Der Dachauer Aufstand vom 28. April 1945

Am 28. April 1945 stürmten bewaffnete Arbeiter_innen und geflohene KZ Häftlinge das Dachauer Rathaus und hielten es für mehrere Stunden besetzt. Das Ziel die Besetzung solange zu halten bis die US amerikanischen Truppen nach Dachau stoßen, schlug fehl. SS Hundertschaften aus der Kaserne am KZ schlugen den Aufstand blutig nieder. Einen Tag später, am Vormittag des 29. April, wurde Dachau von der US Armee befreit.
In der heutigen Geschichtsschreibung tauchte der Dachauer Aufstand allerhöchstens am Rande auf. Wenn er nicht gleich komplett verschwiegen wurde. In der Nachkriegs-BRD passte auch in Dachau der politisch sozialistische Hintergrund der Aufständischen nicht ins Bild. So verschwand dieser Teil antifaschistischer Geschichte aus den Gedächtnissen. Der Widerstandsplatz und diverse, nach den Opfern des Aufstands benannte Straßen in Dachau Süd, blieben als stumme Relikte ohne konkrete Aussage für die Nachwelt erhalten. Nur eine Tafel an der Sparkasse in der Altstadt nennt den Befreiungskampf mit Datum und Namen.

Flucht aus dem Konzentrationslager
Die Geschichte des Dachauer Aufstands kann nicht erzählt werden ohne den Namen des Dachauer Arbeiters und Kommunisten Georg Scherer zu erwähnen. Scherer, Mitglied des Arbeiter Turn- & Sportvereins Dachau (ATSV), kam 1935 ins Konzentrationslager Dachau, nachdem er an seinem Arbeitsplatz bei BMW antifaschistische Flugblätter verteilt hatte. Nach seiner Entlassung aus dem KZ 1941 hatte er unter Mithilfe seines Kontaktmannes im Lager, Walter Neff, ein System etabliert, dass Häftlingen zur Flucht verhalf. Der letzte Ausbruch gelang am 25. April. Die 15 Ausgebrochenen, allesamt Kommunisten bzw. Interbrigadisten, die in Spanien gegen den Faschismus kämpften, waren Beteiligte des Aufstands. Unter ihnen Erich Hubmann, Anton Hackl, Friedrich Dürr und Richard Titze. Sie wurden von Dachauer Frauen in die Stadt geschleust, dort in einer Scheune in Mitterndorf am Fuß des Giglbergs versteckt und mit Lebensmitteln versorgt. Außerdem konnten Scherer, Alois Seitz und Hans Moosrainer eine ca. vierzigköpfige Gruppe von Genoss_innen der KPD und aus dem ATSV organisieren. Durch den Dachauer Kassier der Roten Hilfe, Matthias Höß, wurden einige Waffen besorgt.

Die zweite Linie des Aufstands organisierte sich, ohne anfangs von den anderen zu wissen, zur selben Zeit um den ehemaligen Dachauer KZ-Häftling und Sozialdemokraten Jakob Schmid und seinen Genossen Georg Andorfer vom Reichsbanner. Sie scharten ebenfalls eine vierzigköpfige Gruppe aus alten Genoss_innen des verbotenen Reichsbanner und den zerschlagenen Gewerkschaften um sich. Man wartete auf die passende Gelegenheit.
Der Einmarsch der US Armee schien nur eine Frage der Zeit. Als letztes Aufgebot zur Verteidigung der Nazi Herrschaft wurden im gesamten Reich Einheiten des Volkssturms zwangsrekrutiert. Als in den Morgenstunden des 28. April ab 3.40 Uhr die „Freiheitsaktion Bayern“ über Rundfunkstationen das Ende der Nazi Herrschaft verkündete, überschlugen sich in Dachau die Ereignisse. Die untergetauchten Häftlinge, von Scherer unterrichtet – „in München ist Aufstand, wir müssen uns anschließen“ – , nahmen einigen jungen Infanteriesoldaten die Waffen ab und marschierten z.T. in KZ Kleidung mit geschulterten Gewehren auf die Dachauer Altstadt zu.

„Tua dein Kopf weg, mir ham an Aufstand“
Andorfer und Scherer nahmen um 6.30 Uhr Kontakt zum Kompaniechef des Dachauer Volkssturms, Josef Lerchenberger, auf. Dieser war vorab bereits in das Vorhaben der Aufständischen eingeweiht, hatte auch versichert, dass der Volkssturm dem Vorhaben nicht im Wege stehen würde und entband die Mitglieder des Volkssturms ihres Eides auf den „Führer“, sammelte aber nicht deren Waffen ein. In der Turnhalle in der Brunngartenstraße wurden 70 von insgesamt 130 bewaffneten Männern, hauptsächlich Arbeiter und Kleinbauern aus dem Hinterland, den Aufständischen zugeteilt. Ob der Volkssturm nun Andorfer oder Scherer unterstellt wurde, ist heute nicht mehr nachvollziehbar. Fest steht aber, dass die ehemaligen Häftlinge gegen 8 Uhr als erste das Rathaus betraten. Kurz darauf rückten der meuternde Volkssturm und die Gruppe um Andorfer von der Brunngartenstraße über den Karlsberg in die Altstadt und bezogen dort Stellung.
Die örtliche Nazi-Elite um den Dachauer NSDAP-Kreisleiter Hermann Nafziger war durch die Rundfunksendungen der „Freiheitsaktion“ in höchster Alarmbereitschaft. Sie konnten allerdings nicht wissen, dass der Chef der Schutzpolizei Johann Engl ebenfalls eingeweiht war. Die Polizei war auch im Rathaus stationiert. Sie ergab sich widerstandslos. Der Dachauer Bürgermeister und SS Mitglied Bäumler wurde von den Aufständischen festgesetzt.

Der erste Tote
Bei einsetzendem Regen ging der Nazifunktionär und Angestellte im Wirtschaftsamt der Stadt Dachau Heinrich Niederhoff auf das Rathaus zu, zog vor den Wachposten der Aufständischen eine Maschinenpistole und wurde von den Wachposten erschossen. Kurz darauf, gegen 9.30 Uhr, fielen die alarmierten SS-Einheiten in die Altstadt ein. Laut Scherers Schätzungen etwa drei Kompanien mit Maschinengewehren und Gewehrgranaten. Sie kamen vom Karlsberg, der Augsburger Straße und der Freisinger Straße (heute Konrad Adenauer Straße). Kurzzeitig konnte die SS bis zur Amperbrücke zurückgeschlagen werden. Aber die SS war zahlenmäßig überlegen und besser bewaffnet, so dass um 11 Uhr der Aufstand niedergeschlagen war. Erich Hubmann wurde als erster im Feuergefecht erschossen. Vier Aufständische wurden direkt vor dem Rathaus hingerichtet. Die Leichen mussten bis Sonnenuntergang dort liegen bleiben.

Etwa 40 Aufständische wurden im Amtsgefängnis (heute Amtsgericht) inhaftiert. Ihnen wurde ihre Erschießung angekündigt. Am späten Abend ließ man sie frei. Die US Armee war schon bei Niederroth. Viele, die mit den Nazis paktiert hatten, flüchteten. Auch hochrangige Mitglieder der Lager SS ergriffen panisch die Flucht. An die 100 Aufständische konnten in den Häusern von Dachauer Bürger_innen Unterschlupf finden und sich der Verhaftung durch die SS entziehen.

Sechs Aufständische, sowie der Unbeteiligte Zimmerer Anton Decker, kamen ums Leben:
Erich Hubmann / Bäcker aus Graz, geflohener Häftling des KZ Dachau
Anton Hackl / Fabrikarbeiter aus Graz, geflohener Häftling des KZ Dachau
Friedrich Dürr / Maschinenschlosser aus Mannheim, geflohener Häftling des KZ Dachau
Hans Pflügler / Former aus Dachau
Lorenz Scherer / Schreiner, Bauer aus Schwabhausen
Anton Hechtl / Bauer aus Schönberg

NICHTS IST VERGEBEN – NIEMAND IST VERGESSEN