Bad Reichenhall 14.05.16: Rechte Traditionspflege angreifen!

Euer Verdrängen kotzt uns an!
NS Verbrechen benennen – Opfer entschädigen – Rechte Traditionspflege angreifen

Sa 14. Mai 2016 in Bad Reichenhall

12:00 Uhr Kurgastzentrum | Hearing: Die Verbrechen der Bad Reichenhaller Gebirgsjäger auf Kreta

17:00 Uhr | Antifaschistische Demonstration

rabatz | Autonome Vernetzung Oberbayern, Salzburg, Tirol

Hintergründe & Informationen badreichenhall.tk

NS-VERBRECHEN BENENNEN!
OPFER ENTSCHÄDIGEN!
RECHTE TRADITIONSPFLEGE ANGREIFEN!

Am 21.Mai 1941 beginnt die Wehrmacht mit der Luftlandung auf der griechischen Insel Kreta. Die Bevölkerung leistet vom ersten Tag an erbitterten Widerstand gegen den Überfall der eingesetzten Fallschirm- und Gebirgsjäger. Schon am dritten Tag ordnet der Kommandeur der im Salzburger Land aufgestellten 5.Gebirgsdivision, Julius Ringel (gestorben 1967 in Bayerisch Gmain, Nachbargemeinde von Reichenhall), Vergeltungsmaßnahmen gegen Zivilist_innen an: in eroberten Ortschaften sollen männliche Geiseln genommen und im Falle von Widerstandshandlungen je getötetem Wehrmachtssoldaten zehn Griechen ermordet sowie Ortschaften angezündet werden. Auf dieser Basis werden zahlreiche Massaker verübt, auch von Gebirgsjägern aus Bad Reichenhall. Rund um den 75. Jahrestag dieser Ereignisse möchten wir unseren Beitrag zur Erinnerungskultur in dieser Ortschaft leisten, die sich mit Kreta-Denkmälern, -Brücken und -Gedenkfeiern schmückt. Denn in Bad Reichenhall herrscht auch nach mehreren Jahren antifaschistischer Intervention ein aktives Verdrängen vor: Ein Verdrängen, bei dem die Opfer des Nationalsozialismus ganz explizit ausgeklammert bleiben um nicht den geringsten Missmut gegenüber der ortsansässigen Gebirgstruppe zu erzeugen; ein Verdrängen, bei dem darüber hinaus nazistisches Gedenken akzeptiert bleibt. Dieses Verdrängen kotzt uns an. Und so bleibt uns nichts anderes übrig als auch 2016 nach Bad Reichenhall zu reisen um dort NS-Verbrechen zu benennen und Entschädigung für die Opfer zu fordern. Doch erst einmal der Reihe nach…

Geschichte wird gemacht
Anfang 2010 klärten wir, das antifaschistische rabatz-bündnis, die Reichenhaller “Zivilgesellschaft” erstmals über das jährliche SS-Gedenken in Bad Reichenhall auf und forderten, aktiv dagegen vorzugehen. Leider wurde unser Aufruf ignoriert und wir kündigten für 2011 aktive Proteste an.
Weitere Recherchen ließen die SS-Gedenkfeier aber „nur“ als Spitze des rechten Eisberges erscheinen: „Von Mittenwald nach Bad Reichenhall“ lautete die Überschrift unseres ersten Aufrufs, unter dem wir im Mai 2011 das erste Mal in das Berchtesgadener Land mobilisierten. Zentrale Inspiration für uns war die Kampagne „Angreifbare Traditionspflege“. Zwischen 2002 und 2009 war in deren Rahmen das Pfingsttreffen der Gebirgstruppe – dem bis dahin größten regelmäßigen Wehrmachtstreffen – am Hohen Brendten bei Mittenwald auf vielfältige Weise skandalisiert worden (2016 findet die Brendtenfeier am Fr. 13.05. statt – achtet auf evtl. Ankündigungen).
Das Reichenhaller Pendant dazu ist ein „Kreta-Gedenken“ anlässlich des Jahrestags des Aufbruchs zur Okkupation der griechischen Mittelmeerinsel. Durchgeführt wird dieses vom lokalen Ableger des Kameradenkreises der Gebirgstruppe mit freundlicher Unterstützung durch die Stadt und die Bundeswehr (dieses Jahr vo­r­aus­sicht­lich am Mi, 18.05.16 um 11:00 Uhr). 2011 gelang es uns erst- und bis dato einmalig diese bürgerlich daherkommende Form der NS-Verherrlichung effektiv zu stören. Der damalige Werbeslogan des Kurorts „Wo die Zeit Urlaub macht“ wurde als für sich sprechendes Demonstrationsmotto entwendet und wird seither von offizieller Seite nicht mehr genutzt, um Tourist_innen in die Kleinstadt zu locken.

Überregionale Aufmerksamkeit wurde Bad Reichenhall allerdings erst in den Wochen nach der Demonstration zu Teil: Es waren Kinder, die am Tag der Offenen Tür der Bundeswehrkaserne mit Zielerfassungssystemen von Panzerfäusten auf ein nachgebautes Dorf mit dem Namen „Klein-Mitrovica“ zielten. Bilder davon wurden als „Klein-Mitrovica-Skandal“ in der internationalen Medienberichterstattung rezipiert. Zu diesem Zeitpunkt war die Kaserne der Reichenhaller Gebirgsjäger noch nach General Rudolf Konrad, dem „antisemitischen Schlächter von der Krim“ und zugleich einem der „Väter“ der Gebirgstruppe, benannt.
Im darauf folgenden Jahr 2012 erhielten wir Rückenwind, insbesondere von der “Initiative gegen falsche Glorie” und dem Historiker Jakob Knab. Diese teilten unsere Forderung nach einer Umbenennung der General-Konrad-Kaserne, die im Herbst des Jahres 2012 tatsächlich erfolgte. Was den Kameradenkreis der Gebirgstruppe aber auch weiterhin nicht davon abhalten sollte, Konrad am Grabe zu ehren. Und verschwunden ist mit der Umbenennung auch das großflächige Landsergemälde am Kaserneneingang nicht. Der Anspruch der Demonstration „Re-Educate Bad Reichenhall“ und dieses zu entnazifizieren ist also bis heute nur teilweise eingelöst.
2013 wandten wir uns deshalb mit einer Plakataktion an die Bevölkerung von Bad Reichenhall. Darauf abgedruckt waren 10 politische Forderungen. Darunter: die Entfernung eines geschichtsrevisionistischen Kirchenbildes zum 23. April 1945, auf dem die Alliierten als Apokalyptische Reiter dargestellt werden sowie die Umbenennung der Kreta-Brücke in Winkler-Reischl Brücke in Erinnerung an den antifaschistischen und antimilitaristischen Widerstand, den es auch in Bad Reichenhall gab – bis die Aktivist_innen fliehen mussten oder von den Nazis ermordet wurden. Einen Aufreger war die Wiedergabe eines 3sat-Zitats wert, das den Kameradenkreis der Gebirgstruppe als „Selbsthilfegruppe für Kriegsverbrecher“ charakterisiert. Unsere Forderungen wurden in der Medienberichterstattung vor Ort zwar durchaus diskutiert – aber auf die Idee, irgendetwas davon umzusetzen, ist so recht niemand gekommen.

So kam es, dass wir am 10. Mai 2014 unser Versprechen einlösen und wieder einen Ausflug in die oberbayerische Kleinstadt unternehmen mussten. Dabei rückte das nazistische Gedenken an die SS-Division Charlemagne in den Fokus unserer Demonstration, weil es zeitgleich abgehalten wurde. Im Klartext: Während am 8. und 9. Mai die Menschen in aller Welt die Kapitulation der Wehrmacht und die Befreiung vom Nationalsozialismus feiern, wird in Bad Reichenhall der SS gehuldigt, wofür es auch Fürsprecher_innen in der Mitte der Gesellschaft gibt:
„Die haben ja nicht für eine abzulehnende Ideologie gekämpft.“ So charakterisierte zum Beispiel Karl Welser, Gründer der Volkshochschule Bad Reichenhall und ehemaliger Stadtrat, die französischen Freiwilligen in der Waffen-SS, die im Mai 1945 im Ortsteil Karlstein von den amerikanischen Befreiern erschossen wurden.
So oder so ähnlich sieht es wohl auch die lokale Nazi-Szene, die das jährliche Gedenken hochhält, seitdem es seinen Status als Treffen von Faschist_innen und Alt-Nazis aus ganz Europa nicht mehr aufrechterhalten konnte.
Als weiteres prägendes Element unserer Demonstration installierten wir 2014 eine Gedenktafel, die die Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger und der Wehrmacht auf Kreta thematisierte. Denn in Bad Reichenhall ist diese Art von Auseinandersetzung mit der Rolle der Gebirgsjäger im Zweiten Weltkrieg wie angedeutet unerwünscht: Noch während der laufenden Demonstration wurde die Tafel dann auch wieder entwendet.

Zum 70. Jahrestag der Befreiung um den 8.Mai 2015 bot sich das gleiche Bild wie in den Vorjahren: Nazis beklagten ihre Niederlage und gedachten der SS, die offiziöse Gedenkpolitik erinnerte an der „Kreta-Brücke“ der „gefallenen“ Gebirgsjäger zusammen mit den „Bombenopfern“ der Stadt und verdrängten damit den Überfall der Wehrmacht auf Kreta. Daran zeigt sich, dass es auch heute noch gilt, die gesellschaftlichen Konfliktlinien aufzuzeigen und als Antifaschist_innen Stellung zu beziehen.

Entschädigung der Opfer – jetzt sofort!
Von 1941 bis 1944 dauerte die Besatzung Griechenlands durch Nazi-Deutschland und seine Verbündeten. Schon bald begannen die Besatzer, die systematische Auslöschung der griechischen Jüdinnen* und Juden* zu planen und durchzuführen. Etwa 60.000 der insgesamt 77.000 jüdischen Griech_innen wurden ermordet, die meisten von ihnen im Lager Auschwitz-Birkenau.

Auch gegenüber der nichtjüdischen Bevölkerung traten die deutschen Besatzer mit roher Gewalt auf. In Griechenland wird davon ausgegangen, dass mindestens 300.000 Menschen in Folge der Besatzung ihr Leben verloren.
Die zahlreichen Massaker an der griechischen Zivilbevölkerung unter anderem durch die Bad Reichenhaller Gebirgsjäger, unterschieden sich dabei allenfalls in der Zahl, jedoch nicht in der Begehungsweise von den Gräueltaten, die durch deutsche Soldaten in Jugoslawien, Polen und der Sowjetunion begangen wurden. Als Tropfen auf dem heißen Stein wurden 1960 115 Millionen DM bezahlt „zugunsten der aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffenen Staatsangehörigen, die durch diese Verfolgungsmaßnahmen Freiheitsschäden oder Gesundheitsschädigungen erlitten haben, sowie besonders auch zugunsten der Hinterbliebenen der infolge dieser Verfolgungsmaßnahmen Umgekommenen“.Ausgeschlossen blieb der größte Teil der Opfer: Der Betrag der Entschädigungen jener Hunderttausender, welche ihre Heimat in Schutt und Asche wiederfanden und deren Familien, Freund_innen und Nachbar_innen im Zuge der zahllosen Massaker durch die grausam wütende Besatzungsmacht ausgelöscht wurden, beläuft sich bis heute auf Null.

Ebenso wenig wurden die geraubten Goldreserven der griechischen Nationalbank und die Zwangsanleihe aus dem Jahre 1942 über 500 Millionen Reichsmark durch die Bundesrepublik zurückgezahlt. Die Anleihe hatten die Nazis während der Besatzung vom griechischen Staat erpresst, um die deutsche Kriegsmaschinerie weiter am Laufen zu halten. Inflationsbereinigt und unverzinst dürfte der zurückzuzahlende Wert der Zwangsanleihe vorsichtig geschätzt heute 10 – 12 Mrd. Euro betragen.

Selbst in den bürgerlichen Medien der BRD fanden mit der Wahl Syrizas Forderungen nach Entschädigung Gehör, ein Thema das sonst weitläufig umschifft wird. Die Tatsache, dass das „Wirtschaftswunder“ nicht möglich gewesen wäre, wenn die Reparationsforderungen an die BRD, Rechtsnachfolger des deutschen Reiches, durch das Londoner Schuldenabkommen von 1953 nicht bis zum Abschluss eines Friedensvertrages gestundet worden wären, war in zahlreichen Zeitungen zu lesen. Der Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990, durch den die Wiedervereinigung geregelt wurde, stellt de facto einen Friedensvertrag dar. Als im Januar 2015 die bisherige Regierung Griechenlands abgewählt wurde, keimte die Hoffnung auf, mit Syriza sei die Frage nach Rückzahlung des Zwangskredits sowie Entschädigungs- und Reparationszahlungen auf politischem Wege gegen den deutschen Staat und die herrschende Kapitalfraktion durchzusetzen.

Ein Jahr später haben sich diese Hoffnungen zerstreut. Der neuen griechischen Regierung sind die Daumenschrauben der europäischen Sparpolitik angezogen worden, für die griechische Bevölkerung bedeutet dies eine soziale Katastrophe. Dass sich jedoch der Deutsche Staat, für dessen Industrie und Wirtschaft sich der faschistische Raubzug durch Europa trotz Kriegsniederlage bis zum heutigen Tage als äußerst profitabel erwiesen hat, trotz der Zahlungsverweigerung seiner Kriegsschulden, ein klarer Bruch internationalen Rechts,jetzt auch noch als Gläubiger geriert, ist eine anhaltende Demütigung der Opfer Nazi-Deutschlands.

Nachdem die Frage um Entschädigung politisch nicht geklärt werden konnte, wendet sich die Hoffnung auf Entschädigung nun auf den juristischen Weg. Mit der Entscheidung des italienischen Verfassungsgerichts vom 22. Oktober 2014 wurde in Italien der Zugang zu den Gerichten wieder geöffnet, ein großer jurististischer Erfolg im Kampf um Gerechtigkeit. Die Entscheidung des italienischen Verfassungsgerichts steht gegenüber der bisherigen Rechtsauffassung, wonach Deutschland sich auf Staatenimmunität in Bezug auf NS-Kriegsverbrechen berufen konnte. Diese Entscheidung öffnete auch den Rechtsweg für griechische Nazi-Opfer wieder.

Doch Deutschland wird auch weiterhin mit allen politischen und juristischen Mitteln versuchen, sich aus der Zahlungspflicht zu schleichen. Soweit bekannt, wird ein neuer Prozess in Den Haag angestrebt. Inzwischen ist außerdem zu erfahren, dass hinter den Kulissen Verhandlungen mit der italienischen Regierung laufen, um die Urteile der italienischen Gerichte zu unterlaufen. Dennoch stehen nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts die Chancen für einen juristischen Erfolg so gut wie nie zuvor. Dieser würde der ganzen Entschädigungsfrage neuen Auftrieb geben.

Um auch für alle anderen Opfer der NS-Verbrechen Entschädigungen durchzusetzen, wird es jedoch erforderlich sein, Solidarität mit den Opfern gerade im Land der Täter_innen deutlich werden zu lassen.

Kein Vergeben – Kein Vergessen…
Eine sinnvolle juristische Aufarbeitung muss im Übrigen drei Aspekte berücksichtigen: Der erste ist der eines Stücks individueller Gerechtigkeit und Wiedergutmachung; für die Betroffenen der Kriegsverbrechen und deren Angehörige muss der deutsche Staat zur Rechenschaft gezogen und Entschädigungen müssen gezahlt werden.
Der zweite Aspekt geht damit einher, denn gerade weil Entschädigungen bislang ausgeblieben sind und nur außerordentlich geringe Reparationen geleistet wurden, hat sich der faschistische Raubzug durch Europa für Deutschland und die ansässigen Kapitalfraktionen im Nachhinein als profitabel erwiesen; zumindest hielten sie sich im Großen und Ganzen schadlos. Das zu ändern ist für die Zukunft eines Zusammenlebens ohne Krieg von Bedeutung. Moderne Kriege folgen immer zuerst einem kapitalistischen Interesse; der Kampf um Entschädigungen kann ihren Preis erhöhen, so dass sie sich als unprofitabel darstellen.

Ein dritter Aspekt betrifft die individuelle Verurteilung und Bestrafung der handelnden Akteur_innen: (potentielle) Soldat_innen sollen sich lieber zweimal überlegen, ob sie sich tatsächlich dem Risiko aussetzen wollen, wegen Ausübung eines mörderischen Handwerks als Kriegsverbrecher_innen verurteilt zu werden. Das gilt nicht nur historisierend, sondern beispielsweise auch für die Verantwortlichen des Luftangriffs auf Kunduz im September 2009, bei dem über 140 afghanische Zivilist_innen aus dem Leben gerissen wurden. Entmilitarisierung ist auch und gerade dann erreicht, wenn sich niemand mehr findet, um in der Reichenhaller Kaserne an der Nonner Straße Gehorsam zu leisten und zu dienen.

… Mörder_innen haben Namen und Adressen!
Um unsere Positionen und Forderungen zu unterstreichen laden wir in diesem Jahr darüber hinaus Gäste aus Griechenland, Zeitzeug_innen, Historiker_innen und Rechtsanwält_innen zu einem öffentlichen Hearing ein – ermöglicht durch den Hans-Frankenthal-Preis, der uns von der Stiftung Auschwitz Komitee verliehen wurde. Selbstverständlich werden wir auch am Samstag, 14.Mai 2016 demonstrieren – denn nicht weniger hat Bad Reichenhall verdient.