Spontankundgebung in Erfurt zum "Zug der Erinnerung"



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Kritische Anmerkungen zum Umgang der Deutschen Bahn AG mit ihrer Geschichte im Nationalsozialismus

Die Deutsche Bahn AG als eines der größten Logistikunternehmen weltweit, zeigte bislang kein Interesse an einer Aufarbeitung der eigenen Verstrickung in den Holocaust. Die Konzernspitze blockte alle Bemühungen ab. Eine Initiative für die Ausstellung "11000 Kinder", die in Frankreich erfolgreich auf den Bahnhöfen gezeigt wurde, hatte mit massiven Behin-derungen zu kämpfen.

Hier nur einige Beispiele:
In Göttingen rissen Bahnbedienstete Fotos und Dokumente der 11.000 deportierten jüdischen Kinder von einer provisorischen Ausstellungswand im dortigen Hauptbahnhof.

In Frankfurt/Main griff das lokale Bahnmanagement Mitglieder einer Bürgerinitiative an, die in den Zügen Informationsmaterial an die Reisenden verteilen wollten.

Dass heute der "Zug der Er-innerung" in Erfurt gastiert, ist nicht wegen sondern trotz der Deutschen Bahn AG zustande gekommen. Es lag an der Beharrlichkeit verschiedener Initiativen, die an die Öffentlichkeit gingen. Gegenüber den Veranstalterinnen äußerte die Deutsche Bahn AG, dass der "Zug der Erinnerung" die gleiche Priorität habe wie ein Schrottransport. Für jeden Tag, den der Zug im Bahnhof verweilt, wird deshalb eine Standgebühr von 2000 Euro berechnet. In letzter Konsequenz verdient die Bahn also gleich zweifach an der Shoa: Denn den Deportierten wurde noch ihr eigener Transport in Arbeits- oder Vernichtungslager in Rechnung gestellt. Und heute kassiert der Mehdorn-Konzern ab, wenn es um die Aufarbeitung der Geschichte geht. Am Unrecht doppelt verdient!

Was sind die Motive der Deutschen Bahn AG, sich gegenüber der Aufarbeitung der eigenen Geschichte so zu sperren? Die Deutsche Bahn AG ist mittlerweile zu einer der größten Logistikunternehmen weltweit aufgestiegen. Massiv werden global die Filetstücke des Güter- und Personentransportes aufgekauft. Die Deutsche Bahn AG expandiert nach Russland, China und kontrolliert zwei Drittel des britischen Güterverkehrs. Gerade auch in dieser Funktion scheut der Konzern eine geschichtliche Aufarbeitung seines Beitrags an dem Holocaust wie der Teufel das Weihwasser.

Anders herum hatte die Deutsche Bahn AG als Rechtsnachfolgerin der Deutschen Reichsbahn kein Problem damit, den NS-Reichsverkehrsminister Dorpmüller in ehrendem Andenken zu halten. Dorpmüller war einer der zentralen Figuren, die für die Deportationen in die Vernichtungslager mit der Deutschen Reichsbahn verantwortlich zeichneten. Eine in den letzten Jahren erstellte Studie über das Wirken Dorpmüllers wurde nur zum internen Gebrauch zugelassen.

Die Konzernspitze gibt mittlerweile dem öffentlichen Druck nach und beauftragt eigene Historiker mit der Aufarbeitung der Geschichte des Konzern im Nationalsozialismus. Das Engagement von zivilgesellschaftlichen Initiativen wird dabei rhetorisch abgewertet und diese können sich nur als Bittsteller einbringen.

Was sich hier manifestiert ist die Arroganz der Macht. Es ist der Versuch, die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte im Nationalsozialismus und die Deutungshoheit fest in der Hand zu behalten. Dies entspricht den Bedürfnissen weiter gesellschaftlicher Kreise Deutschlands, die Geschichte des Nationalsozialismus entweder zu entsorgen, oder zu instrumentalisieren.

Dem "Zug der Erinnerung" werfen die von der Deutschen Bahn AG bestellten Historiker zu wenig Sachlichkeit und zu viel Emotionalität vor. Dabei ist gerade die Emotionslosigkeit eines der prägendsten Merkmale der industriellen Vernichtung von JüdInnen, Sinti und Roma und anderen als "minderwertig" denunzierten Menschen.
Es war ein durchorganisiertes Töten, bei dem es in den Augen der Nazis nicht mehr um Menschen sondern um zu tötende Biomasse ging. Den Opfern wurde auf dem Weg in die Gaskammern das letzte Stück Individualität genommen. Das Töten war dann nur noch eine Art Massenabfertigung, die es technisch zu meistern galt - rational und eben emotionslos. Diesen Opfern wieder ein Gesicht zu geben, sie wieder in der Erinnerung an sie Mensch werden zu lassen, entlarvt die Unmenschlichkeit des Nationalsozialismus. Dies kann nicht durch trockenes Zahlen jonglieren geschehen. Es muss auch auf emotionaler Ebene in einer Art persönlicher Begegnung mit den Spuren der Opfer erfolgen. In dieser Hinsicht ist der "Zug der Erinnerung" ein Schritt in die richtige Richtung, wenn er denn nicht zu einer Art Gedenkbusiness verkommt.

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