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Zum Tod von Lars Rehbeil – Dokumentation eines Redebeitrags

Gut acht Jahre ist es nun her, dass der Ilmenauer Punk Lars Rehbeil in einer Polizeizelle der Kleinstadt an einer Mischintoxikation starb, weil die Dienst habenden Polizeibeamten sich über die Rechtslage hinwegsetzten und die Hinzuziehung eines Arztes verweigerten. Damit diese fahrlässige Tötung, ihre Hintergründe und die lächerlichen Konsequenzen für die Verantwortlichen nicht in Vergessenheit geraten, hielt die Antifa Arnstadt-Ilmenau auf dem Mahngang des Antifaschistischen/Antirassistischen Ratschlags in Ilmenau am 4. November 2016 einen Redebeitrag, den wir hier dokumentieren.


Am 17. Januar 2009 starb Lars Rehbeil, ein 28-jähriger Punk aus Ilmenau, in einer Gewahrsamszelle der Ilmenauer Polizeiinspektion. An jenem Tag übernahm sich Rebi – wie ihn seine Freunde nannten – mit den Rauschmitteln und kam nach einem verkorksten Abend und nach Auseinandersetzungen mit dem Rettungsdienst schließlich in die Ausnüchterungszelle der Polizei. Dort starb er an Atemlähmungen infolge einer Mischintoxikation von Alkohol und Heroin. Für einen Arzt wäre es ein leichtes gewesen, das Leben des jungen Mannes zu retten. Gesetzlich ist die Polizei nach derartigen Ingewahrsamnahmen zur Hinzuziehung eines Arztes, der die Gewahrsamstauglichkeit überprüft, verpflichtet. Die Ilmenauer Polizei holte an jenem Winterabend keinen Arzt für Rebi und führte stattdessen unregelmäßige Kontrollen auf Lebenszeichen durch. Im späteren Gerichtsprozess kam heraus, dass mindestens zwei dieser protokollierten Kontrollen gar nicht stattfanden. Rebi erstickte qualvoll wenige Stunden nach seiner Festnahme, weil die Beamten die notwendige Hilfe verweigerten.

Von Bertolt Brecht stammt der Satz: „Es gibt viele Arten zu töten. Man kann einem ein Messer in den Bauch stechen, einem das Brot entziehen, einen von einer Krankheit nicht heilen, einen in eine schlechte Wohnung stecken, einen durch Arbeit zu Tode schinden, einen zum Suizid treiben, einen in den Krieg führen usw. Nur weniges davon ist in unserem Staat verboten.“ Auch die verantwortlichen Ilmenauer Polizisten töteten an jenem Abend. Dass niemand in der Polizeiinspektion daran dachte, einen Arzt für Rebi zu besorgen und damit entsprechend der eigenen gesetzlichen Vorschriften (§10 der Polizeigewahrsamsordnung) zu handeln, hat viel damit zu tun, wer Rebi war. Jörg P., Schichtführer der Ilmenauer Polizei in besagter Nacht, sagte im Gerichtssaal: „Man muss unterscheiden, welche Personen in Gewahrsam genommen werden und warum.“ Rebi war ein Punk, ein „stadtbekannter Trinker“, einer jener Leute, die per Stadtverordnung vom Wetzlaer Platz vertrieben wurden, weil sie das Stadtbild verschandeln. Rebi war für die bürgerliche Gesellschaft ein Aussätziger, für die Polizei stellte er ein Problem dar, weil seine Lebensführung von der maximal tolerierbaren abwich. All das schwingt mit, wenn ein Polizist im Gericht sagt, man müsse differenzieren, wer da in den Gewahrsam käme und dann entscheiden, ob ein Arzt hinzugezogen wird, obwohl die Vorschriften genau das zwingend erfordern.

Mit anderen Worten, wäre Rebi kein Punk und notorischer Trinker, sondern ein in einem Studentenclub kollabierter Student oder ein betrunken zusammen gebrochener Weihnachtsmarktbesucher gewesen, sein Leben wäre gerettet worden. Statt für jedes Leben zu kämpfen oder sich wenigstens an die biederen Vorschriften, die den Deutschen sonst so wichtig sind, zu halten, nahm man den bequemen Weg, rief keinen Arzt und setzte darauf, dass Rebi am nächsten Morgen schon wieder aufwachen würde. Das Kalkül ging nicht auf. Rebi starb an jenem Morgen im Polizeigewahrsam, dort wo er eigentlich – so die bürgerliche Vorstellung – Sicherheit und Schutz erwarten müsste.

Im Gerichtsprozess gegen den schichtführenden Beamten Jörg P. wurde Rebi pathologisiert. Er sei depressiv gewesen, litt unter starken Gefühlsschwankungen und Aufmerksamkeitsdefiziten, war möglicherweise borderline-persönlichkeitsgestört, war notorischer Trinker und aggressiv. Die gesellschaftlichen Ursachen für Rebis Lebenslauf spielten keine Rolle. In einer kapitalistischen, sozial-kalten Gesellschaft, in der das menschliche Leben zur Funktion für den Produktionsprozess verkommen ist, ist jeder nur für sich selbst verantwortlich, so sehr ihn auch die unmittelbar gesellschaftlich-vorgegebenen Umstände zugerichtet haben. Dass Rebis Leben nicht zuletzt durch den allgemeinen Charakter bürgerlicher Gesellschaft bestimmt ist, von der er sich bewusst abgrenzte, ist unwesentlich für ein deutsches Gericht, das Gesetze vollstreckt, die das Gesicht der kapitalistischen Barbarei tragen und sie reproduzieren sollen.

120 Tagessätze zu je 60 Euro verhängte das Amtsgericht gegen Jörg P. für die fahrlässige Tötung. Den größten Kampf im Gerichtssaal führte Rebis Vater als Nebenkläger. Er rang sichtlich mit der Fassung, als der Preis des Lebens seines Sohnes ausgehandelt wurde. Nur einmal äußerte sich der Mann, nämlich als Jörg P. Bedauern über den Tod seines Sohnes ausdrücken wollte. Es käme zu spät, sagte Rebis Vater. Das ist so richtig und verständlich, wie es Bände über Jörg P.‘s wirkliches Bedauern ausdrückt. Mehr als ein Jahr nach Rebis Tod äußerte der hauptverantwortliche Polizist erstmals sein Bedauern im eigenen Gerichtsprozess. Berufliche Konsequenzen hatte die fahrlässige Tötung für Jörg P. unseres Wissens nach nicht und auch die anderen beteiligten Beamten kamen ohne Disziplinarverfahren oder ähnliches davon.

Rebi ist einer von vielen, die fern jedes öffentlichen Interesses in Polizeizellen, Knästen, Lagern und anderen Orten ihr Leben verlieren, weil die Gesellschaft jenen die Hilfe verweigert, die ihrer am dringendsten bedürften oder schlimmer noch, weil sich die menschenfeindliche Ideologie dieser Gesellschaft am ehesten aktiv gegen jene richtet, die auffallen ohne Schutz, gegen Randgruppen, gegen Obdachlose, Flüchtlinge oder andere Mittellose. Für diese Menschen gibt es dann keine staatlich-organisierten Gedenkprozessionen, keine Blumen, kein Erinnern. Und gerade deshalb spricht dieser Umgang mit den Schwachen das Existentialurteil über diese Gesellschaft, diesen Staat und – im Falle Rebis – über seine Staatsmacht.

Trauerzug von Rebis Freunden und Ilmenauer Punks am 22. Januar 2009, einige Tage nach Rebis Tod, zur Polizeiinspektion Ilmenau. Vier Tage vorher wurde kurzzeitig das Foyer der Ilmenauer PI symbolisch besetzt.
Trauerzug von Rebis Freunden und Ilmenauer Punks am 22. Januar 2009, einige Tage nach Rebis Tod, zur Polizeiinspektion Ilmenau. Vier Tage vorher wurde kurzzeitig das Foyer der Ilmenauer PI symbolisch besetzt.