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Eine Gedenktafel für Suhler Nazis

Mit einem von allen Fraktionen befürworteten Beschluss hatte sich der Suhler Stadtrat am 25. Mai 2016 für die Errichtung einer Gedenktafel für Suhler Nazis auf dem Hauptfriedhof ausgesprochen. Bereits zum „Volkstrauertag“ am 13. November 2016 wurde jene Erinnerungstafel am Gedenkstein für die Opfer beider Weltkriege eingeweiht. Im Vorfeld gab es berechtigte Kritik durch den VVN-BdA und den Leiter der Gedenkstätte Buchenwald.


Hintergrund

Nach Kriegsende im August 1945 wurde das Konzentrationslager Buchenwald, welches durch einen Häftlingsaufstand am 14. April 1945 und durch die alliierten Truppen befreit wurde, von den Amerikanern an die sowjetische Besatzungsmacht übergeben. Diese richtete auf dem Gelände des ehemaligen KZs ein Gefangenenlager für politische Gefangene bzw. Kriegsgegner ein. In der Anlage, welche als sowjetisches „Speziallager Nr. 2“ bezeichnet wurde, waren überwiegend Angehörige des NS-Regimes inhaftiert, darunter auch Funktionäre aus Suhl. Die hiesige Tageszeitung „Freies Wort“ brachte es im Zuge der Auseinandersetzung zu der vielsagenden Bezeichnung „Sowjet-KZ“. Dabei war das sowjetische Speziallager ganz sicher keine Weiterführung des nationalsozialistischen Arbeits- und Vernichtungslagers, vielmehr bestimmte die Abwesenheit jedweder Beschäftigung, das Warten auf Strafprozesse und die Isolation von der Außenwelt den Häftlingsalltag. Dass die humanitäre Situation im Lager katastrophal war, ist allerdings unbestritten. In der Zeit von 1945 bis zur Schließung des Lagers 1950 starben 7.000 der 28.000 dort Inhaftierten, darunter acht Personen aus Suhl. Sie starben an unzureichender Ernährung und Folgeerkrankungen. Ebenso unbestreitbar sind die in der Forschung längst belegten Ursachen dieser humanitären Katastrophe. Das Massensterben ist kein Resultat einer gezielten Vernichtungspolitik wie sie die Deutschen verfolgten, sondern eine Folge der schweren Versorgungskrise in der UdSSR und der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) in diesem Zeitraum. Die Nahrungsrationen der Gefangenen entsprachen den niedrigsten Vergabenormen innerhalb der SBZ. Allerdings blieb den Gefangenen – im Gegensatz zur übrigen Bevölkerung – die Subsistenzwirtschaft verwehrt. Ein weiterer fundamentaler Unterschied zwischen sowjetischem Speziallager und nationalsozialistischem Arbeits- und Vernichtungslager ist das Ausbleiben gezielter Tötungen durch die sowjetischen Wachtruppen. Zu solchen kam es im Speziallager nur in Ausnahmefällen, etwa bei Fluchtversuchen. Unter der Aufsicht der SS waren gezielte Tötungen, Folter und schlimmste Gräueltaten Lageralltag.

Laut dem Suhler Oberbürgermeister Jens Triebel (parteilos) hat sich eine betroffene Familie mit der Bitte an ihn gewendet, die Erinnerung an die vermeintlich unschuldigen Suhler Opfer des sowjetischen Speziallager Nr. 2 in Buchenwald voranzutreiben. Laut eigenen Recherchen der Stadt saßen dort eben nicht nur Täter, sondern auch „Unschuldige“ ein.

Der Antrag 2 (286/56/2016) mit dem Titel „Gedenken der Opfer Kriegsende“ wurde durch den Ausschuss für Kultur, Bildung und Sport in die Stadtratssitzung am 25. Mai 2016 eingebracht. Bei einer Abstimmung in der 24. Sitzung des Stadtrates Suhl im Oberrathaussaal über den Antrag gab es lediglich drei Enthaltungen durch die Linksfraktion (diese verfügt über zwölf Mandate im Stadtrat) und keiner Gegenstimme von insgesamt 30 Stimmberechtigten. Der Beschluss sah vor eine Gedenktafel auf dem Suhler Hauptfriedhof zu errichten, diese sollte folgende Innenschrift tragen: „Die Stadt Suhl gedenkt der Bürger ihrer Stadt, die im sowjetischen Speziallager Nr. 2 Buchenwald und in anderen Lagern der Alliierten unschuldig gelitten haben oder zu Tode gekommen sind“. Ein Termin für die Errichtung stand allerdings noch nicht fest, die Gedenktafel sollte aus privaten Spenden finanziert werden, da dafür keine Haushaltsmittel zur Verfügung stünden.

Im November 2016 auf dem Suhler Hauptfriedhof eingeweiht: Eine Gedenktafel für NS-Täter.
Im November 2016 auf dem Suhler Hauptfriedhof eingeweiht: Eine Gedenktafel für NS-Täter.

Kritik

Kritik kam nicht nur durch die Basisgruppe Suhl/Südthüringen der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/ Bund der Antifaschisten1 und der Antifa Suhl/Zella-Mehlis, sondern auch durch den Leiter und Direktor der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Volkhard Knigge.

Knigge wirft der Stadt Unwissenheit und Gedankenlosigkeit vor, die Stiftung selber verfügt über ein historisches Archiv, in dem u.a. Biografien einzelner Häftlinge nachvollzogen werden können. Laut Knigge hatten alle Inhaftierten, die aus der Region um Suhl kamen, tatsächlich wichtige Funktionen im nationalsozialistischen Apparat. Laut der Dokumentation im Totenbuch des Speziallagers sind dort acht Suhler zu Tode gekommen. Darunter sechs ehemalige Block- und Zellenleiter und zwei Polizisten. Sie waren aktive Mitglieder der NSDAP, Mitarbeiter der Gestapo, SS- und SA-Aktivisten – das sind also die „Unschuldigen“, denen die Stadt Suhl gedenken möchte.2 Auch die im Denkmalstext implizierte Gleichsetzung von sowjetischem Speziallager und anderen Haftlagern der Westalliierten stößt bei der Gedenkstätte Buchenwald auf Kritik. Die humanitäre Situation in den Kriegsgefangenenlagern der Amerikaner, Briten und Franzosen waren völlig andere, als jene unter sowjetischer Besatzung. Entsprechend waren auch die Todesquoten in den anderen Kriegsgefangenenlagern bedeutend niedriger – eine Differenzierung, die nicht nötig hat, wem es wie der Stadt Suhl vielmehr um die Abrechnung mit den Siegern als um historische Wahrheit geht.

Eine Anfrage an die KZ-Gedenkstätte Buchenwald über die Suhler Inhaftierten durch die Stadt Suhl oder durch den Oberbürgermeister Triebel blieb aus. Hier wollte man sich wohl nicht von den Historikern über die eigenen schäbigen Absichten belehren lassen. Die Stadt betreibt nicht zum ersten Mal Geschichtsrevisionismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus. Immer wieder werden bei offiziellen Gedenkveranstaltungen der Stadt an Opfer einer Bombardierung Suhls vom 26. März 1945 und an zwölf auf dem Hauptfriedhof begrabenen Wehrmachtssoldaten erinnert und dort Kränze und Blumen an deren Gräbern abgeworfen. Immer mit dabei ist der Bund der Vertriebenen (BdV), welchem im Jahr 2015 zum 70. Jahrestag der Befreiung namentlich durch den Oberbürgermeister für sein Engagement gedankt wurde. Bei dieser Veranstaltung fand auch der Leiter des Waffenmuseums Peter Arfmann die passenden Worte, in dem er die Bombardierung Bremens als „Terrorangriffe“ bezeichnete.3

Die Stadtverwaltung und der Oberbürgermeister Jens Triebel wollten sich der Kritik durch die Leitung der Gedenkstätte Buchenwald annehmen. Was daraus geworden ist, steht wohl in den Sternen, denn diese blieb folgenlos. Die Gedenktafel wurde zum öffentlichen Gedenken durch die Stadt Suhl zum „Volkstrauertag“ am 13. November 2016 direkt am Denkmal für die Opfer beider Weltkriege eingeweiht. Die Antifa Suhl/Zella-Mehlis berichtete bereits im Juni über den Beschluss einer Gedenktafel, in ihrer Kritik heißt es folgerichtig:

„Im Fall der Gedenktafel in Suhl konnte eine Skandalisierung nur erreicht werden, da sich der Leiter der Buchenwalder Gedenkstätte öffentlich dazu äußerte. Jedoch, wie wir finden, unzureichend in seinen Äußerungen. Denn der Beschluss des Suhler Stadtrates speist sich nicht, wie von Knigge vorgeworfen, aus Unwissenheit oder Gedankenlosigkeit, sondern ist Teil der verfolgten Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit. Die deutschen Täter von einst werden gezielt auf die selbe Stufe wie die Opfer des Nationalsozialismus gestellt und gleichsam die vermeintliche Gräueltat der Sowjets, nämlich angeblich unschuldige Deutsche in ein Lager zu sperren und zu ermorden, im kollektiven Gedenken hervorzuheben versucht.“4

Dem ist nichts mehr hinzuzufügen, als die bereits erwähnte historische Wahrheit, dass das Sterben im Speziallager eine durch die sowjetische Militäradministration billigend in Kauf genommene Folge der humanitären Gesamtsituation in der UdSSR und der SBZ war und kein Mord. Die Stadt Suhl betreibt in ihrer Erinnerungspolitik seit Jahren NS-Verharmlosung und Geschichtsklitterung und zeichnet dabei nicht nur ein Geschichtsbild der 50er Jahre, wie Knigge das kritisiert. Dieses Geschichtsbild ist – nicht erst mit der Errichtung des Gedenksteins – Teil des städtischen Gedenkens geworden.5

Eingebettet ist der Gedenkstein in die Anlage für die Opfer der Weltkriege und der „Vertriebenen“.
Eingebettet ist der Gedenkstein in die Anlage für die Opfer der Weltkriege und der „Vertriebenen“.



  1. Nachzulesen hier.

  2. Dabei wollen wir gar nicht leugnen, dass die sowjetische Führung im Speziallager auch Unschuldige inhaftierte. Belegt sind Gefangene, die sich der Gegnerschaft zum entstehenden SED-Regime „schuldig“ gemacht haben und keine Faschisten waren, ebenso wie Inhaftierte, denen man die Zusammenarbeit mit den Westalliierten vorwarf. Dass aber unter diesen tatsächlich Unschuldigen auch Menschen aus Suhl waren, ist nicht belegt.

  3. Einen ausführlicheren Bericht, sowie eine Einschätzung der Gedenkveranstaltung und die Rolle von Suhl im Nationalsozialismus erschien in der Ausgabe 5 der Alerta Südthüringen mit dem Schwerpunkt „Kritk deutscher Gedenkpolitik“.

  4. In Gänze nachzulesen hier.

  5. Eine ausführliche Auseinandersetzung zur Kritik deutscher Gedenkpolitik ist in der Broschüre zur Kampagne „Volkstrauertag abschaffen! Für das Ende von NS-Verharmlosung, Naziaufmärschen und deutschen Opfermythen!“ aus dem Jahr 2015 zu finden: www.volkstrauertag-abschaffen.tk