Redebeitrag von AG17 zur Antirepressions-Demo am 18.02.2012 in Dresden

Ein Nazimordkommando und die flächendeckende Telefonüberwachung als polizeiliches Mittel scheinen auch in der linksradikalen Antifa Themenschwerpunkte für politische Mobilisierungen zu sein. Es wird zwar immer wieder betont, dass das eigentliche Problem die Gesellschaft ist, jedoch bleibt es meist bei einer Interpretation der medialen Aufhänger. Das ist nicht falsch, aber auch meist unvollständig.

Es ist fatal für die Linke, im Fahrwasser von Medienskandalen um öffentliche Aufmerksamkeit kämpfen zu müssen. Die Gesellschaft wird hierbei notgedrungen von ihren Rändern, von ihren Ausnahmen und dem Extravaganten her erklärt. Schlussendlich wird, gewollt oder ungewollt, der demokratische Normalzustand als bessere Alternative verteidigt.

Dabei ist die Demokratie, das bürgerliche Denken und die bürgerliche Verfasstheit selbst das Problem, wenn es um Überwachung und Meinungsfreiheit geht: Es mag erschreckend sein, in welchem Ausmaß die sächsischen Sicherheitsorgane Handydaten rund um den 19.02.2011 abgefasst haben, neu ist lediglich die genutzte technologische Ebene, aber nicht die Vorgehensweise.

Überwachung und Bespitzelung ist fester Bestandteil einer bürgerlichen Gesellschaft. Das bürgerliche Individuum muss grundsätzlich einzeln erkennbar, messbar und beurteilbar sein. Es geht um die Erfassung der Eigenschaften und der Wertigkeit des bürgerlichen Subjekts, ob es sich botmäßig zu den Zumutungen dieser Gesellschaft verhält oder Probleme bereitet. Es geht um die Messbarkeit der Verwertbarkeit des Individuums. Der Wunsch nach umfassendem Wissen über die Individuen und deren Disziplinierung ist so alt wie die bürgerliche Gesellschaft selbst. Sie davor bewahren zu wollen, ist der Trugschluss einer scheinbaren Unabhängigkeit und Freiheit des Einzelnen in der bürgerlichen Gesellschaft. Dies tritt uns täglich gegenüber und an die meisten Prozeduren haben wir uns schon längst gewöhnt und nehmen sie kaum noch wahr. Die Gewaltverhältnisse sind weitestgehend verinnerlicht.

Ob in der Schule, der Uni, in der Ausbildung oder an den Arbeitsplätzen; wir müssenn uns dieser Überwachung und Zwangsindividualisierung aussetzen, uns beurteilen, bewerten und einschätzen lassen und uns optimal nach diesen Anforderungen selbst gestalten. Die Jobcenter, welche umgangssprachlich entlarvend "DAS AMT" genannt werden, sind hierbei neben den Knästen die Krönung einer Disziplinierungs- und Überwachungsmaschinerie, die immer tiefer in die Privatsphäre und das Denken der Betroffenen eingreift. Der innere Zwang des Individuums zur Selbstpräsentation und Selbstobjektivierung wird dagegen mittlerweile über die sozialen "Post Privacy"-Netzwerke a la Facebook durch die Einzelnen selbst exekutiert. Im vorauseilendem Gehorsam wird die eigene Überwachung in Kauf genommen und ermöglicht, nur um gesellschaftlich dabei sein zu dürfen.

Das Wanken der ökonomischen Basis in der Krise dieser Gesellschaft führt zu einem immer rigideren Einsatz von Zwangsmitteln, um Nützliche von Nutzlosen unterscheiden zu können und die Nutzlosen im Hamsterrad ihrer Nutzlosigkeit am Laufen zu halten. Gerade die Krise macht immer deutlicher, dass der demokratische Meinungspluralismus schon immer nur einen Meinungskorridor zuließ, innerhalb der das kapitalistische System selbst nicht hinterfragt werden kann und soll. Das Politische war und ist schon immer an den Sachzwang der kapitalistischen Ökonomie gebunden. Es hat lediglich die Aufgabe ihn zu sichern und zu vermitteln, wird aber von jenem immer mehr des eigenen Handlungsspielraumes beraubt.

Versuche, wie sie zivilgesellschaftliche Kräfte wie Dresden-nazifrei immer wieder starten, diesen demokratischen Meinungs- und Verhaltenskorridor zu modifizieren, um ihn um Nuancen und Facetten zwischen Legalität und Illegalität z.B. von politischen Aktionen zu verschieben, erkennen von vornherein die Einschränkungen des Sachzwangs an und treffen nicht den Kern des Problems. Hinzu kommt, dass gerade Dresden-nazifrei durch seine hierarchischen Strukturen, dem autoritären Effizienzdenken in den Aktionsplanungen und dem selbst auferlegten Erfolgszwang bürgerliches Denken nicht hinterfragt sondern vielfach exekutiert. Diese und andere Kritikpunkte machen uns nach wie vor ein kritikfreies Zusammengehen mit zivilgesellschaftlichen Kräften wie Dresden-nazifrei unmöglich. Die Beteuerung, gar nicht extremistisch zu sein und/oder illegal gehandelt zu haben ist der falsche Weg. Abstrus wird es, wenn von einem Verfassungsschutz von unten geredet wird, weil sich hier schnell das Bild einer Bürgerwehr von Gutmenschen aufbaut. Jenseits des so demokratisch Verhandelbaren lauert die indirekte Bestätigung der stigmatisierenden Extremismusthese, so fadenscheinig jene auch sein möge.

Genauso ist es falsch, das Thema Überwachung auf die Auseinandersetzungen rund um Anwendungen neuer Technologien wie Internet, Video-Überwachung und mobile Telekommunikation zu konzentrieren.
Die mittelfristige Gefahr besteht auch nicht darin, dass Holger Apfel Bundeskanzler wird und wir eine neue faschistische Diktatur erleben. Eher droht, dass diese Gesellschaft sich immer mehr zu einer technokratischen Diktatur des allgemeinen Sachzwangs entwickelt. Dies wird sogar demokratisch legitimiert und formal abgesegnet geschehen können. Elemente der Diktatur waren in einer Demokratie schon immer vorhanden - beides steht sich nicht entgegen und bedingt sich. Demokratie und Diktatur sind verschiedene Formen der gleichen kapitalistischen Herrschaftssicherung. Überwachung und Disziplinierung finden in beiden Formen statt. Diktatorische Elemente bekommen marginalisierte Bevölkerungsgruppen wie etwa Flüchtlinge und Langzeitarbeitslose längst zu spüren. In der kapitalistischen Krise wird immer verstärkter auf autoritäre Lösungskonzepte zurückgegriffen, weil die allgemeinen Zwänge, die psychischen und sozialen Zumutungen für die Menschen steigen werden. Die Politik wird in ihrer allgemeinen Handlungsunfähigkeit gegenüber dem Sachzwang kapitalistischer Verwertung sich nur noch in einer vermittelnden Geste erschöpfen. Durch immer populistischere Rückgriffe auf Patriotismus, Rassismus, Sexismus, Chauvinismus und Antisemitismus wird eigener politischer Handlungsspielraum lediglich simuliert.

Zum Abschluss doch noch ein paar Worte zu dem Mordkommando "Nationalsozialistischer Untergrund": Es ist richtig dem Verfassungsschutz und der Polizei flächendeckendes Versagen vorzuwerfen und dass sie auf dem rechten Auge blind sind. Viel schlimmer ist jedoch, dass durch das gesellschaftliche Nicht-erkennen-wollen oder -können der Täter die Taten der faschistischen Mörder gedeckt wurden. Es scheint ein blinder Fleck einer sich in weiten Teilen antirassistisch gebenden Gesellschaft zu sein, dass den Opfern unterstellt wurde, auf Grund ihrer Herkunft in kriminelle Machenschaften verwickelt gewesen zu sein. Schließlich traf diese Auslegung der Tatmotive auf eine breite gesellschaftliche Akzeptanz. Umso entlarvender und schockierender war es, dass die Wahrheit nicht dem allgemeinen rassistischen Diskurs entsprach und somit nicht erkannt werden konnte. Die NSU konnte sich gesellschaftlich gesehen auf stillschweigende Ignorant_Innen verlassen, die ihr ein ungestörtes Morden ermöglichten.

Linksradikale Kritik muss eben diese blinden Flecken gesellschaftlichen Denkens und Handelns aufspüren, thematisieren, analysieren und daraus eigene Handlungspraxen entwickeln, anstatt sich an medialen Spektakeln zu beteiligen und sie selbst zu inszenieren. Unser Ziel kann es nicht sein demokratischen Meinungspluralismus lediglich zu erhalten und damit die herrschenden Verhältnisse versuchen erträglich zu gestalten. Unsere Forderung sollte nach wie vor eine Freie Gesellschaft Freier Individuen sein in der Widersprüche und Probleme lösbar sind und nicht zu immer neuen ungeheuerlichen Katastrophen für Mensch und Umwelt führen. Das Denken und Handeln der Menschen in dieser anderen Gesellschaft sollte nicht dem Warenfetisch unterworfen sein. Erst wenn wir ein genaues Bild von dem Falschen dieser bürgerlichen Gesellschaft haben, ist eine andere emanzipatorische Welt möglich.



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