15.06.09 - Freies Wort
Extremismusdebatte
Offene Briefe zu Nazis und zum Sozialismus
Köllmer contra Pein
Arnstadt - Die Auseinandersetzung um die richtige Position zu politischen Extremismus hatte im Stadtrat Arnstadt vor einigen Wochen zu heftigen Kontroversen geführt. Inzwischen liegen von Bürgermeister Hans-Christian Köllmer (Pro Arnstadt) und Stadtrat Gerhard Pein (Die Linke) offene Briefe vor.
Anlass war eine Stadtratsdebatte, während der sich Köllmer weigerte, sich am Samstag einer Gegenveranstaltung gegen den "Thüringentag der nationalen Jugend" rechtsextremistischer Organisationen anzuschließen. Köllmer argumentierte, er sei grundsätzlich gegen jede Form des Extremismus, komme er nun von rechts, links oder sei religiös motiviert. Pein seinerseits hatte Köllmer wegen seiner Aussage, er sei kein Nazi, denn im Nazi stecke ihm zu viel Sozialismus, kritisiert und mehr Differenzierung im Diktaturenvergleich verlangt.
Drei Arten Sozialismus
In einem offenen Brief legt Köllmer nun seine Positionen dar. In dem Schreiben heißt es: "In der jüngsten Geschichte Deutschlands gab es drei Varianten des Sozialismus." Die erste Variante sei, so Köllmer, der nationale Sozialismus, der ungeheuerliche Verbrechen an den Juden Europas begangen und ein ganzes Volk verführt habe. "Perfektioniert wurde die Verführung der deutschen Jugend mit Organisationen wie den Pimpfen, danach der Hitlerjugend (HJ) und deren Instrument, dem Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps (NSKK)." Das deutsche Volk habe dies mit unzähligen Opfern bezahlt.
Danach sei die zweite "Spielart des Sozialismus", der "real existierende Sozialismus in der DDR" gekommen. Dessen Hauptfeind sei das Bürgertum im In- und Ausland gewesen, das man als so genannten Klassenfeind bezeichnet habe. Und die eigene Bevölkerung sei überwacht und bespitzelt worden.
"Wer diesen Sozialismus hinter sich lassen wollte, wurde überwacht und bespitzelt", heißt es in dem Schreiben. Die Jugend sei ebenso wie im Nationalsozialismus verführt worden. Köllmer nennt als Pendant zu den NS-Organisationen wie HJ und NSKK die Freie Deutsche Jugend (FDJ) und die Gesellschaft für Sport und Technik (GST). Das Ergebnis des DDR-Sozialismus sei ein "total heruntergewirtschaftetes Staatsgebiet" gewesen.
Als dritte Sozialismus-Variante bezeichnete Köllmer den "demokratischen Sozialismus". Die Kontinuität zum DDR-Sozialismus sieht Köllmer durch die Rechtsnachfolge der Parteien PDS und Die Linke zur ehemaligen SED gewahrt. "Dieser Sozialismus wird von der Mauermörderpartei getragen und man darf vermuten, dass die Bezeichnung demokratisch aus dem Staatsnamen DDR abgeleitet wurde", schreibt der Bürgermeister. Viele hätten diese Art jedoch noch in "denkbar schlechtester Erinnerung". Am Schluss mahnt Köllmer: Noch sind diese Sozialisten nicht in Verantwortung - aber wehe wenn."
Auch Gerhard Pein bekennt sich in seinem Antwortbrief auf Köllmers Ausführungen zu einer Gegnerschaft gegen jeglichen Extremismus. Allerdings schrieb Pein in seinem Brief, dass man heute nicht irgendeinen Aufmarsch von Extremisten erlebe, sondern von Neonazis. Deshalb richte er an Köllmer die Frage: "Wie stehen Sie zu den Gebietsforderungen der NPD jenseits der Oder-Neiße-Grenze? Oder wie stehen Sie zu der Forderung der NPD, die Utopie der Aufklärung zu überwinden, wie dies im Programm dieser Partei nachzulesen ist."
Pein schreibt weiter, dass weder die Toten an der innerdeutschen Grenze, noch die Opfer von politischer Verfolgung durch nichts zu rechtfertigen sind. "Dies ist für einen Staat, der angetreten ist mit dem Anspruch, auf deutschen Boden eine menschlichere Gesellschaft zu errichten, eine Schande", heißt es in Peins Brief.
Trotzdem müsse es legitim sein, "Zweifel an einer Wirtschaftsordnung zu haben, die eine unvorstellbare Konzentration ökonomischer und damit auch am Ende politischer Macht in den Händen weniger Großkonzerne und global agierender Großbanken hervorbringt und diese dann auch noch für eine weltumspannende Wirtschaftskrise verantwortlich sind, deren Folgen wir alle zu tragen haben." Aus diesem Grunde bekenne er sich zu einem demokratischen Sozialismus, so Pein, und er sei nicht bereits, sich oder seine Partei durch Köllmer beleidigen zu lassen.
Unendliche Opfer
Dann spricht Pein Köllmer direkt an: "Auch wenn dies nicht in Ihr politisches Bild passt, die DDR hat weder Angriffskriege geführt noch Völkermord betrieben." Dagegen habe am Ende der nationalsozialistischen Diktatur nicht nur das deutsche Volk unendliche Opfer zu tragen gehabt. 56 Millionen Tote, weitere 120 Millionen Verwundete, elf Millionen Tote in den Konzentrationslagern, davon sechs Millionen Juden, listet Pein als Bilanz des Nationalsozialismus auf. Alleine der Vernichtungskrieg im Osten habe bis zu 27 Millionen Bürgern der damaligen Sowjetunion das Leben gekostet und sechs Millionen Polen kamen während des Krieges ums Leben.
"Dahinter stand eine Ideologie, die Menschen in Herren- und Untermenschen unterteilte", schreibt Pein. Heute aber gehe es um ein "klares Bekenntnis gegen jede Form von Rassismus".
Nicht kommentieren wolle er die Charakterisierung der Partei Die Linke durch Köllmer als "Mauermörderpartei". Allerdings, so Pein, habe die Blockpartei CDU stets den stellvertretenden Ministerpräsidenten gestellt, "mit deren Rechtsnachfolgerin, das heißt der heutigen CDU", Pein problemlos zusammenarbeite. Außerdem befänden sich in den Reihen der CDU, aber auch im Umfeld des Bürgermeisters "eine Menge ehemaliger SED-Mitglieder, die gerne ihre eigene politische Vergangenheit vergessen."
Peins Brief schließt: "Die Denunzierung des politisch Andersdenkenden war in Diktaturen stets gängige Praxis. Die Diffamierung meiner Partei macht deutlich wie nahe Sie der antidemokratischen Unkultur stehen." red