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Nazis wegrocken!
Gegen Nazifeste und deutsche Zustände

Eine stramme neofaschistische Szene und ihr aggressives Auftreten, ein zwielichtiger Bürgermeister und eine höchst unsensibilisierte Öffentlichkeit - all das sind Markenzeichen von Arnstadt. Viel lieber schmückt man sich jedoch mit Kultur und Tourismus. Doch all das oberflächliche Leben in einer provinziellen Kleinstadt kann die Probleme nicht überspielen, die sich in ihr aufgebaut haben. Am 13. Juni tritt eines dieser Probleme mal wieder in exponierterer Form zu Tage. Dann will die neofaschistische Szene hier ihren „8. Thüringentag der nationalen Jugend“ ausrichten, wo mehrere hundert Neonazis aus Thüringen und bundesweit der Bachstadt einen Besuch abstatten werden. Im Folgenden möchten wir über das Nazifest und die Zustände in der Kleinstadt berichten. Wir möchten damit nicht zuletzt jenen „Extremismus“-Apologeten [1] inhaltlich etwas entgegnen, die meinen durch die Formel „rechts=links“ sei ihr kleines Weltbild schnell erklärt und objektiviert. Dass das Gerede vom „Extremismus“ [2], also einer Bedrohung der Demokratie von rechts und links, nicht nur völliger historischer Nonsens ist, sondern auch faktisch einfach unhaltbar, wird gerade an der „Braunzone“ in Arnstadt deutlich. Hier sind Verstrickungen von Neonazis bis hin zu konservativen Politikern offensichtlich.

Verwerfungen im faschistischen Lager

Es soll der 8. „Thüringentag der nationalen Jugend“ werden und es spricht einiges dafür, dass sich in diesem Jahr der Charakter der Veranstaltung ändern wird. In den letzten Jahren hatten Städte wie Sondershausen, Eisenach, Altenburg und Weimar die „Ehre“ sich mit dem Nazifest herum zu ärgern. Es ist mittlerweile zu einer traditionellen Veranstaltung der Thüringer Neonaziszene geworden, zu welcher jährlich zwischen 200 und 500 Neonazis aus ganz Thüringen anreisten. In den letzten Jahren stand das Fest jedoch unter dem Label der NPD. Das hat sich in diesem Jahr geändert. Aus Angst vor Ausschreitungen und negativer Presse verzichtet die NPD in diesem Jahr auf ihr Spektakel und hat sich mit diesem Verhalten in der Thüringer Neonaziszene keine Freunde gemacht. Dieses Vakuum haben sich die sogenannten „Freien Kräfte“ zusammen mit einigen angenervten NPD-Kadern, wie Ralf Wohlleben, zu nutze gemacht. Sie führen den Thüringentag nun fort. Ein Beweis hierfür ist, dass der Anmelder Patrick Wiedorn heißt, bekanntlich ein Neonazi aus Arnstadt, der sich, statt in der ihm zu biederen NPD, in der verbotenen militanten Blood & Honour Szene organisiert. Ihm zur Seite steht Ralf Wohlleben, der ehemalige Vize-Chef der Thüringer NPD. Wohlleben distanziert sich zunehmend von seiner Partei. Auch auf bundesweiten faschistischen Foren und Plattformen wird nun der Konflikt zwischen NPD und „Freien Kräften“ geführt. Hier setzt sich ein seit 2007 einsetzender Zerfallsprozess der Thüringer NPD fort. Zwar ist damals die alte Führung siegreich aus einem internen Machtkampf hervorgegangen, doch die Nachbeben dieses Machtkampfes und der einhergehenden Schlammschlacht, führen auch heute noch zu Verwerfungen. Vor einigen Wochen ist gar der gesamte NPD-Kreisverband Hildburghausen aus der NPD ausgetreten.
Diese Verwerfungen sind nicht nur die Ursache dafür, dass wir uns jetzt mit einem Nazifest in Arnstadt rumplagen müssen, sie könnten sogar der Charakter der Veranstaltung völlig verändern. Kamen in den letzten Jahren zumeist NPD-Kader, die ihr biederes, bürgerliches Image pflegen wollten und auf Gewalt deshalb verzichteten, so können wir dieses Jahr eine andere Kategorie Neonazis erwarten. Die „Freien Kräfte“ treten offensiver und aggressiver auf. Zu Ihnen dürften sich auch so genannte „Autonome Nationalisten“ gesellen. Einen weiteren Eindruck gibt ein Blick auf die Rednerliste. Es treten Redner aus Niedersachsen, Bayern und Nordrhein-Westfalen auf. Es mutet an, als würde sich der regionale Charakter der Thüringentages zu einem überregionalen verschieben. Das heißt, es darf nicht nur mit einem aggressiveren Klientel, sondern auch mit einer größeren Teilnehmerzahl gerechnet werden.
Dass das für die Arnstädter Stadtverwaltung kein Grund sein wird, die Veranstaltung für die Neonazis zu erschweren, ist leider anzunehmen. Ohnehin ist der Arnstädter Bürgermeister wohl eher der Meinung, dass man auch mit Neonazis reden müsse.

Braunzone Arnstadt

„Ich bin ein Antikommunist, ein richtiger, echter Antikommunist“, hörte man den Arnstädter Bürgermeister Hans-Christian Köllmer (Pro Arnstadt) auf einer Veranstaltung im Februar in Arnstadt prusten. [3] Es ist bei weitem nicht die einzige Gemeinsamkeit des Bürgermeisters mit der neofaschistischen Szene der Stadt und auch wenn Schnittmengen jener Szene mit der Clique des Bürgermeisters nicht gern offen gezeigt werden, ideologisch gibt es sie. Die Arnstädter Neonazis lobten „ihren“ Bürgermeister gar in einem ihrer Hetzblätter als einen volksnahen Mann.
Auch wenn Köllmer selbst nicht in den Kreisen der relativ jungen Neonaziszene verkehrt, seine Kontakte in Österreich zu exponierten (Neo-)Nazis sprechen Bände. Im Rahmen einer Städtepartnerschaft reisen Köllmer und seine Partei bzw. Wählergemeinschaft „Pro Arnstadt“ ab und an ins Österreichische Gurk (Kärnten). Dort traf sich Köllmer u.a. mit dem mittlerweile verstorbenen Jörg Haider, zu dem er freundschaftliche Kontakte hielt. Haider führte in Österreich erst die FPÖ und später, bis zu seinem Unfalltod, die BZÖ. Beide Parteien sind Sammelbecken von konservativen bis hin zu faschistischen Politiker_innen. Pro Arnstadt versucht diese intensiven Kontakte auch gar nicht zu vertuschen. Auf ihrer Homepage zeigen sie sogar ein Foto von Köllmer „mit seinem Freund“ Siegfried Kampl. [4] Kampl kommt nicht nur aus einem faschistischen Elternhaus, er gilt als überzeugter Alt-Nazi und sorgte mit diversen Skandalen für Aufregung, zum Beispiel als er meinte, man müsste Hitler dafür dankbar sein, den Kommunismus verhindert zu haben oder als er sich gegen die Rehabilitierung von Wehrmachtsdeserteuren aussprach.
Köllmer schart um sich einen konservativ-nationalistischen Filz, welcher wohl identisch mit weiten Teilen seiner Familie/Umfeld, Wählergemeinschaft und Schützenverein bzw. der ruhmhaften Waffenlobby zu sein scheint. In dieser Arnstädter Braunzone bewegen sich auch Teile der CDU, der Bund der Vertriebenen und der Verein der Opfer des Stalinismus, was vor allem während der Debatte um das Denkmal „für die Opfer der kommunistischen Gewalt“ deutlich wurde, als aus diesen Reihen mehrfach der Holocaust relativiert wurde. [5] In diesen Filz gehört auch Hans-Joachim König. Der Mann gibt das Arnstädter Stadtecho heraus, eine monatlich erscheinende Lokalpostille, in der neben Heimatduselein und Deutschtum auch schlechte Geschichtsarbeit betrieben wird. Das geht in vielen Fällen weit über die Verharmlosung des Nationalsozialismus heraus. Im Sommer 2007 sorgte König für einen Skandal als er den Angriff von Neonazis auf eine Antifa-Kundgebung [6] verleugnete und sich für Verständnis mit den Nazis aussprach. [7] Antifas fordert im Nachhinein den Boykott des Stadtechos. [8] König kennt und versteht sich bestens mit Arnstadts Nazikader Patrick Wiedorn, dem Anmelder des Nazifestes am 13. Juni in Arnstadt. Hier ist der Bogen längst geschlagen zwischen jenem politisch-konservativen Mainstream, der seit Jahren im Arnstädter Rathaus sein Unwesen treibt und seinen perversesten Auswüchsen, den Neonazis. Ideologisch dürfte es hier weit mehr Schnittmengen geben, als es das öffentliche Bild in Arnstadt vermuten lässt.

Zur Ideologie

Es ist die Ablehnung jeder progressiven [9] und emanzipatorischen Veränderung der Gesellschaft, sei es durch kommunistische Kritik oder einfach nur durch das Infragestellen traditioneller Formen des gesellschaftlichen Umgangs, was die deutsche Rechte von liberal-konservativ bis lupenrein-faschistisch vereint. Unterscheidungen gibt es bei der Umsetzung und Erhaltung dieser Zwangsgemeinschaft. Wo die einen auf den seligen Reigen der Marktwirtschaft setzen, wollen die anderen die Aufhebung jeder Form des Individualismus in einer Volksgemeinschaft. Einig ist man sich darin, dass es die Zurichtungsagentur Staat braucht, um den Laden zusammen zu halten.
Hier ist auch der Unterschied zwischen der Arnstädter Braunzone um Köllmer und den Faschisten auszumachen. Die einen begnügen sich damit, sich in der Marktwirtschaft einzurichten und die Kommunalpolitik einer Kleinstadt zu dominieren, wobei hier und da ihre regressive Ideologie [10] doch durchblitzt, den anderen, den Faschisten, geht das nicht weit genug. Sie wollen unter dem Deckmantel eines „rechten Antikapitalismus“ die Autarkie des Staates zurück, in einem alle sozialen und kulturellen Unterschiede nivellierenden Kollektiv, der Volksgemeinschaft. Hier wird ersichtlich, dass die Neonazis das abstrakte System des Kapitalismus gar nicht verstanden haben. In ihrem Aufruf zum Thüringentag in Arnstadt machen sie den „Finanzwucher“ für die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus verantwortlich. Sie denken durch die Entkopplung des als jüdisch deklinierten Finanzkapitals von der scheinbar ehrlich arbeitenden „Realwirtschaft“ würde das System wieder laufen. Schuld an der Krise sei ohnehin nicht der kapitalistische Gesamtzusammenhang, sondern gierige Finanzbänker an der amerikanischen Ostküste, eine Schiffre für den vermeintlichen Einfluss der Juden auf die Weltwirtschaft. Mit Antikapitalismus hat die Ideologie der Neonazis ohnehin so viel gemein, wie Köllmer und die Antifa.

Antifaschistischer Widerstand

Es gibt auch positives zu berichten aus Arnstadt. Die Kleinstadt ist schon seit Jahren auch für ihre alternative Szene bekannt. Es gibt hier Menschen, die sich den faschistischen Tendenzen bewusst sind und engagiert dagegen angehen. Zudem hat sich hier in den vergangenen Jahren eine Zivilgesellschaft gebildet. Neben Infoladen, Antifa und dem antifaschistischen Kulturverein und Wohnprojekt P20 e.V., gibt es die Arbeitsgemeinschaft „Demokratie braucht Zivilcourage“, in der seit Jahren auch Aufklärungsveranstaltungen sowie u.a. das Verlegen von Stolpersteinen organisiert werden. Ebenso gab es hier in den letzten Jahren immer wieder Tendenzen sich dem Auftreten von Neonazis direkter entgegen zu stellen, als durch Gebete und Kundgebungen fern ab.
In diesem Jahr hat die Mehrheit des Stadtrates sogar einen Beschluss für eine Gegenkundgebung und einen Aufruf der Stadt gegen „Rechtsextremismus“ verabschiedet. Selbstverständlich mit den Gegenstimmen von Pro Arnstadt und der CDU (bis auf einen). Über die Gestaltung dieser Gegenkundgebung ist noch nichts bekannt (Stand: 8. Mai).

Die Antifaschistische Aktion ruft am 13. Juni zu einer Demonstration auf, auf der nicht nur die Nazistrukturen der Stadt und ihr Fest ein Thema sein sollen, sondern auch die oben beschriebenen Zustände in der vermeintlichen Mitte der Gesellschaft. Wir wollen die Ursachen für die faschistischen Tendenzen in Arnstadt und ganz Thüringen in den Fokus der Auseinandersetzung richten und uns nicht mit Lippenbekenntnissen gegen Nazis zufrieden geben. Die Nazis sind nur die ekelhaftesten Auswüchse der bürgerlich-kapitalistischen Verhältnisse, die uns umgeben.

Wir sind uns darüber bewusst, dass wir an diesem Tag einer übermächtigen Armada der Polizei gegenüber stehen werden, die jeden Versuch das Nazifest zu verhindern im Keim ersticken will. Auch die Mehrheit in der Arnstädter Bevölkerung wird sich nicht hinter die Forderung nach Unterbindung solcher Abartigkeiten stellen. Vielmehr wird sie sich daran stören, dass an diesem Tag der kapitalistische Alltagsbetrieb gestört sein wird. Nichtsdestotrotz halten wir am antifaschistischen Anspruch fest, solche Veranstaltungen perspektivisch nicht mehr stattfinden zu lassen. In diesem Sinne:

Wir nehmen mit was geht!
Nazis wegrocken!




Fußnoten:

[1] Apologeten = Verteidiger einer Ideologie / eines Irrglaubens
[2] Eine Auseinandersetzung von uns mit dem „Extremismus“-Begriff findest du u.a. hier: http://agst.antifa.net/archiv/text158.htm#redi2 und hier http://agst.antifa.net/archiv/text178.htm
[3] http://www.agst.antifa.net/archiv/text232.htm
[4] http://www.proarnstadt.de/2008/10/03/partnertreffen-in-gurk-2-tag/
[5] http://agst.antifa.net/archiv/text217.htm
[6] http://agst.antifa.net/archiv/text062.htm
[7] http://agst.antifa.net/archiv/text071.htm
[8] http://agst.antifa.net/archiv/text080.htm
[9] progressiven = im weiteren Sinne fortschrittlich
[10] regressiv = rückwärtsgewandt, rückschrittlich (Gegenteil von progressiv)