bestand aus zunächst weiteren fünf Mitgliedern im Alter von 17 bis 23 Jahren und hatte sich zum Ziel gesetzt, für eine „saubere und sichere Heimat“ einzutreten, die Stadt vor „Fremdeinflüssen zu schützen“ und als „Anlaufstelle für national gesinnte Jugendliche und Bürger aus Ilmenau und Umgebung“ zu fungieren. Auf der nicht lange existenten Internetseite wurden antisemitische und nationalistische Texte eingestellt. Eine nennenswerte Außenwirkung konnte der NJI mit Ausnahme ein paar weniger Flugblattaktionen nicht entfalten. Die Aktivitäten beschränkten sich großteils auf Treffen und Kameradschaftsabende, gemeinsame Anreise zu rechtsextremen Demonstrationen, Saalveranstaltungen und Konzerten sowie Busfahrten zu großen Nazi-Events wie dem jährlichen Trauermarsch am 13. Februar in Dresden und natürlich das ebenso traditionelle Kranzniederlegen bzw. „Heldengedenken“ am Volkstrauertag.
Im November 2005 begann sich die Gruppe -erfolglos- auf die Suche nach eigenen Räumlichkeiten, abgekoppelt von der Außenwelt, um ungestört Treffen und Konzerte zu veranstalten, da die Kameradschaftsabende in Ilmenauer Kneipen auf Dauer zu teuer wären, so Jennifer Jäger.
In der Stadt gibt es derzeit zwei Objekte, die regelmäßig von Neonazis genutzt werden. Zum Einen der städtische Jugendclub „Blaues Wunder“, in dem Rechtsextreme von jung bis alt unter dem Mantel der akzeptierenden Jugendarbeit von zwei Sozialarbeitern betreut werden. Zum Anderen den lokalen Szeneladen „Top Fuel Store“, der von Uwe Bergmann betrieben wird. Das Geschäft hat einen weiteren Ableger in Erfurt, der von seiner Frau betrieben wird. In beiden Läden und im dazugehörigen Online-Shop wird fast ausschließlich Kleidung aus der Neonazi- und Hooliganszene verkauft. Darunter alleine knapp 300 verschiedene Artikel der rechten Szenemarke Thor Steinar, sowie diverse andere Marken, wie „Max H8“, „Doberman Deutschland“, „H8Wear“ und mehr. Daneben Textilien mit Aufdrucken wie „Odin statt Jesus“, schwarz-weiß-rote Badetücher und Fahnen, Teleskopschlagstöcke, Baseballschläger aus Aluminium und zeitweise auch Bücher zur Runenlehre und eine Biografie des Begründers des mittlerweile verbotenen „Blood & Honour“-Netzwerkes und Sänger der britischen Skinheadband „Skrewdriver“, Ian Stuart.
Am 16. Februar 2005 wurde das Geschäft wegen des Verdachts auf Verwendung verfassungsfeindlicher Organisationen nach StGB §86a durchsucht. Im Kopf der Internetseite befand sich lange Zeit bis Anfang 2007 das Logo der Ilmenauer Neonaziband „Ilmpiraten“, welche jedoch schon seit einigen Jahren inaktiv ist.
Im rechtsextremen Musikbereich sind seitdem keine ortsansässigen Bands bekannt. Dafür gibt es die so genannte „Eisenwald Tonschmiede Germania“, welche bereits mehrfach so genannte „National Socialist Black Metal“ (NSBM) Musik produzierte. Mehrere Scheiben wurden mit aktiven Szene-Kadern aus dem ostthüringischen Gera aufgenommen.
Neonazi-Konzerte finden in Ilmenau eher selten statt und werden auf abgelegene Regionen in der Umgebung ausgelagert, so zum Beispiel im Jahr 2002 ins 5km entfernte Elgersburg. Die 160 anwesenden Neonazis griffen bei der Auflösung Polizeibeamte mit Flaschen, Biergläsern, Holzlatten, Bänken und anderem Mobiliar an. Der gleiche Veranstalter organisierte auch im November 2006 ein Konzert in einer Ilmenauer Gaststätte mit Bands aus Thüringen und Estland, welches ebenfalls aufgelöst wurde. Im Frühjahr 2006 führten Thüringer Neonazis eine Kaffeefahrt durch, die neben Bad Salzungen und Arnstadt mit zwei Bussen auch in Ilmenau halt machte. Etwa 60 Teilnehmer_innen aus den Bussen gesellten sich zu den etwa 15 Ilmenauer Kameraden, die bereits warteten und fuhren im Anschluss weiter in den Norden des Kreises.
Drei Tage später fand unabhängig davon eine bundesweite Razzia wegen Fortbestehen von Strukturen des verbotenen „Blood & Honour“-Netzwerkes statt, bei der auch diverse Objekte in Thüringen, darunter ebenfalls in Ilmenau durchsucht wurden.
Übergriffe finden in der Stadt überwiegend auf „nichtdeutsche“, oft asiatische Student_innen und Migrant_innen statt. So wurde beispielsweise auf dem Campusgelände im Dezember 2001 ein chinesischer Student von drei Neonazis mit einem Nun-Shaku attackiert. Eine Woche zuvor wurde eine 42jährige Vietnamesin an einer belebten Straße aus einem Auto heraus als „Fidschi“ beschimpft und von zwei ausgestiegenen Männern niedergeschlagen. Als im Februar 2002 drei Flüchtlinge aus Sierra Leone und Indonesien mit einem Taxi zu ihrer Unterkunft fahren wollen, werden sie durch neun Neonazis am Einsteigen gehindert, rassistisch beschimpft und angegriffen. Ein weiterer Vorfall, neben vielen anderen, ereignete sich im Juli 2003: Ein vietnamesisches Bekleidungsgeschäft, das bereits dreimal zuvor beschädigt wurde, fällt einem Brandanschlag zum Opfer. Es entstehen laut Polizeiangaben bei 100.000 Euro Sachschaden.
Illustrationen findet ihr lediglich in der Print- und PDF-Version der Broschüre.